Alle gegen Europa – woher nur kommt diese grosse Wut?

Publiziert am 1. Juli 2016 von Matthias Zehnder

Nach dem beschlossenen Brexit schallt sie einem überall entgegen, in Zeitungsartikeln, Internetkommentaren und in der Beiz: die grosse Wut auf Europa. Woher nur kommt diese grosse Wut? Warum richtet sie sich in England, in Deutschland, in Frankreich, in der Schweiz so heftig gegen Europa? Ein Erklärungsversuch und die Andeutung eines Auswegs.

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Wer sich nach dem Brexit, dem beschlossenen Ausstieg der Briten aus der EU, im Internet oder auch in der Beiz umtat, stiess auf Kommentare voller Triumph – und voller Wut: Endlich hat es ein Volk der EU gezeigt. Die BaZ verglich das «Ja» zum Brexit mit dem Fall der Berliner Mauer, als die Befreiung Osteuropas vom Kommunismus besiegelt wurde. Mit anderen Worten: Der Brexit ist die Befreiung Englands vom Joch Europas. Die SVP schrieb, das britische Volk habe mit seinem Entscheid eindrücklich gezeigt, dass es die Selbstbestimmung der Fremdbestimmung durch die EU vorzieht.

In den Kommentarspalten im Internet ist die Rede von Eurokratie, von Merkeldiktatur, von Grosskonzernen und Grossbanken. Jean-Claude Juncker wird abwechselnd als Diktator und Bürokrat, Berufseuropäer und Volksverräter tituliert. Die Wut auf Europa ist gross. Diese Wut verbindet heute die Industriearbeiter in britischen Regionen wie Lincolnshire mit Angestellten im Schweizer Mittelland, arbeitslosen Franzosen und österreichischen Beamten. Woher nur kommt diese grosse Wut?

Erster Erklärungsversuch: Den Menschen geht es schlecht, deshalb sind sie wütend. Mindestens in der Schweiz trifft das nicht zu. Die wütendsten Eurokritiker sind sehr gut verdienende Unternehmer. Die Menschen können heute nicht mehr davon ausgehen, dass es ihren Kindern einmal bessergehen wird, den meisten Menschen geht es aber besser, als es der Generation ihrer Eltern gegangen ist. Vermutlich geht es auch einem arbeitslosen Stahlarbeiter in Nordengland, einem arbeitslosen Kohlearbeiter im Ruhrpott oder einem arbeitslosen Arbeiter in der Schweiz heute besser als es seinen Vorfahren in einer ähnlichen Situation je ergangen ist. Daran kann es also nicht liegen.

Zweiter Erklärungsversuch: Die Wut kommt daher, dass immer mehr Menschen keine Perspektiven mehr haben. Das würde sicher auf viele junge Wählerinnen und Wähler zutreffen. Noch nie war die Jugendarbeitslosigkeit in Europa so hoch, entsprechend schlecht sind die Perspektiven. Doch die Brexit-Abstimmung zeigt: Gerade die Jungen haben zu drei Vierteln für den Verbleib in der EU gestimmt. Viele sind gar nicht an die Urne gegangen, das spricht auch nicht für eine überbordende Wut. Also ist auch die mangelnde Perspektive nicht die Ursache für die grosse Wut.

Aber was dann?

Mir ist Bertolt Brechts Theaterstück Das Leben des Galilei in den Sinn gekommen. Sie erinnern sich? Galileo wandte sich gegen das kirchlich unterstützte ptolemäische Weltbild, wonach die Erde im Zentrum des Universums steht. Er ergriff stattdessen für das kopernikanische Weltbild Partei, wonach die Erde um die Sonne kreist. Papst Urban VIII. bestellte ihn nach Rom, wo die Inquisition Galilei den Prozess machte. Etwa in der Mitte des Theaterstücks von Bertolt Brecht kommt es im Palast des Florentinischen Gesandten in Rom zu einem Gespräch zwischen Galilei und dem kleinen Mönch. Der erklärt Galilei, er habe den Sinn der kirchlichen Entscheidung verstanden, er habe die Gefahren entdeckt, die ein allzu hemmungsloses Forschen mit sich brächten.

Der kleine Mönch erzählt, er sei als Sohn von Bauern in der Campagna aufgewachsen. Es sind einfache Leute. Sie wissen alles über den Ölbaum, aber sonst recht wenig. Es sei eine harte Arbeit auf den steinigen Böden der Campagna. Es ist ihnen versichert worden, dass das Auge der Gottheit auf ihnen liegt. An ihnen sei es, sich in ihren Rollen zu bewähren. Was würden meine Leute sagen, wenn sie von mir erführen, dass sie sich auf einem kleinen Steinklumpen befinden, der sich unaufhörlich drehend im leeren Raum um ein anderes Gestirn bewegt? Der kleine Mönch bittet Galileo deshalb, zu schweigen, dem Seelenfrieden der Campagna-Bauern zuliebe. Die Campagna-Bauern würden ihr Schicksal nicht aushalten, wenn sie wüssten, dass sie nicht im Zentrum des Universums stehen.

Galilei hat zwar abgeschworen, die Einsicht, dass sich der kleine Steinklumpen Erde um die Sonne dreht, hat sich trotzdem durchgesetzt. Daraus resultiert, was Sigmund Freud die kosmologische Kränkung nennt: Es ist dies die erste von drei fundamentalen, narzisstischen Kränkungen. Die zweite ist die biologische Kränkung, Darwins Entdeckung, dass der Mensch vom Tier abstammt, die dritte die psychologische Kränkung, Freuds eigene Entdeckung des Unbewussten, die Einsicht also, dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus.

Vielleicht müssen wir diesen drei Kränkungen eine vierte Kränkung anfügen: die politische Kränkung. Es wäre die Einsicht, dass der eigene Staat nicht im Zentrum der politischen Welt steht. Grossbritannien war einst Herrscherin über ein koloniales Weltreich – britische Bürger müssen diese politische Kränkung ganz besonders empfinden.

Aber auch Bürger von Frankreich, Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz empfinden die politische Kränkung: Ihr Land ist relativ unwichtig. Es ist eines von vielen europäischen Ländern. Es gibt andere Länder, andere Wege, andere politische Wahrheiten. Eine Staatsbürgerschaft ist ein biografischer und geografischer Zufall und das Resultat eines bürokratischen Akts. Auch Europa ist nur ein kleiner Teil der Welt. Da gibt es noch Afrika und Asien und Amerika. Die grossen Probleme der Welt können so kleine Staaten wie Grossbritannien oder Deutschland nicht alleine lösen.

Das ist die Kränkung des politischen Narzissmus. Aus dieser grossen Kränkung folgt eine grosse Wut. Diese Wut richtet sich nach der Logik des Narzissmus nicht gegen die, die grossen Probleme verursachen, sondern gegen jene, die den politischen Narzissmus gekränkt haben: gegen die EU, gegen die europäischen Politiker, gegen Intellektuelle, gegen Wissenschaftler, gegen eine internationale Elite.

Vermutlich gibt es weitere narzisstische Kränkungen. Zum Beispiel die Kränkung, die dem Menschen durch Computer widerfährt, die besser rechnen oder gar autofahren können. Oder die religiöse Kränkung, die dem Menschen in einer pluralistischen Welt widerfährt, die viele Götter und entsprechend viele Wege zur Seligkeit kennt. Letztere würde die Wut auf den Islam erklären.

Wenn die grosse Wut das Resultat einer grossen Kränkung ist – was bedeutet das in der politischen Praxis? In seinem Buch Die Macht der Kränkung schreibt Reinhard Haller, es gebe viele Schwierigkeiten bei der Überwindung einer Kränkung. Dies beginnt mit der Sprachlosigkeit, mit der so manche Kränkung alle Beteiligten lähmt, geht weiter über die Tabuisierung des unangenehmen Themas und wird komplettiert durch die Scham, Kränkungen zuzugeben. Er nennt acht Schritte, die für das Überwinden einer Kränkung nötig seien, darunter Transparenz schaffen, Perspektiven wechseln, verzeihen. Nicht gerade das politische Programm der polternden Populisten.

Sicher ist: Die Wut mag den Gekränkten im Bauch wohltun – sie ändert nichts daran, dass wir uns auf einem kleinen Steinklumpen befinden, der sich unaufhörlich drehend im leeren Raum um ein anderes Gestirn bewegt. Testosteron unterfütterte Rufe nach Unabhängigkeit und Grossartigkeit sind so und bei Lichte besehen nur – lächerlich.

Was wirklich helfen würde? Das Programm der Aufklärung: Bildung als Ausweg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit – und der Wut.

9 Kommentare zu "Alle gegen Europa – woher nur kommt diese grosse Wut?"

  1. Der philosophischen Dimension dieses Beitrages ist nicht zu widersprechen, wenn man es in einzelnen Aspekten auch anders gewichten kann.
    Aber ein ganz wichtiger, weniger philosophischer dafür sehr handfester Aspekt wird im Artikel leider gar nicht angesprochen. Was ich in vielen Gesprächen und auch in Reaktionen von Leserbriefen, Internetkommentaren usw. immer wieder ausmache, ist folgendes. Die EU hat in den letzten Jahren jedes gesunde Maß bezüglich Reglementiererei und pingeligsten Vorschriften verloren. Zitronen müssen von Malta bis Schweden und Elchleder von Schweden bis Malta gleich reglementiert sein. Obwohl es in Gottes Namen halt schon Unterschiede zwischen Malta und Schweden gibt. Jedes gut eingespielte, weitgehend akzeptierte Modell in einem Land wird wegen den dringenden einheitlichen EU-Regeln beeinflußt bis abgeschafft. Die Leute können es nicht einsehen – wahrscheinlich, weil es die Reglementierer selbst auch nicht begreifen. Und nun kommt der entscheidende Punkt. Die Granden der EU – oder mindestens jene, die sich dafür halten – haben sich in den letzten Jahren laufend über die eigenen Regeln hinweggesetzt und EU-Recht mißachtet bis ausgehebelt. Das gilt für Merkel, Hollande, Juncker, Schulz, Asselborn, Schäuble und einige weitere. Dann treten diese Leute bei der geringsten Kritik – wie ertappte „Schüelergoofe“ – mit einer grenzenloser Arroganz auf, da die Kritiker ja sowieso nichts verstehen ….
    Was hier stattfindet, findet man immer wieder in Vereinen, in Firmen, in Amtsstellen, in Verbänden und so fort: Wenn die Regelsetzer die ersten sind, die die Regeln nicht einhalten, dann kommt es nirgends gut. Auch in der EU nicht. Und eigentlich haben die Menschen von diesen „Großdirigenten“ mehr Einsicht in ihr eigenes Handeln und vor allem noch ein wesentlich respektvolleres Demokratieverhalten erwartet. Das wurde massiv enttäuscht. Und was heute – in der EU und außerhalb – an heftigen Reaktionen zu verzeichnen ist, ist die ganz einfache Botschaft: Wir wollen nicht, daß das noch weitergeht.

    1. Danke für Ihren Beitrag, bin mit Ihnen einverstanden.es geht um das uns nicht respektieren was die Wut vérandas st, es geht um die Uniformierung die total unmöglich ist, da wir eben in Sizilien und in Oslo nicht gleich sind.

  2. Einspruch zum Ersten: (ganz wichtig): Nicht reisserisch „Alle gegen Europa – die grosse Wut“ sondern richtiggestellt „Alle gegen das EU-Gebilde – die grosse Wut“.
    Einspruch zum Zweiten: Ich finde dies heutige Wochenschrift von Matthias Zehnder geradezu ein Vorzeigestück und gleichzeitig die Ursache der vom Autor freimütig als „Wut“ bezeichnenden Reaktion.
    Ein VORZEIGESTÜCK deshalb, dass man dieses jetzige Rumoren im Volk pauschalisierend kleinschreibt (verallgemeinernd – die „Jungen“ stehen zur EU; anstelle exakter – „die wählen gehende, intellektuelle, jüngere Bevölkerung, welche von der EU profitiert“ steht zur EU) und sich nachher (fast schon exemplarisch) oberelitär einem fabulierenden Theaterstück von Berthold Brecht zuwendet – schöngeistig und schwadronierend, was sich immer gut macht und einem als gehobener Bildungsbürger dastehen lässt – und sich so elegant und gekonnt von der Realität mit deren Nöten und Sorgen abwendet. Und damit gerade eben deren URSACHEN produziert.
    Mal ehrlich, was soll jetzt ein ehemaliger Elmex-Mitarbeiter vom Produktionsstandort Therwil oder vom Produktionsstandort Lörrach mit diesem Text. Fact ist, er verlor seinen Arbeitsplatz, Elmex und diverse Mundwasser werden jetzt in Swarzędz, 62-020, Polen produziert. Die EU finanzierte den polnischen Freunden Infrastruktur wie industrielle Wasserversorgung, Starkstromverteilungseinrichtungen, Strassen und nochmals Strassen für die Logistik (dafür kein umweltschonendes Eisenbahn-Ausbaugeld, die polnische Staatsbahn ist ein zum unbedeutenden Nebenprodukt geworden). Und als alles gebaut war, lockte Polen unzählige Firmen, Fabriken, Unternehmen mit Spott-Steuern an, was – da alles wie von Märchenhand hingestellt wurde – keine grosse Kunst war. Dort wird nun für umgerechnet 5 Fr. pro Stunde Personalkosten „unsere“ Elmex produziert. (Vielleicht auch „ihre“ – meine jedenfalls nicht mehr).
    Die Logistik ist auch kein Thema, da polnische „Planen-Sprinter“ (Kleintransporter 3,5 Tonnen), welche zu tausenden seit einigen Jahren die Autobahnen bevölkern, zu Unternullpreisen Damenunterwäsche, Handyhüllen, Luftfilter, Bremsscheiben, Gartenschläuche, Vogelhäuser oder eben Elmex in unsere Länder karren. „Angriff von unten“ heisst es im Transportgewerbe, da die 3,5-Tonner keine Maut bezahlen müssen, keine Fahrtenschreiber besitzen, kein Nacht- und Sonntagsfahrverbot kennen, sind 3 dieser „Ameisen“ mit Fahrer günstiger als ein einziger 40-Tonner…. Für 500 Euro Lohn pro Monat Waren kreuz und quer ohne Kontrolle durch Europa karren lassen, die Spediteure, die Geschäftsinhaber, die Elite jubelt. Viva EU.
    Mahnmale des unguten EU-Job- und Geldvernichtungsapparat stehen nicht nur in Therwil, sondern, ebenfalls ganz in der Nähe, in Neuwiller (Elsass, F). Am Ortseingang aus dem EU-Randförderungstopf finanziert, das Thermalbad Neuwiller. Die EU richtete mit der grossen Kelle an: Betonkomplex, Schwimmhalle, Glas, Stahl, Förderpumpen für die Sole, Heizanlagen, Wasseraufbereitung. Nur – zu spät merkte man, dass gar nicht so viel Solewasser in Neuwiller vorhanden ist. Der Betrieb kann nicht aufgenommen werden. Seit mehr als 10 Jahren steht nun der ganze Komplex leer in der Landschaft und gammelt vor sich hin. Als Mahnmal für die EU-Professionalität. Im Bad-Managerraum (ja, der wurde geplant) haltet der Gemeinderat ab und zu eine Dorfsitzung ab – und kann sich „von“ schreiben, im teuersten Sitzungszimmer von ganz Haut-Rhin zu tagen. Die Verantwortlichen dieses Desasters – nie zur Rechenschaft gezogen – irgendwo in Sitzungszimmern im fernen Belgien konserviert oder pensioniert.
    ARBEITSPALTZVERLUSTE, erleichtertes Hin- und Herschieben von Produktionsstätten, Jobängste der produzierenden Bevölkerung (weniger der Journalisten) und hirnverbrannte Projekte wie Autobahnüberführungen in Sizilien, obwohl nie eine Autobahn geplant oder erstellt wurde, Fördertopf für Velounterfühung in Grenzach-Wyhlen (realisiert), jedoch die Anschlusswege nicht abgeklärt und somit nutzlos und und und….
    Wenn man als wacher Beobachter in den EU-Staaten unterwegs ist (nicht nur Mallorca, Kanaren oder London, Paris), mit den Leuten auf dem Land redet, in Kleinstädten; wenn man die Probleme der Personenfreizügikeit nicht systematisch ausklammert, z.B. im Kleinbasler Rappoltshof, wo seit neustem „Nutten-Taxis“ (sorry für den Ausdruck, stand ebenso in den Basler Tageszeitungen) nächtens für nächtens neue „Ware“ aus Bulgarien und Rumänien hinkarren, und die lapidaren Kommentare der zuständigen Behörden wie Gewerbeaufsicht, Polizei hört: „Man kann wegen der EU nichts machen“, wenn lärmgeplagte, schlaflose Kleinbasler Urgesteine deswegen im Alter noch Umzugskartons packen müssen kann die Antwort eines (um den Bezugsbogen wieder zur obigen Wochenschrift zu spannen) „Das Leben des Galilei“ schlichtweg nicht genügen, ja, hört sich in den Ohren von den EU-System-produzierten betroffenen Arbeitslosen oder ob der sinnlosen Projekte, welche Europaweit herumstehen und Mahnmale eines bürokratischen-realitätsfernen-technokraten-Planungetüm sind, geradezu zynisch am.
    Ich repetiere mich ungern, aber dieses Wichtige kann nicht genug wiederholt werden:
    Die EU ist keine Demokratie. Wir gehen zurück ins 18. Jahrhundert mit der EU. Es ist eine Feudal-Elite, die da in Brüssel irgendwelche Gesetze verabschiedet. Es ist so – es kann nicht Abgestimmt werden. Über nichts kann abgestimmt werden.
    Die Schweiz ist doch eine Demokratie, wo Abstimmungen (noch) möglich sind.
    EU-Fereunde (falls es diese noch gibt), sagt mir doch, ob ihr das gut findet, dass die EU ganz viele Gesetze beschliesst, ohne das je ein Parlamet oder das Volk im Land darüber abstimmen konnte.
    Ist das gut? Auf jeden Fall gibt das so wie es jetzt läuft in Brüssel in der heutigen, modernen Zeit wo die Bevölkerung Schulbildung genossen hatte; (mit-)denken kann und will; in einer vernetzten Welt, wo man Einblick bekommt, wie es läuft; wo im Politikunterricht urteilfähige Menschen geformt werden, in der EU ganz ganz viele (man sieht es ja) unzufriedene Bürger. Immer wie mehr. Eben gerade weil sie gottseidank Schulbildung genossen. Weil sie gottseidank mitdenken können. Und nicht mehr blindlings folgen. Der Wirtschaft, dem Mammon, dem Transit.
    Die EU war eine edle Idee, für Frieden und Freundschaft. Heute produziert sie unter ihrer Gleichschaltungskäseglocke mehr Gerangel, Reiberei, Ungleichheit und Neid, Unverständnis und (Gott bewahr) letztendlich kriegerische Auseinandersetzungen.
    Nicht erwähnt wurde jetzt die Einwanderungspolitik, insbesondere von Deutschland. Grosszügig, ja schon fast masslos, Gäste (Flüchtende) nach Deutschland einladen, und dann, weil überfordert, den anderen Staaten,aufbürden und aufzwingen. So geht das nicht. Dazu keine eigene Steuerung jeglicher Zuwanderung mehr möglich, unter welcher viele ächzen. Die Engländer haben es bemerkt, das es so ungut weiterläuft. Ebenfalls ein grosser Grund der Unzufriedenheit.
    Die EU befiehlt, lehnt ab, verurteilt, setzt um, entscheidet, verfügt. Dies passt nicht mit dem eher kleinstaatlich geprägten Europäer zusammen. Die EU benimmt sich tendenziell immer als mehr wie ein Staat, der aber von der darin lebenden Bevölkerung nie ins Leben gerufen wurde. Das kann nicht gutgehen. Nie wurden die Leut‘ am Land oder der Städte gefragt, ob sie die Ziele der Hochmögenden auch teilen wollen. Man verfügte eine EU-Hymne und eine Flagge, welche niemand liebt sofern irgendjemand überhaupt darum weiss.
    Liebe Leser dieses (europafreundlichen) Blogs: Die meisten von Ihnen leben in der Schweiz, dürfen Abstimmen gehen. JA oder NEIN kritzeln. Ausdruck verleihen. Mitgestalten. Nahe am Staat Schweiz sein, ja sogar Teilhaber sein unserer Genossenschaft, der Eid-Genossenschaft.
    Warum lässt Ihr den Franzosen, den Italienern, den Niederländern, den Österreicher nicht auch das gleiche Recht angedeihen. Warum sollen diese Nachbarmenschen nicht auch JA oder NEIN sagen dürfen. Ja oder Nein zum Ein- oder Austritt aus der EU. Sie sind weder Menschen zweiter Klasse, noch sind sie die (oft in den Feuilleton dargestellten) unkontrollierbaren und unbequemen Massen. Die Verweigerung des Stimmrechtes über diese brennende Frage hat einen Grund: Angst vor weiteren EU-Austritten. In France würden über 60% aus der EU austreten, in Österreich sähe es wohl kaum anders aus und auch Italiens Menschen (nicht die Regierung) hat langsam genug von Signora Merkel (D), welche in Italiens Regionen immer wie mehr der Inbegriff der eisernen Lady aus Germania, welche auch in der EU dank der starken Wirtschaftskraft ihres Landes die Obhand hat und darbende Länder wie Italien oder Spanien freundlich aber bestimmt an der kurzen Leine hält, so dass sie keine Gefahr für Germany darstellen, geschickt gesteuert, sei es über die EU-Währung, über Stromlieferungen oder über Ansagen im Bildungswesen, welche Italien schwer erfüllen kann.
    „Ich bin für die Europäische Gemeinschaft, weil ich für Gemeinschaft bin“, dieses Statement, welches von einer deutschen Abiturientin abgesondert wurde und im SWR Radio täglich als Trailer wiederholt wird, tönt doch so was von gut. So was von bequem. Aber, wenn man es immer wieder eingetrichtert bekommt, auch so was von naiv. Denn in der Gemeinschaft scherbelt es . In der Vorstandsetage (Ausdruck D für Politiker – soviel zum Demokratiebegriff einzelner D-Politiker) giften sich Süd- und Nordländer an, auch zwischen den Ost- und Westländer ist statt Liebe Sand im Getriebe. Und in der Arbeitsetage, (Ausdruck D für die Bewohner – soviel zum Demokratiebegriff einzelner D-Politiker), dem Volk, kann etwas, das aufgebürdet wurde, niemals Rückhalt gewinnen. Ungefragtes Volk – herrschende Elite. Willkommen im Mittelalter. Denn Eliten sind, wenn überhaupt, das zeigt die Gescheite, nur in geringen Dosen zu ertragen.
    Zurück zum Anfang: Das im Titel gebrauchte Modewort „Wut“ kann und muss man ersetzen: Man kann die beschriebenen Tendenzen auch einfach nur „genug haben“, „neue Wege gehen“, „anderes Denken“ nennen.
    Und schon tönt alles positiver.
    Sie sehen es, auch gute Journalisten benutzen die Sprache, um die Leserschaft zu ihren Denkmustern und Ansichten zu ziehen.

    1. Ach, Herr Zweidler. Warum wollen Sie die EU deshalb gleich abschaffen? Wenn die Schweizer Orte der Tagsatzung 1848 so gedacht hätten, gäbe es heute keine Schweiz. Gerade die Schweiz mit Föderalismus und Subsidiaritätsprinzip (die für das Funktionieren der Schweiz vielleicht wichtiger sind als die direkte Demokratie) könnte einiges einbringen in die EU. Und was den Demokratiebegriff angeht: Diese Schweizer Überzeugung, nur die Schweizer wüssten, was eine richtige und gute Demokratie sei, ist doch reichlich arrogant. Unsere Abstimmerei hat uns ja auch so seltsame Dinge eingebracht wie das Minarettverbot. Aber deshalb wollen wir ja nicht gleich aus der Schweiz austreten, oder?

  3. Wie beim Sport (aktuelles Beispiel: Fussballeuropameisterschaft) so lautet das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leitprinzip in den meisten unserer Lebensbereiche: höher, schneller, weiter. Dieses Leit- und Organisationsprinzip bedingt und befördert grundsätzlich und permanent eine Konkurrenz zwischen allen Menschen und führt zu immer noch mehr Beschleunigung, Überforderung und Ausgrenzung. Wir produzieren damit Gewinner/innen und aber vor allem: Verlierer/innen (wie Thomas Zweidler sagt). Oder eben wie Matthias Zehnder diagnostiziert: Gekränkte. Das gesamtgesellschaftlich Perspektivenlose und Schlimme an diesem Muster ist, dass wir nur damit den grossen Herausforderungen, wie sie sich uns beispielsweise mit den Finanzkrisen, den Flüchtlingsströmen und den Klimaveränderungen stellen, nicht konstruktiv und nachhaltig gewachsen sind. Ich neige zu der Annahme, dass wir es nicht nur nicht anders wollen, sondern es als Spezies Mensch möglicherweise auch nicht anders können. Daran scheitert unter ganz vielem anderem auch beispielsweise die EU und – wenn wir sozial- und ökogenetisch wirklich derart beschränkt sind – schlussendlich unsere ganze Welt.

  4. Interessant wie sich diese Woche fast ein Shitstorm entwickelte. Das Thema ist sehr kontrovers. Wie funktioniert das eigentlich beim ach so gelobt- oder verhassten Staatengebilde „Amerika“ ? Würde mich interessieren.

  5. Richtig. Das Reaktionäre ist Scham-, Angst-, Frustrations-, Trauma- bzw. Vulnerabilitätsabwehr in Fremdgesetztem. Wenn man diese Kränkungen von Fremden ausgehend phantasiert, kann man sich eine Kontrolle vormachen über dasjenige, dem man ohnmächtig unterliegt. Nur redet man kaum über diese psychischen Konfliktursachen, vorgeblich hat alles nur politische oder ökonomische Ursachen. Unsere Kultur hat den Tod nicht integriert (Adorno), und so lange das so bleibt, wiederholen wir die gleichen Fehler immer wieder.

  6. Um das Problem nicht nur zu ontologisieren: Gegen die Perspektivlosigkeit und Aussteuerung (also gegen vermeidbare Kränkungen) vieler Menschen KANN und MUSS die Politik etwas tun, sonst richtet sich die Wut bald auch gegen diejenigen, die den absoluten Wettbewerb aller gegen alle predigen. Und nicht nur gegen die Sündenböcke, die manche Apologetiker des totalen Wettbewerbs den Verletzten, Frustrierten, Ohnmächtigen, Perspektivlosen, Isoloierten, Abgehängten, Ausgesteuerten usw. als Punchingball anbieten.

  7. Du meine Güte, sind wir wirklich so weit gekommen, dass uns Gurken und Zitronen wichtiger sind als Frieden und Stabilität?
    Es gibt doch überall wo wir hinschauen Negatives und Positives. Sicher ist die EU sehr reglementierungsfreudig ( was man der Schweiz aber ebenso attestieren könnte). Andererseits hat sie dem alten Kontinent nach dem zweiten Weltkrieg endlich Stabilität und Frieden gebracht. Uns, Generation der Nachkriegszeit, ist es außerordentlich gut gegangen. Und nun wollen wir das der jungen Generation verwehren? Nur weil wir eine etwas schwierigere Zeit durchlaufen und egoistisch auf unsere Errungenschaften pochen? Das ist reiner Egoismus und Kurzsichtigkeit.
    In Lugano aufgewachsen, sagte ich als Kind immer, ich sei Tessinerin und Schweizerin. Nun sage ich mit Überzeugung: ja, ich bin Schweizerin, aber in erster Linie überzeugte Europäerin.

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