Matthias Geering: «Ich glaube an das geschriebene Wort.»

Publiziert am 3. September 2025 von Matthias Zehnder

Das 349. Fragebogeninterview, heute mit Matthias Geering, Leiter Kommunikation und Marketing der Universität Basel. Er sagt, als junger Journalist sei es für ihn Mitte der 1980-er-Jahre das grösste gewesen, «abends um elf die Zeitung vom nächsten Tag an der Druckmaschine zu holen – mehr ‹Breaking News› war damals nicht möglich.» Heute stelle er fest: «Je einfacher News verfügbar sind, je weniger interessieren sie mich.» Tagsüber schaue er keine News-Apps an. «Wenn etwas wichtiges – für mich relevantes! – passiert, dann erfahre ich das auch so.» Bis im Jahr 2000 seien die Zustände in den Medien paradiesisch gewesen: «Eine Zeitung wie die ‹BaZ›, die konnten wir von der ersten bis zur letzten Seite selbst gestalten.» Am Aeschenplatz in Basel hätten knapp 100 Redaktor:innen, Layouter, Korrespondenten, Fotografen und Freelancer gearbeitet – Tag für Tag. Er selber glaube trotzdem ans geschriebene Wort: «Worte regen einerseits die Phantasie an – ein Text kann bei verschiedenen Menschen zu ganz unterschiedlichen Interpretationen führen. Das Schreiben eines guten Textes bedingt aber auch eine Präzision des Denkens.» Es sei kein Zufall, dass Gesetze oder Verträge «in Textform formuliert und nicht als Bilder oder Videos» verbreitet würden. Ein gedruckter Text sei zudem zeitlos: «Ich kann heute problemlos eine Zeitung aus dem Jahr 1911 lesen – mit einer Floppy-Disc aus den 1990-er-Jahren jedoch wird es schwieriger.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Basler Zeitung», «bz Basel» und die NZZ – natürlich die gedruckten Ausgaben.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Instagram ist für mich gute Unterhaltung mit Suchpotential. Und ich möchte hier noch BeReal ins Spiel bringen! Sehr spontan, sehr humorvoll!

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Als junger Journalist war es Mitte der 1980-er-Jahre das grösste, abends um elf die Zeitung vom nächsten Tag an der Druckmaschine zu holen – mehr «Breaking News war damals nicht möglich». Heute stelle ich fest: Je einfacher News verfügbar sind, je weniger interessieren sie mich. Durch den Tag schaue ich keine News-Apps an. Wenn etwas wichtiges – für mich relevantes! – passiert, dann erfahre ich das auch so.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es war einfach anders. Als Zeitungsmacher hatten wir früher ein Deutungsmonopol und waren wirtschaftlich auf Rosen gebettet. Das waren bis etwa zum Jahr 2000 paradiesische Zustände. Eine Zeitung wie die BaZ, die konnten wir von der ersten bis zur letzten Seite selbst gestalten. Bei jedem Thema konnten wir uns fragen: Was bedeutet das für die Menschen der Region Basel? Und nach der Redaktionssitzung am Morgen gingen am Aeschenplatz knapp 100 Redaktorinnen, Layouter, Korrespondenten, Fotografen und Freelancer ans Werk, um diesen Anspruch umzusetzen – Tag für Tag.

Das ist heute nicht mehr finanzierbar, deshalb haben meine Kollegen in den Zeitungsredaktionen heute einen schweren Stand. Dafür wurden die Produktionsmittel demokratisiert: Mit einfachster Ausrüstung kann man fotografieren, Videos erstellen oder Podcasts aufzeichnen. Das führt zu einer Vielfalt an Angeboten. Zugegeben, da entsteht auch viel Schrott – aber eben auch gute, neue Formate.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ich glaube an das geschriebene Wort. Worte regen einerseits die Phantasie an – ein Text kann bei verschiedenen Menschen zu ganz unterschiedlichen Interpretationen führen. Das Schreiben eines guten Textes bedingt aber auch eine Präzision des Denkens. Deshalb sind beispielsweise Gesetze oder Verträge in Textform formuliert und nicht als Bilder oder Videos. Schliesslich ist der gedruckte Text zeitlos. Ich kann heute problemlos eine Zeitung aus dem Jahr 1911 lesen – mit einer Floppy-Disc aus den 1990-er-Jahren jedoch wird es schwieriger.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich habe meine Lieblingsautorinnen und -Autoren – Jonathan Franzen, John Irving oder Barbara Kingsolver. Ich lese deren Bücher oft mehrmals im Abstand von einigen Jahren und entdecke immer wieder einen neuen Blick auf das Buch, weil ich selbst in einer anderen Lebensphase bin. Aktuell lese ich «Korrekturen» von Jonathan Franzen – sehr empfehlenswert!

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich gebe Büchern in der Regel etwa 50 Seiten – dann muss ich «drin sein». Wenn das nicht passiert, dann lege ich es weg – es gibt zu viel gute Literatur.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Beim Medienkonsum ist das ehrlich gesagt Instagram. Ich bin zum Beispiel ein leidenschaftlicher «Heimwerker», und auf Instagram sehe ich dann, wie Fachleute einen Dachstuhl zimmern, wie sie alte Steinmauern sanieren oder Wasserleitungen legen. Das gefällt mir! Aber das beantwortet eigentlich die Frage nicht korrekt: Gemeint ist wohl: Wo werde ich beim Medienkonsum überrascht? Das passiert beim Blättern von Printprodukten jeder Art. Liegt irgendwo im Berner Oberland ein «Thuner Amtsanzeiger» auf, dann lese ich den mit Vergnügen. Wer reicht gerade eine Baubewilligung ein? Welche Strasse wird gesperrt? Was macht der Frauenverein Sigriswil am Wochenende? Und plötzlich steht da auch «Chästeilet im Justistal». Und da kann ich nur sagen: Wer das noch nie gesehen hat, sollte mal Mitte September dorthin fahren!

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange wie die noch bestehenden Zeitungsrotationen laufen… denn in eine Neuanschaffung wird kein Schweizer Verleger investieren. Das wird wohl in den nächsten fünf, sechs Jahren der Fall sein. Dafür glaube ich an Wochenpublikationen, weil sich diese auf die Hintergründe fokussieren können und keine Chronistenpflicht haben.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine grosse Gefahr – vor allem jene, die täuschend echt sind. Deshalb ist es für seriöse Medienhäuser existenziell, dass sie alles auf Qualität der Inhalte setzen. Ich bin überzeugt, dass nur jene Medienbrands überleben werden, welche von den Menschen als glaubwürdig wahrgenommen werden; denen man vertrauen kann. Die Reputation der Marke ist matchentscheidend.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Die «Tagesschau» von SRF oder «Punkt 6» von Telebasel schaue ich zeitversetzt. Lineare Medien konsumiere ich nur, wenn der Faktor «live» einen Mehrwert bietet: Nach Wahlen und Abstimmungen oder bei Sportveranstaltungen – bei mir sind das Velorennen!

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich liebe Podcast, weil sie eine ganz neue Dimension ermöglichen. Neu entdeckt habe ich «Acquired». Da werden die Geschichten von bekannten Firmen wir Ikea, Rolex oder Nike erzählt – teilweise über vier Stunden! Die Autoren machen das derart gut, dass man da gerne so lange zuhört!

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Wenn ich solche Zahlen höre, frage ich mich immer wieder: Glaubt im Ernst jemand, dass die 16- bis 29-Jährigen vor 40 Jahren intensiv Tageszeitungen gelesen haben? Wenn, dann vielleicht den Sportteil oder die Kultur. Aber die Politikberichterstattung war schon immer ein Angebot für eine Minderheit. Nur merkt man das heute, weil man die Nutzungen direkt messen kann.

Wenn ich mit Menschen dieser Generation diskutiere, dann stelle ich fest, dass sie sehr wohl informiert sind. Sie nutzen einfach andere Kanäle, als wir das früher gemacht haben.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn er damit den Wetterbericht meint oder eine banale Fussballmatch-Berichterstattung in der 3. Liga – ok. Aber sonst? Ich weiss nicht, wen das interessieren soll, wenn KI über eine Ständeratsdebatte berichtet! Wenn KI die Arbeit der Tamedia-Journalistinnen und -Journalisten übernehmen kann, dann macht sich Tamedia selbst überflüssig.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Digitalisierung ist ein Werkzeug – mit Chancen und Risiken. Es ist an der Gesellschaft, einen Umgang damit zu finden, der zu mehr Wohlstand führt und dafür sorgt, dass es möglichst keine Verlierer dieser Entwicklung gibt. Zugegeben, das tönt banal. Aber eine differenziertere Antwort würde den Rahmen sprengen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Schwierige Frage! Wenn man einfach bestehende Zeitungen durchfüttern will, dann finde ich das falsch: Ein Angebot, das Kunden verliert, rettet man langfristig nicht mit Geld.

Wenn es aber darum geht, dass innovative Angebote (wie neue Online-Nachrichtenportale) überleben können, dann könnte man diesen beispielsweise eine Grundversorgung an nationalen und internationalen Nachrichten anbieten – ähnlich einer Agentur), sodass sich diese auf lokale Geschichten fokussieren könnten. Ich bin überzeugt, dass damit kleine, lokale Anbieter gestärkt würden, ohne dass man ihnen direkt Geld anbietet.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, aber sehr selten. Ich habe leider keine schöne Handschrift, deshalb trauere ich dem auch nicht nach.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ob Trump gut oder schlecht für die Medien ist, ist aus meiner Sicht ein Nebenschauplatz. Tragisch finde ich, dass er die Würde eines Amtes massiv beschädigt hat und nun weltweit Nachahmer findet.

Wem glaubst Du?

Meinen Freunden. Und meinen Kolleginnen und Kollegen an der Universität Basel, welche Forschung und Lehre auf höchstem Niveau betreiben. An den Hochschulen gilt das gleiche wie bei den Verlagshäusern: Nur wer in Glaubwürdigkeit investiert und die Qualität der Arbeit als höchstes Gut definiert, dem wird langfristig Vertrauen geschenkt.

Dein letztes Wort?

Das wär’s!


Matthias Geering
Matthias Geering ist seit 2011 Leiter Kommunikation und Marketing der Universität Basel. Neben seinem Studium an der ETH Zürich war er freier Sportjournalist und Pressechef des Schweizer Squashverbandes. 1995 wurde er in die Chefredaktion der «Basler Zeitung» berufen und war von Januar 2007 bis im August 2010 deren Chefredaktor. Von 2003 bis 2020 war Geering zudem Dozent mit Lehrauftrag im Bereich PR/Kommunikation an der Fachhochschule Nordwestschweiz.


Basel, 03.09.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Uni Basel

Seit Ende 2018 sind über 330 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Matthias Geering: «Ich glaube an das geschriebene Wort.»"

  1. Jesses, Matthias Geering… Ein Wiedersehen und vor allem Wiederlesen mit Ihm, den ich ab und zu gerne in der BaZ von Damals las. Empfand in als anregend, intelligent aber natürlich auch links angehaucht.
    Er hat es richtig gemacht – und ist in die Kommunikation gegangen. Viele Journalisten machen es so, man denke an jene von TeleBasel bis PrimeNews…. Ein anständiges Salär, so ein Sprecher der Polizei, des Spitals, eines Departements (BS) oder Direktion (BL) oder eben der UniBS, eine „sichere“ Stellung (sicherer als bei Zeitungen usw), ja – man kann eine Familie ernähren – alles „Bünzli“-Argumente, die je länger je mehr zählen und wichtig sind.
    Und man kann (nicht hämisch) vom sicheren Hafen auf die Medienwelt blicken. Welche – bravo Herr Geehring – auch wenn ich wie sie nicht unbedingt richtig finde, noch so viel Geld direkt anbietet, bessert…
    Der Fisch stinkt beim Kopf – und der Kopf sind die Redaktionen…. Sogar bei der demokratiefördernder „Republik“ (welche die Demokratie erfand), rsp. auf deren You-Tube-Kanal, wo es ziemlich Monothematisch zugeht – es dreht sich nämlich nur um den Klimawandel, haben die Demokratieförderer doch glatt die Kommentarfunktion deaktiviert… Auch wenn es ein paar schlechte, vielleicht auch viele gute Kommentare gegeben hätte – so was muss man aushalten – das ist eben grad Demokratie… – ob dies alles mit Staatsknete zu beheben ist ist mehr als fraglich… Auch bei der BaZ, der BZ, der SRG/SRF liegt vieles im Argen – im Vergleich zu früher oder um hier auf der Spur zu bleiben, zu Geehrings-Zeiten…. Kurz: „Journalismus ohne Debatte“ wie (ein Lichtblick im Mediendschungel) es Stefan Millus, Journalistenkollege präzise in seinem heutigen, neuen Podcast „The daily Mill“ auf den Punkt bringt… (wäre auch mal ein hochinteressanter, inspirierender Menschen&Medien Gast)…

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