Konrad Weber: «Journalismus hat mehr denn je Zukunft»

Publiziert am 16. Dezember 2020 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Konrad Weber, Strategieberater und Coach im Bereich der digitalen Transformation. Er sagt, 2020 habe «noch stärker als die Jahre zuvor aufgezeigt, welche ethische Verantwortung wir Medienschaffenden haben». Und das unter weiterhin schwierigen Rahmenbedingungen. Weber schätzt, «dass es bis in fünf Jahren nur noch rund die Hälfte der aktuell gedruckten Titel geben wird.» Er selbst neige «höchst selten zu Nostalgie». Vielmehr interessiere ihn, «wie wir die Zukunft verbessern können.» Spannend daran sei, dass wir «mitten in der Veränderung» leben – dies auszuhalten, sei jedoch «nicht immer einfach».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Musik aus den Sonos-Lautsprechern. Frühmorgens am liebsten noch ohne grossen Redeanteil. gds.fm ist dazu ein sicherer Wert.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Da gibt es eine klare Trennung: Instagram für Gossip und den Austausch unter Freunden, Twitter für die News der letzten Stunden. Spätabends oft amerikanisch geprägt, frühmorgens eher mit Nachrichten aus der Schweiz und Deutschland. Facebook hingegen nutze ich laut Statistik meines Smartphones höchstens noch 9 Minuten täglich.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Anfangs klebte ich (auch aus beruflichen Gründen) an den News-Tickern und verfolgte die Medienkonferenzen im Live-Modus. Je sommerlicher das Jahr, desto stärker versuchte ich den News-Konsum einzugrenzen. Es war wohl etwa derselbe Zeitpunkt, als ich die Mehrheit der News-Push-Nachrichten auf meinem Smartphone deaktivierte. Mittlerweile beobachte ich bei mir selbst eine gewisse Zahlen- und Datenmüdigkeit und lese zur Corona-Situation höchstens noch einzelne ausgewählte Hintergrund-Artikel und Analysen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich tendiere höchst selten zu Nostalgie. Vielmehr interessiert mich, wie wir die Zukunft verbessern können. Insofern liegt es mir fern, über die Vergangenheit zu urteilen, obwohl mir immer wieder erzählt wird, dass man sich früher™ noch mehr Zeit für Hintergrundgespräche (aka ausufernde Essgelage mit Weinbegleitung bereits am Mittag) nehmen konnte.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Selbst wenn wir uns langsam auf die Post-Smartphone-Ära zubewegen, bin ich fest von der Zukunft der schriftlichen Sprache überzeugt. Aus einem einfachen Grund: Es ist (und bleibt wohl auch noch längere Zeit) die mit Abstand effizienteste Kommunikationsform, um Informationen zu übermitteln, durchsuchen und speichern.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

2020 hat aus meiner Sicht noch stärker als die Jahre zuvor aufgezeigt, welche ethische Verantwortung wir Medienschaffenden haben. Ich bin dankbar, dass sich immer mehr Kolleg*innen für die mentale Gesundheit in unserer Branche stark machen. Eine empfehlenswerte Quelle hierzu ist der Mental Health Guide von Reuters www.mentalhealthreuters.com. Doch auch die Bücher von Brené Brown – im Speziellen «The Gifts of Imperfection» kann ich sehr empfehlen. Niemand beschreibt das Unperfekte und die damit zusammenhängende Gelassenheit so schön wie Brown.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich bin definitiv zu ungeduldig: Das Zu-Ende-Lesen bereitet mir weit mehr Mühe, als Bücher unfertig wegzulegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Am häufigsten im direkten Austausch mit mir zuvor fremden Menschen. Das kommt beim Reisen häufig vor. Aufgrund der aktuellen Situation reserviere ich mir ganz bewusst mindestens einen terminfreien Tag pro Monat zur persönlichen Inspiration.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Sieht die staatliche Medienförderung weiterhin nur eine Papier-Subventionierung vor, dann wohl länger als überhaupt nachgefragt. Gerade dieses Jahr hat allerdings gezeigt, dass es manchmal doch schneller geht, als anfangs gedacht. Grob schätze ich, dass es bis in fünf Jahren nur noch rund die Hälfte der aktuell gedruckten Titel geben wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wenn sie eine Gefahr sind, dann höchstens, weil wir Journalist*innen sie selbst heraufbeschworen haben. «Fake News» dienen mittlerweile ja vor allem als Kampfbegriff für Unsorgfältigkeiten und als Abwehrargumente gegen anderslautende Meinungen. Das bereitet mir mit Blick auf unseren gesellschaftlichen Diskurs tatsächlich Sorge.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Seitdem ich selbst einen Bluetooth-Empfänger in mein Auto einbaute (Youtube sei Dank!), ist nun auch die letzte lineare Radio-Nutzungsmöglichkeit weggefallen. An eine Fernsehsendung, die ich zuletzt linear geschaut habe, kann ich mich tatsächlich nicht mehr erinnern.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Bei Podcasts bin ich eher im Entdecker- als im Stammhörer-Modus unterwegs. Bis zuletzt hörte ich regelmässig vor allem auch aus beruflichen Gründen sämtliche Neuerscheinungen von SRF. Hin und wieder höre ich bei «Deutschland3000» von meiner geschätzten Kollegin Eva Schulz rein. Aber auch die Musik-Podcasts von RTS Couleur3 sind ein sicherer Wert.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich bin froh, hat die jüngste fög-Studie der «Qualität der Medien» (ab S. 89) gezeigt, dass das Interesse an gesellschaftlichen und politischen Themen bei der jüngeren Generation durchaus vorhanden ist. Allerdings fühlt sich ein grosser Teil dieser Zielgruppe durch die klassische News-Vermittlung nicht (mehr) angesprochen und zwar in Bezug auf die Themenauswahl, -aufbereitung und -vermittlung. Dies deckt sich auch mit meiner persönlichen Erfahrung. Und genau hier sollten sich «die Medien» umso stärker selbstkritisch weiterentwickeln, falls sie wirklich nachhaltig das eigene Überleben sichern wollen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Aus reinen Effizienzgründen ist diese Aussage durchaus nachvollziehbar. Ich zweifle allerdings stark, ob diese Artikel in der gedruckten Zeitung tatsächlich interessant sind. Hinter automatisiertem Journalismus sehe ich vor allem in der Abdeckung von Nischen (regional, thematisch, wiederkehrend) grosse Chancen. Hier können mit wenig personellem Aufwand kleine Nutzergruppen mit ganz spezifischen Nutzungsbedürfnissen ideal befriedigt werden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Hat das Fernsehen zum Tod des Kinos geführt? Die CD zum Tod der Schallplatte? Das Auto zum Tod der Eisenbahn? Alles ist stets in Entwicklung. Wir leben mitten in der Veränderung – dies auszuhalten, ist nicht immer einfach.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Mehr denn je!

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Wenn, dann immer mit Sharpie auf Post-its.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er wurde nicht wiedergewählt. Das ist in erster Linie gut für uns als Weltgesellschaft.

Wem glaubst Du?

Den Optimist*innen.

Dein letztes Wort?

Überlasse ich oft gerne meinem Gegenüber.


Konrad Weber
Konrad Weber ist selbständiger Strategieberater und Coach im Bereich der digitalen Transformation. Vom Startup bis zum Grossunternehmen ist er seit über 12 Jahren als Brückenbauer zwischen Inhalt und Technologie tätig – bis Sommer 2020 als Digitalstratege bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF mit mehrjähriger Erfahrung in Projektleitung und Strategieentwicklung. Er begleitet Teams und Unternehmen im Umgang mit den digitalen Herausforderungen und unterstützt Organisationen bei tiefgreifenden Veränderungen. Nebenbei unterrichtet Weber in der Schweiz und in Deutschland an verschiedenen Hochschulen in den Bereichen Digitaljournalismus, Innovationsmethoden und Strategieentwicklung. Weber hat in Winterthur Journalismus und Kommunikation, in Potsdam Design Thinking sowie in London Digital Management studiert.
Web: www.konradweber.ch
Twitter: https://twitter.com/konradweber
Linkedin: https://www.linkedin.com/in/konradweber/


Basel, 16. Dezember 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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