Patrick Zbinden: «Wochenzeitungen schaffen etwas, das der digitale Echtzeitjournalismus zunehmend verliert: Distanz.»
Das 361. Fragebogeninterview, heute mit Patrick Zbinden, Sensoriker und unabhängiger Food-Journalist. Er erzählt, dass sein Morgen seit 1982 mit dem «Tages-Anzeiger» beginne: «Von meinem allerersten Lehrlingslohn habe ich mir ein Abo geleistet – sehr zum Missfallen meines christlich-konservativen Vaters. Er war überzeugt, der ‹Tagi› werde ‹direkt in der Hölle gedruckt›.» Als Food-Fachmann sieht er sich im Journalismus vor KI zwar gefeit – noch gibt es keinen Computer, der Käse verkosten oder Wein degustieren kann. Trotzdem bereitet ihm die Entwicklung Sorge: Das Problem sei, dass «ein grosser Teil der sogenannten Food-Journalistinnen und -Journalisten nicht über das nötige Fachwissen» verfüge. Sie «erkennen Qualität oft nicht, können Zubereitungstechniken nicht einordnen oder übernehmen ungeprüft die Narrative aus Pressemeldungen.» Die Folge sei ein Food-Journalismus, der nur «an der Oberfläche» kratze. In einer Welt, in der «TikTok-Rezepte viral gehen, KI Inhalte in Sekunden produziert sind und Algorithmen bestimmen, was wir sehen» brauche es etwas, «das nicht nur reizt, sondern auch einordnet.» Er glaubt deshalb, dass Wochen- und Sonntagszeitungen Zukunft haben: «Sie bieten Tiefe statt Tempo», sagt er. Und sie «schaffen etwas, das der digitale Echtzeitjournalismus zunehmend verliert: Distanz.» Gerade als Food-Journalist sei er überzeugt: «Das geschriebene Wort ist heute relevanter denn je.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Seit 1982 beginnt mein Morgen mit dem «Tages-Anzeiger». Von meinem allerersten Lehrlingslohn habe ich mir ein Abo geleistet – sehr zum Missfallen meines christlich-konservativen Vaters. Er war überzeugt, der «Tagi» werde «direkt in der Hölle gedruckt». Zum Glück habe ich dieses Verbot ignoriert. Seither begleiten mich Zeitungen durch den Tag. Das heisst, später kam die NZZ dazu, die ich meist als Mittagslektüre lese, wenn ich allein mittags esse. Am Wochenende gehören die «NZZ am Sonntag» und die «SonntagsZeitung» auf den Tisch.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Ironischerweise lehre ich an den Bildungszentren von GastroSuisse, wie man mithilfe von KI und Social Media gezielt Reichweite für Restaurant aufbaut, nutze selbst aber keine dieser Plattformen. Weder TikTok noch YouTube, weder Reels noch Threads ziehen mich in ihren Bann. Es gibt allerdings eine Ausnahme: LinkedIn. Dort veröffentliche ich einmal pro Woche einen Beitrag – mein persönlicher Beitrag am Social Media Diskurs. Ich schreibe dort über Food-Trends, neuste Studien und darüber, wie die Lebensmittelindustrie versucht, uns subtil zu beeinflussen. Oder ich kommentiere aktuelle kulinarische Themen, die gerade die Agenda bestimmen. LinkedIn ist für mich weniger Social Media als ein öffentlicher Denkraum und der einzige digitale Ort, an dem ich bewusst präsent sein möchte.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Als ich in den Food-Journalismus einstieg, war mein Medienalltag vor allem eines: papierlastig. Bei mir zu Hause stapelten sich Fachzeitschriften aus aller Welt, von wissenschaftlichen Ernährungsmagazinen bis zu internationalen avantgardistischen Kulinariktiteln. Dieses Vergnügen kostete (und kostet) mich jährlich über 3’000 Franken, war aber immer die Grundlage meiner Arbeit: tief eintauchen, vergleichen und verstehen. In den letzten Jahren hat sich dieses Medienökosystem spürbar gewandelt. Heute sind es neben den vielen Zeitschriften vor allem spezialisierte Newsletter. Viele davon sind personalisiert und liefern mir den Puls der Zeit. Sie transportieren Entwicklungen im Foodbereich oft schneller und pointierter als klassische Magazine. Den Luxus von Printmagazinen gönne ich mir aber nach wie vor.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich habe zum Glück noch eine Zeit erlebt, in der der «Tages-Anzeiger» und andere Schweizer Zeitungen eigene Food-Bünde hatten: Sorgfältig recherchiert, fachlich solide und journalistisch ambitioniert. Diese Ära ist vorbei. Heute werden Beiträge aus dem Ausland zugekauft oder unter Zeitdruck lieblos und ohne sensorischen oder kulinarischen Tiefgang geschrieben.
Das Grundproblem ist, dass ein grosser Teil der sogenannten Food-Journalistinnen und -Journalisten nicht über das nötige Fachwissen verfügt. Sie erkennen Qualität oft nicht, können Zubereitungstechniken nicht einordnen oder übernehmen ungeprüft die Narrative aus Pressemeldungen. Die Folge ist ein Food-Journalismus, der häufig an der Oberfläche kratzt. Das zeigt sich auch in der Gastrokritik: Fundierte, multisensorisch geschulte Beurteilungen sind selten geworden. Wer Restaurants testen will, muss verstehen, wie Gerichte entstehen und wie Gäste im Restaurant multisensorisch beeinflusst werden. Dieses Wissen fehlt heute oft.
Genau deshalb habe ich 2022 am MAZ die Masterclass für Food-Journalismus ins Leben gerufen: um das Niveau zu heben, Kompetenzen zu fördern und wieder eine journalistische Qualität zu etablieren, die dem Thema Essen und Trinken gerecht wird.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Unbedingt! Gerade als Food-Journalist bin ich überzeugt: Das geschriebene Wort ist heute relevanter denn je. In einer Welt, in der TikTok-Rezepte viral gehen, KI Inhalte in Sekunden produziert sind und Algorithmen bestimmen, was wir sehen, braucht es etwas, das nicht nur reizt, sondern auch einordnet. Gute Texte schaffen etwas einzigartiges: Sie geben Tiefe. Sie erzählen Hintergründe. Sie zeigen, warum etwas schmeckt, wie ein Produkt entsteht und welche Werte dahinterstehen. Geschriebenes kann Nuancen ausleuchten, sensorische Eindrücke sprachlich formen. Für mich bleibt Sprache deshalb das präziseste Werkzeug, um Genuss erfahrbar zu machen.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Meine Empfehlung ist das UGB-Magazin. In einer von Marketinginteressen, Influencer-Buzz und industriegesteuerten Narrativen geprägten Medienwelt wirkt dieses Magazin wie ein Ruhepol. Das Magazin informiert unabhängig, kritisch und komplett werbefrei über Gesundheit, Ernährung und Nachhaltigkeit. Die Beiträge sind wissenschaftlich fundiert, zugleich aber praxisnah geschrieben. Und das Entscheidende: Das UGB-Magazin bleibt konsequent frei von den Interessen der Ernährungs- und Pharmaindustrie – ein Qualitätsmerkmal, das heute rar geworden ist.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Irgendwann habe ich mir eingestanden: Die Lebenszeit ist zu kurz für schlechte Bücher. Wenn mich eine Geschichte nicht berührt, überrascht oder weiterbringt, lege ich sie weg. Denn die wirklich wertvollen Bücher sind jene, die etwas in einem auslösen. Für sie möchte ich mir die Zeit freihalten.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Für mich gibt es zwei magische Orte: die San Sebastián Gastronomika und die Madrid Fusión. Seit vielen Jahren reise ich dorthin oder nehme online daran teil, und jedes Mal habe ich das Gefühl, als würden Funken der Inspiration durch die Luft fliegen. Visionäre Köch:innen erzählen mir dort von Ideen, nach denen ich nie gesucht habe, die mich aber meist begeistern und packen. Es sind diese überraschenden Begegnungen und ungeplanten Denkanstösse sowie kulinarischen Experimente, die auf der Bühne gezeigt werden und meinen Horizont erweitern.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Das ist schwierig präzise zu prognostizieren aber eines ist klar: Die Uhr tickt. In wenigen Jahren werden gedruckte Tageszeitungen wirtschaftlich kaum mehr tragfähig sein. Die Produktions- und Vertriebskosten steigen, während die Leserschaft in den digitalen Raum abwandert. Was hingegen gute Chancen hat zu überleben, sind Wochen- und Sonntagszeitungen. Sie bieten Tiefe statt Tempo, haben eine treue Leserschaft und schaffen etwas, das der digitale Echtzeitjournalismus zunehmend verliert: Distanz, Reflexion und Kuratierung.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Fake News sind zweifellos eine Gefahr – auch im Ernährungsbereich. Das zeigt beispielsweise der Report «Nutrition Misinformation in the Digital Age»: 53 sogenannte Super-Spreader erreichen allein auf Instagram über 24 Millionen Menschen. Viele von ihnen haben keinerlei medizinische Qualifikationen, verfügen jedoch über eine enorme rhetorische Schlagkraft. Was hier passiert, ist weit mehr als ein bisschen Halbwissen im Netz. Es sind bewusst orchestrierte Strategien, die mit Emotionen statt Evidenz arbeiten: Angst schüren (Fear-Mongering), falsche Hoffnung verkaufen (Joy-Mongering) oder Produkte mit ein paar «gesunden» Buzzwords aufpolieren (Sprinkling). Die Studie benennt dieses Manipulationsarsenal sehr treffend. Das Problem ist, dass wissenschaftlich fundierte Ernährungsempfehlungen oft nüchterner und weniger spektakulär sind und deshalb im digitalen Lärm schnell untergehen.
Aber genau hier liegt auch die Chance: Medien, die sauber arbeiten, können Orientierung geben, entlarven und einordnen. Sie können zeigen, was evidenzbasiert ist. Fake News zwingen Qualitätsjournalismus dazu, wieder relevanter und präziser zu werden.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich höre lineares Radio heute fast nur noch wegen der Musik. Dabei bin ich wählerisch: Ich höre kaum Schweizer Sender, sondern streame zwei Favoriten, die mich seit Jahren inspirieren. Das ist zum einen Radio Nova, das mit seiner grossen Auswahl an Musikstilen jede Grenze sprengt, und zum anderen der griechische Sender Radio Kosmos, der mich immer wieder mit musikalischen Entdeckungen begeistert. Beim Fernsehen schaue ich live praktisch nichts mehr. Ich nutze die Replay-Funktion bewusst, selektiv und ohne Programmdiktat. Das heisst, ich konsumiere Radio und TV noch, aber so, wie es heute Sinn macht: kuratiert, zeitunabhängig und nach meinem eigenen Rhythmus.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Tatsächlich höre ich selbst keine Podcasts. In meinen KI-Schulungen zeige ich jedoch Schritt für Schritt, wie man mit künstlicher Intelligenz einen professionellen Podcast erstellt.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Das ist ein Warnsignal. Wenn mehr als die Hälfte der jungen Erwachsenen kaum noch klassische Medien konsumieren, verlieren Medien ihre generationsübergreifende Relevanz und die Gesellschaft ihren gemeinsamen Wissensgrundstock. News-Deprivation schafft Informationslücken, die schnell von vereinfachenden Narrativen, Meinungen von Influencern oder Fake News gefüllt werden.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Teilweise ja. Wenn KI künftig Routinejobs wie die Erstellung von Spielberichten, Wettertexten oder Börsenmeldungen übernimmt, dann hätte Journalist:innen endlich wieder mehr Raum für das, was Journalismus ausmacht: gründliche Recherche, kritische Einordnung, Haltung und Kontextualisierung.
Für meinen eigenen Bereich mache ich mir keinerlei Sorgen. Beispielsweise schreibe ich seit 14 Jahren Degustationsberichte für das Gault Millau-Magazin. Die sensorische Analyse von Lebensmittelqualität lässt sich nicht automatisieren. Dafür braucht es Erfahrung, Wahrnehmung, Kontextwissen und einen Menschen, der schmeckt, riecht, vergleicht und zweifelt. Anders sieht es beim Handwerk rund um den Journalismus aus. Die Erstellung von Degustationsformularen erledige ich jedoch bereits heute gemeinsam mit KI.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Beides ist möglich und passiert gleichzeitig. Die Digitalisierung zerstört traditionelle Geschäftsmodelle, beschleunigt den Nachrichtenzyklus und erleichtert es, Aufmerksamkeit durch Lärm statt durch Qualität zu erzeugen. In diesem Sinne bedroht sie die klassischen Medien ganz real. Doch sie kann den Journalismus auch positiv beeinflussen. Gute Recherchen können heute schneller veröffentlicht und von mehr Menschen gefunden werden. Die Digitalisierung gibt Journalist:innen Werkzeuge an die Hand, um präziser, datenbasierter und mutiger zu arbeiten.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ob wir eine staatliche Medienförderung brauchen, sollen diejenigen beurteilen, die sich intensiv mit Medienökonomie beschäftigen. In diesem Bereich bin ich kein Spezialist. Was ich jedoch aus meiner Erfahrung als Dozent und Journalist sagen kann, ist Folgendes: Wenn wir etwas wirklich fördern müssen, dann sind es die Menschen hinter den Medien. Die Schweiz braucht eine Ausbildung, die Journalist:innen dabei unterstützt, fachlich und technologisch Schritt zu halten. Qualität entsteht nicht allein durch Subventionen, sondern durch Kompetenz, Neugier, kritisches Denken und solide Grundlagen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Heute schreibe ich fast nur noch Karten und kleine Notizen von Hand. Alles, was persönlich ist, darf handgeschrieben bleiben. Alles andere tippe ich.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Autoritäre Tendenzen sind stets schädlich für die Medien und damit auch für die Demokratie. Jede Form der Kontrolle, sei es Zensur, Propaganda oder die Delegitimierung kritischer Berichterstattung, gefährdet die Grundrechte, auf denen offene Gesellschaften beruhen. Wenn politische Akteure versuchen, Institutionen wie Medien, Gerichte, Kirchen oder Bildungseinrichtungen gleichzuschalten, wird es brandgefährlich. Leider sind diese Entwicklungen kein Relikt der Geschichte, sondern treten zunehmend auch in angeblich stabilen Demokratien auf. In diesem Kontext war Donald Trump sicher kein Gewinn für die journalistische Kultur. Und ja, ich hoffe sehr, dass mir diese Antwort nicht gleich ein Einreiseverbot in die USA beschert.
Wem glaubst Du?
Ich glaube selten einzelnen Stimmen, sondern gut belegten Fakten, transparenter Methodik und sauberer journalistischer Arbeit. Vertrauen entsteht für mich dort, wo Quellen nachvollziehbar sind, Daten überprüfbar bleiben und Argumente nicht auf Meinung, sondern auf Evidenz beruhen. Genau das vermittle ich auch im von mir mitentwickelten akademischen Lehrgang «Food & Design». In meinen Vorlesungen «Wissenschaftliches Arbeiten» lernen die Studierenden, Studien kritisch zu lesen und zu hinterfragen, die Glaubwürdigkeit von Food-Labels einzuschätzen und die Mechanismen von Greenwashing im Foodbereich zu erkennen.
Dein letztes Wort?
In Rahmen dieses Interviews: Guter Journalismus ist Motor für Innovation und jede Art von Fortschritt.
Patrick Zbinden
Patrick Zbinden ist ausgebildeter Fachmann für Kulinarik mit Schwerpunkt Lebensmittel-Sensorik. Seit über 20 Jahren leitet er regelmässig Degustations- und Schulungsseminare. Als firmenunabhängiger Sensoriker ist er für die Durchführung von Degustationstests für verschiedene Medien verantwortlich. Seine Expertise als Jurymitglied ist bei nationalen und internationalen Wettbewerben und Ausschreibungen gefragt. Über die Zukunft unserer Ernährung und Foodtrends insbesondere hält Patrick Zbinden im In- und Ausland Vorträge. Seit 1995 publiziert Zbinden als freischaffender Food-Journalist in Zeitungen, Kulinarikmagazinen und Fachmedien Artikel, Interviews und Kolumnen. Kultstatus erreichte Zbinden mit seiner Kochrubrik auf DRS3, die er wöchentlich über 10 Jahre lang (1998-2011) jeweils live präsentierte. Sein 2009 erschienenes Buch «928 clevere Küchentipps» gilt mit 9000 verkauften Exemplaren als Bestseller.
Basel, 26.11.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 350 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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3 Kommentare zu "Patrick Zbinden: «Wochenzeitungen schaffen etwas, das der digitale Echtzeitjournalismus zunehmend verliert: Distanz.»"
Nach diesem lebensnah tiefgründig reichhaltigen Interview tut sich bei mir die Frage auf, ob man vielleicht sagen könnte, dass Wissen auf Fakten und Kopf, und Wahrheit auf Erfahrung und Herz beruht?
Kannte Herr Zbinden nicht, bin auch nicht „Kult“ – da ich nie DRS3 Hörer war und werde…
Kenne „nur“ Martin Jenny – ebenfalls kulinarischer Journalist in div. Zeitungen und ehem. Chefredaktor des „Birs-Magazin“ sowie Herausgeber vom jährlichen „Aufgegabelt“ – Buch. Basler, wohnhaft an div. Orten im Jura, jetzt in Rodersdorf ansässig, wo er auch einen Koch- und Ess – Club betreibt – vom Feinsten….
Auf den Titel eingehend lobt Zbinden die „Distanz“ der Wochenzeitungen. Ja – dies ist sicherlich gut.
Aber auch im Tagesjournalismus stelle ich eine Distanz fest, aber keine gute. Eine zwischen der Realität und dem journalistischen Hallali. Zwischen Fiktion der Medien und der Realität. Zwischen etwas hypen was gar nicht Thema ist. Oder etwas vernachlässigen, was Thema ist….
Zudem gehen die Journalisten nicht mehr raus. Viel zu wenig. Lieber im Netz recherchieren und dann schreiben. Oder abschreiben von den andern. Oder gehen sie nur raus wenn schönes Wetter ist… Lieber ein Bild vom Netz anstelle was eigenes fotografieren. Lieber ein Thema von Irgendwoher aufnehmen, welches die Leserschaft nicht betrifft. Lieber was übersetzen ins Deutsche, bei dem man die Quelle nicht mehr nachverfolgen kann. Wie einfach alles geworden ist. Und aufstehen muss man dazu nur noch wenn der Kaffee fertig ist…
Das ist meine DISTANZ. Welche ich immer wie mehr spüre…
Ein Vertreter ebenfalls einer „Wochenzeitung“ fährt da eine ganz andere, gute Schiene. Gerade diese Woche wieder berichtet Roger Köppel von der Weltwoche in seinem „Weltwoche-daily“ auf You-Tube aus Afghanistan. Ja – er ist dort. Gefahr ausgesetzt. Komforteinbussen hinnehmend. Aber echt – und real…
Zu sehen nach Eigabe folgender Titel auf You-Tube z.B.
„Köppel aus Afghanistan: Impressionen vom Land und von einer Freizeitanlage“
oder:
„Im Afghanistan der Taliban: Roger Köppels Eindrücke aus einem Supermarkt – «Weltwoche Daily»-Spezial“
oder:
„Köppel aus Kabul: Alltag unter den Taliban. Rückkehr zur «Normalität» nach 50 Jahren Krieg“
direkt von einer stark befahrenen Kabuler Strassenkreuzung – oder:
„Köppel in Afghanistan: Das legendäre Pandschir-Tal und die Taliban-Botschaft an den Westen“
Wer macht das schon (sonst noch). Auch das sehen, was andere meiden (Moskau 2025, Taliban 2025, Belarus 2025) und nicht aus dem Lehnstuhl darüber (ab)schreiben….
Chapeau – Aus der (weiten) Distanz ohne Distanz vermittelt – diese Granden des Journalismus werden immer weniger….
Danke Thomas Zweidler für diesen Kommentar. Er entspricht meiner Diagnose von Erfahrung mit Herz, anstatt nur Wissen mit Kopf.