Nadja Sutter: «Auf Dauer kann das nicht gut gehen.»
Das 348. Fragebogeninterview, heute mit Nadja Sutter, Chefredaktorin der «Schweizer Gemeinde», der Zeitschrift des Schweizerischen Gemeindeverbands. Sie sagt, es habe schon vor 20 Jahren «schlechten Journalismus» gegeben – «genauso wie es guten Journalismus auch heute noch gibt.» Früher seien «mehr Ressourcen vorhanden» gewesen. «Jetzt werden die knappen Ressourcen gezielter eingesetzt. Mehr Ressourcen wären trotzdem gut», sagt sie. «Die Medienlandschaft ist dünn geworden.» Sie ist überzeugt: «Für eine funktionierende Demokratie braucht es eine gemeinsame Basis von kritisch eingeordneten Informationen – und ein gewisses Vertrauen darin, dass diese Informationen korrekt sind.» Wenn sich jeder nur noch in seiner eigenen Bubble informiere, fehle «eine gemeinsame Wissensbasis, um gut informierte politische Entscheide zu treffen.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Die «Freiburger Nachrichten», auf Papier. Ich lese allerdings am Morgen immer die Ausgabe des Vortages, denn leider wohne ich ausserhalb des Radius der Frühzustellung …
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
LinkedIn nutze ich beruflich, Instagram privat und beruflich, sorgfältig kuratiert, und YouTube sowie Facebook gelegentlich privat. Die restlichen Kanäle nutze ich nicht – ich habe das Gefühl, dass ich so schon genug Zeit an Bildschirmen verbringe.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Ich lese tatsächlich immer noch sehr gerne Print-Medien – so wie vor 20 Jahren. Analoges Fernsehen schaue ich aber gar nicht mehr, Radio höre ich wenn dann zeitversetzt und mit dem Smartphone sind die News immer dabei. Dadurch ist natürlich alles viel schneller geworden.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Weder noch. Ich mag die Vergangenheit nicht verklären, denn schlechten Journalismus gab es auch schon vor 20 Jahren – genauso wie es guten Journalismus auch heute noch gibt. Früher waren mehr Ressourcen vorhanden. Jetzt werden die knappen Ressourcen gezielter eingesetzt und auf das Nötigste reduziert. Manchmal schlägt sich das in schlechterer Qualität nieder – aber manchmal auch in besserer, weil gezielter berichtet wird. Mehr Ressourcen wären trotzdem gut, um mehr unterschiedliche Blickwinkel zu haben. Die Medienlandschaft ist dünn geworden. Immer weniger Journalistinnen und Journalisten müssen immer mehr verschiedene Kanäle bespielen. Auf Dauer kann das nicht gut gehen.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja, auf jeden Fall. Auch die sozialen Medien funktionieren ja mit geschriebenen Worten.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Das Buch «Prophet Song» von Paul Lynch.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich muss sie zu Ende lesen.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im Geschichts-Podcast von SRF.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Ich glaube nicht daran, dass Drucksachen gar keine Zukunft haben. Sonst hätten sie nicht bis heute überlebt. Ich glaube, es braucht analoge und digitale Medien gleichzeitig, denn beides hat Potenzial. Aber wie lange Tageszeitungen in der heutigen Form existieren oder wie sie sich verändern werden – das finde ich unmöglich vorauszusagen.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine Gefahr. Sie zerstören das Vertrauen in Informationen und bedrohen so auch seriöse Medien. Die Demokratie und damit die Rolle der Medien als vierte Gewalt funktioniert nur mit Vertrauen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich höre regelmässig abends das «Echo der Zeit», mehr oder weniger live. Live-Fernsehen schaue ich nicht – ich hatte in meinem ganzen Erwachsenen-Leben keinen eigenen Fernseher.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ab und zu. Als studierte Historikerin mag ich den Geschichts-Podcast von SRF, weil er unerwartete Hintergründe aufzeigt.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Nichts Gutes. Für eine funktionierende Demokratie braucht es eine gemeinsame Basis von kritisch eingeordneten Informationen – und ein gewisses Vertrauen darin, dass diese Informationen korrekt sind. Informiert sich jede und jeder nur noch in seiner Bubble, fehlt eine gemeinsame Wissensbasis, um gut informierte politische Entscheide zu treffen.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Verkehrsmeldungen und knappe Meldungen zu Abstimmungsresultaten – vielleicht. Kritische Recherchen, wie es eine Demokratie braucht – nein. Dafür braucht es kritisches Denken und Gespräche zwischen Menschen.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Die Digitalisierung sehe ich weder als Heilsbringer noch als Feindbild, sondern als nützliches Werkzeug, das es sinnvoll einzusetzen gilt.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ohne die indirekte Medienförderung geht es nicht (mehr).
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Jeden Tag. Während Interviews mache ich immer handschriftliche Notizen, und meine To-Do-Liste kritzle ich auch von Hand.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Ich möchte mich zu dieser Frage nicht äussern, weil ein Familienmitglied bald in die USA reist. (Das sagt eigentlich schon alles.)
Wem glaubst Du?
Wahrscheinlich zu vielen Menschen.
Dein letztes Wort?
Ich hoffe, es kommt gut, mit der Demokratie, und den Medien.
Nadja Sutter
Nadja Sutter hat in Freiburg (CH) Geschichte studiert und danach ein Stage bei der Nachrichtenagentur SDA absolviert, mit gleichzeitiger Ausbildung am MAZ. Anschliessend arbeitete sie auf der Auslandredaktorin der SDA. Danach wechselte sie zu den «Freiburger Nachrichten» und begleitete als Mitglied der Redaktionsleitung die digitale Transformation. Seit 2022 ist sie Chefredaktorin der «Schweizer Gemeinde», der Zeitschrift des Schweizerischen Gemeindeverbands.
Basel, 27.08.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 330 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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Ein Kommentar zu "Nadja Sutter: «Auf Dauer kann das nicht gut gehen.»"
Die News-Depressiven (extra so geschrieben) werden immer mehr, nicht nur bei den Jungen…
An was dies doch auch liegen mag: ARD und ZDF (und Deutschlandfunk), also die öffentlich-rechtlichen-Medienanstalten (finanziert durch die Medien-Zwangsgebühr) haben ein Lehrmitten (Videos usw) mit dem Titel „So geht Medien“ rausgegeben. Die Vorschau für Lehrpersonen kam so, wie es kommen musste: Es wird da (na klar) die Verschwörungstheorien, über Fake News usw… berichtet. Nach 5 Min. reichte es mir: Gefahr durch soziale oder alternative Medien – die Wahrheit gepachtet haben ZDF und ARD sowie die grossen Medienverlage. Weil sie „safe“ sind…
Wer schon in den Schulen solche Litaneien hört (die zumal nicht mal wahr sind) wird müde. Und hinterfragt. Informiert sich anders. Zumal das technisch (Internet usw) möglich wurde. Ist ja klar. Und kann sich so vielleicht aus der Depression befreien. Denn 7 Min. z.B. „Bern einfach“ (der Podcast mit den Journalisten Dominik Feusi und Markus Somm, welcher letzten Monat neue Rekordwerte mit über 300’000 Aufrufe erreichte) ist besser wie einen Monat „SRG-SRF-Rundschau“…. – empfinde ich…
DEPRESSIV kann man höchstens werden, wenn Demokratieverächter alles zerstören, was nicht links ist. Andersdenkende attackieren. Und so mehr als Plakate zerstören. Sie zerstören Werte, Debatten, Diskussionen, alles. So geschehen in der Region Basel.
(siehe Link unten).
Dazu kommt mir nur eines in den Sinn: Der linke Intellektuelle Secondino Tranquilli welcher schon vor längerer Zeit sagte: »Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ›Ich bin der Faschismus.‹ Nein, er wird sagen: ›Ich bin der Antifaschismus.‹«
Dazu noch dieses Filmli – und man weiss, warum sich der „Normalo“ immer wie mehr von Medien und Politik abwendet und sein Glück im eigenen Gärtli sucht.
Nur weiter so…. Nicht gut – aber ganz „normalo“….
https://www.youtube.com/shorts/ciU_9hq-70g