Lasst uns Journalismus fördern statt Medien

Publiziert am 8. Mai 2020 von Matthias Zehnder

National- und Ständerat haben diese Woche Nothilfe für die Medien in der Schweiz beschlossen. In der Krise haben die Verlage massiv Inserateumsatz eingebüsst, deshalb greift das Parlament ihnen jetzt unter die Arme. Das ist verständlich. Auf lange Sicht aber ist es falsch. Statt die mediale Zukunft der Schweiz zu sichern, stützt das Parlament eine Industrie der Vergangenheit. Es bewirft quasi Eisenbahnen mit Hafer. Ich meine, eine Schweizer Medienförderung der Zukunft muss anders aussehen. Ich wünsche mir an Stelle der Förderung von Verlagen und Vermarktern eine Förderung des Journalismus, eine Förderung der Kreativität.

National- und Ständerat haben an der Sondersession in Bern je zwei Motionen gutgeheissen, die in der Corona-Krise den Medien Überbrückungshilfe bieten wollen. Die Motionen fordern Unterstützung für Zeitungen und für private Radios und TV-Stationen. Mit 35 Millionen Franken will das Parlament die Zeitungsverlage unterstützen, indem der Bund die Kosten für die Nachrichtenagentur sda und die Kosten für die Zustellung gedruckter Zeitungen übernimmt. Weitere 30 Millionen Franken sollen an die privaten Radio- und TV-Stationen fliessen.

Im Ständerat begründete Stefan Engeler (CVP, GR) als Präsident der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen die Vorstösse mit der Bedeutung der Medien für die Demokratie: Redaktionelle Beiträge aus Zeitungen seien die wichtigsten Quellen für die politische Meinungsbildung, noch vor dem Abstimmungsbüchlein.[1] «Rund 90 Prozent der befragten Urnengängerinnen und Urnengänger informieren sich vor Abstimmungen und Wahlen über Artikel aus Presseprodukten in Print oder Online über politische Fragestellungen.»

Abgesehen davon, dass in der Begründung gedruckte Zeitungen und Onlinemedien vermischt, aber nur gedruckte Zeitungen unterstützt werden, sind sich in dieser Beurteilung alle einig. Bundesrätin Simonetta Sommaruga erklärte denn auch namens des Bundesrats: «Die Medien sind auch eine kritische Infrastruktur, nämlich eine kritische Infrastruktur für unsere Demokratie.» Dabei endete aber die Einigkeit: Der Bundesrat empfahl die Motionen zur Ablehnung, weil sie sich in die Geschäftsmodelle der Medien einmischen. Ausgerechnet die sozialdemokratische Bundesrätin musste die Ständeräte darauf hinweisen, dass der Staat «kein Geschäftsmodell vorausnehmen» dürfe: «Wir überlassen die Wahl des Geschäftsmodells den Medienhäusern.» Die Motion macht das nicht, weil sie Papier fördert.

Eisenbahnen mit Hafer beworfen

Verstehen Sie mich recht: Ich habe nichts gegen Papier. Ich habe selbst mehrere Papiermedien gegründet und zwei Papierzeitungen geleitet.[2] Problematisch an der vorliegenden Förderung ist aber, dass sie einseitig das Papier fördert. Das Parlament hat nämlich keine Medienförderung beschlossen, sondern eine Verlegerförderung. Zurückzuführen ist das wohl auf das effiziente Lobbying des Verlegerverbands Verband Schweizer Medien. Das ist, wie wenn der Bund auf Druck der Kutscher beim Aufkommen der Eisenbahn den Hafer subventioniert hätte. Das Parlament bewirft also quasi die Eisenbahnen mit Hafer.

Denn die Schweizer Medien sind unter Druck, weil die Digitalisierung die Medienbranche seit Jahren einem massiven Strukturwandel unterwirft. Die medienökonomischen Gegebenheiten haben sich komplett verändert. Die Entwicklung geht weg vom Print hin zu online. Die Verleger haben sich jahrelang gegen die Entwicklung gesträubt. Wie wichtig Onlinemedien sind, zeigt sich gerade in der Krise: Die Zugriffszahlen auf die Informationsanbieter haben sich vervielfacht. Das zeigt, wie wichtig qualitativ hochstehende Informationen im Internet sind. Und ausgerechnet jetzt setzen die Verleger auf eine Unterstützung der gedruckten Zeitungen.

Nun kann man sagen: Egal, welcher Bereich entlastet wird – Hauptsache, den Medien wird geholfen. Es gibt nun mal in der Schweiz eine funktionierende, indirekte Presseförderung (also eine Förderung der Medien über vergünstigte Posttarife), aber keine bereitliegenden Instrumente für die Förderung von Onlinemedien. Also ist es ein pragmatischer Entscheid des Parlaments, den Verlagen auf diese Weise zu helfen. Die Unternehmen sind ja kommunizierende Gefässe, wenn ein Verlag von Kosten für die Print-Zustellung entlastet wird, nützt das indirekt auch den Onlineangeboten. Allerdings nur den Onlineangeboten der Printverlage – und auch da nur in dem Ausmass, wie sie noch gedruckte Zeitungen verbreiten. Es ist nicht einzusehen, warum Anbieter von gedruckten Zeitungen anders behandelt werden als Anbieter von Onlineinformationen.

Es ist deshalb wichtig, dass die Medienförderung in der Schweiz langfristig wirklich Medien fördert und nicht zur blossen Verlegerförderung degeneriert. Dass die Medienförderung also die Interessen von Mediennutzern wahrnimmt und nicht bloss die etablierten Anbieter schützt und stützt.

Für Biodiversität der Medien

Warum braucht es überhaupt Unterstützung für die Medien in der Schweiz? Weil die Märkte für Medien in der Schweiz zu klein sind, als dass sie Medien in einer Dichte finanzieren könnten, wie sie für eine funktionierende Demokratie nötig sind. Der digitale Markt im Internet basiert auf (globalen) Skaleneffekten. Die Schweiz ist schon als Ganzes mit rund 8 Millionen Einwohnern in diesem Markt eine winzig kleine Nummer. Der Schweizer Markt zerfällt aber zusätzlich in mindestens drei Sprachen. Auch innerhalb einer Sprachregion ist der Medienmarkt zudem zerklüftet und stark regionalisiert, weil die Schweiz keine eigentliche Hauptstadt hat. Anders als Wien in Österreich oder Paris in Frankreich erheben in der Deutschschweiz mit Zürich, Basel und Bern mindestens drei Städte den Anspruch auf Zentrumsfunktionen. Die föderale Struktur der Schweiz zersplittert den Markt noch mehr.

Es ist mit anderen Worten ganz ähnlich wie in der Landwirtschaft: In der Schweiz sind die Bauernhöfe klein, die Flächen schwierig zu bewirtschaften und die Ansprüche an die Landwirtschaft sind hoch. Schweizer Bauern können deshalb preislich mit ausländischen Produzenten nicht mithalten. Fleisch, Milchprodukte oder Getreide aus dem Ausland sind immer viel billiger. Der Bund unterstützt die Schweizer Bauern deshalb jedes Jahr mit 3,4 Milliarden Franken Direktzahlungen und vielen weiteren Erleichterungen und Unterstützungen.[3] Er macht das, weil die Nahrungsmittelproduktion der Bauern wichtig ist für die Landesversorgung. Der Bund knüpft die Unterstützung an Bedingungen und sorgt damit für Biodiversität, Umwelt- und Landschaftsschutz. Der Bund unterstützt zudem nicht die Bauern, sondern die Landwirtschaft.

Die Situation der Medien ist vergleichbar. Der digitale Markt ist global, die wichtigen Anbieter sind amerikanische Tech-Konzerne und zum Teil grosse, europäische Medienverbünde. Gegen diese Anbieter haben die kleinen Schweizer Medien keine Chance. Weil die Medien aber demokratierelevant sind, sollte der Bund die Medien unterstützen, diese Unterstützung aber an Bedingungen knüpfen, so wie er die Unterstützung der Bauern an Beiträge zur Biodiversität oder zur Landschaftsqualität knüpft.

Journalismus und Kreativität fördern

Eine Medienförderung der Zukunft sollte für mich deshalb drei wichtige Punkte erfüllen:

1) Inhalte fördern statt Kanäle: Wichtig wäre, dass die Medienförderung des Bundes die Art und Weise, wie Medien gemacht werden, möglichst nicht beeinflusst. Das bedeutet: Es muss dem Bund egal sein, ob eine Leistung in Form von Text, Ton oder Video erbracht wird, ob sie in einer Zeitung oder auf einem Blog, in einem Fernsehsender oder auf Youtube veröffentlicht wird. Der Bund sollte also nicht wie bisher Kanäle fördern, sondern Leistungen.

2) Journalismus fördern statt Medien: Das bedeutet, dass der Bund sein Geld nicht in die Verlagshäuser und Medienfirmen investieren sollte, sondern in die Menschen, welche die Inhalte produzieren, also in die Journalistinnen und Journalisten, die Fotografen, die Grafiker und die Programmierer. Statt die Vermarktung und den Verkauf von Medieninhalten zu subventionieren, könnte der Bund die Urheber von Texten, Bildern, Tönen und Programmen entschädigen, so, wie heute basierend auf dem Urheberrechtsgesetz etwa ProLitteris die Vergütungsansprüche von Autorinnen, Künstlern und anderen Rechteinhabern befriedigt. Auf diese Weise würde die Kreativität gefördert und nicht die blosse Distribution.

3) Kreativität fördern statt Verbreitung: Eine solche Medienförderung müsste anders heissen. Medien sind nur die Überbringer von Leistungen. Die Urheber der Leistungen sind die Kreativen. Die Medienförderung müsste sich also von einer Verwertungsförderung zu einer Kreativ-Förderung wandeln. Das würde zu erheblichen Veränderungen in der Schweizer Medienlandschaft führen. Weil der Fokus auf dem Inhalt liegt, würde es aber auch nicht zu einer völlige Abkehr vom Print führen. Es gäbe keine Digitalisierung auf Teufel komm raus, nur weil sich digital Inhalte billiger verbreiten lassen.

Ist das alles realistisch? Sagen wir es so: Es ist eine Utopie. Das war aber die Biolandwirtschaft vor 20 Jahren auch. Ich bin überzeugt, dass die bestehende Medienförderung (oder besser: die praktizierte Verlegersubventionierung) den Medienwandel höchstens etwas verlangsamt und nichts zur «Biodiversität» der Medien beiträgt. Wir müssen aufhören, Druckereien zu fördern und damit beginnen, den Journalismus und damit die Menschen ins Zentrum zu stellen. Wann, wenn nicht jetzt?

Basel, 8. Mai 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Und hier gibt es den Kommentar in einer kürzeren Videoversion:


Quellen:

Bild: ©SFIO CRACHO – stock.adobe.com

[1] Vgl. Wortprotokoll der Debatte im Ständerat im amtlichen Bulletin, siehe hier: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=48889

[2] Offenlegung von Interessen: Ich bin Mitglied des Vorstands der SRG Region Basel und Präsident des Onlinemediums Bajour. Die Meinung, die ich hier vertrete, äussere ich aber als Medienwissenschaftler, der sich, unter anderem im Rahmen eines Lehrauftrags der Universität Basel, jahrelang mit Medienökonomie beschäftigt hat.

[3] Avenir Suisse geht davon aus, dass die Schweizer Landwirtschaft die Schweiz jedes Jahr etwa 20 Milliarden Franken kostet. Vgl: «Weiterhin wachsende Kosten der Landwirtschaft. Analyse Privilegienregister der Schweizer Landwirtschaft, Aktualisierung 2020», https://www.avenir-suisse.ch/publication/weiterhin-wachsende-kosten-der-landwirtschaft/

16 Kommentare zu "Lasst uns Journalismus fördern statt Medien"

  1. Dieses Fördern kommt natürlich politisch zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt.
    Durch diese Virus-Krankheit wollen alle Sparten, Branchen und überhaupt alle und alles gefördert werden: Die Kultur-Künstler bekommen 300 Millionen, der Tourismus, die SBB sowieso, jetzt kommen die Airlines, die Autofähren, die Rheinhäfen, jetzt redet sogar eine Freikirche , sie sei Systemrelevant und will Förder-/Unterstützungsgelder. Und dann nicht zu vergessen die Kohäsionsmilliarde, welche unsere ganz grossen EU-Freunde wollen, sonst werden sie sehr böse, sagten sie. Die Osthilfe, die musikalischen Früherziehungen wollen mehr, die Museeumspädagogen wollen mehr….
    Ich will weniger – weniger Steuern zahlen, auch in Zukunft.

  2. Kommentar

    Unterstützung von Menschen, Leistungen und Inhalte ja, wenn die Beiträge aller Journalistencouleur mit ausgewogenen, fakten- nicht gesinnungsbasierten Informationen im Zentrum stehen und das Unpassende nicht ausgegrenzt, verniedlicht und diffamiert wird.
    Es geht also darum, dass besonderes ausgewählte Ideologien des Mainstreams nicht besonders verstärkt unterstützt werden, denn diese Gefahr besteht heute in hohem Masse.
    Die Medien aller Gattungen können sich für Ihre vielfach sehr fragliche Glaubwürdigkeit am besten selber helfen, wenn ihre nicht von «Experten» übernommenen Recherchen, ausgewogene Informationen ergeben und das Urteilen und die Meinungsbildung ohne ein ideologisches «Vorkauen» vor allem den Konsumenten überlassen werden.

    1. Zur «Ideologie des Mainstream»: Dass viele Medien im «Mainstream» schwimmen, hat ökonomische Gründe. In den kleinen Märkten, in denen sich Schweizer Medien bewegen, ist es gar nicht möglich, etwas anderes als die Mehrheit anzusprechen. Alles andere wäre ökonomischer Blödsinn.

    2. Entscheidend ist nicht der Mainstream, sondern die Art und Weise der einseitigen Desinformationen zwecks Quotenjagd, und kurzfristiger Aufmerksamkeit durch Dramatisierungen mit Sensationen, Schrägem und Emotionen. So ist Qualitätsjournalismus ein Ablenkungsmanöver.

    3. „wenn die Beiträge aller Journalistencouleur mit ausgewogenen, fakten- nicht gesinnungsbasierten Informationen im Zentrum stehen“. Das tönt zwar sehr gut. Dumm ist nur, dass fast jeder Mensch sein eigenes Wertesystem hat und es deshalb keine „richtige“ Beurteilung von Informationen gibt.

      1. Der Niedergang wegen zunehmender Unglaubwürdigkeit eines grossen Teils des Journalismus ist nicht aufzuhalten ausser, dass alle Informanten die Hauptarbeit auf eine lückenlose Recherche mit Präsentation aller Fakten legen und die Meinungsbildung, ohne ein gesinnungsmässiges „Vorkauen“, klar den KonsumentenInnen überlassen. .

  3. Der Bundesrat hat ein Pandemie-Management aufgezogen: okay. National- und Ständerat winken seine Notrecht-Massnahmen durch: das geht soso- lala … ich will mich aber nicht in Details verlieren. Grundsätzlich scheint die Mehrheit angstvoll und perspektivenlos zurück zu wollen zu dem, was vorher war. Auch die Medien und der Journalismus.

  4. Dieser Wochenkommentar hat meiner Meinung nach verschiedene Schwächen:
    – Der Vergleich mit der Landwirtschaft führt völlig in die Irre: Ob ein Salat in der Schweiz oder im Ausland gewachsen ist, spielt für den Konsumenten kaum eine Rolle. Ob ein Medium sich schwergewichtig mit den innenpolitischen Fragen befasst oder mit derjenigen in einem andern Land ist für den Konsumenten dagegen ein sehr entscheidender Unterschied.
    – Die Unterstützung der SDA kommt allen professionell produzierten Medien zugute. Völlig unabhängig von ihrer Verbreitungsart.
    – Dass die Distribution von Papier unterstützt wird, ist zwar nicht zukunftsgerecht aber wenn das Haus brennt, ist auch keine Zeit, über die beste Löschmethode zu diskutieren.
    – Wenn es keine Eingrenzung des Begriffs Medium gibt, hat in Zukunft jeder Verschwörungstheoretiker, der sich Journalist nennt, Anspruch auf Unterstützung. Damit würde der Staat (das heisst wir alle) Leute unterstützen, die ganz bewusst diesen Staat destabilisieren wollen.

    1. Der Vergleich mit der Landwirtschaft gilt sehr wohl, wenn wir uns die Realität im Internet anschauen, insbesondere bezüglich Werbung. Aber es gilt auch für die klassischen Medien: In der Schweiz stammen an einem durchschnittlichen Kiosk wieviele Prozent der Medienerzeugnisse aus dem Ausland? 70%? Der Vergleich ist aber ja auch nur ein Vergleich, weil die Landwirtschaft grundsätzlich dieselben Probleme hat: Bauern können in der kleinteiligen Schweiz nicht so kostengünstig produzieren wie Grossproduzenten im Ausland. Das gilt für die Medien genauso: Gerade im digitalen Markt ist die Grösse des Marktes entscheidend. Die NYT ist dank der Digitalisierung zu einer Weltzeitung geworden. Sie konnte die Skaleneffekte der Digitalisierung abschöpfen. Dem «Bund» oder dem «St. Galler Tagblatt» nützen die Skaleneffekte, welche die Digitalisierung bietet, herzlich wenig, weil die paar Heimweh-Berner oder -St. Galler in Australien den Braten nicht feiss machen. Es bieten sich deshalb in der kleinen Schweiz Medienangeboten viel schlechtere Refinanzierungsmöglichkeiten im digitalen Raum.

      Die Unterstützung der sda kommt meines Wissens nur jenen Medien zugute, die heute schon (noch) die sda abonniert haben. Aber eine kostenlose sda ist eine gute Idee, das habe ich an dieser Stelle ja auch schon geschrieben.

      Dass heute als Notmassnahme die Distribution von Papier unterstützt wird, das ist halt so, hab ich auch gesagt. Es gibt aber starke Bestrebungen, diesen Ansatz auch in Zukunft weiterzuführen. Und das wäre absurd.

      Der letzte Punkt ist wohl der schwierigste. Die Frage ist: Was unterscheidet ein professionelles Medium genau von einem Verschwörungsblog? Wie lässt sich das präzise fassen? Welche handwerklichen Regeln muss ein Medium einhalten? Problematisch ist dabei, dass auch viele traditionelle Medien es mit diesem Handwerk nicht mehr so genau nehmen und zum Beispiel die Presseratsregeln ignorieren. Wir können davon in Basel ein Liedlein singen. Die Frage wäre also: Gibt es inhaltliche, prozessuale, handwerkliche etc. Faktoren, mit denen sich ein Medium als Medium präzise fassen lässt, wobei die Regeln so gestaltet sein müssen, dass sie keine inhaltliche Zensur ausüben und gleichzeitig offen sind für künftige Entwicklungen? Eine spannende Aufgabe, die wir aber für die Medienförderung so oder so lösen müssen…

      1. Zum Punkt 1: Ich vergleiche Inhalte und nicht Presseangebote. Die deutsche Klatschpresse ist ja für unser politisches Leben ziemlich belanglos. Das mit den fehlenden Skaleneffekten ist natürlich richtig und ist ein Faktor für die Schweiz, der nur durch Export ausgeglichen werden kann. während dies für die Landwirtschaft im Prinzip problemlos wäre, ist es für Medien, die sich schwergewichtig mit Schweizer Politik befassen nur in Ausnahmefällen (NZZ) einigermassen lohnend.
        Und die Unterscheidung zwischen professionellen Medien und Verschwörungsblog wird wohl definitiv scheitern. Denn es gibt keine objektive Wahrheit. Man kann da wohl nur auf Merkmale wie Organisation zurückgreifen. Aber ich gebe dir Recht: Da würden verschiedene gestandene Tageszeitungen in der Schweiz (vor allem diejenigen der Tamedia) kläglich scheitern. Denn sie platzieren ja laufend sog. gesponserte Beiträge, die auf Grund ihrer Aufmachung zum Ziel haben, mit redaktionellen Beiträgen verwechselt zu werden.

        1. Die „Klatschpresse“ ist insofern von Belang, als sie indirekt aber sehr wirksam von der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich und politisch relevanten Fragen ablenkt. Solches kann nebenbei bemerkt auch der Effekt einer akademisch-ideologisch geführten Diskussion um Medien und Journalismus sein.

          1. Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor der Medien-Branchenmagazines „Persönlich“ sagte
            „Ich habe mal in einer Kolumne geschrieben, dass irgendwann die Medienwissenschaftler die Medien überleben werden. Ich hoffe, dass wird nach dieser Krise noch nicht der Fall sein (lacht)“
            Das ganze Interview (Für Journalismus/Medien-Affine/Nerds) mit ihm unter:
            https://www.persoenlich.com/medien/corona-beschleunigt-die-digitale-revolution
            Tja, eine interessante Denkansicht: Für was kann man Medienwissenschaflter noch gebrauchen, was machen Medienwissenschaftler, wenn er keine richtigen Medien mehr gibt?

  5. Lieber Herr Zweidler, Sie verwechseln Medien und Publizistik. MEDIEN, so wie Ackeret das Wort verwendet, meint publizistische Erzeugnisse. Also Produkte eines Verlags oder eines Sendehauses. MEDIEN wie die Wissenschaft den Begriff verwendet, meint Träger von Botschaften. Wenn zwei Menschen kommunizieren, senden sie sich Botschaften. Der Träger dieser Botschaften ist das Medium. Das kann die Sprache sein, die sich wiederum in Tönen oder Schriftzeichen ausdrückt.
    Besonders spannend ist es, das Internet als Medium zu untersuchen, weil da viele Aspekte nicht ganz klar sind. Sender und Empfänger zum Beispiel. Es wird nie keine Medien mehr geben, weil es nie keine Kommunikation geben wird. Ob es deswegen Medienwissenschaftler braucht, das ist eine andere Frage. ich meine, es lohnt sich, auch über diesen Aspekt der Welt nachzudenken. Ich vermute aber, dass dahinter eine andere Frage steckt: Sie meinen auf gut Deutsch: Wozu kann man Leute wie mich noch gebrauchen, wenn es keine Zeitungen mehr gibt?

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