KI-Denkfehler #15: KI spart Zeit

Publiziert am 31. Oktober 2025 von Matthias Zehnder

Eines der grossen Versprechen der Künstlichen Intelligenz lautet: KI spart Zeit. Wer Texte von ChatGPT schreiben lässt, Tabellen mit Copilot generiert und Canva Präsentationen bauen lässt, erhält das Gefühl, die Maschine nehme alle Arbeit ab. In Sekunden entstehen Texte, Bilder und Konzepte. Es ist fast schon magisch: Endlich erledigt sich die Arbeit von selbst. Doch der Eindruck täuscht. Oft spart die Maschine gar nicht so viel Zeit, sie verschiebt die Arbeit nur. Die Minuten, die man beim Schreiben gewinnt, verliert man später beim Faktencheck, beim Korrigieren, beim Umbauen. Zeitersparnis entsteht nur, wenn das Ziel durchdacht ist, der Prozess klar und die Verantwortung sauber geregelt. Sonst verlagert die KI den Aufwand: vom Produzieren zum Kontrollieren. Wer KI falsch einsetzt, findet sich oft in Arbeit zweiter Ordnung wieder. Statt selbst zu arbeiten, muss man die Arbeit der Maschine überwachen. Das klingt effizient, ist aber oft das Gegenteil. Denn Effizienz ohne Urteilskraft ist kontraproduktiv: Sie beschleunigt nicht nur die Arbeit, sondern auch die Fehler.

Der Mythos von der zeitsparenden KI beruht auf drei typischen Denkfehlern:

1. Denkfehler: «KI erledigt Routinearbeiten für mich.»

Das klingt zunächst plausibel. Tatsächlich ist Künstliche Intelligenz besonders stark bei Aufgaben, die sich wiederholen, strukturieren oder standardisieren lassen. Sie kann Texte zusammenfassen, Mails sortieren, Tabellen auswerten oder Social-Media-Posts verfassen und erledigt damit genau das, was in vielen Berufen als «Routinearbeit» gilt. Doch in der Praxis zeigt sich schnell: Die Routine verschwindet nicht, sie verschiebt sich nur.

Aus dem Schreiben, Recherchieren und Sortieren wird Kontrolle, Nachbearbeitung und Qualitätssicherung. Statt zu formulieren, prüft man nun, ob die Maschine richtig formuliert hat. Statt zu recherchieren, kontrolliert man, ob die KI sauber gearbeitet und keine Fakten erfunden hat. Statt zu denken, muss man das «Denken» der Maschine nachvollziehen.

Die Routinearbeit verschiebt sich damit einfach an einen anderen Ort. Sie wird abstrakter, aber nicht unbedingt weniger. Mehr noch: Weil die KI oft Ergebnisse produziert, die überzeugend klingen, aber inhaltlich fehlerhaft sind, steigt der Aufwand für Kontrolle und Korrektur. Statt Routinearbeit an die Maschine abzugeben, muss man neue Routinen aufbauen. So wird aus dem Traum von der grossen Entlastung eine anspruchsvolle Verschiebung: weniger Handarbeit, mehr Denkaufsicht.

2. Denkfehler: «KI schaufelt mir Zeit für das Wesentliche frei.»

Wer mit KI arbeitet, hofft, durch Automatisierung Kapazität zu gewinnen für Kreativität, Strategie und Sinnfragen. Die Hoffnung lautet: Die Maschine erledigt das Operative, damit wir uns endlich dem Eigentlichen widmen können. Doch diese Rechnung geht nur auf, wenn man weiss, was dieses Eigentliche überhaupt ist.

Die Künstliche Intelligenz kann Aufgaben übernehmen, aber keine Prioritäten setzen. Sie kennt keine Werte, keine Ziele, keine Bedeutung. Wenn man ihr also unreflektiert Arbeit überlässt, riskiert man, dass sie jene Aufgaben optimiert, die gar nicht im Zentrum stehen. Das Resultat: Wir haben zwar mehr Zeit, aber nicht unbedingt für das Richtige.

Zudem verführt die neue Effizienz zu einer gefährlichen Dynamik: Wer Zeit gewinnt, füllt sie oft sofort wieder mit neuen Aufgaben. So wird aus der erhofften Befreiung eine neue Form der Selbstverdichtung. Die vermeintlich gewonnene Zeit zerrinnt im Strom der kleinen Zusatzaufgaben, die KI erst nötig macht.

Die entscheidende Frage lautet also nicht: Wie viel Zeit kann ich sparen? Sondern: Wofür will ich Zeit gewinnen? Nur wer das Wesentliche kennt und bewusst wählt, kann KI sinnvoll einsetzen. Ohne diese Reflexion beschleunigt sie nur das Hamsterrad.

3. Denkfehler: «KI macht Prozesse effizienter.»

Das klingt fast selbstverständlich. Schliesslich ist Effizienz das grosse Versprechen der Technik. Maschinen haben uns schon immer geholfen, schneller, billiger und besser zu werden. Tatsächlich kann KI Abläufe optimieren, Flaschenhälse erkennen, Entscheidungen beschleunigen. Aber Effizienz ist kein Wert an sich. Sie ist nur dann sinnvoll, wenn sie in die richtige Richtung wirkt.

Wenn KI einen schlechten Prozess schneller macht, bringt das nichts. Das ist, als würde man auf der falschen Strasse das Gaspedal durchtreten. Man kommt zwar schneller voran, erreicht aber das falsche Ziel.

Zudem messen KI-Systeme nur, was sich messen lässt. Zum Beispiel Klicks, Output oder Reaktionszeiten. Doch die Qualität von Arbeit, die Originalität eines Gedankens oder die Klarheit einer Entscheidung lassen sich nicht in Zahlen abbilden. So verschiebt sich das Kriterium: Was leicht messbar ist, wird wichtiger als das, was wirklich zählt.

Wirkliche Effizienz entsteht erst, wenn Ziel, Mittel und Wirkung zusammenpassen. KI kann dabei helfen, wenn der Mensch die Richtung vorgibt. Ohne dieses menschliche Urteil bleibt Effizienz eine leere Beschleunigung.

Fazit: KI spart nicht unbedingt Zeit, aber sie verändert, wie wir unsere Zeit einsetzen.

Die grosse Verheissung der Künstlichen Intelligenz besteht darin, dass sie uns von Mühsal befreit. Bei genauerer Betrachtung erweist sich: Sie befreit uns selten von Arbeit, sie verändert nur ihre Form. Aus Handarbeit wird Denkarbeit, aus Routine Kontrolle, aus Beschleunigung Überwachung.

Zeitgewinn ist kein automatisches Nebenprodukt der Technologie, sondern das Resultat bewusster Gestaltung. Nur wer weiss, was er erreichen will, kann entscheiden, wo Automatisierung sinnvoll ist.

Effizienz ist kein Selbstzweck. Sie muss einem Ziel dienen, das wir selbst bestimmen. KI kann vieles, aber sie kann keine Prioritäten setzen. Wenn wir das aus der Hand geben, sparen wir vielleicht Zeit, verlieren aber die Orientierung. Echter Effizienzgewinn ist nur möglich, wenn wir unsere Arbeit verstehen. Auch und gerade mit KI.

Basel, 31.10.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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