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Monsieur Eiffel und sein Turm

Publiziert am 18. August 2025 von Matthias Zehnder

Den Eiffelturm kennt jedes Kind. Von seinem Erbauer kann man das nicht sagen: Gustave Eiffel war zwar einer der innovativsten Ingenieure und Erfinder des 19. Jahrhunderts, sein Werk ist, bis auf den Turm, heute aber weitgehend vergessen. In seinem Buch zeichnet Ralf Klingsieck ein spannendes Porträt von Eiffel und seiner Zeit. Bei der Lektüre wird klar, wie erfinderisch Eiffel war. Und zwar nicht nur auf der Ebene der Konstruktion, sondern auch bei der Herstellung. Zu Beginn seiner Karriere holte sich Eiffel Aufträge, weil seine Angebote oft unter den Preisen der Konkurrenz lagen. «Das verdankte er vor allem seiner Baukastentechnik mit normierten Teilen und seiner straffen Arbeitsorganisation.» Als erster nahm er Abschied von der seinerzeit noch sehr verbreiteten Methode, die für die Stabilität nötige Stärke der Pfeiler und Streben empirisch durch Versuche zu ermitteln. Stattdessen studierte er die Bruchfestigkeit und Elastizität von Schmiedeeisen. Aus den Werten, die in Testreihen ermittelt worden waren, entwickelte er eine Formel, mit der er von nun an die Tragkraft aller Teile seiner Eisenbahnbrücken, Dachkonstruktionen und später auch des Turms berechnen konnte. «Seine Bauten waren filigraner als jene der Konkurrenz, doch mindestens genauso stabil», schreibt Ralf Klingsieck. «Da sie weniger Material erforderten, waren sie auch billiger. Diese zeitsparende und zuverlässige Formel gehörte zu den wesentlichen Quellen von Eiffels Erfolg als Ingenieur und Unternehmer.»

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1875 errichtete die Firma Eiffel in der Schweiz unweit von Basel eine Brücke, die nahe der Ortschaft Münchenstein das Flüsschen Birs überquerte und nur 40 Meter lang war . Die Brücke machte im Juni 1891 Schlagzeilen, als sie an einem Sonntagnachmittag unter einem Eisenbahnzug voller Ausflügler einstürzte. Zuvor hatte ein Hochwasser das Fundament eines der Pfeiler unterspült . Bei diesem größten Eisenbahnunglück in der Geschichte der Schweiz kamen 73 Menschen ums Leben und 171 wurden verletzt . Die Untersuchungen ergaben, dass die Firma Eiffel keinerlei Schuld an dem Unglück trug, sondern dieses auf mangelnde Unterhaltungsarbeiten zurückzuführen war.

Seinen internationalen Durchbruch erzielte Eiffel 1877 mit einer Brücke über den Douro in Porto. Es war nichts geringeres als eine eine technische Meisterleistung, die in ganz Europa Aufsehen erregte. Es galt, für eine Eisenbahnlinie den hier in einer 160 Meter breiten und fast 43 Meter tiefen Schlucht fliessenden Fluss Douro zu überspannen. Wegen der starken Strömung, der Wassertiefe von 20 Metern und dem losen Grund des Flusses konnten dafür keine Brückenpfeiler gebaut werden. Eiffel baute einen kühnen Bogen von einem Ufer zum anderen. Das war technisch innovativ und gleichzeitig durch die strenge Kalkulation von Gustave Eiffel preisgünstig. Zum Zeitpunkt der Einweihung 1877 und noch für etliche Jahre danach war es die mit Abstand grösste Bogenbrücke Europas.

Mit einem besonderen Projekt trat 1879 der Bildhauer Frédéric-Auguste Bartholdi an Gustave Eiffel heran. Er bat ihn, die innere Stützstruktur für die für New York bestimmte Freiheitsstatue zu konstruieren und zu bauen. Der Kopf der Statue mit einer Krone aus Sonnenstrahlen war der französischen Marianne nachempfunden, die seit der Französischen Revolution von 1789 die Republik repräsentierte. Die Freiheitsstatue war ein durch Spenden finanziertes Geschenk Frankreichs an die Vereinigten Staaten. Funfact am Rande: Wahrscheinlich stand Bildhauer Bartholdi für die Statue die spätere Grossmutter des Modedesigners Yves Saint-Laurent Modell. Ursprünglich wollte Bartholdi die Figur im Inneren mit einer Steinkonstruktion stabilisieren. Das erwies sich aber als unmöglich, also wandte er sich an Gustave Eiffel. Der konstruierte ein inneres Stützgerüst aus Schmiedeisen. Diese innere Struktur ähnelte Brückenpfeilern, war aber möglichst filigran gehalten, um den Formen der Figur zu entsprechen. Auf dem Gelände von Eiffels Werk in einem Pariser Vorort wurde die ganze Figur zusammengebaut. Während des Baus war die Statue eine Attraktion sowohl für die Pariser Bevölkerung und für Touristen. Nach der kompletten Montage der Figur und der offiziellen Schenkungszeremonie am 4. Juli 1884, dem Jahrestag der Unabhängigkeit der USA, wurde die Figur wieder in Einzelteile zerlegt, in 240 Kisten verpackt und mit einer von der Regierung bereitgestellten Fregatte der Kriegsmarine über Le Havre nach New York transportiert.

Eine grosse Rolle im Leben von Gustave Eiffel spielten die Weltausstellungen in Paris. Als 1855 die Weltausstellung zum ersten Mal in Paris stattfand, hatte Eiffel sie als Student ausgiebig besichtigt. Zehn Jahre später entschied Kaiser Napoleons III., 1867 zum zweiten Mal eine Weltausstellung in Paris zu veranstalten. Eiffel hatte zwar noch kein eigenes Unternehmen, übernahm aber Projektierungsarbeiten und Stabilitätsberechnungen für die bogenförmigen Metalldachstrukturen der zentralen Ausstellungshalle. Die Halle war 482 Meter lang, 370 Meter breit und hatte die Form einer Ellipse. Sie war ganz aus Eisen. «Die Grösse des Baus war überwältigend, aber besonders eindrucksvoll war ein 27 Meter hoher Flügel, die Galerie der Maschinen», schreibt Ralf Klingsieck.

1876 beschloss die französische Regierung, für 1878 wieder eine Weltausstellung in Paris zu organisieren. Ziel war es, nach dem verlorenen Krieg von 1870/71 und der gigantischen Reparationsforderung von fünf Milliarden Goldfrancs, die Frankreich ans Deutsche Reich bezahlen musste, für einen Wirtschaftsaufschwung zu sorgen. Zudem sollte die Weltausstellung «dem gedemütigten Land neues internationales Ansehen verschaffen».

Für jede Weltausstellung suchte man nach einer architektonischen und bautechnischen Attraktion, die beeindrucken und in Erinnerung bleiben sollte. Bei der Weltausstellung 1851 in London war es der «Crystal Palace», ein riesiges Ausstellungsgebäude ganz aus Glas. Für die Pariser Weltausstellung von 1878 hatte man das Palais du Trocadéro errichtet, ein grosses, fast rundes Gebäude.

Für die Weltausstellung von 1989 brachten zwei Ingenieure von Eiffel eine spektakuläre Idee ein: Maurice Koechlin und Emile Nouguier erdachten sich einen Turm mit der magischen Höhe von 1000 Fuss, also von 300 Metern. Damit hat der Eiffelturm auch einen Bezug zur Schweiz: Maurice Koechlin war zwar Elsässer, hatte aber am Zürcher Polytechnikum, der heutigen ETH, studiert und 1877 als Jahrgangsbester abgeschlossen.

Obwohl also die Idee zum 300-Meter-Turm aus vier zusammenlaufenden Metallstrukturpfeilern von Maurice Koechlin und nicht von Eiffel selbst stammte, wäre der Turm ohne Eiffel nie realisiert worden. Das «Organisationstalent, die Energie und die Beziehungen von Gustave Eiffel» seien entscheidend gewesen. Das habe auch Koechlin immer akzeptier: Von ihm seien «keinerlei Anzeichen gekränkter Ehre oder Verbitterung überliefert», schreibt Ralf Klingsieck. Entscheidend war vor allem Eiffels Lobbyarbeit für das Projekt. Heute ist der Eiffelturm das weit herum geliebte Wahrzeichen von Paris. Damals war der Turm aus Eisen umstritten, ja unter Architekten verhasst.

Der Eiffelturm liess sich nur dank einer Reihe von Erfindungen und innovativer Entwicklungen realisieren. Darunter waren auch kleine Dinge wie die beiläufige Entwicklung des Müllschluckers. Auf der ersten Etage des Turms wurden vier Restaurants installiert. Für die Entsorgung der Abfälle liess Eiffel in den vier Pfeilern Rohre installieren, in die man oben Abfälle werfen konnte, die unten in Kübeln aufgefangen und dann abtransportiert wurden. «Diese beiläufig erfundenen und nicht durch Patente gesicherten Müllschlucker wurden von amerikanischen Ingenieuren übernommen, die sie beim Bau von Hochhäusern in New York und anderen Grossstädten der USA einsetzten», schreibt Ralf Klingsieck.

Eine Knacknuss war die Entwicklung der Lifte. Das Problem waren die Fahrstühle in die ersten Etage: Die Lifte in den schrägen Pfeilern sollten auf Schienen rollend und durch Kabel gezogen nach oben fahren. Dabei veränderte sich der Winkel: Er wurde immer steiler. Die Kabine wurde deshalb wie bei einer Seilbahn aufgehängt.

Der Turm war zwar riesig, aber dennoch filigran. Würde man das gesamte Eisen des Turms einschmelzen und zu einer Platte mit den Eckmassen des Fundaments (125 x 125 Meter) giessen, wäre diese Platte nicht mehr als sechs Zentimeter dick.

Erstaunlich: Der Turmbau wurde am 31. März 1889 auf den Tag termingerecht beendet. Und: Beim Bau kam es zu keinem einzigen schweren Unfall. Mit 57 Jahren hatte Gustave Eiffel beruflich und sozial den Höhepunkt seines Lebens als Unternehmer erreicht. Das heisst auch: Eiffel suchte neue Herausforderungen und entwickelte eine Reihe von spannenden Projekten, die sich aber nicht verwirklichen liessen.

Darunter war auch die Idee einer Zahnradbahn auf die Jungfrau. Eiffel wollte dafür eine eine über Viadukte und durch Tunnel geführte schräge Rampe mit Schienen bauen. «Aus dieser Idee machte Gustave Eiffel 1891 ein solides Projekt mit Karten und Berechnungen», schreibt Ralf Klingsieck. Der Zug sollte für die zehn Kilometer lange Strecke nur 20 Minuten brauchen. Allerdings stemmten sich Ärzte in der Schweiz gegen das Projekt: «Sie waren überzeugt, dass es durch den schnellen Aufstieg in dünner Luft und bei niedrigen Temperaturen massenweise Lungenödeme und Hirnschläge geben würde. Das war wohl ausschlaggebend dafür, dass Gustave Eiffel von der Schweizer Regierung auf seinen Antrag für eine Konzession eine Absage erhielt.»

Eine anderes Eiffel-Projekt, das nicht verwirklicht wurde, war die Pariser Metro. Die Ablehnung dieses Projekts hatte mit dem Panama-Kanal-Skandal zu tun, in den Eiffel verwickelt war. Für Gustave Eiffel wurde die Weltausstellung von 1900 deshalb zur persönlichen Kränkung: Zu diesem Anlass wurde die erste Pariser Metrolinie in Betrieb genommen. «Sie zu bauen und damit seinen grossen Bauten einen weiteren von internationaler Bedeutung hinzuzufügen, hatten Jahre zuvor Gegner und Neider mit ihren Intrigen verhindert», schreibt Ralf Klingsieck.

Sein Buch erzählt ein spannendes Stück Technologiegeschichte und ein interessantes Leben. Bedrückend ist dabei, welch traurige Rolle missliebige Konkurrenten, sauertöpfische Politiker und gesellschaftliche Gegner spielten. Inspirierend ist, welch innovative Lösungen Eiffel und seine Ingenieure immer wieder fanden.

Ralf Klingsieck: Monsieur Eiffel und sein Turm. Kremayr & Scheriau, 360 Seiten, 38.90 Franken; ISBN 978-3-218-01473-1

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783218014731

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/

Basel, 19.08.2025, Matthias Zehnder

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