Wozu Kulturjournalismus – und wenn ja: wie?
Die «Basler Zeitung» hat diese Woche Schlagzeilen gemacht: Die Zeitung baut ihren Kulturteil um. Beobachter sagen, die «BaZ» dampfe die Berichterstattung über die Kultur in Basel ein – die Zeitung selbst spricht von einer Verschiebung der Kultur in den Lokalteil. So oder so entspricht die Entwicklung einem Trend: Kulturberichterstattung klickt nicht. Wiesen gedruckte Zeitungen früher einen ganzen Kulturbund auf, sind es heute noch ein, zwei Seiten. Meistens muss sich die Kultur den Platz dabei mit Softthemen teilen: Elton Johns Unterhosen sind wichtiger als Mozart und Beethoven. Oder die Musik von Elton John. Es wäre einfach, jetzt im Brustton der Empörung den Untergang der abendländischen Kultur zu bedauern. Doch so einfach ist es nicht: Als Gesellschaft haben wir uns diese Entwicklung selbst eingebrockt. In meinem Wochenkommentar schaue ich deshalb mit Ihnen die Situation aus drei verschiedenen Perspektiven an und mache ein paar konkrete Vorschläge, wie sich die Situation verbessern liesse.
Mit der Kulturberichterstattung ist es wie mit Quartierläden: Wenn ein Laden um die Ecke schliesst, erhebt sich grosses Wehklagen. Vor der Schliessung hat aber, ausser im Notfall mal Spaghetti und ein Pesto, kaum einer der Jammernden im Quartierladen eingekauft. Das Basler Onlinemagazin «Bajour» hat diese Woche im Rahmen seiner Frage des Tages gefragt: «Braucht’s Kulturberichterstattung in Basel?» Satte 81 Prozent waren der Meinung «Unbedingt!». Würden tatsächlich vier Fünftel der Gesellschaft die Kulturberichterstattung anklicken und lesen, wäre alles zum besten bestellt.
Auslöser der Frage war eine Kontroverse rund um den Kulturteil der «Basler Zeitung». Unter dem Titel «BaZ dampft Kultur-Teil ein» berichtete die Website «Onlinereports», dass die «Basler Zeitung» die klassische Kulturberichterstattung «massiv eindampfen» werde. Die Kulturseiten der Zeitung würden nur noch von der Zentralredaktion in Zürich bestückt, die lokale Kultur wird auf die Lokalseiten verbannt. Christine Richard, Feuilleton-Ikone der «BaZ», bezeichnet diese Entscheidung als «Affront» gegen die Basler Kultur.
In der «Basler Zeitung» tönt die entsprechende Mitteilung ganz anders: Chefredaktor Marcel Rohr schreibt in seiner Hausmitteilung, die «BaZ» nehme «eine kleine Änderung in der Blattarchitektur vor. Die regionale Kulturseite verschiebt sich vom ersten in den zweiten Bund und wird dem Lokalteil angegliedert.» Hier werde die BaZ künftig «gut gewählte Kulturthemen» publizieren, «garniert mit spannendem Lesestoff aus dem Gesellschaftsbereich». Meine Frage, warum die lokale Kultur in den Lokalteil verschoben wird, beantworteten weder «BaZ»-Chef Marcel Rohr noch der Sprecher von Tamedia. So oder so war die Empörung gross. Exponenten der Basler Kultur betonten, die Kultur sei «systemrelevant», Kultur sei ein Markenzeichen von Basel, ohne Kultur werde es düster.
Exemplarische Entwicklung
Nun wäre die Verschiebung einer Kulturseite der «Basler Zeitung» keine Zeile wert, wenn es sich dabei nicht um eine exemplarische Entwicklung handeln würde. Die klassische Kulturberichterstattung ist seit Jahren unter Druck. Das zeigen Studien immer wieder, unter anderem das «Jahrbuch Qualität der Medien» des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich. Die Zeitungen von Tamedia und CH-Media haben schon lange keine Kulturteile mehr. Sie haben ihre Kulturberichterstattung mit Softthemen aufgehübscht. Entsprechend heissen die Seiten bei CH-Media «Kultur&Leben» (so etwa bei der «Aargauer Zeitung» und der «bzBasel») und bei Tamedia «Kultur & Gesellschaft» (so beim «Tages-Anzeiger» und der «Basler Zeitung»). Der Kulturbegriff wird auf diesen Seiten sehr weit gefasst. Die Berichterstattung über Theater, Literatur, Musik und Ausstellungen macht nur noch einen kleinen Teil aus.
Aber warum ist das so? Wie kann es sein, dass Kulturberichterstattung in der Umfrage für vier Fünftel der Befragten ein absolutes Muss ist, die Medien sich aber darum foutieren? Warum mögen Medienmanager Mozart nicht? Schauen wir uns das Problem aus drei verschiedenen Perspektiven etwas genauer an: aus der Perspektive der Medien, der Kultur – und der Gesellschaft.
1) Die Perspektive der Medien
Kultur klickt nicht. Das ist die Kurzform der Perspektive aller Massenmedien. Das ist nicht nur im Internet so: Auch auf Papier gehört der Kulturteil einer Zeitung zu den am schlechtesten gelesenen Zeitungsseiten. Die Lesequoten von Kulturseiten bewegen sich so zwischen 10 und 15 Prozent. Noch schlechter gelesen wird in gedruckten Zeitungen nur der Wirtschaftsteil. Im Internet sieht man das natürlich sofort an den Klicks, die ein Inhalt generiert. Und da bleibt es dabei: Kultur klickt nicht. Kultur- und Wirtschaftsthemen ist gemeinsam, dass es Sachthemen sind, die entweder viel Vorwissen voraussetzen und dann der Allgemeinheit nicht schmecken oder ins Allgemein-banale abkippen und dann für Interessierte nicht mehr spannend zu lesen sind.
Bei der Kultur kommt noch dazu, dass relevante Kulturberichterstattung in der Regel von lokalen Kulturangeboten handelt. Anders als ein Artikel über YouTube und TikTok oder über eine Popsängerin, eine Rockband oder einen Modezar kann man diese Artikel nur in einer Zeitungsausgabe des Verbundes abdrucken. Madonna und Metallica funktionieren in allen Ausgaben der Zeitungen von Tamedia oder CH-Media, für das Theater Basel interessieren sich nur die Basler Leserinnen und Leser. Die erwarten eine Berichterstattung auf hohem Niveau. Das setzt entsprechende Fachleute auf den Redaktionen voraus. Das ist teuer. Kurz: Kultur klickt nicht nur nicht, sie ist auch noch aufwendig und teuer in der Produktion. Kein Wunder, setzen Medienmanager da den Rotstift an. Denn für sie sind Medien blosse Produkte, die rentieren müssen.
2) Die Perspektive der Kultur
Für Kulturanbieter ist, bei allem Klagen über den Untergang des Abendlandes, Kulturberichterstattung in erster Linie überlebenswichtiges Marketing. Die externe Validierung einer Aufführung oder einer Ausstellung durch eine Zeitung ist Gold wert. Viele Menschen erfahren erst aus der Zeitung, was es im Kunstmuseum oder im Theater zu sehen gibt. Entsprechend wichtig ist diese Berichterstattung für die Kulturanbieter. Natürlich haben alle Institutionen heute Websites und Newsletters, mit denen sie ihr eigenes Publikum erreichen und informieren können. Die grossen Medien bringen da aber einen Aspekt mit, den kein Newsletter kompensieren kann: Beim Blättern durch eine Zeitung stolpern die Leserinnen und Leser über Themen, die sie von sich aus nicht wählen würden. Das ist Serendipity, das Über-die-Ränder-Lesen. Eigentlich will man zum Sport blättern und bleibt dann an einer Reportage über Koalabären hängen. Oder an einem Hintergrund über Sodbrennen. Oder am Bericht über die neue Ausstellung im Kunstmuseum.
Der zweite wichtige Aspekt: Die Medien bilden die Keilriemen, die den Kulturbetrieb mit der Gesellschaft verbinden. Eine Theateraufführung, eine Ausstellung kann noch so relevant sein, – wenn keine publizistische Auseinandersetzung damit stattfindet, bleibt es letztlich Art pour l’Art. Die Medien tragen mit ihrer Berichterstattung die Kultur in die breite Öffentlichkeit und sorgen so dafür, dass die Kultur Stachel im Fleisch der Gesellschaft bleibt. Die Medien helfen dem Theater, über das Theater hinaus auszustrahlen. Sie lassen Ausstellungen auch bei Menschen wirken, die sie nie besucht haben und sorgen dafür dass Bücher von Menschen diskutiert werden, die sie (noch) nicht gelesen haben.
3) Die Perspektive der Gesellschaft
Und wir alle? Was brauchen wir? Zunächst können wir einmal feststellen, dass wohl noch nie so viele Informationen über Kulturangebote verfügbar waren. Ich denke dabei nicht nur an die Websites und Magazine der Kulturanbieter. Ich denke vor allem an die Informationsangebote im Internet. Ganz egal, für welche Sparte, Literaturgattung oder Musikart Sie sich interessieren – Sie finden eine Website, die sich dem Thema widmet. Dazu kommen Blogger und YouTuber, die sich zum Teil auf hohem Niveau mit Kunst und Kultur auseinandersetzen. Mehr Information war nie.
Das Problem ist nur: Das sind alles Silos. Die Spezialwebsites beschäftigen sich jeweils in stupender Tiefe mit einer Kunstgattung – aber nur damit. Das mag funktionieren, wenn es um Krimis oder historische Romane geht. Aber das Theater Basel muss vor allem für Basel eine Herausforderung sein. Das Kunstmuseum hat eine Geschichte in der Stadt und sollte diese Stadt mit seinen Ausstellungen herausfordern. Kultur sollte der Spiegel sein, es braucht aber Medien, die der Gesellschaft diesen Spiegel vorhalten. Wenn Kultur nur noch von Spezialisten für Fachleute besprochen wird, ist sie das nicht mehr. Aus Sicht der Gesellschaft wären also Medien wünschenswert, die sich zugänglich und herausfordernd mit der Kultur vor Ort beschäftigen. Wenn sich Kulturberichterstattung für die Medien nicht lohnt, sollte sich die Gesellschaft fragen, ob der Markt wirklich die richtige Steuergrösse für Medien ist. Anders gesagt: Jetzt erntet die Gesellschaft jene Medien, die sie gesät hat.
Was nun? Drei Lösungsvorschläge
Niemand kann der BaZ befehlen, einen anständigen Kulturteil zu produzieren, wenn sich das aus der Sicht der Revisoren und Controller nicht lohnt. Vielleicht merkt die Zeitung irgendwann, dass es gerade kulturaffine Menschen sind, die sich heute noch ein Bezahlmedium leisten, vielleicht aber auch nicht. Was können wir konkret tun, wenn wir eine publizistische Auseinandersetzung mit Kultur brauchen, die traditionellen Medien das aber nicht mehr leisten?
- Die einfachste Massnahme: Die Kulturanbieter selbst müssen für mehr Auseinandersetzung sorgen. Aber bitte nicht mit Marketingmassnahmen, sondern mit Menschen, die sich intelligent publizistisch mit dem Programmangebot auseinandersetzen. Simpel gesagt: Theater, Museen und Konzertveranstalter brauchen so etwas wie «Blogger in Residence».
- Die zweite Massnahme: Medientausch unter Kulturanbietern. Museen, Theater und Konzertveranstalter haben alle ihre eigenen Newsletter, Magazine und Websites. Leider erreichen sie damit nur ihr eigenes Publikum. Also: Tauscht Inhalte aus. Baut Fenster in Eure Angebote, in denen andere Kulturanbieter für sich werben oder die Beiträge ihrer Blogger zeigen können. Ihr könnt alle davon nur profitieren.
- Die dritte Massnahme: Kulturmedienförderung. Lassen Sie uns Medien als Teil der Kultur betrachten und entsprechend fördern. Das Theater erhält Unterstützung in Millionenhöhe, damit die Stadt ein Theater hat. Das Theater ist darauf angewiesen, dass Medien als Keilriemen das Theater in die Gesellschaft tragen. Entsprechend sollte die Kulturberichterstattung ganz selbstverständlich zu einem Teil der Kulturförderung werden. Bei Lichte betrachtet gehört die Besprechung zum Theater wie der Vorhang am Schluss der Vorstellung.
Blogger in Residence, Medientausch unter Kulturanbietern, Kulturmedienförderung – das sind meine konkreten Vorschläge für mehr Kulturjournalismus. Damit nicht bald der letzte Vorhang fällt. Was meinen Sie?
Basel, 2. Dezember 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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Quellen
Bild: © KEYSTONE/Alessandro Crinari
Knechtli, Peter (2022a): BaZ dampft Kultur-Teil ein – Christine Richard geht. In: Onlinereports. [https://www.onlinereports.ch/News.117M58f1d54a683.0.html; 30.11.2022].
Knechtli, Peter (2022b): Kultur: Die unterschiedliche Tonalität des BaZ-Chefs. In: Onlinereports. [https://www.onlinereports.ch/News.117M52c9988ad7e.0.html; 1.12.2022].
Rohr, Marcel (2022): In eigener Sache: Regionale Kultur neu im zweiten Bund. In: Basler Zeitung. [https://www.bazonline.ch/regionale-kultur-neu-im-zweiten-bund-664901067305; 30.11.2022].
Rutschmann, David und Zaslawski, Valerie (2022): Frage des Tages: Brauchts Kulturberichterstattung in Basel? Bajour. [https://blocks.bajour.ch/a/clb2dyx92159574054fny9d2447n; 2.12.2022].
Vogler, Daniel und Oehmer, Franziska (2021): Qualität und Stellenwert der Kulturberichterstattung in Schweizer Nachrichtenmedien. In: fög Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich. [https://www.foeg.uzh.ch/dam/jcr:a21432c0-63b9-4884-b099-de96dd1742b0/Studie_05_2021.pdf; 2.12.2022].
5 Kommentare zu "Wozu Kulturjournalismus – und wenn ja: wie?"
Die Menschen leben alle in den eigenen Blasen. Weil es einfach ist. Einfach, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Wenig Widerspruch. Kein Widerspruch. Zusammengehörigkeit. Gleiches Denken. Schulterklopfen. Punkt.
Früher kam in der „RS“ (= Rekrutenschule des Schweizer Militärs) der Akademiker mit dem Hilfsarbeiter zusammen. Der angehende Medicus lag neben dem Eisenleger. Das sagt nichts über den Inhalt der „RS“ aus, aber viel über die allesübergreifenden sozialen Kontakte. Jeder half jedem und bildete eine Mann-schafft.
Heute fällt auch dies weg. Viele Junge leisten Zivildienst, der angehende Sozialarbeiter wird im Kinderheim eingeteilt, der angehende Gärtner verrichtet Gartenarbeit in einer öffentlichen Institution und der angehende Koch waltet in einer Jugendherberge (=Blase).
Früher gab es ein Radio Beromünster. Musik für alle – Stunden mit Jodel welche dem einen gefielen; Stunden mit Rock welche dem andern gefielen. Furchtbarer Ärger in der Beschwerdeabteilung: „Immer diese Volksmusik“, „mehr Beatels“ oder „zuviel Schlager“ hiess es. Doch jeder Musikstil wurde von jedem gehört. Und somit einander (zwangsläufig) nähergebracht.
Heute: 1001 Internetstationen mit Musik, bei denen sogar das Genere „Klassik“ nochmals in 200 Sparten unterteilt gehört werden kann. Bei Radio „SRF1, 2, 3“ und „Virus“ DARF keine Volksmusik gewünscht werden (Volksmusikverbot), dafür gibt’s ausschliesslich die „Musigwälle“. Und umgekehrt.
Zwei Beispiele für viele: Überall läuft es heute so. Wieso soll es dem Kulturjournalismus anders ergehen? Der „normale“ Zeitungsleser, z.B. am frühen Morgen die Gewerbler, KMU-Leiter, sie nehmen im „Cafe“ platz und die „BaZ“, „BZ“ und „NZZ“ zur Hand; und stoppen ausgiebig bei „Schweiz“, „International“, bei den Todesanzeigen und bleiben schliesslich eine Ewigkeit beim „Sport“ hängen. Der Handwerker um 9 Uhr beim „Znüni“ im Restaurant entscheidet sich praktisch ausschliesslich der Sichtung des „Sports“.
Der Rentner um 15 Uhr im Coop-Restaurant wiederum ärgert sich, das der Cafe dort statt 3.25 nun 3.45 kostet und interessiert sich fürs „Wetter“ und das „TV-Programm“ vom Abend.
Der Kulturjournalismus ist nirgends dabei. Der Grund, so finde ich, muss nicht beim „schlechten Journalisten“ gesucht werden, auch nicht bei der Leserschaft = der Grund liegt in den „Darbietungen“ der heutigen Kultur selbst. Ob es Malerei, Kunst, Töne oder Bühne ist. Die Inszenierungen sind so grotesk, werden oft nur noch für sich selbst inszeniert (wieder = Blase) und werden vom Durchschnittsbürger oft nur mit einem Kopfschütteln voller Unverständnis darüber quittiert.
Der Kulturjournalismus wird europaweit verlagert in Kulturblätter, Kulturkanäle oder Webseiten, auf denen – wenn sich die überkanditelten, spleenigen und extravaganten Kulturschaffenden nicht wieder volksnäher geben werden – bald jeder Nutzer (z.B. Radio „SRF2“) per Handschlag begrüsst werden kann.
So wie die früher staatstragenden Landeskirchen mit ihren „Kirchenzetteln“ in den Tageszeitungen ganze Spalten füllten und sich heute quasi zu privaten Minderheitenvereinen wandelten, welche nur noch im „Kirchenboten“ publizieren, dessen Auflage analog zu den Kirchenaustritten abnimmt, so wird der wirren, bizarren, schwarmgeistigen „Kultur 2022“ in den heutigen, für viele schwierigen Zeiten, in den grossen Medien (Print, TV, Radio, WWW) nie mehr eine Beachtung geschenkt werden.
Ob gut oder schlecht ist hier nicht die Frage. Dass die Medien als Abbild dieser Tendenz folge leisten = nur zu normal.
Aber künstlicher Beatmung namens „Kulturmedienförderung“ ist sicher das Letzte, was wir hier vermissen würden.
In diesem Kommentar zum Kommentar finde ich die Situation recht treffend beschrieben. Und darüber hinaus scheint es mir, dass es auch von dem, was als Kultur bezeichnet und vermarktet wird, viel zu viel gibt.
>Doch jeder Musikstil wurde von jedem gehört.
Falsch. Deshalb gibts schon lange keine Volksmusik mehr auf DRS/SRF1, weil Ländler für zu viele Menschen ein Auschschaltgrund ist. Deshalb sind Sender wie Radio24 und DRS3 entstanden. Deshalb gibt es schon seit vielen vielen Jahren Spartensender für Country, Jazz, Blues whatever.
>der wirren, bizarren, schwarmgeistigen „Kultur 2022“
Was ist genau wirr an der Ausstellung «Zerrissene Moderne» im Kunstmuseum? An der Lesung von Martina Clavadetscher im Literaturhaus? Am Adventskonzert des Sinfonieorchesters Basel im Stadtcasiono?
Und dann würde mich noch interessieren, welcher Studie Sie Ihr Wissen vom «normalen» Zeitungsleser entnehmen. Den gibzt es, so wie Sie es beschreiben, nicht. Wenn «normal» eigentlich «durchschnittlich» heisst, dann sitzt dieser Durchschnitt nicht im Café, sondern viel wahrscheinlicher im Pendlerzug oder -Tram, liest «20 Minuten» und ist eine Seconda… Und liest ganz sicher keine Todesanzeigen.
Zur Antwort:
Früher gab es auf Mittelwelle tatsächlich nur ein Programm: Radio Beromünster. Und am Schluss dieser Zeit gabs eben diese Musikstilrichtungs-Differenzen.
Die allererste „Hitparade“ wurde von Christoph Schwegler moderiert: Und dort kam „Monia“ von Peter Holm drin vor (ein Titel, welcher von Chr. Schwegler widerwillig anmoderiert wurde) und gleichzeitig die Beatles (welche Chr. Schwegler genussvoll ansagte). Auch „FM“ – Francoise Mürner (Radiomoderator) kann viel von den unterschiedlichen Stilrichtungen auf dem einen, selben Sender berichten und die daraus entstandenen Verwerfungen. Also es gab durchaus eine Zeit, in welcher alle den selben einen Schweizer Sender lauschten (mussten) – auf Mittelwelle Beromünster.
Zur „Kultur“ heute (und deren Zeitungsabbild): Die „Kunst“, die Kunstschaffenden denken heute in Schachteln. Vom Möbeldesign begonnen, alles kantik, oft schwarz und weiss mit Glas: Weshalb? Weil es „Trend“ ist. Nicht weil sich die Menschen wohlfühlen damit, das ist zweitrangig, nein weil es „modern“ ist. Das selbe bei Architektur und Kunst. Seelenbilder können alles sein. Kitschig oder traurig, kindergartenbunt oder schwarz. Heutige Künstler? Sie malen Klassisches oder Gegenwartskunst. Skulpturen? Entweder man ist in der „abstrakten“ Schublade unterwegs oder in der bildnerischen. Aber einfach mal das Herz öffnen und wirken – und danach schauen was rauskommt = selten.
Das selbe mit Musik: Klassik, Pop, alles in Schubladen. Oft Schubert, Mozart zum millionstenmal repetiv gefiedelt. Man hat „einen Ruf“. Man spielt im „Sinfonie“-Orchester. Millimeter-Kopf-Arbeit.
Wieso nicht mal Seelenmusik? Einfach was tief aus dem Bauch raus. Sinfonie-Verbot…
Intuitiv ein Bild erstellen, auch wenns „doof“ aussieht; an der „Art“ – fast unmöglich. Lachen musste ich beim Designer-Adventskranz einer Basler Boutique. Ein schwarzer Balken mit 4 eingefrästen Löcher: Hier kommen die Kerzen rein. Einfach kopfgesteuert, seelenlos, es muss zur trendigen Dunstabzugshaube passen, aber nicht zum liebevollen Kinderlachen.
Ich erkundigte mich über die von Ihnen erwähnte Zuger Goldküstentochter-Schriftstellerin Martina Clavadetscher. Gerade mit Worten lässt sich viel ausdrücken. Liebe, Nähe, Wärme, die grossen Defizite unserer Zeit ausformulieren. Man könnte so viel geben, erspüren, erfahren lassen, teilen zwischen zwei Buchdeckeln. Aber sollte das Image vergessen, seinen Namen, seinen Ruf vergessen können. Ich schöpfte Hoffnung. Doch solange unsere Literaten (Clavadetscher) folgendes zu Papier bringen:
«Hitze, Regen, beißender Gestank. Iris tigert in Manhattan durch ihr Penthouse und wartet voller Ungeduld auf die nächste Dinnerparty, die ihr wieder ein wenig Leben einhaucht. Ling, angestellt in einer Sexpuppenfabrik im Südosten Chinas, kontrolliert künstliche Frauenkörper auf Herstellungsfehler, bevor sie sich abends bei Filmklassikern in ihre Einsamkeit zurückzieht. Und im alten, düsteren Europa folgt Ada ihren mathematischen Obsessionen, träumt von Berechnungen und neuartigen Maschinen, das Ungeheuerliche stets im Kopf.»
kann ich es getrost (und leider) bei meiner Aussge «elitär», «überheblich», «aufgeblasen» und «präpotent» belassen.
In der Bank: Ein „Christbaum“ aus Trend-Holz. Sieht aus wie eine misslungene Garderobe. Ah – das ist die Weihnachtsdeko. OK – teuer wohl, trendig wohl, aber irgend ein „Mehr“, eine Wärme, ein Geist dahinter = Fehlanzeige. Nichts dahinter. Seelenlos.
Nie würde es der Bank in den Sinn kommen, ein Schlitten mit herzigen Weihnachtsstoffpüppchen aufzustellen. Wo kämen wir den da hin. Zu wenig edel. Kindisch. Doof. Könnte ja Emotionen auslösen. Ungewollt. Und wohl auch zu billig.
In vielen Sundgauer Dörfen erblickt man doch gerade dies. Die Autofahrer drehen den Kopf danach. Ist das süss. Die Kinder bleiben stehen, verzaubert auch die Eltern. Kitschig, bunt und „jolie“ – bei uns sieht man so was nie – die Sundgauer Dörfer pfeifen aufs Trend-Image, bieten dafür ihren Einwohnern was für die Herzen. Fürs Herzen-Öffnen. Heim. Heimat. Liebe. Wärme. „Chapeau“!
Bei uns: Rostige Weihnachtseisen-Figuren. Potthässlich. Aber im Trend-Katalog auf Seite 1. Nur keine Blösse geben bei der künstlerischen Gestaltung. Schauen was die anderen Gemeinden machen. Ansprechendes, schönes, gemüt-liches = Wo kämen wir denn da hin.
Die Zeitung spiegelt die Kultur, die KULTUR spiegelt die Gesellschaft, die Gesellschaft unsere Zeit.
Allesamt sind sie kaputt.
Mit wenigen Ausnahmen. Ausnahmen mit Herz und Sinn. Verschüttet von einer dicken Schicht Ego, Selbstdarstellung und Maulheldentum. Unsere Adventszeit. Eine leere inhaltslose Hülle. Adventssinn. Doch der kennt ja auch niemand mehr….
Dort hinschauen, wo’s unter der Oberfläche von Glanz und Gloria alltäglich und handfest konkret in unserer Welt wahrhaftig und wirklich schrecklich ist, wollen nur wenige … auch ich selber nur selten … und dies auch dann nicht, wenn ich weiss: daran führt in Tat und Wahrheit kein Weg vorbei.