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Die globale Rechte

Publiziert am 19. Juni 2025 von Matthias Zehnder

Was heisst «rechts»? Im Alltag hängt das stark von der Position des Sprechenden ab. Marcel Lewandowsky nennt etwa «konservative, christdemokratische, rechtsradikale, rechtsextreme, faschistische oder rechtspopulistische Parteien, Bewegungen, Personen und Einstellungen», die man damit meinen könnte. «Analytische Trennlinien sind in der Realität oft weniger scharf als in der Theorie, etwa dann, wenn Mitte-Rechts-Parteien als Plattform für extremistische Gruppen dienen oder sich selbst radikalisieren», schreibt er. Lewandowsky zerlegt deshalb rechte Phänomene in ihre ideologischen Bestandteile. Er beginnt mit dem, was er «Ungleichheitsideologien» nennt, also Rassismus, Xenophobie und Ethnozentrismus, Antisemitismus und Antifeminismus. Die beiden weiteren «Zutaten» zu Rechtsextremismus sind übersteigerte Formen von Nationalismus und Konservatismus. Dabei unterscheidet er zwischen Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Ein Problem dabei ist, dass sich die Begriffe und das, wofür sie stehen, in den letzten Jahren stark gewandelt haben. Lewandowsky zeigt deshalb, wie sich die «alte» zur «neuen» Rechten entwickelt hat, wie die Bewegungen mit Nostalgien und Utopien umgehen und wie sich aus alten Netzwerken neue Parteien bilden. Schliesslich zeigt er, wie die neue Rechte global funktioniert, wie sie sich über digitale Plattformen vernetzt hat und wie rechte Akteure im globalen Vergleich handeln.

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Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Analyse der Rechten zu werfen, die Lewandowsky vorlegt. Als ersten ideologischen Bestandteil nennt er Ungleichheitsideologien: «Kern rechtsradikaler und rechtsextremer Ideologien ist die Vorstellung gruppenbezogener Ungleichheit zwischen Menschen.» Diese Ungleichheit kenne sich auf (pseudo)biologische, kulturelle, historische oder geschlechtsspezifische Unterschiede beziehen. «Diese Unterschiede werden als gegeben betrachtet. Sie gelten als quasi-natürlich, sind also durch menschliches Handeln nur begrenzt oder überhaupt nicht veränderbar.» Weil gruppenbezogene Unterschiede als «natürlich» und homogene Gesellschaften als «organisch gewachsen» gelten, werden Vermischungen als Widerspruch zu dieser natürlichen Ordnung betrachtet. Je nach Ausprägung geht es vor allem um die Herkunft der Menschen, also um Rassismus, Xenophobie und Ethnozentrismus, um die Religion wie beim Antisemitismus oder um das Geschlecht wie beim Antifeminismus.

Als zweiten ideologischen Bestandteil nennt Lewandowsky den Nationalismus. Das war im 19. Jahrhundert interessanterweise eine progressive Haltung: Damals trat «an die Stelle des von Gott selbst legitimierten Monarchen» die «Nation als Verbund der Freien und Gleichen». Lewandowsky schreibt: «Republikanismus und Nationalismus gingen also Hand in Hand, und die fortschrittlichen Bewegungen, die sich um 1848/49 in vielen europäischen Ländern erhoben, forderten liberale Verfassungen oft mit derselben Leidenschaft wie die Errichtung geeinter und unabhängiger Nationengebilde.» Das änderte sich im 20. Jahrhundert, als nach dem Ersten Weltkrieg faschistische Parteien «die romantischen Ideale des Nationalismus aus dem 19. Jahrhundert» aufgriffen und sie angesichts der andauernden Krisen ihrer Nationen zu Utopien erheben, die nur mit politischer Gewalt und totaler Unterwerfung unter die Ägide eines autoritären Führers verwirklicht werden konnten.» Die Nation wurde darin als organische Einheit verstanden, die «durch Massenorganisation und Propaganda gleichgeschaltet» werden musste. Individuelle Rechte und Freiheiten müssen hinter das Wohl des nationalen Kollektivs zurückstehen.

Der dritte, wichtige Bestandteil ist für Lewandowsky der Konservatismus. Das ist heikel: Die Wörter «konservativ» und «rechts» werden manchmal deckungsgleich verwendet. Lewandowsky schreibt: «Was wir heute als radikale bzw. extreme Rechte bezeichnen, hat ebenso wie der Konservatismus seinen Ursprung in einer Denktradition, die sich im Nachgang der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte.» Rechts in der Nationalversammlung Frankreichs sassen jene Abgeordneten, die die Monarchie bewahren wollten; links jene, die für radikale soziale und politische Veränderungen eintraten. Ganz allgemein bezeichnet «Konservatismus» heute eine Haltung, die auf das Bewahren tradierter Ordnungen, Ideen und Moralvorstellungen abstellt. «Wer konservativ ist, steht allzu raschen und radikalen Veränderungen kritisch gegenüber», schreibt Lewandowsky. Als Reaktion auf die gesellschaftlichen Modernisierungen der 1960er und 1970er Jahre stellte sich in Teilen des konservativen Spektrums ein Wandel ein: «Erstens bildete sich in Westeuropa mit der Neuen Rechten eine Strömung heraus, die sich auf die Konservative Revolution bezog und eine Modernisierung rechter Ideologien anstrebte, die bis heute den Charakter der radikalen und extremen Rechten prägen», schreibt Lewandowsky. Zweitens habe sich der konservative Mainstream mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan neu positioniert. Deregulierung und freie Marktwirtschaft würden zum Mantra des Neokonservatismus. Zwischen diesen neoliberalen Strömungen und der radikalen Rechten und rechtspopulistischen Parteien öffneten sich Konflikte.

Damit kommt Lewandowsky zur vierten ideologischen Zutat, dem Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Sie vereinen extrem rechte Positionen mit Populismus: «Während das Volk den Populisten als grundsätzlich gut und anständig gilt, zeichnen sie das politische Establishment als korrupt, egoistisch, verkommen und abgehoben», schreibt Ledandowsky. Sie zeichnen das bild eines Volkes, das natürlich nur sie vertreten, im dauerhaften Konflikt mit «den Eliten»: «Seinen ideologischen Kern bildet ein illiberales Demokratieverständnis, in welchem das Volk über völlige Souveränität verfügt.» Dies im Widerspruch zu den Prinzipien der liberalen Demokratie, die von Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Ordnung geprägt ist.

Kein Zweifel: Achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist es der politischen Rechten gelungen, den Mainstream zu erobern. «In Europa und den Vereinigten Staaten orientieren sich politische Debatten thematisch und rhetorisch immer häufiger an Positionen und Topoi der Rechten», schreibt Lewandowsky. «In der Gesellschafts- und vor allem der Migrationspolitik sind es nicht nur Konservative, sondern oft auch Sozialdemokraten, teils Grüne, die unter dem Druck rechter Wahlerfolge für ein härteres Grenzregime, schnellere Abschiebungen und ein entschiedeneres Vorgehen in der Migrationspolitik plädieren.» Sie übernehmen Feindbilder und Themen der Rechten in der Hoffnung, ihre Wähler damit zurückzugewinnen. Das allein ist schon ein Sieg der Rechten.

Ist alles schon verloren? Die Forschung zeige, «dass rechte Parteien selbst dann, wenn sie schon lange regieren, die Gewaltenteilung geschwächt ist und das Mediensystem unter ihrem Einfluss steht, die Macht wieder verlieren können», schreibt Lewandowsky. Voraussetzung dafür sind Menschen, die weiterhin an die Demokratie glauben.

Marcel Lewandowsky: Die globale Rechte. Geschichte, Erfolgsbedingungen, Auswirkungen. C.H. Beck, 143 Seiten, 18.50 Franken; ISBN 978-3-406-83018-1

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783406830181

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/

Basel, 19.06.2025, Matthias Zehnder

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