Wir brauchen einen Artikel über Informationssicherheit in der Verfassung

Publiziert am 1. Juni 2018 von Matthias Zehnder

Verschwörungstheorien, Hexenjagden – manchmal kommt man sich derzeit vor wie im Mittelalter. Seit der Aufklärung war unsere Gesellschaft von Vernunft geprägt. Doch plötzlich zählen Gefühle mehr als harte Fakten. Und das ist erst der Anfang. Denn die Lügen und Fake News gedeihen da besonders gut, wo Menschen schlecht informiert sind. Für gute Information könnten starke Medien sorgen – aber die Medien schwächeln. Ihr Geschäftsmodell ist kaputt. Es ist Zeit, dass die Schweiz ihre Medien ähnlich gut behandelt wie die Landwirtschaft: Wir brauchen analog zum Artikel 104a über Ernährungssicherheit einen Artikel über Informationssicherheit in der Verfassung!

In den USA kursiert eine neue Verschwörungstheorie: Das FBI habe im amerikanischen Wahlkampf einen Spion auf Donald Trump angesetzt. Dass das Mumpitz ist, sagen sogar konservative Republikaner wie Trey Gowdy aus South Carolina. Gowdy ist nicht irgendein Hinterbänkler, sondern Mitglied im House Intelligence Committee und Vorsitzender des House Oversight Committee. Er ist einer der wenigen Politiker, die Einblick hatten in die FBI-Untersuchung. Er sagt: Das FBI hat die Interessen der USA verteidigt, als es 2016 die Trump-Kampagne genauer anschaute. Das habe mit Trump nichts zu tun gehabt, sondern mit zwielichtigen Russland-Kontakten einiger seiner Mitarbeiter.[1]

Doch Trump-Wähler lassen sich durch so vernünftige Worte nicht beirren. Sie glauben an eine Hexenjagd und an «Spygate», an einen «Deep State», der die wahre Macht im Lande habe, und an eine Verschwörung von FBI, Justizorganen und Demokraten. Das ist kein Wunder: Schliesslich hämmert ihnen Präsident Donald Trump höchstselbst das jeden Tag in Dutzenden von Tweets ein. Und wenn der mächtigste Mann der Welt sich nicht um Fakten kümmert, sondern ganz ungeniert «alternative» Fakten präsentiert – warum sollen sich seine Wähler um die Wahrheit kümmern?

Auf der Suche nach einfachen Erklärungen

Donald Trumps Hexenjagd ist eine klassische Verschwörungstheorie: Solche Verschwörungstheorien behaupten, dass eine geheime Gruppe, eben: die Verschwörer, daran arbeitet, ein Land oder sogar die ganze Welt unter Kontrolle zu bringen. In seinem neuen Buch über Verschwörungstheorien «Nichts ist, wie es scheint»[2] schreibt Michael Butter, im Gegensatz zu realen Verschwörungen seien Verschwörungstheorien fast immer viel umfassender und ambitionierter. Eine Verschwörungstheorie imaginiere unmöglich zu realisierende Komplotte, während tatsächliche Verschwörungen in ihrer Wirkung oft sehr begrenzt sind. Roger Schawinski schreibt in seinem neuen Buch «Verschwörung!»,[3] in einer immer komplexeren Gegenwart suche man nach einfachen Erklärungen, die den oft nicht aufschlüsselbaren Ereignissen einen Sinn ergeben. Das untrügliche Merkmal von Verschwörungstheorien sei es, dass sie absolute und letztgültige Antworten auf komplexe Fragen anbieten. Das macht solche Theorien besonders attraktiv.

Dass im Mittelalter Verschwörungstheorien Hochkonjunktur hatten, ist nachvollziehbar. Wie, wenn nicht mit Hexenwerk, liessen sich Frost im Mai oder Stecknadeln im Bauch des Kindes erklären? Doch dann kam die Aufklärung, die auf Französisch so schön «Siècle des Lumières» heisst. Sie brachte das helle Licht der Ratio in die Welt der dunklen Ängste. Mit scharfem Verstand und Naturwissenschaften kämpften die Aufklärer gegen Vorurteile und Gewohnheiten. Und jetzt, rund 300 Jahre später, soll dieser Aufklärung, dieser kühlen Kraft des Verstandes, plötzlich der Saft ausgehen?

Hexenküche Internet

Aus zwei Gründen spielt das Internet eine wichtige Rolle für den Aufschwung von Lügen, Fake News und Verschwörungstheorien. Erstens gibt es, anders als bei klassischen Medien, im Internet keine Redaktion, die für die Einhaltung von Minimalstandards sorgt. Online kann man alles veröffentlichen. Es gibt für die abstrusesten Interessen Webseiten. Vom Holocaust-Leugner über Windelfetischisten bis zu den Pastafariern, die einen Gott in Form eines fliegenden Nudelmonsters verehren,[4] können im Internet alle ihre Inhalte veröffentlichen.

Zweitens ist das Internet ein globales Medium. Das Netz ermöglicht es, ohne Aufwand die Anhänger einer Theorie zu versammeln, auch wenn diese dünn gesät und auf die ganze Welt verteilt sind. Das bedeutet, dass jeder Anhänger einer auch noch so abgefahrenen Theorie online Gleichgesinnte findet. Und Gleichgesinnte machen stark und sicher. Dazu kommt, dass vor allem die sozialen Netzwerke, zum Teil aber auch die Suchmaschine Google, die angezeigten Inhalte so auswählen, dass die Anklick-Wahrscheinlichkeit möglichst gross ist. Und die steigt, je eher die Benutzer mit dem Inhalt einverstanden sind. So kommt es zu den so genannten Filterblasen: Mit der Zeit sehen Nutzer von Facebook oder Google nur noch jene Inhalte, die sie in ihren Ansichten bestätigen – ganz egal, ob sie glauben, Gott sei ein Spaghettimonster, die Flüchtlingswelle sei von Angela Merkel organisiert oder die Welt werde heimlich von Reptilien regiert.

Jeder Internetbenutzer ein kleiner Erdogan

Auf diese Weise wird mit der Zeit jeder Internetbenutzer zu einem kleinen Erdogan: Er lebt wie ein Sultan in seinem ganz persönlichen Internetpalast und hört und sieht nur noch, was er sehen und hören will. Unangenehme Wahrheiten werden ausgeblendet, wie beim realen Erdogan derzeit Wirtschaftsnachrichten und Informationen über die türkische Lira.[5] Wahr ist nicht mehr, was zutrifft, sondern was ins eigene Weltbild passt. Donald Trump erklärt deshalb unerwünschte Nachrichten zu «Fake News», und seine Sprecherin Kellyanne Conway erklärt, ohne rot zu werden, Trumps lächerliche Behauptungen zu «Alternativen Fakten».

Die Balken in den Augen der Amerikaner zu beklagen, ist natürlich einfach. Aber auch in der Schweiz haben immer mehr Politiker zumindest Splitter im Gesicht. Die SVP zum Beispiel kennt für alle Übel in der Schweiz eigentlich nur zwei Ursachen: die Migration und die EU. Am anderen politischen Spektrum haust das Böse grundsätzlich auf den Teppichetagen multinationaler Konzerne. Weil sich beide Seiten dank Internet immer mehr in ihre Filterblase zurückziehen können, verstärken sich auch in der Schweiz die Gegensätze – und die Unversöhnlichkeit der politischen Lager.

Abhilfe schaffen starke Medien

Es gibt etwas, das den virtuellen Sultanpalast sprengen, die Filterblase aufstechen und die Fake News entlarven kann: starke Medien. Das müssen Medien sein, welche die ganze Gesellschaft erreichen. Sie müssen so breit rezipiert (und akzeptiert) werden, dass auch unangenehme Wahrheiten ankommen. Sie müssen so wichtig sein, dass sie ernst genommen werden. Sie müssen so neutral sein, dass sie glaubwürdig sind – und so bissig und griffig, dass sie aufdecken können. Das Problem ist nur: In der Schweiz erfüllen nur noch die Sender der SRG diese Kriterien. Die privaten Medien, insbesondere die gedruckten Zeitungen, sind geschwächt, weil ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Die Folge ist auch in der Schweiz eine stärker werdende Newsdeprivierung – also eine Art um sich greifende, mediale Verwahrlosung.

Das sollten endlich auch unsere Politiker begreifen, die nicht zögern, der Landwirtschaft mit Milliarden unter die Arme zu greifen und sie vor Konkurrenz aus dem Ausland mit Zöllen und Importverboten zu schützen: In einer direkten Demokratie ist die mediale Landesversorgung mindestens so wichtig wie die Versorgung mit Lebensmitteln. Anders als bei Huhn, Rind, Kartoffeln und Weizen gibt es in Sachen Medien (ausser bei Unterhaltung) kaum Möglichkeiten, das fehlende Angebot im Inland durch Importe auszugleichen. Die Politik muss endlich begreifen, dass nicht die SRG schuld ist daran, dass die Zeitungen kein Geld mehr verdienen. Das Geschäftsmodell der Zeitungen ist mausetot – auch wenn es in der Schweiz keine SRG mehr gäbe, würden die Zeitungen kein Geld mehr verdienen.

Informationssicherheit in der Verfassung

Die Schweiz braucht deshalb, analog zum Artikel 104a über Ernährungssicherheit,[6] einen Artikel über Informationssicherheit in der Verfassung. Und so könnte dieser Artikel aussehen:

Informationssicherheit: Zur Sicherstellung der medialen Versorgung der Bevölkerung mit Informationen schafft der Bund Voraussetzungen für:

  1. die Sicherung der Grundlagen für die mediale Produktion, insbesondere von Informationsmedien;
  2. eine den Regionen und den Landesteilen verpflichtete Nachrichtenproduktion;
  3. eine auf den Markt ausgerichtete Medien- und Informationswirtschaft;
  4. grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Entwicklung der Medien in der Schweiz beitragen;
  5. einen wahrheitsgemässen Umgang mit Informationen.

Sagen Sie mir nicht, dann schreibe der Staat vor, was in den Zeitungen zu stehen habe. Oder hatten Sie je das Gefühl, indem der Staat Milliarden in die Landwirtschaft pumpt, schreibe er Ihnen vor, was auf Ihrem Frühstückstisch zu stehen hat? Eben. Ich propagiere hiermit einen Verfassungsartikel über Informationssicherheit, weil einheimische Nachrichten in einer Demokratie wichtiger sind als einheimische Eier. Machen Sie mit?

Basel, 1. Juni 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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[1] Vgl. https://www.washingtonpost.com/opinions/trey-gowdy-separates-himself-from-his-weakling-republican-colleagues/2018/05/30/80296b7e-643c-11e8-99d2-0d678ec08c2f_story.html?noredirect=on&utm_term=.dfc72d4ee471

[2] Michael Butter: «Nichts ist, wie es scheint.» Über Verschwörungstheorien. Edition Suhrkamp 7360, 240 Seiten, 26.50 Franken; ISBN 978-3-518-07360-5

[3] Roger Schawinski: Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt. NZZ Libro, 200 Seiten, 29 Franken; ISBN 978-3-03810-327-1

[4] Vgl. http://www.pastafarianismus.de/

[5] Vgl. https://www.nzz.ch/meinung/die-schwache-lira-ist-staerker-als-erdogan-ld.1390634

[6] Vgl. https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html#a104a

4 Kommentare zu "Wir brauchen einen Artikel über Informationssicherheit in der Verfassung"

  1. Grundsätzlich bin ich dagegen, dass die Verfassungstexte, die Regelwerke und die Ordnungsbibeln vom Staat immer dicker werden. Es gibt ja z.B. das gesetzliche Sachgerechtigkeitsgebot…
    Doch das reicht bei der heutigen Struktur unserer Medien anscheinend nicht mehr. Deshalb würde mich die Idee, die „Informationssicherheit“ in die Verfassung zu schreiben, persönlich erfreuen. Vorbei wär es mit „Verdrehungsjournalismus“ (wenn in einer Gemeinde z.B. die SVP und die CVP je einen Sitz verlieren, wird bloss gross getitelt, mit der SVP geht es bachab – und die CVP wird käumlich erwähnt, die Realität eben „verdreht“ (BZ-Basel von letzthin), mit „Weglassungsjournalismus“ (nur das negative z.B. der SVP-Selbstbestimmungsinitiative wird mantraatig wiederholt, die positiven Aspekte „weggelassen“ (SRF-Radio von immer). Oder mit bewusst gestreuter Falschinformation, um Abstimmungen ideologisch zu beeinflussen wie am Schweizer Radio SRF , welches am 2. Mai 2017 einen einseitigen und unausgewogenen Beitrag zur Abstimmung über das Energiegesetz ausstrahlte. Die Kosten für die Energiewende könnten nicht klar beziffert werden, aber die Aussage der Gegner des Energiegesetzes, die Energiestrategie koste für einen vierköpfigen Haushalt CHF 3’200 pro Jahr, sei sicher falsch. Im Beitrag wird behauptet, die Vorlage für einen Verfassungsartikel über ein Klima- und Energielenkungssystem KELS, welche gemäss Botschaft eine Erhöhung der Abgaben auf Strom (+3 Rp. pro kWh), Heizöl (+67 Rp./Liter) und Benzin (+26 Rp./Liter) bringen würde, sei vom Parlament bereits „versenkt“ worden. Dies war beweisbar falsch.
    Somit verstiess der Beitrag von Radio SRF klar gegen das im Radio- und Fernsehgesetz festgehaltene Sachgerechtigkeitsgebot, dass (siehe oben) jedoch im „Heute“ nicht mehr ausreicht. SRF und Co. stellte damit eine offensichtlich parteiische Berichterstattung dar, welche gerade im Hinblick auf eine Volksabstimmung unhaltbar war.
    „Informationssicherheit“ in der Verfassung, um das Kernthema wieder aufzugreifen, würde solche Beschwerdeübungen, wie sie in dem „Energiefall“ vom Komitee gegen das Energiegesetz und die SVP gemacht wurden, das heisst konkret welche sich nun also aktiv wehren müssen mit einer Beschwerde bei der Ombudsstelle gegen solche «Fake News» des zwangsgebührenfinanzierten Staatsradios, würden dann obsolet.
    „Informationssicherheit“ in der Verfassung: Für mich klingt dies nach „fertig-mit-linksideologischem-Journalismus“ (=in diesem Falle besonders schlimm=Staatsjournalismus), nach „mehr ausgewogen“, nach „mehr wahr, wahrer, am wahrsten“….
    Und sodann schlussendlich wird mir in diesem Sinne auch Hr. Zehnder immer sympathischer.

  2. Gruss.Zweidler liegt nicht falsch, wenn ihm m.z. immer sympathischer wird. Er beginnt zu begreifen, dass die Freiheit, von der er träumt, von Menschen mit dieser Grundhaltung von m.z. letztlich verteidigt und realisiert wird.
    Hans Gino Suter.

  3. Erst gerade wurde die Vision eines Internets ohne Leitplanken und zensurverdächtige Regeln beschworen, und jetzt das? Oder zählt das Internet jetzt plötzlich nicht mehr zu den Medien?
    Wie bereits erwähnt bin sehr dafür, Regeln aufzustellen, überall wo Unwahrheit verbreitet wird, Beleidigung, Ausgrenzung, Aggression und Subversion stattfinden. Ich wäre sofort dafür, alle Medien, auch die elektronischen, per Gesetz zu verpflichten, die wahren Identitäten der Autoren, Blogger etc. preiszugeben.
    Was aber bitte soll ein Artikel in der Bundesverfassung bewirken und wer um Himmelswillen soll diesem Artikel Nachachtung verschaffen. Seit eh und jeh steht da geschrieben:“Jeder sei vor dem Gesetz gleich!“ In Gottes Namen vielleicht. Ebenso haben wir, ich glaube seit 20 Jahren, einen Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung und sogar ein Gleichstellungs-Bundesgesetz. Was haben diese Regelungen bewirkt? Mangels Verfassungsgericht sind wir Schweizer nicht einmal in der Lage, der Verfassung Nachachtung zu verschaffen. Es ist unseren Parlamenten, aber auch dem Volk sogar möglich Gesetze zu erlassen und zu bestätigen, welche der Verfassung widersprechen.
    Herr Zehnder spricht die Bauern an, welche zugegeben erkläckliche Summen an Subventionen erhalten. Trotzdem scheint die Landwirtschaft nicht zu funktionieren. Jahrlich verschwinden hunderte Betriebe, insbesondere Kleinbetriebe, weil nach wie vor das Geld in die falschen Hände gelangt, zu den Grossen, welche nach wie vor unrentable Milchwirtschaft betreiben, Masse statt Qualität!
    Subventionen an die Medien würden ebenso den Grossen zugespielt, den lauten und dem Boulevard.
    Wie soll man sich die Kontrolle des guten Journalismus‘ vorstellen? Ich weiss es nicht. Der sogenannt mündige Bürger scheint den guten Journalismus nicht mehr kaufen zu wollen, sobald er vermeindlich etwas gratis erhält.

  4. In diesem Wochenkommentar scheint mir der Sinn und Zweck einer sogenannten Informationssicherheit an sich trefflich beschrieben. Allerdings dürfte sich ihre Wirkung in engen Grenzen halten, wenn ein Kollektiv mehrheitlich eigentlich vor allem nur wissen will, wie sich die Gier nach Herrschaft und/oder Luxus noch besser befriedigen lässt.

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