KI-Denkfehler #16: KI macht kreativ

Publiziert am 4. November 2025 von Matthias Zehnder

Künstliche Intelligenz kann malen, komponieren, texten, gestalten und das alles in atemberaubendem Tempo, ganz ohne Kommafehler. Sie spuckt auf Knopfdruck Bilder aus, die an van Gogh erinnern, Gedichte im Stil von Rilke und Logos, die aussehen, als kämen sie aus einer teuren Designagentur. Viele glauben deshalb, die dichtende und, malende KI sei kreativ. Doch das ist ein Missverständnis. KI ist ein System der Wahrscheinlichkeit. Sie berechnet, was wahrscheinlich als Nächstes kommt: das nächste Wort, den nächsten Ton, die nächste Form. Das macht sie, indem sie Vergangenes variiert. Das sieht zuweilen verblüffend aus, ist aber nicht wirklich kreativ. Denn Kreativität heisst, etwas Neues zu Schaffen, eine Lücke zu füllen, von dieser Wahrscheinlichkeit abzuweichen und zu überraschen.

Das bedeutet auch, dass Kreativität über das Erwartbare hinausgeht. Es ist ein Akt der Willkür, nicht der Wahrscheinlichkeit. Die KI dagegen befolgt nur Muster.

Ich sehe drei Denkfehler:

1. Denkfehler: Kreativität ist Kombination

Natürlich besteht auch menschliche Kreativität aus Kombination. Kein Künstler schafft aus dem Nichts. Auch Bach und Mozart haben sich fröhlich selbst kopiert und eigene (und manchmal auch fremde) Melodien wiederverwendet. Jede Künstlerin, jeder Künstler steht auf den Schultern der Vorgänger.

Aber Bach und Mozart und die (meisten) menschlichen Künstler gehen weit über das Kombinieren von Bestehendem hinaus. Sie schaffen Neues, auch und gerade indem sie mit dem Bisherigen brechen.

Die KI dagegen kombiniert mechanisch. Sie durchforstet riesige Datenmengen, erkennt Muster und setzt sie neu zusammen. Sie kreiert nicht, sondern variiert nur. Sie findet das Naheliegende und Erwartbare, nicht das Unerhörte.

Kreativität beginnt dort, wo jemand sich gegen die Wahrscheinlichkeit stellt,  sich der Tradition versperrt und Neues schafft. Das stört manchmal, wirkt zunächst sperrig und steht vielleicht quer in der Landschaft. Gerade deshalb wird das neue Werk aber zum Meilenstein. KI kann zwar Millionen Varianten berechnen, aber sie kennt keine Überraschung. Sie kennt nur das Wahrscheinliche.

2. Denkfehler: Originalität lässt sich berechnen

Wenn eine KI einen Text schreibt, dann ist genau diese Kombination von Wörtern wohl schon neu, aber das Programm generiert nur ein Destillat aus unzähligen Vorbildern. Die KI greift dafür auf ein riesiges Reservoir an bereits Geschaffenem zurück und produziert ein Resultat ohne Anlass.

Beim Menschen ist es umgekehrt: Da ist zuerst ein Anlass. Eine innere Not, ein Schmerz, ein Gefühl oder auch nur ein Auftrag. Wir Menschen nutzen die Kreativität, um uns, wie weiland Münchhausen, am eigenen Schlafittchen aus der Not zu ziehen. Und zweifeln dabei immer, ob Kraft und Können dafür ausreichen. So entsteht Neues. Wir wissen alle: Es ist die Not, die erfinderisch macht. Keine KI kennt diese Not.

Und auch kein Zweifel. Im Gegenteil: Die KI leidet unter Overconvidence. Sie kennt keine Lücken. Sie spuckt nur immer weiter Text aus und stellt das, was sie generiert, nie in Frage. Es ist ja auch nicht neu, nur neu gesampelt.

3. Denkfehler: Inspiration lässt sich automatisieren

Alles darum herum, ja, aber nicht die Inspiration selbst. KI lässt sich gut als Partnerin beim Brainstorming nutzen. Als nimmermüde Fragestellerin zum Beispiel und als geduldige Zuhörerin. Das kann produktiv sein. Aber die Quelle der Inspiration bleibt der Mensch.

Denn Inspiration ist nicht das Ergebnis eines Algorithmus oder einer Datensammlung, sondern eine Sternschnuppe in der Grosshirnrinde: das Aufleuchten einer Idee. Das Ausformulieren der Idee ist eine Frage der Erfahrung. Die Inspiration selbst ist ein Geschenk, Zufall, Glück und Segen. Wir Kreativen wissen: Man kann Inspiration vorbereiten, aber nicht erzwingen. Vielleicht hilft manchmal Duschen.

KI kann helfen, indem sie dumme Fragen stellt, Varianten anbietet und uns so lange auf die Nerven geht, bis uns das auf neue Gedanken bringt. Aber wir müssen die gute Idee schon selbst beim Schopf packen. Was die KI kann, ist Angeben. Für Eingebungen braucht es weiterhin Menschen. Kreative Menschen.

KI ist ein unglaublich guter Handwerker und kann schreiben, malen und gestalten. Aber es bleibt Malen nach Zahlen: Die Maschine ist nicht kreativ, sondern destilliert aus all den Daten, die ihr in die Finger geraten, bruchlos neue Samples.

Kreativität entsteht dagegen dort, wo wir alle Muster verlassen, gegen den Strom der Traditionen schwimmen und uns quer in die Landschaft stellen. Kreativität ist immer ein Wagnis und lässt sich nie erklären. Deshalb kann Kreativität nicht das Resultat eines Algorithmus sein, sondern ist immer Willkür.

Die KI kann dabei supernützlich sein als Sparringpartner, wie eine Tennisball-Wurfmaschine für einen Tennisspieler. Wir müssen uns aber im Klaren sein, dass die KI in Sachen Ideen so hüftsteif ist, wie die Wurfmaschine auf dem Tennisplatz. Die Inspiration muss weiterhin von Menschen kommen. Bei der Transpiration darf die KI gerne unterstützen.

04.11.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "KI-Denkfehler #16: KI macht kreativ"

  1. Erneut eine eine präzis treffende Analyse, was KI ist und kann bzw. nicht kann. KI sehe ich grundsätzlich als einen nächsten Schritt auf dem Weg eines materialistisch-mechanistisch-technologisch begründeten Denkens und Handelns: ohne Herz, Gefühl, Geist und Liebe. – Nach dem Motto „Sage mir, wer Du bist und was Du willst“, kann ich sehen, was KI für Dich ist.

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