Patrick Künzle: «Wir brauchen im Journalismus gut ausgebildeten und talentierten Nachwuchs.»

Publiziert am 14. Mai 2025 von Matthias Zehnder

Das 333. Fragebogeninterview, heute mit Patrick Künzle, Leiter der Regionalredaktion Basel von Radio SRF. Er sagt von sich selbst, er sei «lange Zeit ein Tweet-a-holic» gewesen. Mittlerweile habe er aber seinen Social-Media-Konsum stark eingeschränkt. «X finde ich mühsam, weil es mir zu viel unangenehmen Inhalt in die Timeline spült.» Bei den Medien in der Schweiz sei vor allem alles kleiner geworden. «2004 waren bei der «Basler Zeitung» in Basel noch rund 80 Journalistinnen und Journalisten angestellt. Dazu kamen knapp 25 Ausland-Korrespondenten sowie einige Inland-Korrespondenten. Heute arbeiten gemäss Impressum noch etwa 30 Journalistinnen und Journalisten auf dem Platz Basel für die BaZ.» Das mache ihm Sorgen, weil «sich junge Leute gut überlegen, ob sie in unsere Branche einsteigen wollen. Dabei wäre es wichtig, dass wir im Journalismus gut ausgebildeten und talentierten Nachwuchs haben.» In Fake News sieht er eine grosse Gefahr für die Medien: «Wenn dir auf Social Media eingetrichtert wird, dass die klassischen Medien Lügen verbreiten, dann besteht die Gefahr, dass du das glaubst.» Er erlebe es immer häufiger, dass Leute den klassischen Medien misstrauen. «Dass sie denken, wir Journalisten seien gesteuert: von George Soros, der Nato oder wem auch immer.» Dieses Misstrauen habe er «vor 20 Jahren noch nicht so gespürt». Gleichzeitig habe «die Digitalisierung zu einer Gratis-Kultur im Internet geführt: Viele Leute sind der Meinung, sie müssten nicht mehr für Journalismus bezahlen, weil ja alles gratis im Netz ist. Das ist ein Problem.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Als Erstes höre ich natürlich die Morgensendung des Regionaljournals. Dann schaue ich, welche Geschichten die lokale «Konkurrenz» im Blatt hat: die «Basler Zeitung» und die «bzBasel». Und falls ich dann noch Zeit habe, werfe ich einen Blick in die NZZ und überfliege die Webseiten des «Guardian» und der «New York Times».

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Ich war lange Zeit ein Tweet-a-holic. Ich habe selber viel gepostet, mich mit anderen Journalisten und Journalisten sowie Politikern ausgetauscht. Es gab Zeiten, da sprachen mich regelmässig Leute an und sagten: Dich kenne ich von Twitter. Mittlerweile habe ich jedoch meinen Social-Media-Konsum stark eingeschränkt. X finde ich mühsam, weil es mir zu viel unangenehmen Inhalt in die Timeline spült. Bluesky und Threads sind leider kein adäquater Ersatz. Instagram nutze ich – aber nicht für News, sondern für Reiseideen und Rezepte.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Stark. Erstens inhaltlich: Ich habe angefangen vor 25 Jahren auf der Sportredaktion der «Basler Zeitung». Ich war also Printjournalist und habe mich vor allem mit Fussball befasst. Heute bin ich Radiojournalist und berichte primär über politische Themen.

Zweitens hat die Technik meinen Beruf verändert. 2004 fuhr ich an die Olympischen Spiele in Athen mit zwei Ordnern voller ausgedruckter Texte. Das war mein Archiv, weil ich keinen Online-Zugang zu Zeitungsarchiven hatte. Oder ich erinnere mich an eine Reise mit dem FC Basel nach Kasachstan. Dort konnte das Handynetz keine Daten übertragen. Also musste ich nach dem Match meinen Text auf eine CD brennen, damit in ein Internetcafé gehen und von dort nach Basel übermitteln.

Heute dagegen bin ich immer wieder verblüfft, was technisch möglich ist. Live-Einschaltungen via Handy in die Sendung mitten aus der Demo in der Innenstadt (oder aus Kasachstan) – fast in Studioqualität.

Verändert hat sich aber auch die Hackordnung in den Redaktionen. Bei der «Basler Zeitung» damals belächelten wir Zeitungsjournalisten die Onliner. Damals war der Tenor: In der Online-Redaktion arbeiten nur jene, die zu wenig gut für den Print sind.

Heute dagegen rate ich jungen Journalisten: Achtet darauf, dass ihr digital fit seid, dass ihr mehr als nur einen Vektor beherrscht. Ich denke, es ist keine gute Idee, als Jungjournalist heutzutage ausschliesslich auf die Karte Radio zu setzen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es ist heute vor allem alles kleiner. Ich habe neulich mal nachgeschaut: 2004 waren bei der «Basler Zeitung» in Basel noch rund 80 Journalistinnen und Journalisten angestellt. Dazu kamen knapp 25 Ausland-Korrespondenten sowie einige Inland-Korrespondenten. Heute arbeiten gemäss Impressum noch etwa 30 Journalistinnen und Journalisten auf dem Platz Basel für die BaZ.

Mir persönlich bereitet es Sorgen, dass viele Medienhäuser ständig Stellen abbauen. Das sorgt dafür, dass sich junge Leute gut überlegen, ob sie in unsere Branche einsteigen wollen. Dabei wäre es wichtig, dass wir im Journalismus gut ausgebildeten und talentierten Nachwuchs haben.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Aber sicher doch.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich geniesse es, viele ganz verschiedene Dinge zu lesen. Neben meinem Bett liegen aktuell der Band 8 der neuen Basler Stadtgeschichte (ein perfekter Überblick über die jüngste Basler Geschichte), «Die Welt von gestern» von Stefan Zweig (aus aktuellem Anlass) und die neueste Ausgabe des «Rolling Stone» (weil: music was my first love).

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Als Germanistik-Student musste ich mich durch etliche Bücher quälen, die mir nicht gefallen haben. Heute lese ich nur noch Bücher fertig, die mir Spass machen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall. Das haben Journalisten wohl so an sich. Ich kann mich für viele Themen interessieren.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch lange, vermute ich. Aber es kann sein, dass in Zukunft nicht mehr alle Tageszeitungen standardmässig gedruckt werden, sondern nur noch einige Premium-Produkte.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News sind eine Gefahr für die Medien. Menschen, die sich vor allem in Social Media informieren, werden dort mit sehr viel Fake News konfrontiert. Das sehe ich in meiner eigenen X-Timeline. Es braucht Medienkompetenz, um die Fake News zuverlässig als solche zu erkennen. Diese Kompetenz haben aber nicht alle Leute. Und wenn dir auf Social Media eingetrichtert wird, dass die klassischen Medien Lügen verbreiten, dann besteht die Gefahr, dass du das glaubst.

Ich erlebe das immer häufiger, dass Leute den klassischen Medien misstrauen. Dass sie denken, wir Journalisten seien gesteuert: von George Soros, der Nato oder wem auch immer. Dieses Misstrauen habe ich vor 20 Jahren noch nicht so gespürt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre morgens lineares Radio. Lineares Fernsehen konsumiere ich vor allem bei Sport-Liveübertragungen, beim Tatort am Sonntagabend, und dann schaue ich häufig abends noch die Tagesthemen bei der ARD.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre sehr viele Podcasts. Als Informationsgefässe zum Beispiel das «Echo der Zeit», das «Tagesgespräch», den ARD-«Weltspiegel» und «Acht Milliarden». Daneben mag ich Musik-Podcasts. Mein Liebling ist der «Soundcheck». Dort besprechen vier Musikkritikerinnen und -kritiker die vier wichtigsten musikalischen Neuerscheinungen der Woche. Zudem mag ich «Pop nach 8»: Zwei (mittel-)alte weisse Männer aus Berlin sprechen und lästern eine Stunde lang über alles, was im weitesten Sinne mit Pop zu tun hat.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Es ist nicht gut. Aber ich würde das auch nicht dramatisieren. Bei mir damals in meiner Klasse am Gymnasium Münchenstein interessierte sich ausser mir auch niemand für Politik.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Beim Print lassen sich gewisse Texte automatisieren. Im Sport beispielsweise kann die KI problemlos aus statistischen Angaben zu einem Fussballspiel einen kurzen Matchbericht schreiben. Ein gutes Porträt dagegen kann die KI nicht schreiben, dafür braucht es einen Journalisten, der das Gegenüber spürt. Und bis die KI eine Radiosendung moderieren kann im Basler/Baselbieter Dialekt, das dauert noch eine Weile.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Es gibt positive und negative Aspekte. Im Radiobereich hat die Digitalisierung das Arbeiten leichter gemacht. Ich bin froh, dass ich keine Bänder von Hand schneiden muss, sondern meine Interviews digital schneiden kann. Gleichzeitig hat die Digitalisierung zu einer Gratis-Kultur im Internet geführt: Viele Leute sind der Meinung, sie müssten nicht mehr für Journalismus bezahlen, weil ja alles gratis im Netz ist. Das ist ein Problem.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Als Mitarbeiter des öffentlich finanzierten Rundfunks halte ich mich bei politischen Fragen zurück. Was mir als Direktbetroffener aber Sorgen macht: Dass die Politik bei diesem öffentlich finanzierten Rundfunk abbaut, ohne zu definieren, wo denn genau gespart werden soll.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Nur, wenn ich muss. Meine Handschrift ist leider hässlich und unleserlich.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Dass er seriös arbeitende Journalisten diffamiert und ihnen unterstellt, sie würden «Fake News» verbreiten, untergräbt das Vertrauen in eben diesen seriösen Journalismus. Donald Trump hat in den USA (verbale) Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten salonfähig gemacht.

Wem glaubst Du?

Meinen Liebsten.

Dein letztes Wort?

Journalist ist der beste Beruf der Welt. Leider ist die Medienbranche nicht die beste der Welt.


Patrick Künzle
Patrick Künzle ist Leiter der Regionalredaktion Basel von Radio SRF. Er hat in Basel und Hannover Geschichte und Germanistik studiert und das Studium 2001 mit dem Lizentiat abgeschlossen. Danach arbeitete er von 2001 bis 2009 als Sportredaktor und von 2009 bis 2011 als Lokalredaktor bei der «Basler Zeitung». Seit 2011 arbeitet er auf der Regionalredaktion Basel für Radio SRF, seit 2021 als deren Redaktionsleiter.


Basel, 14.05.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: SRF/Matthias Willi

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Ein Kommentar zu "Patrick Künzle: «Wir brauchen im Journalismus gut ausgebildeten und talentierten Nachwuchs.»"

  1. Schade, konsumiert Herr P. Künzle nur „Mainstream“-Medien oder führt zumindest nur diese auf: „Regionaljournal“ (SRG), Tagi-„BaZ“ (TX-Group), „bzBasel“ (Wanner), „Echo der Zeit“ (SRG), NZZ, „Weltspiegel“ (ÖRR-ARD), „Acht Milliarden“ (usw…)
    Für eine Gesamtschau (gerade für einen Journalismus-Schaffenden wichtig) durchaus gerne „WoZ“, „Weltwoche“, „Republik“, „Nebelspalter“…. Ich weiss, es braucht Zeit, aber gerade – ich schweif nicht gerne zurück – in Coronas-Zeiten wurden erwiesenermassen Facten wie „Ungeimpfte verlängern die Corona-Pandemie“ vom Mainstream ungefragt wiedergegeben. Heute wissen wir, das dies falsch war. Die ÖRR in D hingen K. Lauterbach an den Lippen, welcher die Massnahmen nicht aufhob, obwohl er Kenntnis hatte vom abflauen der Fälle usw… Auch jetzt wieder: Das Verfassungsschutz-Urteil gegenüber der „AfD“ wird ungefiltert alt gottgegeben vervielfältigt. Dabei häufen sich die Fragen: „Wieso geheim“, „wieso nicht vom Innenministerium gesichtet“, „wieso gerade am letzten Arbeitstag von SPD-Nancy Faeser, einer Vertreterin der gescheiterten Ampel-Regierung“, was heisst (juristisch) „gesichert“ usw… Nichts davon, aber auch gar nichts davon wird beim ÖRR in D (und leider auch in der CH) behandelt. Da stimmt vieles nicht, wie diverse alternative Medien in D aufdecken.
    Ich weiss, er braucht Zeit, jedoch ist dadurch absolute Vogelschau „gesichert“ – und so ein Adler in den Lüften hat doch den totalen Überblick….

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