Simona Boscardin: «Journalismus ist kein gewöhnliches Produkt.»
Das 360. Fragebogeninterview, heute mit Simona Boscardin, freie Journalistin und Gründerin von «On Fire – Studio für neuen Journalismus». Sie sagt, dass sie von allen Social Media-Plattformen nur Instagram aktiv nutze: «Dort habe ich mir als Journalistin über die Jahre eine Community aufgebaut.» Sie könne auf Instagram «Fragen aufgreifen, zeigen, wie journalistische Arbeit entsteht und als absolute Meme-Connoisseurin das Weltgeschehen auf witzige Art und Weise einordnen und kommentieren.» Die Medienwelt sei vielfältiger geworden: «Neben klassischen Medienmarken tauchen immer mehr Menschen auf, die unabhängig Inhalte produzieren und eigene Schwerpunkte setzen.» Sie folge deshalb nicht mehr nur Medien, sondern auch einzelnen Personen. «Und gerade diese Stimmen bringen Themen und Perspektiven mit, die in traditionellen Medien gefehlt haben.» Wie der Journalismus der Zukunft gestaltet werden soll, beschäftigt sie sehr: «Algorithmen, KI und digitale Plattformen verändern, wie wir Informationen konsumieren und stellen uns vor neue Herausforderungen.» Sie sieht darin Chancen, «uns weiterzuentwickeln, neugierig und kreativ zu bleiben». Journalistische Inhalte seien gefragt: «Junge Menschen wollen Einordnung, Relevanz und einen Zugang, der zu ihrem Leben passt.» Leider verschieben sich Werbeeinnahmen massiv zu globalen Plattformen, «wodurch vielen Redaktionen schlicht das Geld fehlt, um ihre Kernaufgaben zu erfüllen.» Das Problem sei «nicht mangelnde journalistische Kompetenz, sondern strukturelle Unterfinanzierung.» Journalismus sei kein gewöhnliches Produkt, sondern «Teil der demokratischen Infrastruktur. Und wie bei jeder Infrastruktur gilt: Überlässt man sie sich selbst, zerfällt sie schneller, als man denkt.
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Morgens läuft bei mir immer zuerst «HeuteMorgen» und danach das «Echo der Zeit» vom Vorabend. Also technisch gesehen Radio, aber in Podcastform – wo ich selbst bestimme, wann ich mir die News anhören will. Das läuft dann nebenher, während ich mich ready mache. So bin ich bereits über die Weltlage informiert und habe die wichtigsten Themen sauber eingeordnet bekommen, bevor ich überhaupt die Wohnung verlasse.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Ich würde von mir behaupten, dass ich «chronically online» bin. Ich kenne jeden TikTok-Trend, weiss was Instagram gerade bewegt und wer auf YouTube mit wem Beef angefangen hat.
Instagram nutze ich dabei als einzige Plattform auch aktiv: Dort habe ich mir als Journalistin über die Jahre eine Community aufgebaut, mit der ich im stetigen Austausch sein darf. Ich kann dort Fragen aufgreifen, zeigen, wie journalistische Arbeit entsteht und als absolute Meme-Connoisseurin das Weltgeschehen auf witzige Art und Weise einordnen und kommentieren.
YouTube und TikTok brauche ich für neue Perspektiven, Inspiration, kurze Denkanstösse oder einfach, um mich berieseln zu lassen, während ich irgendwo auf den Bus warte.
Facebook ist für mich durch, spätestens seit es die Boomer für sich entdeckt haben. Das ist auch überhaupt nicht böse gemeint, liebe Boomer. Ich mag euch. Meine Eltern sind Boomer und sie sind grossartig. Aber ihr könnt sicher nachvollziehen, das ihr nicht wollt, dass euer Papi immer alles liest und kommentiert, was ihr so postet, oder?
Bei X, Mastodon & Co. dachte ich lange, ich müsse dort sein, weil sich da die Medienbranche tummelt. Doch genau deswegen fand ich es dann irgendwann nicht mehr wirklich interessant. Den Medien-Gossip kriegt man glücklicherweise ja auch sonst mit. Auf LinkedIn bin ich, weil dort viele Menschen sitzen, die mir als junge Journalistin beruflich Türen öffnen können. Doch vieles an der Art der Kommunikation fühlt sich für mich zu inszeniert und ehrlich gesagt auch unglaublich cringe an. Ich versuche noch herauszufinden, wie ich dort ich selbst bleiben kann und trotzdem sichtbar. Weil: a girl needs to somehow be able to pay rent in Zurich.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Obwohl mein Berufseinstieg erst zehn Jahre her ist, hat sich in dieser Zeit viel verändert: Auf YouTube sind in den letzten Jahren unglaublich spannende journalistische Formate entstanden, Podcasts haben einen riesigen Aufschwung erlebt und TikTok hat das Erzählen nochmals neu herausgefordert.
Neben klassischen Medienmarken tauchen immer mehr Menschen auf, die unabhängig Inhalte produzieren und eigene Schwerpunkte setzen. Ich folge nicht mehr nur Medien, sondern auch einzelnen Personen. Und gerade diese Stimmen bringen Themen und Perspektiven mit, die in traditionellen Medien gefehlt haben.
Was mir aber weh tut: Einige der Printmagazine, die ich geliebt habe, gibt es heute nicht mehr. Das «Neon» habe ich mir zum Beispiel immer am Kiosk gekauft.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich höre oft Geschichten über die «goldenen Zeiten» des Journalismus – und ja, vieles daran muss grossartig gewesen sein: mehr Zeit, mehr Ressourcen, weniger Produktionsdruck. Dieser Freiraum, der für gründliche Recherche und gute Geschichten zentral ist, fehlt durch den wirtschaftlichen Druck heute oft. Gleichzeitig frage ich mich, ob diese Phase wirklich für alle so goldig war. Als junge Frau hätte ich in den 70ern oder 80ern wohl ungern in einer damals so stark männlich geprägten Branche gearbeitet.
Durch Social Media und das Internet können viel mehr Menschen mitreden, kritisieren und Perspektiven einbringen, auch wenn das nicht immer angenehm oder gar konstruktiv ist. Dass der Journalismus heute nicht mehr so sehr im Elfenbeinturm stattfindet, macht ihn meiner Meinung nach besser.
Mich beschäftigt aber ehrlich gesagt weniger, was früher war, sondern wie wir den Journalismus der Zukunft gestalten wollen. Algorithmen, KI und digitale Plattformen verändern, wie wir Informationen konsumieren und stellen uns vor neue Herausforderungen. Ich sehe darin Chancen uns weiterzuentwickeln, neugierig und kreativ zu bleiben, um weiterhin Menschen in ihrer Informationsfindung zu unterstützen und den Mächtigen dieser Welt auf die Finger zu schauen.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Natürlich. Als das Fernsehen kam, hat ja auch niemand aufgehört, Bücher zu lesen. Neue Medien verdrängen das Geschriebene nicht, sie kommen einfach dazu.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Alles von Franziska Schutzbach. Bell Hooks sowieso. Die Comics von Liv Strömquist. Bücher von Emilia Roig, Anja Nunyola Glover, Miriam Suter und Natalia Widla.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich gehöre zu den Menschen, die ständig neue Bücher anfangen, während sie andere noch lesen. So lese ich im Schnitt etwa sechs Bücher gleichzeitig und brauche dementsprechend ewig, um eines zu beenden. Wenn mich ein Buch also nicht abholt, sorgt mein ADHS zuverlässig dafür, dass plötzlich ein anderes viel spannender ist.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Bei Menschen wie Natalie Wynn, auf ihrem YouTube Channel Contrapoints, wo mir ein vermeintliches Video über Twilight, eine brillante dreistündige Analyse über Gender, Begehren und Macht gibt. Niemand bricht komplexe Themen so klug und unterhaltsam runter wie sie.
Bei Matt Bernstein, der in seinem Podcast «A bit fruity» Politik über Popkultur erklärt.
Oder in der Sternstunde Philosophie, die ich mir immer als Podcast anhöre. Die Gespräche schaffen es sehr häufig, meinen Blick zu weiten: sei es durch neue Gedanken, ein produktives Reiben an der Perspektive eines anderen Menschen oder einfach, indem sie mich lehren, Ambivalenz auszuhalten.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Meine ehrlichste Antwort dazu ist: Keinen blassen Schimmer.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Zuerst müsste man klären, wovon wir überhaupt sprechen. «Fake News» ist inzwischen ein politischer Kampfbegriff, mit dem alles Mögliche etikettiert wird. Sehr oft auch schlicht Berichterstattung, die jemandem nicht passt.
Wenn wir darunter aber absichtlich verbreitete Falschinformationen verstehen, dann sehe ich eher Gefahr, als Chance. Denn wir wissen aus der Forschung, dass falsche Inhalte, sobald sie einmal im Umlauf sind, extrem schwierig zu korrigieren sind. Fact-Checking kann nur begrenzt gegensteuern und die heutigen Algorithmen beschleunigen ihre Verbreitung zusätzlich.
Wenn wir die Verbreitung von Falschinformationen wirklich in den Griff bekommen wollen, müssen Plattformen endlich Verantwortung übernehmen und die Medienkompetenz der Gesellschaft deutlich gestärkt werden.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich könnte nicht einmal sagen, wann ich zuletzt lineares Radio oder Fernsehen geschaut habe. Und ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass es ein Programm gäbe, das mich dafür zurückgewinnen würde. Linear passt einfach nicht zu der Art, wie ich Medien konsumiere. Ich bestimme gern selbst, wann ich etwas schaue oder höre.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich höre sehr viele Podcasts. Am liebsten mag ich Serien, die mir etwas Grosses im Kleinen erzählen. Und weil ich mich nicht für einen Liebling entscheiden kann, hier eine kleine Sammlung an Podcast-Perlen mit Gütesiegel Boscardin:
«Boys Club» berichtet über Macht und Missbrauch bei Axel Springer. Der Podcast «Tested» erklärt, wie unglaublich problematisch Geschlechtertests im Profisport eigentlich sind. Die Podcast-Reihe «Cui Bono» bricht anhand von prominenten Beispielen Medien- und Online-Dynamiken runter. «Nicht mehr mein Land» spricht auf beeindruckend reflektierte und differenzierte Weise über Migration und den Rechtsruck in Deutschland und bei «Who trolled Amber» begleiten wir einen Investigativjournalisten, der aufrecherchiert, wie die Wahrnehmung des Johnny Depp vs. Amber Heard Prozesses im Internet komplett verzerrt wurde und von wem.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Ich tue mich etwas schwer mit dem Begriff «News-Deprivierte». Beim fög wird er auch für junge Menschen verwendet, die sich primär über Social Media informieren. Aber das tun inzwischen sehr viele – und darunter fallen ja auch Inhalte von etablierten Medienhäusern, die selbst auf TikTok, Instagram oder YouTube präsent sind. Nur weil junge Leute nicht auf die Startseite einer Zeitung gehen, heisst das nicht automatisch, dass sie «depriviert» sind. Der Begriff suggeriert ein Desinteresse, das so pauschal nicht stimmt.
Natürlich sind Social-Media-News oft kürzer und bieten weniger Einordnung. Gleichzeitig zeigen Studien, wie etwa vom Reuters Institute for the Study of Journalism, dass sich junge Menschen sehr bewusst informieren und verschiedene Quellen kombinieren. Viele folgen sowohl klassischen Medienmarken als auch unabhängigen Creators, die journalistisch arbeiten. Das wird oft unterschätzt. Online gibt es heute eine enorme Vielfalt an Inhalten und Social Media ist längst ein zentraler Bestandteil des Nachrichtenökosystems.
Ich sehe das auch in meinem eigenen Projekt, «On Fire – Studio für neuen Journalismus». Wir produzieren Inhalte, die sich am Nutzungsverhalten junger Menschen orientieren: in der Sprache, in der Form und auf den Plattformen, auf denen sie ohnehin unterwegs sind. Junge Menschen wollen Einordnung, Relevanz und einen Zugang, der zu ihrem Leben passt. Das behaupte ich auch nicht einfach mal so, sondern deckt sich mit Erkenntnissen des Reuters Institute und der Universität Oxford.
Dass das Bedürfnis junger Menschen nach dieser Art von Journalismus real ist, hat unser Crowdfunding gezeigt: Fast 700 junge Menschen haben uns in vier Wochen 50’000 Franken gespendet. Ein deutliches Zeichen dafür, dass es eben nicht an der Nachfrage fehlt, sondern an passenden journalistischen Angeboten. Junge Menschen informieren sich, nur eben anders – und das sollte man ernst nehmen.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Automatisieren lassen sich meiner Meinung nach Dinge wie Börsenmeldungen, Wetter oder Sportresultate. Also alles, was stark datengetrieben ist und nicht zwingend Einordnung braucht. Diese Tätigkeiten machen aber nur einen kleinen Teil journalistischer Arbeit aus.
Journalisten und Journalistinnen gehen raus, sprechen mit Menschen, hören zu, stellen unangenehme Fragen. Diese Arbeit findet in der realen Welt statt, nicht im Datensatz. Widersprüche aufspüren, Perspektiven abwägen, Vertrauen aufbauen, Nuancen hören oder eine Unsicherheit herausspüren, sind zutiefst menschliche Fähigkeiten. Dieses feine Gespür für Personen und ihre Geschichten kann keine Maschine jemals erlernen.
KI kann wohl Texte formulieren, doch sie kennt keine Empathie oder Unbehagen, noch hat sie einen moralischen Kompass. Sie kann keine Geschichten erzählen, die wirklich berühren, weil sie nicht weiss, was es bedeutet, Mensch zu sein.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Ehrlich gesagt. Ich glaube beides ein bisschen.
Die Digitalisierung stellt die wirtschaftlichen Grundlagen vieler Medienhäuser massiv infrage. In diesem Sinne bedroht sie tatsächlich die traditionellen Medienstrukturen, die Journalismus lange getragen haben.
Gleichzeitig öffnet sie Räume, die es vorher nicht gab: neue Erzählformen, neue Stimmen, neue Zugänge zu Öffentlichkeit. Sie befreit den Journalismus also auch aus den institutionellen Grenzen, in denen er jahrzehntelang stattgefunden hat.
Guter Journalismus braucht weiterhin Zeit, Ressourcen, Expertise und eine Form von institutioneller Verantwortung. Und genau an dieser Stelle merkt man: Das alte System funktioniert nicht mehr so zuverlässig und das neue ist noch nicht wirklich gebaut.
Darum ist für mich die spannendste Frage, welche neuen Modelle von Trägerschaft wir entwickeln müssen, damit Journalismus unter diesen Bedingungen überhaupt möglich bleibt. Denn sehr wahrscheinlich werden es künftig nicht mehr nur klassische Verlagshäuser sein, die diese Rolle übernehmen. Schon heute entstehen viele journalistische Projekte ausserhalb der traditionellen Orte, weil dort mehr Freiheit oder schlicht mehr Nähe zu bestimmten Zielgruppen möglich sind.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Wir wissen aus der Forschung: Wenn Medien verschwinden, sinkt die Wahlbeteiligung, die Gesellschaft spaltet sich stärker, Fehlinformationen verbreiten sich schneller und Korruption steigt. Das ist kein theoretisches Risiko, sondern in vielen Ländern empirisch belegt.
In der Schweiz sieht man erste Risse: Lokalredaktionen werden geschlossen, Inhalte zentralisiert, investigative Recherche ausgedünnt. Gleichzeitig verschieben sich Werbeeinnahmen massiv zu globalen Plattformen, wodurch vielen Redaktionen schlicht das Geld fehlt, um ihre Kernaufgaben zu erfüllen. Das Problem ist nicht mangelnde journalistische Kompetenz, sondern strukturelle Unterfinanzierung. Genau deshalb braucht es eine Medienförderung – aber bitte eine zeitgemässe.
Nämlich eine, die Rahmenbedingungen schafft für gründliche Recherche, für Faktenprüfung, für Zeit und Expertise. Die nicht nur bestehende Strukturen stützt, sondern auch neue Entwicklungen ermöglicht. Denn eine vielfältige Medienlandschaft entsteht nur, wenn man breiter denkt: lokale Initiativen, digitale Modelle, unabhängige Studios, junge Formate, investigative Teams. Demokratische Öffentlichkeit entsteht heute an weit mehr Orten als in traditionellen Verlagshäusern und ohne Förderung werden solche Projekte oft gar nicht erst möglich.
Zu einer zeitgemässen Medienförderung gehören auch Ideen wie das Leistungsschutzrecht. Ein absoluter Zungenbrecher, der nach etwas klingt, das so trocken ist wie ein Guetzli nach Weihnachten, aber eigentlich etwas sehr smartes beschreibt: Denn Plattformen wie Google, Meta oder TikTok verdienen mit journalistischen Inhalten Geld, ohne selbst dafür zu zahlen. Ein Leistungsschutzrecht sorgt dafür, dass ein kleiner Teil dieses Geldes zurück an diejenigen geht, die die Inhalte überhaupt erst produziert haben.
Viele Skeptiker und Skeptikerinnen fürchten um die Unabhängigkeit von Medien, wenn die plötzlich Cash vom Staat kriegen und ehrlich gesagt, kann ich diese Sorgen zu einem gewissen Teil auch verstehen. Doch genau deshalb braucht es transparente Regeln: Eine klare Abgrenzungen zur Politik, redaktionelle Freiheit und unabhängige Vergabestrukturen.
Journalismus ist kein gewöhnliches Produkt. Er ist Teil der demokratischen Infrastruktur. Und wie bei jeder Infrastruktur gilt: Überlässt man sie sich selbst, zerfällt sie schneller, als man denkt.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Jeden Tag in mein Notizbuch.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Trump hat meiner Meinung nach, nicht nur den Medien geschadet, sondern dem gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt. Er hat Menschen gegeneinander aufgebracht, Misstrauen gesät und gezielt Fehlinformationen verbreitet. Vor allem aber hat er Zweifel so systematisch als politisches Werkzeug eingesetzt, dass plötzlich vieles zur Frage des «Glaubens» wurde, statt zur Frage überprüfbarer Fakten.
Das ist gefährlich, weil Fakten die Grundlage einer gemeinsamen Realität sind. Ohne diese gemeinsame Basis gibt es weder Vertrauen noch einen funktionierenden demokratischen Dialog. Denn wenn wir uns nicht mehr darauf einigen können, was Realität ist, können wir auch nicht mehr darüber sprechen, wie wir sie gestalten wollen.
Gleichzeitig müssen wir als Medienschaffende ehrlich sein: Wir haben uns zu häufig von Empörungszyklen treiben lassen und damit genau jene Mechanismen produziert, die seine politische Wirkung vergrössert haben. Trump hat Provokation als Strategie eingesetzt und wir haben diese Provokationen viel zu oft zur Titelgeschichte gemacht. Anstatt konsequent dorthin zu schauen, wo er tatsächlich Macht missbraucht, Institutionen schwächt oder demokratische Prozesse untergräbt.
In diesem Sinn ist Trump ein Stresstest für den Journalismus. Unsere Aufgabe ist es, Orientierung zu geben, nicht Chaos zu verstärken. Wenn wir diesen Auftrag ernst nehmen, entsteht daraus nicht nur bessere Berichterstattung, sondern auch ein Stück demokratische Resilienz.
Wem glaubst Du?
Meinem Dönermann, wenn er sagt, dass die Sauce sehr scharf ist.
Dein letztes Wort?
Gwundrig und ufmüpfig bliibe.
Simona Boscardin
Simona Boscardin ist diplomierte Journalistin, Formatentwicklerin, Moderatorin und (Eigenangabe) «kreatives Grossmaul aus Zürich». Ausgebildet an der Ringier Journalistenschule, und der Zürcher Hochschule der Künste bei Cast / Audiovisual Media, arbeitete sie für Medien wie SRF Investigativ, «Zeit Online», Vice Germany oder den «SonntagsBlick». Heute ist sie freie Journalistin, entwickelt neue Formate für junge Zielgruppen und ist Gründerin von «On Fire – Studio für neuen Journalismus».
Basel, 19.11.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 350 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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5 Kommentare zu "Simona Boscardin: «Journalismus ist kein gewöhnliches Produkt.»"
Mit meinem folgenden Beispiel kann ich gleich auf zwei Sachen im Interview mit Fr. Boscardin eingehen:
JA – Journalismus ist kein Produkt wie jedes andere.
Das Heilmittel „staatl. Förderung“ wirkt aber nicht.
Ihre Antwort wie böse und finster Trump sei, kann man als Beispiel nehmen. Wohl zuviel Euro-Medien konsumiert?
BBC verfälschte grob in einem Bericht Trump. Dort gab es Konsequenzen und Köpfe rollten.
Bei uns (SRG, ZDF, ARD, ÖRR) wird auch längt verfälscht und die Zwangs-Gebühten-Anstalten kommen ihrem journalistischen Auftrag nicht nach (Trotz Totalförderung also nicht besser).
Klar findet man Trump finster, wenn der SWR (in diesem Falle) rausschneidet, fälscht und weglässt. Ist der Ausdruck Lückenpresse („Lügenpresse“) hier so falsch? Noch erbärmlicher: Bei BBC rollen nach Fehlern Köpfe. BEI UNS PASSIERT GAR NICHTS….
Doch sehen Sie selbst die miese Arbeit des SWR’s (Totalgefördert und „öffentlich-seriös“-Fake-News frei?!?). 3 Minuten welche sich lohnen! Unglaublich:
Wunderbar: Frau Boscardins Sicht der Dinge stimmt sehr mit meiner Erfahrung überein, der ich mich alltäglich und europaweit für und mit Projekten engagiere, die in unserer Welt für eine andere Welt unterwegs sind. Das (grosse) Geld fliesst nicht dorthin, wo es substanziell etwas bringen. Hier für einen anderen Weg der Schlusssatz von Paul Anouk Leo in den Notizen ausdem/fürdas Europäische Netzwerk «Bildung&Raum»: „Mögen weitere junge Menschen die Samen säen, aus denen bald erwächst, was blühen soll.“
Sorry, wenn ich nochmals komme….
LIEBE GUTEN JOURNALISMUS….
Und zielte auf den SWR ab. Doch auch unser Seriös-Medium SRF/SRG deutete in einem „Rundschau“-Beitrag über Trump mit dem Titel der da hiess (wie denn sonst…): „Hetzen und Lügen“ alles um.
Ironie: Die Rundschau macht nichts anderes „Hetzen und Lügen“ (gegen Trump) – das ist nicht Journalismus.
Doch schauen Sie selbst (3 Min. die lohnen) – hoffe es kommen nicht noch mehr von den ÖRR-Fake-News-Schmieden raus, vorstellen könnt ich es mir, doch dann wird’s langsam repetiv….
Oh, Herr Zweidler verteidigt mal wieder einen US-Präsidenten, dessen Namen ich leider vergessen habe… Nun, wir wissen alle, dass die Ereignisse in Washington am 6. Januar 2021 ein „Fest der Liebe“ (Originalton D.T.) waren, bei dem „einfach“ fünf Personen ums Leben gekommen sind und Abgeordneten-Büros verwüstet wurden. Ich denke, es ist für eine rückblickende TV-Dokumentation unerheblich, was der damals Nicht-Gewählte wann genau gesagt oder nicht gesagt oder nur halbbatzig gesagt hat: Wir wissen ja alle, was passiert und wie es herausgekommen ist. Und jetzt ist also die Meinungsäusserungsfreiheit dieses später doch noch Gewählten bedroht? Seine Prozessfreudigkeit hat jedenfalls nicht gelitten. Irgendwie skurril das alles.
Selbstkritischer Nachtrag: Bei all dem Gezänk alter Männer über einen noch älteren Mann geht das eigentliche Thema wieder einmal unter. Ich finde Simona Boscardins Ansichten erfrischend, in ihrer Ausführlichkeit wohlüberlegt und anregend! Danke, dass Sie sich für dieses Interview so viel Zeit genommen haben!