Es sind die Medien, die für Terror sorgen
Der Terroranschlag während eines Konzerts der US-Sängerin Ariana Grande in Manchester war das Thema der Woche: Auf der ganzen Welt suhlten sich die Medien geradezu in der Schrecklichkeit des Anschlags – und machten sich so zu Gehilfen des Terrors. Denn der Anschlag selbst ist nur der Zünder. Für die eigentliche, weltweite Detonation sorgen erst die Medien durch ihre intensive Berichterstattung. Erst dadurch erreicht der Terrorist sein Ziel: Angst und Schrecken zu verbreiten. Doch wir, das Publikum, haben es in der Hand, die mediale Zündung zu unterbinden.
Die Nachricht prägte die Woche: Während eines Konzerts der US-Sängerin Ariana Grande in der Manchester Arena sprengte sich ein Selbstmordattentäter mit einem selbst gebauten Sprengsatz in die Luft. Über 20 Menschen starben, mehr als 60 wurden verletzt. Darunter befanden sich viele Kinder und Jugendliche. Das jüngste Todesopfer war acht Jahre alt. Der schreckliche Anschlag setzte weltweit eine routinierte Medienmaschinerie in Gang. Die wichtigen Nachrichtenseiten berichteten mit Live-Tickern vom Ereignis wie von einem Fussballmatch.
Nach den eigentlichen Meldungen folgten die üblichen Folgegeschichten: Emotionale Berichte über die Opfer wie: Achtjähriges Mädchen unter den Todesopfern[1] (natürlich mit einem Bild des lachenden Mädchens). Erweiterungen und Ergänzungen wie Die Stars und der Tod. Von den Eagles of Death Metal bis Pearl Jam: Wie Künstler damit umgehen, wenn auf ihren Konzerten Menschen sterben[2] und Hintergründe über die Stadt, in der sich der Anschlag ereignete: Eine der tolerantesten Grossstädte Englands[3] und Eine Stadt unter Schock.[4] So genannte Einordnungen wie Der schönste Abend wurde zum grössten Albtraum[5] Kurioses wie: Frau überlebt Anschlag dank iPhone.[6] Emotionale Ergänzungen wie: Augenzeugen: «Das wird sie für den Rest ihres Lebens prägen»[7] oder Sängerin: «Aus tiefstem Herzen: Es tut mir so leid»[8] All die Schagzeilen stammen von der Website des «Tages-Anzeigers» – und es sind beileibe nicht alle. Es folgen Berichte darüber, wie die Queen die Opfer von Manchester besucht, dass der Attentäter mit dem Zug nach Manchester kam, wo und wie er lebte, was Ariana Grande jetzt denkt und so weiter.
Mediale Gaffer
Und der «Tages-Anzeiger» ist nicht allein. Auch alle anderen grossen Zeitungen berichten im Print und online breit über den Anschlag. Die meisten Blätter räumten die klassische Hintergrundposition ihrer Blätter für Manchester frei und widmen die Seiten zwei und drei dem Anschlag, so zum Beispiel der «Tagi», die «AZ» und auch die «NZZ». Das Schweizer Fernsehen hielt sich etwas zurück – und musste sich danach dafür rechtfertigen, warum es keine Sondersendung über den Anschlag in Manchester gebracht hat.[9]
Die ganz emotionale Schiene fährt in England das Boulevardblatt «The Sun»: Die Zeitung schneidet ein Bild der getöteten Achtjährigen und des Attentäters nebeneinander. Die Schlagzeile ist zwei Wörter lang: Pure Evil – also Reine Bosheit, wobei pure im Bild des Mädchens und evil im Bild des Attentäters steht. Die Berliner «B.Z.» zeigt ein Titelbild ganz in schwarz, darin zwei Schwarzweissfotos von zwei Opfern und die Schlagzeile Anschlag auf unsere Zukunft. Die französische Libération zeigt trauernde Angehörige von hinten und titelt L’Enfance Assassinée – also etwa: ermordete Kindheit. Handwerklich perfekt gemachter Boulevard, der voll auf die Tränendrüsen drückt und gute Quoten garantiert.
Angstlust als Antrieb
Denn das Publikum reagiert stark auf die schrecklichen Bilder. Die Terror-Schlagzeilen garantieren gute Verkäufe und viele Klicks. Charlotte Klonk bezeichnet in ihrem Buch Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden die Reaktion des Publikums als Angstlust: Im sicheren Lehnstuhl zu Hause wird aus der Angst beim Anblick der Bilder und der Tatsache der eigenen Unversehrtheit eine Lust an der Angst: Aus Angstabwehr wird Schaulust und umgekehrt. Im Publikum entsteht geradezu eine Sucht nach Schrecklichkeit. Wen der Terror der Bilder nicht zum Terroristen macht, den macht er zum Voyeur, schreibt Hans Magnus Enzensberger.[10]
Voyeure widmen dem Gaffen viel Aufmerksamkeit. Für die immer stärker aufmerksamkeitsgetriebene Medienbranche sind die Gaffer damit ein Geschenk des Himmels: Die Gaffer sorgen zuverlässig für Klicks und Quote. Gaffer sind deshalb bares Geld wert. Kein Wunder, werden sie von «Tagi» bis «NZZ» und von «The Sun» bis «Libération» schamlos mit Emotionen bedient. Doch Zeitungen und Onlineportale sorgen damit nicht nur für gute Quoten. Sie machen sich auf diese Weise zu Komplizen der Terroristen.
Medien als Terror-Komplizen
Denn bei einem Terroranschlag ist der eigentliche Anschlag lediglich der Anstoss für den eigentlichen Zweck: die Verbreitung des Terrors über die Medien. Das ist keineswegs übertrieben. Denn was macht den infamen Mörder, den banalen Attentäter, den simplen Bombenleger erst zum Terroristen? Es ist der Terror. Das Wort kommt von lateinisch terrere: in Schrecken setzen. Es ist also nicht die Gewalt oder die Motivation, die eine Bombenexplosion zum Terroranschlag macht, es ist die Angst (der Terror) in der Bevölkerung. Der deutsche Politologe Herfried Münkler schreibt deshalb, der Terrorismus stelle eine Form der Kriegführung dar, in welcher der Kampf mit Waffen als Antriebsrad für den eigentlichen Kampf mit Bildern fungiert.[11] Der Bombenanschlag wirkt wie ein Zünder für die eigentliche Bombe, die über die Medienberichterstattung freigesetzt wird. Aus einer kleinen Bombe in Manchester wird auf diese Weise eine mediale Mega-Bombe mit weltweiter Wirkung.
Das kann man nicht genug betonen: Terror ist nicht die Tat, sondern ihre Wirkung. Das bedeutet nichts anderes, als dass Terror erst durch die Verbreitung von Informationen über den Anschlag entsteht. Die Attentäter liefern den Anlass, den eigentlichen Schrecken verbreiten aber die Medien, indem sie mit emotional aufgeladener Berichterstattung die Bevölkerung erschrecken. Und das Publikum lässt sich das auch noch gerne gefallen, ja es geilt sich an den Bildern regelrecht auf und suhlt sich in Angstlust.
Handlanger der Terroristen
Terroristen von Al Kaida und IS wissen ganz genau, dass es die Bilder sind, die den Terror auslösen. Deshalb produzieren sie Videoclips von Enthauptungen und filmen die Erniedrigung der westlichen Feinde. Deshalb zwang am 22 . Mai 2013 ein radikaler Jihadist, der kurz zuvor einen britischen Soldaten auf einer Londoner Strasse brutal mit einer Axt getötet hatte, einen Passanten dazu, ihn zu filmen. Im Handy-Video ist der Attentäter zusehen, wie er sich, blutverschmiert und mit dem Beil in der Hand, zur Mordtat bekennt. Das Video war zunächst auf ITV und auf der Website von «The Sun» zu sehen. Später zeigten alle Medien mindestens Standbilder aus dem Video. Dass sie sich damit zum Komplizen des Mörders machten, indem sie seine Botschaft und damit Terror verbreiteten, bemerkten die Medien offensichtlich nicht. Und wenn sie es bemerkten, war die Gier nach Klicks grösser, als es die Skrupel waren.
Die Medien haben keineswegs aus dem Vorfall gelernt. Erinnern Sie sich an die verwackelten Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie die Attentäter auf Charlie Hebdo aus dem Gebäude stürmten und einen Passanten niederschossen? Erinnern Sie sich an die Bilder der Terrornacht im Konzertlokal Bataclan in Paris? An die Bilder vom LKW, der in den Weihnachtsmarkt in Berlin gerast war? Die Medien machen sich immer wieder bereitwillig zu Handlangern der Terroristen, weil das Aufmerksamkeit garantiert.
Klicks und Quote statt Moral
Medien müssten eigentlich abwägen zwischen der öffentlichen Informationspflicht und der vom Mörder beabsichtigten Propaganda. Das machen sie ganz offensichtlich nicht. Sie wägen ab zwischen dem sicheren Nutzen durch Klicks und Quote, die eine emotionale Schlagzeile oder ein schreckliches Bild bringt, und dem eventuellen Schaden, den eine Rüge durch den Presserat bringt. Klar, dass die Klicks immer wichtiger sind.
Was wäre denn die Lösung? Medien müssten einen Terrormodus einrichten. Wenn ein Anschlag sich als Terrorakt entpuppt, sollten sie umstellen auf pure Information. Keine Bilder, lediglich Textzusammenfassungen, vielleicht mit einem Hinweis versehen: Weil wir davon ausgehen, dass es sich bei dem Verbrechen um einen Terroranschlag handelt, beschränken wir unsere Berichterstattung auf nüchterne Informationen, damit wir nicht zu Handlangern der Terroristen werden. Das ist naiv, so etwas zu fordern, sagen Sie? Ja, da haben Sie recht. Klicks und Quote, das Geschäft mit der Aufmerksamkeit, ist immer wichtiger als die Moral. Und genau da können wir, das Publikum, ansetzen: Klicken Sie nicht. Lesen Sie nicht. Schalten Sie nicht ein. Nur so lässt sich die Zündung der medialen Terrorbombe verhindern.
[1] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/achtjaehriges-maedchen-unter-den-todesopfern/story/15342633
[2] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/die-stars-und-der-tod/story/12457415
[3] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/eine-der-tolerantesten-grossstaedte-englands/story/14652824
[4] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/eine-stadt-unter-schock/story/18565711
[5] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/schock-und-verzweiflung-nach-dem-blutigen-terror/story/24752806
[6] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/frau-ueberlebt-anschlag-dank-iphone/story/16040080
[7] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/ein-riesiger-blitz-ein-knall-und-rauch/story/30949258
[8] Siehe http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/vermischtes/aus-tiefstem-herzen-es-tut-mir-so-leid/story/12600130
[9] Vgl. https://www.srf.ch/sendungen/hallosrf/warum-gab-es-keine-sondersendung-zum-anschlag-in-manchester
[10] Spiegel 25/1993, vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683377.html
[11] Vgl. Herfried Münkler: Die neuen Kriege. Reinbek: Rowohlt 2002, S. 197
11 Kommentare zu "Es sind die Medien, die für Terror sorgen"
Lieber Herr Zehnder,
vielen Dank für diese Zeilen. Mögen sie Gehör finden in den Ohren der Medienschaffenden!
Sondersendungen im Fernsehen, wie zum Beispiel „Brennpunkt“ in der ARD bringen keine zusätzlichen Erkenntnisse über die Anschläge zu Tage. Die Berichterstattung wirkt oft so, als hätte jemand in ein Wespennest gestochen. Ziel erreicht!!!
Liebe Frau Jehle, ja, bei vielen Menschen ist eine seltsame Lust an Wespenstichen festzustellen. Deshalb stochern die Medien auch so heftig in den Gefühls-Wespennestern herum. Früher hat das nur die Boulevardpresse so gemacht. Seit im Internet jeder Klick zählt, verhalten sich aber auch seriöse Medien immer stärker aufmerksamkeitsorientiert. Herzlichen Dank für Ihren Kommentar und ein schönes Wochenende.
Es stimmt: Bilder & Medien können Terror attraktiv machen. Aber nicht nur dies. Wer sich für und mit Bildern & Medien inszeniert, droht Leibhaftigkeit zu verlieren. Bilder & Medien sind nicht die Wahrheit. Sondern das, was sich Menschen dafür glauben machen lassen. In einer solchen digitalen Wahnwelt ist es möglich, dass es keine wirklich lebenden Lebenden und keine wirklich toten Toten gibt. Was real geschieht, ist im medialen Wahn als irreal löschbar. Und auch umgekehrt. Dieses Muster spielt nicht nur bei brutalem Terror. Es kommt auch in alltäglichen Bezügen vor, dass Menschen sich unleibhaftig verhalten. Wie wenn nicht wahr wäre, was sie tun oder ihnen angetan wird. Je mehr sie sind, desto lieber tun sie das manchmal. Sie werden Teil einer kollektiv organisierten Verantwortungslosigkeit. Alles ist möglich. Und nichts von Bedeutung. Dornröschen wird sie nicht wach küssen.
Lieber Herr Keller, ja, diese Entleiblichung (schönes Wort) ist in der Tat ein Phänomen, das sich verbreitet. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Medien wird das Phänomen in der Literatur Telepräsenz genannt. Das hat ja durchaus positive Seiten: Wenn ich mit einem Freund telefoniere, ermöglicht die telefonische Telepräsenz ein (akustisches) Zusammensein. Die zunehmende Virtualisierung führt nun aber dazu, dass sich Realität und Virtualität immer stärker vermischen, unter anderem deshalb, weil wir die Realität immer stärker über virtuelle Bedienungsebenen steuern. Ein bekanntes Beispiel sind die Bilder aus dem ersten Giolfkrieg, als die Amerikaner Raketen mit Bildschirmen steuerten, deren Bilder aussahen wie die Bilder eines Computerspiels. Terrorismus ist (wie Prominenz zum Beispiel) ohne diesen virtuellen Echoraum gar nicht möglich. Wenn die Medien sich gleichzeitig über Terroranschläge empören, selbst den Schrecken aber erst verbreiten, ist das, wie wenn sich jemand lautstark in einem Konzert darüber beklagt, das jemand laut redet…
Lieber Herr Zehnder,
tragen nicht Sie selbst mit diesem Kommentar zur weiteren Verbreitung des Terrors bei? Ist die intellektuelle Aufarbeitung nicht schlicht an ein anderes Publikum gerichtet und trägt die Kunde der scheusslichen Tat einfach an andere Leser?
Wird da nicht der Bote der schlimmen Sache zum Täter gemacht?
Es ist ein menschliches Bedürfnis, Bilder zu sehen. Ein Bild vorgesetzt zu erhalten ist einfacher als sich ein Bild zu machen. Deshalb gibt man kleinen Kindern Bilderbücher bevor sie fähig sind Texte zu lesen und gar aus diesen sich selbst ein Bild zu machen. Weshalb wurden Telefone zu Fotoapparaten? Was wäre Facebook ohne Bilder, ohne Face? Und wie bei allem, gibt es auch bei Bildern qualitative Unterschiede. Können Sie sich an das Bild aus dem Vietnamkrieg erinnern auf welchem das nackte Mädchen vor den Napalmbomben der Amerikaner floh? Hat nicht dieses Bild mit dazu beigetragen, die Proteste gegen diesen unsäglichen Krieg zu verstärken? Fragen über Fragen!
Der Terror ist ein Kriegsmittel, das wir nur bekämpfen können, wenn wir die Ursachen des Krieges bekämpfen. Ein hoher Anspruch an eine nachweislich höchst ungeeignete Menschheit.
Lieber Herr Egeler, natürlich haben Sie recht, es ist ein menschliches Bedürfnis, Bilder zu sehen. Es ist eine ganz andere Frage, ob das auch gut ist. Wir sind alle evolutionär auf Süsses programmiert, weil Süssigkeit jahrtausendelang viel Energie und gute Geniessbarkeit signalisierte. Dass wir Süsses gern haben, heisst nicht, dass wir uns das Süsse uneingeschränkt zuführen sollen. Oder, um es mit Paracelsus zu sagen: dosis facet venenum – es ist die Dosis, welche die Terrorbilder zum Gift macht. Der springende Punkt ist aber, dass erst die Bilder und die Berichte über den Terror das Ziel des Terroristen vollenden: Schrecken zu verbreiten. Dass ich mit meinem Text viel Schrecken verbreite, wage ich indes zu bezweifeln… Herzlichen Dank für Ihren Kommentar und ein schönes Wochenende.
Früher glaubte man (naiv) den Zeitungen. Das ist schon lange her. Dann kam das Fernsehen. Auch dort: Zu beginn ein Star-Medium, dessen Inhalt man für bare Münze nahm, weil man ja alles „in Echt“ sah, 1:1, weil man ja in die „Ferne sehen“ konnte. Das diese Ungläubigkeit massiv abnahm, ist nur richtig. Und über die ungeregelten Internet-Inhalte brauchen wir uns erst gar nicht auszulassen.
Hoffentlich gibt es immer mehr „Ungläubige“, was das mediale Zeitalter betrifft. Denn ich bemerke immer mehr, alles was Medienschaffende tun und lassen, hat einen ideologischen Hintergrund. Kaum ein Medium, das noch zwischen „Kommentar“ und neutraler Berichterstattung unterscheiden kann. Im harmlos daherkommenden Schweizer-Illustrierten-Blättli kürzlich ein getarnter Mega-(Politischer)-Beitrag: „Diese 4 Betriebe könnten bei einem Nein zur Energiestrategie dichtmachen“ oder so ähnlich. Dazu herzige Bildchen von den Solarunternehmer-Kinder, welche im Luxus-EFH-Garten der Patrons von diesen Unternehmen spielten. Pure Beeinflussung mit Blick auf die Abstimmung. Die armen Geschäftsmänner und deren Familien, Hunde und Geisslein müssten womöglich bei einem Nein noch in eine Wohnung ziehen? Wieso nicht ein Bericht von einer armen Coiffeuse, die wegen schlecht laufendem Umsatz von einer engen 2-Zimmer-Whg in eine 1-Zimmer-Whg zügeln muss?
Kommerzielle Interessen und Inhalt werden seltener als früher klar mit Publi-Reportage benamst, sondern bunt gemischt. Seit die SRG-Swisscom und Ringier einen grossen gemeinsamen Werbedeal ausheckten, der als solches schon fraglich ist (dürfen Bundesanstalten und Private so mächtig zusammenspannen), liest man über Doris Leuthard, welche oberste Telecom und Medienministerin ist, nur noch Linientreues in den Ringier-Blättern. Doris (UVEK) auf dem Dach von Swisscom mit Abluftschächten, welche Server-Wärme in Heizwärme umwandeln, dazu ein Ringier-Fotograf welches alles abfotografiert und es danach lobhudelnd in die Zeitung stellt. Und nach der gewonnenen Energie-Abstimmung ganz gross: Doris Leuthard – die Sonnenkönigin… Wie sie gewann, was sie trug (goldene Tasche)…. und darunter hämisch und herablassend, da nicht auf Ringier-Leuthard-Swisscom-Deal-Linie über den Parteipräsidenten der SVP (Albert Rösti) und dessen Verlieren: „Rösti macht aus der SVP Stocki“. Traurige Medienlandschaft Schweiz für die Leser; Freude über die handzahmen und linientreuen Medien bei den Mächtigen. Solche Medien haben Politiker gerne.
Und zum Trauer-Thema Manchester: Auch das mehr oder weniger darüber Berichten kann Manipulation der Konsumenten sein. Ein Schelm, wer so was denkt, doch beobachtete ich den Vorgang schon mehrmals. Berichtete SRF spärlicher, um den Leuten das wahre Problem des Terrorismus in Europa, Migrationspolitik und unkontrollierte Zuwanderung vorzuenthalten? Massive Probleme, welche man bewusst unter den Tisch wischt, um nicht noch eher rechtskonservativen Parteien eine Wählerstimme zu schenken? Ist es Zufall, dass wenn ein Deutscher Jugendlicher ein Gartenhaus abfackelt, es gross in allen (Freiburg im Br.) Zeitungen erscheint, wenn hingegen ein Asylbewerber (Freiburg im Br.) eine Joggerin vergewaltigte und tötete, es nicht mal in der Tagesschau (ARD) oder Tagesthemen ein Thema ist? Intendanten, welche sich mit Antworten „das ist bloss ein regionales Ereignis, welches bei uns keine Platz findet“ rausreden wollen…
Was ist richtig, was legitim, was Unterlassung, was Beeinflussung von Wahlen und Abstimmungen? Wir leben in einer Zeit, in welcher nichts mehr so ganz klar ist. Es gibt keinen Westen (USA) und keinen Osten (UdSSR) mehr, es gibt ein Mix an Interessen und Konflikten. Es gibt keine Basler AZ mehr (Arbeiterzeitung, stramm links) und keine BaslerNachrichten mehr (Bürgerlich). Heute ein Mix, für jener, welcher „hinter die Zeilen“ gucken kann. Die andern sind verloren und jeder politischen wie werbetechnischen Manipulation hoffnungslos ausgesetzt – und bemerken es nicht mal. Dabei täte Klarheit und Abgrenzung so wohl, wollen sich die Medien nicht gänzlich abschaffen.
Abschliessend kann ich dazu nur empfehlen, da man es nicht besser zusammenfassen kann, jeder sollte unbedingt den Text „Unser lieber Staatsfeind“ von Markus Somm intensivst lesen, welcher am 31. Januar 2017 in der Beilage „40 Jahre BaZ“ der Basler Zeitung oder der auch am Dienstag, 28. März im BaZ-Kompakt-Journal erschien.
Die Verlagsbeilagen liegen immer noch konstenlos im „BaZ am Aeschenplatz“-Foyer auf. Dabei geht es zuletzt um Pro- oder Anti-BaZ, sondern ganz einfach um einen brilliantesten Text, der in jedes Schulbuch Einzug halten sollte und vorallem der Berufsstand der Medien gebetsmühlenartig vor jedem Zubettgehen hohepriesterlich verinnerlichen sollte.
Und die darbenden Medien (Print und Digital) hätten wieder eine glaubwürdige Zukunft, bei der erst noch Geld verdient werden könnte und solche mehr als fragwürdigen Werbe-Polit-Medien-Deals und Berichterstattungen, welche Gift für Macher und Leser sind, obsolent würden. Amen.
Die Überlegungen von Matthias Zehnder finde ich grundsätzlich gut. Für mich tragen sie auch in keiner Weise „zur weiteren Verbreitung des Terrors bei“ (siehe Text von Lorenz Egeler). Nur sind die hauptsächlichsten Leser seines Blogs die falschen Adressaten. Sollten es dennoch richtige Adressaten erreichen, interessiert es diese nicht, denn der Zehnder-Text ist letztlich die Bestätigung für eine alte und nicht sonderlich tiefgründige Weisheit über Medien: „only bad news are good news“.
Und weil das so simpel ist, zugleich das Ego der einzelnen Medienschaffenden so praktisch bedient und sich prächtig ans umsatzorientierte Interesse des Verlegers anfügt, wird sich nichts ändern. Die nächste „bad news“ ist mit Sicherheit schon in der Rohrpost – „good news“ für alle Medien.
Lieber Herr Mohler, vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben natürlich recht: Grundsätzlich ist es eine alte Weisheit, dass bad news für die Medien good news sind. Es gibt aber ein Aspekt, der sich in den letzten Jahren grundsätzlich verändert hat: Während bis vor ein paar Jahren die Medien grundsätzlich auf das Etablieren einer langfristigen Beziehung mit ihren Leserinnen und Lesern resp. Nutzerinnen und Nutzern abzielten (also den Verkauf eines Jahresabos), zielen sie heute immer stärker nur noch auf das Erzielen von Aufmerksamkeit, weil sie über das Internet jeden Artikel einzeln «verkaufen» müssen. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied: Es zählt nicht mehr eine Gesamtleistung über einen längeren Zeitraum, sondern nur noch die Einzelperformance jedes einzelnen Artikels in Form von Klicks. Das führt insgesamt zu einer viel stärker aufmerksamkeitsorientierten Publizistik (vulgo: zu einer Boulevardisierung). Ich habe zu diesen Effekten ein Buch geschrieben, das im August erscheinen wird: Die Aufmerksamkeitsfalle. Wie Medien zu Populismus führen.
DAnke Herr Zehnder. Dieses Buch wird meine Aufmerksamkeit finden, denn in Ihren Zeilen sprechen Sie etwas an, das mich als aufmerksamen und intensiven „Medienverfolger“ schon seit langem beschäftigt: Wie kann es Qualitätsmedien gelingen, die alte – und heute eigentlich dringend benötige Rolle – des „Sortierers“, „Einordners“ und „Gewichters“ zurückzugewinnen. Ehrlich gesagt, da stimmen mich einige Beispiele der vergangenen Monate gar nicht optimistisch. Zum Beispiel, wenn ich mir die Entwicklung bei ARD und ZDF zum „Regierungsfernsehen“ oder die absurde Trump-Hysterie bei der NZZ in Erinnerung rufe.
Und die von Ihnen beschriebene Entwicklung zur Boulevardisierung steigert natürlich noch die „only bad news are good news“-Kultur.
Also, ich bin gespannt auf „Die Aufmerksamkeitsfalle“.
Dass Medien ein Geschäft machen müssen/wollen, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist diejenige der Konsumenten von Informationen, die nur wissen wollen, was sie wissen wollen. Seit ich vor fünf Jahren in die (kleine) Politik eingestiegen bin, ist das meine grosse Ernüchterung: Dass nur wenige sachorientiert etwas wissen wollen, was ihnen nicht in den Kram passt!