Zweiter Brief an Urs Fischer
Lieber Urs Fischer
Vor nicht ganz zwei Jahren, am 20 Juni 2015, habe ich Ihnen schon einmal einen Brief in Form eines Wochenkommentars geschrieben. Ich war damals noch Chefredaktor der bz Basel, Sie waren im St. Jakob-Park den Medien soeben als neuer Trainer des FC Basel vorgestellt worden. Am Stadioneingang hatten Fans gegen Sie protestiert: Fischer, nie eine vo uns!!! stand da in mannsgrossen Lettern auf weisser Blache.
Damals habe ich Ihnen geschrieben: Sie mögen keiner «von uns» sein, Sie können aber dafür sorgen, dass sich Ihre Spieler rasch in unser aller Herzen spielen, wenn Sie sie mit Zürcher Selbstbewusstsein antreten und wie Thuner Löwen kämpfen lassen. Ich habe Ihnen prophezeit, dass man Sie zwar mit offenen Türen, aber nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen werde. Dass Sie dabei sein werden, aber nicht dazu gehören. Denn es braucht in Basel sehr viel, bis man dazugehört. Ich schrieb Ihnen aber auch: Machen Sie sich nichts draus. Verstehen Sie sich als Arzt, der dem Patienten FCB auf die Beine hilft. Wenn Ihnen das gelingt, werden Sie in Basel eine tolle Zeit haben. Denn Basel ist eine wunderbare Stadt. Man muss ihr bloss auf die Schliche kommen. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen gerne auf einem kleinen Stadtrundgang, wie Basel wirklich tickt.
Natürlich habe ich nie von Ihnen gehört. Sie hatten und haben anderes zu tun, als mit einem Basler Autor zu sprechen, der vielleicht ein paar Dinge von Basel, aber kaum etwas von Fussball versteht. Ich weiss nicht, ob Sie eine tolle Zeit hatten hier in Basel und ob Sie Basel etwas auf die Schliche gekommen sind. Ich glaube eher nicht. Ich vermute, Sie haben sich auf das konzentriert, was auf dem Rasen passiert. Sie hatten wahrscheinlich Respekt vor diesem Basel. Und die Stadt hat mittlerweile Respekt vor Ihnen. So, wie man vor einem guten Gärtner Respekt hat. Oder vor einem guten Physiotherapeuten.
Sie haben den FCB zu einem Meistertitel geführt und werden ihn mit grossem Punktevorsprung zu einem zweiten Titel führen. Obwohl Sie also erfolgreich sind, müssen Sie jetzt gehen. Glauben Sie mir: Ich weiss, wie das ist. Sie haben gesagt, dass Sie Verständnis haben für die Entscheidung. Und Sie merken jetzt, dass es möglich ist, für etwas Verständnis zu haben und es trotzdem nicht zu verstehen. Erlauben Sie mir deshalb, Ihnen kurz zu erklären, warum Basel so funktioniert. Ich glaube nämlich, Ihre Entlassung hat viel mit dem Selbstverständnis der Stadt zu tun.
Es hat zuallererst damit zu tun, woran sich Basel orientiert. Es hat mit den Sehnsüchten der Stadt zu tun. Die Tourismus-Werbung sagt: Basel tickt anders. Das ist tatsächlich so. Allerdings nicht in dem Sinn, wie es der Tourismusverband meint. Es liegt an der Geschichte der Stadt und an der politischen und wirtschaftlichen Realität. Basel ist nämlich ein Scheinriese. Erinnern Sie sich an Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer von Michael Ende? Im ersten Band begegnen die beiden auf der Suche nach dem Kummerland Herrn Tur Tur. Er wohnt in einer kleinen Oase in der Wüste Ende der Welt. Herr Tur Tur hat sich ans Ende der Welt geflüchtet, weil er die Menschen nicht erschrecken möchte. Andere Menschen werden umso kleiner, je mehr man sich von ihnen entfernt. Bei Herrn Tur Tur ist es gerade umgekehrt: Er wird umso grösser, je mehr man sich von ihm entfernt.
Mit Basel verhält es sich ähnlich: Je näher man der Stadt kommt, desto kleiner wird sie. Global spielt Basel eine erstaunlich grosse Rolle. Zwei der grössten Pharmakonzerne haben hier ihren Hauptsitz, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist hier, die Stadt hat Museen und eine Musikakademie von Weltrang und eine hervorragende Universität. Und trotzdem ist Basel bis heute eine kleine, mittelalterliche Stadt geblieben. Basel ist kein Dorf, wie man oft fälschlicherweise hört, sondern eine mittelalterliche Stadt: Um die Stadt herum hat es eine (freilich unsichtbare) Mauer. Zur Stadt gehört, was sich abends innerhalb der Mauer befindet. Alles, was extra muros angesiedelt ist, könnte ein Feind sein. Diese Erfahrung hat Basel gemacht, als die Tagsatzung der Eidgenossen 1833 die Kantonstrennung verfügte und dabei die kantonalen Vermögenswerte nach den Bevölkerungsverhältnissen aufteilte. Die ehemaligen Untertanengebiete rund um Basel wurden zum Kanton Basel-Landschaft, die Stadt wurde enteignet und zog sich hinter die Stadtmauern zurück.
Basel ist darum die einzige Stadt der Schweiz ohne Hinterland. Die einst mit Abstand grösste und erfolgreichste Stadt der Eidgenossenschaft ist von den Eidgenossen zurückgebunden worden. Zürich konnte die Vororte eingemeinden und die Grösse verdoppeln, ja verdreifachen. Basel blieb auf die Kernstadt beschränkt. Aus dem Weltall gesehen ist Basels Siedlungsgebiet riesig. Doch es umfasst nicht nur Gebiete im Baselland, sondern auch in Frankreich und Deutschland. Deshalb schrumpft Basel, wenn man sich der Stadt nähert: Basel ist ein Scheinriese.
Und versucht immer wieder, der Grösse, welche die Stadt von Ferne hat, auch aus der Nähe gerecht zu werden. Basel orientiert sich dabei nicht an anderen Schweizer Städten. Kann sich nicht an Schweizer Vorbildern orientieren. Vorbilder sind vielmehr Kopenhagen, Shanghai oder Boston, je nachdem, ob es um Lebensqualität, die Pharma oder die Universität geht. Wenn es um den Fussball geht, orientiert sich Basel deshalb nicht an YB, GC oder dem FCZ.
Der Fussball ist für Basel nämlich wichtiger als für Zürich oder Bern: Der Fussball ermöglicht Basel eine Selbstvergewisserung der eigenen Grösse. Denn als Scheinriese erlebt sich Basel vor Ort immer als klein. Der Fussball ermöglicht es Basel, sich auch zu Hause als gross zu erleben. Deshalb will Basel keinen bescheidenen Büezer als Trainer, der eine tadellose Büez abliefert. Basel sucht einen Propheten, einen, der mit den Baslern nach den Sternen greift. Einen Himmelsstürmer. Denn die Basler möchten sich vor Ort so gross erleben, wie sie von weitem aussehen.
Das ist das Unschweizerische daran: Die Basler möchten nicht gebeugten Hauptes Schritt für Schritt ihre Arbeit erledigen. Sie suchen den Erfolg und schreiben ihn sich auch auf die Fahne. Nicht arrogant mit breiter Zürcher Schnurre, sondern mit jener durchaus sachlichen Mischung von Rationalität und Wagemut, mit der zum Beispiel die Handelsherren vor 500 Jahren die grossen Entdeckerfahrten finanzierten. Natürlich waren das riskante Investitionen. Aber wenn sie gelangen, strichen die Handelsherren astronomische Gewinne ein.
Oder denken Sie an die Amerikaner, als sie beschlossen, auf dem Mond zu landen. In seiner Rede an der Rice University am 12. September 1962 erklärte der damalige US-Präsident John F. Kennedy: Wir haben uns entschlossen, zum Mond zu fliegen. Er sagte nicht: Lasst es uns versuchen. Oder: Arbeiten wir daran. Er sagte, wir haben uns entschlossen. Und das, obwohl das Ziel zu jenem Zeitpunkt unerreichbar war. Denn die Sowjets hatten die Amerikaner abgehängt. Das wusste auch Kennedy: Zwar liegen wir zurück, und wir werden im bemannten Raumflug noch für einige Zeit zurückliegen. Wir haben jedoch nicht vor, weiterhin zurückzuliegen, und in diesem Jahrzehnt werden wir aufholen und uns an die Spitze setzen.
John F. Kennedy griff also nach dem Mond. Nicht arrogant oder anmassend. Sondern bestimmt und mit dieser eigentümlichen Mischung von Rationalität und Wagemut. Das ist es, was wir in Basel brauchen. Nicht nur am Spielfeldrand im St. Jakobs-Park, sondern auch im Roche-Turm, an der Universität und im Rathaus: Menschen, die sich klare Ziele setzen. Die es sich getrauen, sich einen Grosserfolg auf die Fahne zu schreiben und die ihre ganze Kraft einsetzen, dieser Fahne zu folgen. Entscheidend ist dabei nicht die Kraft. Entscheidend ist der Wille. Der Entschluss.
Ich habe keine Ahnung, welchen Mond der FC Basel erreichen sollte. Ich weiss aber, dass Basel als Stadt gleich mehrere Sterne vor sich hat. Noch nie in der Geschichte hatte die Stadt so viel Platz, um sich zu entwickeln. Vom Klybeckareal über das Areal des Felix Platter-Spitals bis zum Güterbahnhof Wolf werden in nächster Zeit riesige Flächen verfügbar. Das sind die Startrampen, über die Basel seine Sterne ansteuern kann mit dem Ziel, eine grossartige, hochverdichtete Stadtrepublik zu werden (oder zu bleiben), die profitables Wirtschaften kombiniert mit Forschung, Bildung, Kultur und hoher Lebensqualität. Denn auch im richtigen Leben möchte Basel nicht mehr nur ein Scheinriese sein.
Lieber Urs Fischer, das hilft Ihnen alles nichts und es interessiert sie vermutlich auch nicht. Trösten mag es Sie, dass der Scheinriese Sie in den letzten zwei Jahren brauchte. Sie waren der Lokomotivführer Lukas, der die Lok am Laufen hielt. Das ist nicht wenig. Und noch etwas: Gerade die, die vor zwei Jahren Fischer, nie eine vo uns!!! auf das Transparent pinselten, werden Sie am meisten vermissen. Denn gerade in Ihrer polterigen Gradlinigkeit waren Sie im besten Sinn eine vo uns!
Ich grüsse Sie herzlich und wünsche Ihnen good luck auf dem Platz und happyness daneben, Ihr Matthias Zehnder
PS: Das Angebot zum kleinen Stadtrundgang steht nach wie vor. Dass Sie bald nicht mehr Trainer des FC Basel sind, heisst ja nicht, dass Basel Ihnen nichts mehr zu bieten hätte.
2 Kommentare zu "Zweiter Brief an Urs Fischer"
Fussball wie ihn beispielsweise auch der FCB zu betreiben versucht, halte ich für Kapitalismus pur. Passt zu Basel: Grün-rot angepinselte Wirtschaftsmetropole am Oberrhein. Blau-rot angetörnter Petite-Suisse-Spitzenfussball. Mit allen Nebenwirkungen wie beispielsweise Grössenwahn und Depression. Höhenflug und Absturz. Schweizer Meister im Abo. Menschen- und Ressourcenverschleiss bis zum Geht-nicht-mehr. Wirklich gewinnen können nur wenige. Superkönner und Superreiche. Etliche bleiben auf der Strecke. Treffen kann es immer wieder auch einen Trainer. Auf ein Neues: Fischers Urs fischt frische Fische.
Hoffentlich liest Urs Fischer diesen Wochenkommentar. Er ist nämlich ziemlich gelungen.
Beisteuernd sei noch gesagt: Ins Schwarze (nicht ins Goal) trifft M.Z. mit der Zeile „Die Basler möchten nicht gebeugten Hauptes Schritt für Schritt ihre Arbeit erledigen. Sie suchen den Erfolg und schreiben ihn sich auch auf die Fahne.“ Nicht arrogant mit breiter Zürcher Schnurre, da hat M.Z. durchaus recht, aber ebenso unsympathisch mit der typischen Basler Hochnäsigkeit und der herablassenden Art, welche die Basler im Rest der Welt so „ungmögig“ machen, bleibt mir da nur zu ergänzen.
Anzufügen bleibt noch, das Herr M.Z. auch nicht davon gefeit ist, in die „Verallgemeinerungsfalle“ zu tappen. „Die Basler“, „die Zürcher“ usw… gibt es ja eigentlich nicht, es gab nur „den Basler“, „den Zürcher“ seit jeher, und insbesondere in der heutigen, stark individualisierten Zeit.
Und zuletzt bleibt angliedernd noch zu überdenken, was eigentlich ein „Büezer“, was eine „Büez“ ist. (Büezer=einfacher Arbeiter?/Büez=Arbeit?). Herr U. Fischer als Trainer ist kaum mit einem zu vergleichen, da sein Salär beim FCB im Monat um das 10-fache wenn nicht gar 20-fache dasjenige eines „Büezers“ übersteigt.
Überhaupt: Einfache Arbeiter mit CH-Pass/ID existieren nicht mehr. CH´s sind Dienstleister, Berater, Therapeuten, Künstler, Musiker oder Literaten, es sind Grafiker, Performer, es sind Philosophen, Pädagogen oder Kuratoren. Schauen sie nur mal in die Schweizer Schulabgängerlisten. Hochtrabende, ehrgeizige Elternschaften erlauben es nicht mehr, dass ihre Sprösslinge einfache „Büezer“ werden. Gerade die intellektuelle Oberschicht kann sich da mal an der eigenen Nase fassen und überlegen, ob sie die wirklichen Berufswünsche der Jungmannschaft zulassen oder sich nur an (den eigenen) elitären Imagegründen orientieren.
„Büezer?“ Ich fuhr kürzlich die Hagenaustrasse in Basel lang. Dort gibt es einen Firmenparkplatz mit etwa 60-70 PW-Plätzen. 2 Firmen teilen sich die Anlage. Von den 70 geparkten Angestellten-Autos waren 69 (!!!!) Franzosen. Elsässer Nummernschilder duchwegs. Dieser Anblick überwältigte mich. Ich musste zuerst mal am Strassenrand anhalten und diese Eindrücke verdauen. So kann es mit unserem Land nicht mehr lange gut gehen. Das ist eine einseitige Entwicklung. Ein Land ohne eigene Arbeiter „Büezer“ ist ungesund.
In einem Coiffeursalon an der Näfelserstrasse (Schweizweite Coiffeur-Kette) arbeitet ausschliesslich F-Personal. Elsässer. Mich bediente letztesmal ein junger Mann. Er konnte k e i n Wort Deutsch. Kein einziges. Er arbeitet aber in Basel. Verständigung gleich null. Er kam aus Nordfrankreich, zog ins Elsass um hier als Grenzgänger in der Schweiz zu arbeiten. Keine gute Entwicklung für eine Gesellschaft. System ausser Balance. Alle „Büezer“ importieren und die eigenen Leute aufs RAV schicken, wo einem am Schalter eine Elsässerin (!!!!!) empfängt und weiterleitet, ist ein Hohn für alle inländischen Arbeitssuchende. Schlicht eine Frechheit. Aber so oder so; SO geht es nicht mehr lange weiter…. Apropos zum Coiffeur zurück: Da keine Konversation möglich war – demensprechend war auch der Haarschnitt. Eine himmeltraurige Sache.
Dieses Übermass an Import“Büezer“ ist Gift für den Mittelstand. Und: „Die Schweiz verschliesst sich also Fremden?“ Solche Sprüche sind in Ohren der einfachen inländischen Arbeiterschaft und des Mittelstandes einfach nur unverhohlene Verachtung. Die Nationalräte, welche solches rauslassen, sollte man solche Beispiele wie ich sie erlebte, veranschaulichen. Dazu noch eine der höchsten Ausländerquoten ganz Europas, welche jetzt natürlich durch die erleichterte Einbürgerung verfälscht (beschönigt) werden, wahrlich – solch eine Entwicklung ist für kein Land/keine „Büezer“ das richtige.
Für „Büezer“ herrscht ein rauher Wind; besonders seit alle Grenzen offen sind.
Die „Arbeiter/Büezer“ im Sinne von M.Z. hat der neoliberale Wind bei uns schon alle weggefegt.
Dafür werden jetzt Fussballtrainer, welche mit Porsche Cayenne zum Platz fahren, bei uns so benamst. Die Osterzeit gibt Raum, mal darüber nachzudenken!!!
Man sieht selbst bei langer und genauer Betrachtung: Dieser hinkende Vergleich also „knapp daneben“ – ansonsten kurzweilige Wochenschrift… welche uns der Hase da ins Nest legte.