Nora Zukker: «Alles bleibt anders»
Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Nora Zukker, Leiterin der Literaturredaktion von Tamedia. Sie sagt, Facebook sei bei ihr völlig verwaist, für Instagram habe sie zwar keinen Plan, aber «das funktioniert gerade deshalb erstaunlich gut« und Twitter müsse man schon wegen Peter Schneider haben. Zur Lektüre empfiehlt sie die Kontaktanzeigen in der Rubrik «Kennenlernen» der «Zeit». Zukker glaubt an Tageszeitungen, weil «der Tagesjournalismus eine einzige Wundertüte» sei. Sie findet aber, dass die Medien mit ihren Geschichten dorthin müssen, «wo die Unterversorgten sind: Instagram, TikTok.» Doch das bedeute, «dass man in neuen Formen denken muss, das Storytelling ganz anders angehen sollte und sich selbst von Dogmen lösen muss.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Zum Aufstehen um 6:30 Uhr höre ich meine «Wellness & Widerstand» Playlist auf Spotify. Dort ist alles, was ich mir zusammensammle: Von Oliver Koletzki und David August über Deichkind und Samy Deluxe bis zu Heino und Udo Lindenberg. Dann trinke ich zwei Liter frischen Brennnessel-Minze-Tee, lese dazu die «Süddeutsche Zeitung» und die «FAZ», schaue bei Twitter rein, dann nochmals «Wellness & Widerstand» und dann bin ich bereit für den Tag. (Entre nous: Manchmal bin ich aber auch um 8:30 Uhr schon fertig mit der Welt.)
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Facebook ist bei mir völlig verwaist. Das ging irgendwie in den letzten zwei Jahren ganz schnell, obwohl ich dort todesmutig vor sehr langer Zeit eine «Fanseite» eingerichtet habe, bin ich dort nicht mehr aktiv. Twitter ist für mich wichtig, um journalistisch orientiert zu sein. Aber Twitter ist auch immer wieder der letzte Ort, wo ich hinmöchte, wenn die Wogen sehr hoch schlagen. Aber alleine wegen Peter Schneider sollten alle bei Twitter sein. Instagram wurde sehr schnell zum wichtigsten Medium. Mich fasziniert Instagram, ich mach das sehr intuitiv und spielerisch und probiere mich aus, was funktioniert, welche Inhalte in welcher Form kommen zu den Menschen, die das interessieren könnte. Aber ich habe keinen Plan, und das funktioniert gerade deshalb erstaunlich gut.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Ich hänge viel zu oft und viel zu unkuratiert im digitalen Raum rum.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich mag keine Vergleiche. Alles bleibt anders. (das hat doch irgendwer, irgendwann irgendwo einmal gesungen, nicht?)
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Das Wort ist das Mächtigste, worüber die Menschen verfügen. Das geschriebene und das gesprochene Wort. Damit richten wir alles an, vom Schönsten bis zum Schrecklichsten. Solange wir leben, haben Worte Zukunft.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Die Kontaktanzeigen «Kennenlernen» in der «Zeit». Das sind die rührendsten Kontaktanzeigen, die komplett aus der Zeit (haha!) fallen, die mich aber so hart berühren. Die «Zeit» ist überhaupt die pandemiefreundlichste Zeitung, wenn man sie gedruckt am Kiosk holt und dann Zug fährt – es setzt sich kein Mensch zu einem ins Abteil.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ein schlechtes Buch entlarvt sich meist relativ schnell, dann leg ich es weg. Das grosse Glück einer Rezensentin.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Bei Einladungen oder in Bars und Kaffees, wo ich gerne alleine hingehe, setze ich mich neben fremde Menschen. Dann beginnt vielleicht ein Gespräch und es ist garantiert immer unerwartet – das braucht oft Mut, lohnt sich aber immer.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Ach, das ist’s ja wie bei den Büchern auch, dass man fürchtet, die werden von E-Paper und E-Book verschluckt. Ich glaube aber, dass das Bedürfnis nach dem Haptischen so schnell nicht verschwindet.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Medien sind natürlich essentiell, wenn es ums Aufschlüsseln von Informationen geht und das genaue Aufbereiten für die Allgemeinheit. Die Sozialen Medien sind leider absolut toxisch, was die Verbreitung von Halbwahrheiten und in der Konsequenz von Fake News betrifft.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
In Hotels schaue ich alles, was im Fernsehen kommt. Ich habe schon Fitnessgeräte beim Shopping-TV bestellt und mir, zu meinem eigenen Entsetzen, eine Markus-Lanz-Sendung bis zum Schluss angeschaut.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Da brauch ich dringend Empfehlungen!
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Dann müssen wir mit den Geschichten eben dorthin, wo die Unterversorgten sind: Instagram, TikTok. Das bedeutet natürlich, dass man in neuen Formen denken muss, das Storytelling ganz anders angehen sollte und die sich selbst vom Dogma lösen sollten: «Es 3min Video zu Büecher? Ui nei, das cha ja nüüt rächts si.» Doch, kann es.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Gute Geschichten mit interessanten Protagonist:innen leben für mich vom genauen Zuhören, unerwarteten Fragen und von Intuition und wohltemperierten und gut eingesetzten Emotionen. Wenn ein Roboter das alles hinkriegt, schauen wir weiter. Bis dahin kann ich folgende Bücher zur Künstlichen Intelligenz empfehlen: «Dave» von Raphaela Edelbauer und «Klara und die Sonne» von Kazuo Ishiguro.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Versteh ich nicht. Obwohl, wer befreit medial stirbt, hat sicher einiges richtig gemacht. Oder was meintest Du?
Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?
Davon will ich doch ganz stark ausgehen. Warum sollte ich sonst in einem Metier arbeiten, das schlicht unberechenbar ist? Gerade der Tagesjournalismus ist eine einzige Wundertüte. Wenn ich morgens denke, ich weiss, was ich heute schreibe und recherchiere, weiss ich spätestens mittags, es wird ziemlich sicher alles anderes werden. Am Feierabend oder an Ferien sollte man auch nicht zu arg hängen – meine Arbeit endet für mich nicht um 19 Uhr, weil ich ja die Antennen für die guten Geschichten immer ausgefahren habe.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Und wie! Mit meinem Lamy 2000 Fülli (Stil: Bauhaus) in meinen Filofax-Kalender, der ungefähr 2kg schwer ist und ohne den ich meine Wohnung nie verlasse. Und: Ich habe eine schwere Post-it Abhängigkeit, gerade sind die pastellfarbigen meine Lieblinge.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Ich habe das Buch von Barack Obama nicht zu Ende gelesen. Du schon?
Wem glaubst Du?
Menschen, die wissen, wie widersprüchliche Wesen wir alle sind. Menschen, die alleine sein können und solche, die nicht immer zu allem eine Meinung haben.
Dein letztes Wort?
Heimlich-Manöver.
Nora Zukker
Nora Zukker arbeitete zwei Jahre (2015/2016) für Radio SRF3 mit ihrer wöchentlichen Literaturrubrik «Lesezunder». Danach folgten freie Aufträge für Radio SRF3, SRF Virus, SRF2 Kultur und Deutschlandfunk. Daneben schrieb sie für das Feuilleton der «NZZ», für «NZZ Folio», das «Migros-Magazin» und das Strassenmagazin «Surprise». Seit Januar 2021 leitet sie die Literaturredaktion der Redaktion Tamedia.
https://norazukker.ch/
Basel, 2. Juni 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/
PPS: «Alles bleibt anders» (oder fast) singt zum Beispiel Herbert Grönemeyer in «Bleibt alles anders»: «Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders» und Dynamite Deluxe singen in «Alles bleibt anders»: «Alles das bleibt anders | hier und in aller Herren Länder | nur ein paar klitze kleine Dinge die sich | niemals und nirgendwo ändern… oh ja»
Ein Kommentar zu "Nora Zukker: «Alles bleibt anders»"
«Alles bleibt anders»: so geht das mit einem herzlos genial wohlstandsverwahrlosten Journalismus.