Raphael Rauch: «Guten Journalismus gibts nicht am Fliessband.»
Das 357. Fragebogeninterview, heute mit Raphael Rauch, Redaktor beim «SonntagsBlick». Ihm geht die Selbstinszenierung auf LinkedIn auf die Nerven, vor allem die Posts, «an die nicht einmal die Verfasser glauben und die von KI formuliert sein könnten.» Die Medien in der Schweiz seien früher «eindeutig besser» gewesen: «SRF hatte mehr Sendungen, allen voran Radio SRF2 Kultur (Danke, Nathalie Wappler und Susanne Wille, für die ‹Fokussierung im Angebot›).» Auch der «Tages-Anzeiger» sei besser gewesen und weniger rechts als heute. «Mir fällt auf, dass ‹Tagi›-Korrespondentenberichte aus Washington an der Werdstrasse weichgespült werden. In der ‹Süddeutschen Zeitung› finden sich von denselben Autoren pointiertere Formulierungen als im ‹Tagi›». Er findet ganz generell: «Der Schweizer Journalismus muss mutiger und bissiger werden.» Es sei«bedenklich, dass die spannendsten Primeurs bei ‹Inside Paradeplatz› landen, weil die Rechtsabteilungen der grossen Medienhäuser zu viele Bedenken anmelden.» Die Künstliche Intelligenz werde darin nichts ändern. Die KI könne «helfen, die Nadel im Heuhaufen zu finden.» Biss bietet die Technik aber nicht: «Schema F lässt sich automatisieren, Originalität nicht.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Die FAZ. Es ist nach wie vor die beste deutschsprachige Zeitung.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Sehr ambivalent: Facebook nutze ich noch als Telefonbuch; auf Instagram poste ich ab und zu «Beauty Shots», wenn ich in Rio oder Kapstadt bin. Die Selbstinszenierung auf LinkedIn geht mir auf die Nerven, vor allem durch «Take home»- und «Lesson learned»-Posts, an die nicht einmal die Verfasser glauben und die von KI formuliert sein könnten.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Ich habe keinen Chef mehr, der Manuskripte auf Diskette will.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Eindeutig besser. SRF hatte mehr Sendungen, allen voran Radio SRF2 Kultur (Danke, Nathalie Wappler und Susanne Wille, für die «Fokussierung im Angebot»). Auch der «Tagi» war früher besser (weniger rechts als heute). Mir fällt auf, dass «Tagi»-Korrespondentenberichte aus Washington an der Werdstrasse weichgespült werden. In der «Süddeutschen Zeitung» finden sich von denselben Autoren pointiertere Formulierungen als im «Tagi».
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Klar! Wer will das ganze Podcast-Gelaber hören? 30 Minuten Zeitungslektüre sind tiefgründiger als 30 Minuten Radio oder Glotze.
Was soll man heute unbedingt lesen?
«Tabak und Schokolade» von Martin R. Dean. Wenn’s leichter sein soll: «Achtsam morden» von Karsten Dusse. Wenn’s schwerer sein soll: Die Bibel. Die hilft auch, um Trumps Evangelikale zu verstehen.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher. Zuletzt habe ich bei Gloria von Thurn und Taxis’ Pamphlet «Lieber unerhört als ungehört» kapituliert.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Wie gute Recherche-Infos nach 18 Uhr. Im Zug. Im Theater. Im Ausgang. In meiner Wandergruppe.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Länger, als wir denken. Mindestens noch 20 Jahre. Im August 2010 kursierte das Gerücht, die «New York Times» werde ihre Papierausgabe einstellen. Bis heute wird sie gedruckt.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine grosse Gefahr! Sie sind ein gezieltes Ablenkungsmanöver. Während wir beschäftigt sind, mit Faktenfindern Fake News zu entlarven, fehlt uns die Zeit für andere Recherchen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Praktisch nie. Ein Hoch auf die Mediathek!
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Selten, aber das «Echo der Zeit» ist als Podcast ein täglicher Fixpunkt für mich.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Try harder! Wir müssen besser werden und Geschichten so erzählen, dass sie auch die U30-Jährigen interessieren.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Schema F lässt sich automatisieren, Originalität nicht. Guten Journalismus gibts nicht am Fliessband. Aber jetzt mal ehrlich: Mein Chefredaktor Reza Rafi hat schon vor zwei Jahren kritisiert: «Schön für Herrn Supino, dass er neben Herrn Trump zu einem festen Bestandteil dieses Fragebogens geworden ist.» Bitte ändern!
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder noch. Technischer Fortschritt ist meistens ambivalent – so auch im Journalismus. Wobei ich KI nicht nur als Gefahr sehe. Der aktuelle «Spiegel» würdigt die norwegische Lokalzeitung «iTromsø» als «Pionier beim Einsatz künstlicher Intelligenz». Vor allem bei Wirtschafts- und Datenrecherchen setzt die Zeitung KI-Assistenten ein. Schliesslich hat niemand Zeit und Lust, alle Dokumente der Verwaltung zu studieren. Hier kann KI helfen, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Was mich besonders überrascht: Die Journis verlassen die Redaktion meistens pünktlich um 16 Uhr, um Zeit mit der Familie zu verbringen.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja. SP-Nationalrat Jon Pult hat Recht, wenn er SRG und private Medien über die Mehrwertsteuer und nicht über die Serafe subventionieren will. Von der Serafe profitiert vor allem ein Multimillionär in der Waadt.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Selten. Meine Mutter kritisiert regelmässig meine Klaue.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Zynischerweise gut. Die Abo-Zahlen der «New York Times» sind unter Trump gestiegen.
Wem glaubst Du?
Meinen Eltern.
Dein letztes Wort?
Der Schweizer Journalismus muss mutiger und bissiger werden. Ich finde es bedenklich, dass die spannendsten Primeurs bei «Inside Paradeplatz» landen, weil die Rechtsabteilungen der grossen Medienhäuser zu viele Bedenken anmelden. Und, ganz wichtig: Bloss nicht langweilen!
Raphael Rauch
Raphael Rauch (39) ist in Stuttgart (D) geboren und in Cochabamba (Bolivien) sowie im Allgäu aufgewachsen. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Kath. Theologie in Tübingen, Aix-en-Provence und Yale. In München wurde der Historiker zum Dr. phil. promoviert. Er arbeitete beim ZDF, SRF und war Redaktionsleiter von kath.ch; 2023 wechselte er zum «SonntagsBlick».
Basel, 29.10.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 350 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Raphael Rauch: «Guten Journalismus gibts nicht am Fliessband.»"
Meine Frage im Anschluss an dieses Interview: Mögen wohl normale Medien neben den Schuhen stehen, aber trotzdem immer weiter gehen?
76% der Schweizer Journalisten sind „LINKS“.
R. Rauch ist einer davon. Denn wer mit 39 Jahren (nicht in der CH aufgewachsen) behauptet, der „TAGI“ sei heute „RECHTS“ (rechter wie „früher“) ist CH-politisch nicht mehr kalibriert. Für die Erinnerung an Big-Ego Jon Pult (SP), welcher einmal als Bundesrat gehandelt wurde, danke ich – natürlich von ihm ein dickes JA zur Medienförderung – mit Hr. Rauch auf links-Linie… Bei diesem Interview raucht mir der Kopf. Doch gemach: Der „SonntagsBlick“ hat so was an Relevanz verloren… Jetzt komm ich (57) auch noch mit „früher“ – aber früher gabs kein Sonntag ohne „SoBli“. Ob im Freibad, in JEDER Beiz, ob in JEDEM Café, jeder Wanderung – am Sonntag war der „SoBli“ omnipräsent. Auch die „Sonntags-Blick Verkaufs Kästen“ prägten jahrelang das Bild der Schweiz. Rot mit gelbem Aushang – in jedem Wohnquartier von Rümlang bis Therwil, in jeder Kleinstadt, Grossstadt, Dorf, vor der Post, vor der Beiz, gar vor dem Gemeindehaus. Seit die weg sind ist der „SoBli“ am Kiosk ein Printprodukt wie die vielen anderen, an der Coop-Pronto-Tankstelle liegt er bereits in der 2. Reihe…. Total irrelevant geworden.
Das selbe geschah übrigens Swisscom. DER Swisscom mit ihren Telefonkabinen überall sichtbar. Der Anker der Telefonie. Der offizielle Sprechkanal. Die Kabinen verschwanden, heute ist Swisscom im Salt-Sunrise-Aldi-Mobile-Dschungel bei den Jungen ein Anbieter von vielen….
Wünsche Herr Rauch dass er von seiner Bubble mal raus kommt und sich mal auf You-Tube „Weltwoche daily“ reinzieht, „Bern einfach“ (mit Somm/Feusi) oder „The daily mill“ (mit Stefan Millus). Tue ich übrigens auch, schaue regelmässig den „SP-Meyer-Wermuth-Podcast“ (!!!), auch wenns manchmal weh tut, und übe so die andere Sichtweise. Was ein Medienkonsument wie ich mache, sollten die Medienschaffenden erst recht machen. Denn sonst wird’s öde und dröge. Denn die mediale Oberschule-Ideologie-Aufklärung ist vorbei und spiegelt sich, ganz logisch, im Dauer-Sinkflug beim Verkauf… Wann merkt es Herr Rauch?