Wilhelm Tell und der Egoismus
Der Slogan von Donald Trump heisst «America first!», bei Marine Le Pen heisst es «La France d’abord!» und die Auns trompetet «Zuerst die Schweiz!». Diese Woche hat das Baselbiet in den Chor der Egoisten eingestimmt und will zuallererst an sich selbst denken. Natürlich kann das alles nicht aufgehen – schon gar nicht in der vernetzten Welt von heute.
Der Starke ist am mächtigsten allein. Dieser Satz, gesprochen von Wilhelm Tell in Friedrich Schillers gleichnamigem Drama, ist derzeit in Basel auf der Bühne zu hören: Das Theater Basel gibt den «Tell» in einer faszinierenden Inszenierung von Stefan Bachmann, in der Schillers Sprachmacht jede Heimattümelei schon im Ansatz zertrümmert.
Der Starke ist am mächtigsten allein. Ein gefährlicher Satz. Politiker verwandeln ihn zu einem verführerischen Gift, indem sie die Kausalitäten umdrehen: Wenn der Starke allein am mächtigsten ist, dann lasst uns alleine gehen und damit beweisen, dass wir stark sind. So agitiert im Moment Donald Trump. Er will Amerika great again machen, er setzt auf America first! und behandelt Verbündete wie Bedienstete. Denn, Sie ahnen es: Der Starke ist am mächtigsten allein.
La France d’abord
In Frankreich versucht Marine Le Pen in die Fussstapfen von Donald Trump zu treten. Nach dem Vorbild des US-Präsidenten hat sie ein Wahlprogramm unter dem Motto «La France d’abord» präsentiert: Frankreich zuerst. Sie will aus der EU austreten, der Nato den Rücken zudrehen und Frankreichs Grenzen wieder hochziehen. Das Motto, Sie ahnen es: Der Starke ist am mächtigsten allein.
144 Punkte hat das Wahlversprechen von Marine Le Pen. Es ist eine Mischung aus Nationalismus und Protektionismus, ergänzt um Staatsinterventionen in der Wirtschaft und einen starken Sicherheitsapparat. Marine Le Pen will vor allem die Globalisierung zurückdrehen. Sie will ein tieferes Rentenalter und bessere Sozialleistungen, scharfe Grenzkontrollen und mehr Polizisten. Und sie will den Franc Français zurück. Wie sie das alles bezahlen will, bleibt ihr Geheimnis.
Deutschland zuerst
Der Starke ist am mächtigsten allein. So direkt sagt das die Alternative für Deutschland AfD nicht. Mindestens in ihren offiziellen Papieren ist die Partei vorsichtiger. Da ist die Rede von einem Europa der Vaterländer. Materiell unterscheiden sich die Positionen der AfD nicht von jenen des Front National: Austritt aus dem Euro und der EU, Rückkehr zu einem starken Nationalstaat.
Anders als der Front National will die AfD den Wohlfahrtsstaat nicht ausbauen und strebt keinen wirtschaftlichen Protektionismus an. Das Programm der AfD ist vielmehr neoliberal und erinnert eher an die SVP in der Schweiz. Trotzdem (und das ist eigentlich erstaunlich) gelingt es der AfD, jene Deutsche anzusprechen, die sich von der (neoliberalen) Globalisierung bedroht fühlen und die für sich (oder für ihre Kinder) keine Aufstiegschancen mehr sehen. Ihnen verspricht die AfD (nicht wörtlich, aber sinngemäss): Deutschland zuerst!
Zuerst das Baselbiet
«Zuerst die Schweiz!» trompetet hierzulande die Auns, die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz. Die Aussenpolitik nach dem Motto «Wir sind von Freunden umgeben» gehört in die Mottenkiste. Die Schweiz hat Interessen zu verteidigen. Die Schweiz, Sie ahnen es, ist stark und Der Starke ist am mächtigsten allein.
«Zuerst das Baselbiet» trötete es diese Woche im Landrat des Kantons Basel-Landschaft. Weil der Kanton grad klamm ist, will er bei der Uni sparen. Und bei der Kultur. Beides findet bequemerweise im Kanton Basel-Stadt statt. Und das Baselbiet denkt jetzt zuerst mal an sich selbst und an die eigene Staatskasse. Tells Satz Der Starke ist am mächtigsten allein lässt sich auf das Baselbiet beim besten Willen nicht anwenden. Stark ist das Baselbiet allenfalls als Teil einer starken Region. Und das Zentrum dieser Region ist nun einmal die Stadt Basel, ob sie das in Liestal (14’079 Einwohner) nun wollen oder nicht.
Schon lange keinen Atlas mehr gesehen
Aber auch Basel ist allein nicht stark. Die Stadt mag von Liestal aus riesig erscheinen. Basel ist mehr als zwölfmal so gross wie Liestal. Die Stadt hat mit Matthäus, Iselin, St. Johann und Gundeldingen vier Quartiere, die einzeln grösser sind, als der Kantonshauptort des Landkantons. Aber auch die Stadt Basel ist ein Winzling. Läge die Stadt in Deutschland, würde sie nach der Zahl der Einwohner den Rang 44 einnehmen – hinter Saarbrücken (178’151 Einwohner) und vor Mülheim an der Ruhr (169’278 Einwohner). Die Stadt Hamburg etwa ist zehnmal so gross wie Basel. Nein, auch Basel kommt allein nicht weit.
Und so geht es auch der Schweiz. Deutschland hat zehnmal so viele Einwohner. Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg sind für sich genommen (deutlich) grösser als die Schweiz, Niedersachsen hat etwa gleich viele Einwohner. Wer angesichts dieser Grössenverhältnisse «Zuerst die Schweiz!» trompetet und von echter Unabhängigkeit redet, hat schon lange keinen Atlas mehr zur Hand genommen.
Eigenbrötler Tell
Und was ist mit Schiller, seinem Wilhelm Tell und dem Satz Der Starke ist am mächtigsten allein? Wer diesen Satz als Motto zitiert, versteht den «Tell» schlicht falsch. Denn zu Beginn des Stücks wird Tell als Eigenbrötler vorgestellt, der nichts zu tun haben will mit der gemeinsamen Sache. Stauffacher will ihn für den Aufstand gegen die Vögte rekrutieren, doch Tell wimmelt ihn ab: Ein jeder lebe still bei sich daheim, Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.
Stauffacher lässt das nicht auf sich beruhen und wirbt weiter: Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden. Doch Tell lehnt ab: Beim Schiffbruch hilft der einzelne sich leichter. Stauffacher ist entsetzt: So kalt verlasst ihr die gemeine Sache? Tell doppelt nach: Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst. Stauffacher lässt nicht locker: Verbunden werden auch die Schwachen mächtig. Doch Tell zeigt ihm die kalte Schulter (jetzt kommts): Der Starke ist am mächtigsten allein.
Tell will also nichts von der gemeinsamen Sache wissen und will sich weiter ungestört seiner Familie und der Jagd widmen. Doch das geht gründlich schief. Er wird hineingezogen in die Politik. Er beugt sich nicht vor Gesslers Hut auf der Stange, wird zum Tellenschuss gezwungen, des zweiten Pfeils wegen in Haft gesetzt, flüchtet – und ermordet den Tyrannen. Das Stück widerlegt mit anderen Worten Tells Satz vom Starken, der mächtig ist, wenn er allein bleibt. Das Stück führt vor Augen, dass es in der Welt nicht möglich ist, allein zu bleiben. Selbst Eigenbrötler Tell wird hineingezogen in den Konflikt.
Der Mensch in seinem Wahn
Auch Frankreich, Deutschland und Grossbritannien können sich in der heutigen Welt nicht abschotten und nur auf den eigenen Vorteil schauen. Selbst den USA wird das nicht gelingen – der winzigen Schweiz schon gar nicht. Als Hauptgrund wird gerne die Globalisierung ins Feld geführt. Doch die ist nicht die Ursache dafür, sondern selbst die Folge davon, dass kein Land mehr nur für sich schauen kann. In der digitalen Welt geht das schon gar nicht.
Nein, weder auf Ebene der Nationen, noch der Regionen führt Egoismus weit. Im besten Fall (siehe Universität Basel) verschenken wir mutwillig grosse Chancen, im schlimmsten Fall löst Egoismus (bzw. Nationalismus) Krisen oder gar Kriege aus. Leider hilft Logik kaum. Wie schreibt Schiller im «Lied von der Glocke»: Jedoch der schrecklichste der Schrecken, Das ist der Mensch in seinem Wahn. Wir müssen nicht grad ein einzig Volk von Brüdern werden, aber gewahr werden, dass Raub begeht am allgemeinen Gut, Wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache. Wie Stauffacher sagt: Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden.
5 Kommentare zu "Wilhelm Tell und der Egoismus"
Ganz herzlichen Dank, diese Schullektüre in Erinnerung zu rufen!
„In der globalisierten Welt geht das SCHON GAR NICHT!“ Welch absolutistische Töne wir aus dieser Wochenschrift vernehmen… So und nicht anders sei es, die EU hat verlauten lassen; Fr. Merkel hat für Europa verfügt. Tiefstes Mittelalter; so klingt Monarchie. Doch die leitende Elite ist schlau. Sie erlässt ihre derben Diktate nicht einfach so plump auf das maulzuhaltende Volk; ein Teil der wählenden Trolle könnte ja weiterdenken und dahinterkommen…. Schnell schiebt man aus der Brüsseler Machtzentrale, aus dem Reichstag in Berlin und wo sonst noch überall die abgehobenen, schon längst vom Volk getrennten Zampanos sitzen, welche allesamt der Grossmannssucht verfallen sind, ein barmherziges, zuckersüsses „Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden“ nach.
Attribute wie „gemeinsam“, „zusammenstehen“, „die grosse globale Welt-Familie“ usw. tönen nie falsch und machen sich stets gut.
Lange Zeit glaubte das Volk den irreführenden Phrasendrescher, welche aus Absicht oder aus purer Schwarmgeisterei den normalen Einwohner solche Märchen (=schöneres Wort für Lügen) auftischten.
Doch wir schreiben das Jahr 2017 und das Volk ist nicht „blöder“ geworden (verzeihung ob des niederen Ausdruckes, ich verwende ansonsten nie „blöd“ und „dumm“ – kein Mensch, ja kein Lebewesen ist dies – entnahm denselbigen aber mehrmals aus diversen dt. Leitmedien wie „Spiegel“, „Bild“ und Konsorten…) – nein im Gegenteil; Good News!! Das Volk wurde und wird als wie mehr eigenständig im Denken, im Handeln, es versteht die Zusammenhänge des Grossgeldadels und die an ihrem Tropf hängenden „Regierungen“, durchschaut die Multiweltkonzerne (Global Players), für die Arbeitnehmerentlassungen und Fabrikschliessungen, Gewinnmaximierung und Börsencraches wie der Name schon sagt, bloss ein Spiel sind. Regierende und Topmanager kommen mit goldenen Fallschirmen (Abfindungen und Renten auf Lebzeit in Millionenhöhen) immer fein raus, währenddessen die normalen Angestellten und ihre Familen finaziell, psychisch und physisch dem Ruin zu treiben.
Eigenständig im Umdenken – keine Epoche ist in Stein gemeisselt. Denken wir an das Ancien Régime, es ging unter. Denken wir an die Griechische Hochkultur, sie hatte ihre bestimmte Zeit. Denken wir an die 68er-Zeit, auch sie hatte ihr Verfalldatum. Wenn man also in die Vergangenheit blickt, kann auch der EU/Global-World-Epoche durchaus einmal ein Ende nahen. Denken – Durchschauen – Hinterfragen, das sollte erlaubt sein dürfen. „Das-geht-schon-gar-nicht“-Denken war gestern. Alle Wege sollen sein dürfen, um aus der MISERE (die bei der einfachen Bevölkerung – der Mehrheit – schon lange ankam/bei der geistigen und hochgesellschaftlichen Elite mit Häusern, Aktien, Eigentum und grossen Bankkonten logischerweise noch nicht), in welcher Europa und die Welt steckt, herauszufinden.
Und sei dies auch wieder der Weg des eigenständigen Nationalstaates, mit eigener Steuerung der Zuwanderung vom Volk, Grundwerte jedes Landes, welche nicht nur der Wirtschaft überlassen werden dürfen. Denn Wirtschaftskapitäne müssen für die eigenen Unternehmen denken, Politiker müssen fürs Gemeinwohl denken. Eigene Richter, eigene Gesetze, massgeschneidert zugeschnitten auf die eigenen Bedürfnisse. Freudnachbarschaftliche Beziehungen mit klaren Grenzen. Die jetzigen Politiker, mit wenigen Ausnahmen, nehmen diese klar definierten Aufgaben nicht wahr. Weil es bequemer ist, sich zu arrangieren. Weil es spannender ist, nach Bruxelles an ein Meeting zu jetten als in Bundeshauskommissionen Knochenarbeit zu leisten. Weil sie es höher werten, auf dem internationalen Parkett geliebt (und geküsst) zu werden, als im Mehrzweckgebäude in Walterswil oder Unterlangenegg den eigenen Leuten ins Gesicht zu sehen.
Die Bevölkerung der Schweiz und Europas lässt sich nicht mehr länger über den Tisch ziehen, folgt nicht mehr wie Lemminge den Führern und Medien (gottlob) und lässt sich auch nicht mehr von hochdotierten Alleswisser wie z.B. Rolf Weder (Professor für Aussenwirtschaft und Europäische Integration an der Universität Basel) verunsichern.
Denn denen ihre Löhne, denen ihr Rentenalter ist sicher. Sie reden von Globalisierungsjobs, sitzen selbst jedoch auf dem Beamtenstatus. Reden von „Flexibilität an den Tag legen“, haben jedoch den strukturiertesten Tagesablauf ever – von uns Steuerzahlern berappt. Wein trinken und Wasser predigen. Links reden und rechts leben… Wiedersprüche und Ungereimtheiten – unsere Eliten strotzen nur so davon.
Nicht nur der dumme Th. Zweidler sieht dies so – auch SP-Urgestein Dr. Jean Ziegler, welcher nun wahrlich weise ist und Durchblick hat, geisselt das Globale. Seine gescheiten Bücher zu lesen (es gibt mehrere davon) lohnt!
„Die Bedrohung der Umwelt durch die Globalisierung“ wäre ein weiteres leidiges Thema, das jedoch den Rahmen hier sprengen würde. (Das Meer, die Vögel, die Luft, die Tiere haben keine Lobby.) Dr. Johannes Bickel (D) verfasste darüber alarmierende Studien.
Die neuen Kräfte (Le Pen, AfD, aber auch Beppe Grillo usw.) sind Alternativen. Da die Regierenden kein „Muggeseggeli“ von ihren Positionen abrücken, um keinen Deut von ihrer Macht und dem angesehenen Leben abgeben zu müssen und von Alternativen auch gar nichts wissen wollen. Gebetsmühlenartig (oder sagt man heute im trendigen Buddha-Mode-Slang eher mantraartig) heisst es z.B.: „Die EU ist alternativlos“.
Wenn dies so weitergeht passt besser „a u s s i c h t s l o s“.
Schade, dass Schiller nicht den Satz «Der Dumme ist am dümmsten allein.» geschrieben hat. Er würde beispielsweise zum Verhalten der politisch Verantwortlichen der beiden Basler Halbkantone passen. «Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden.» wäre die bessere Option. Auch wenn dieser Satz einen engstirnigen oder/und nationalistitischen Haken hat. Weil er oft im Sinne von «Wir gegen die andern» gedacht und verwendet wird.
In meinem Gymnasium in England habe ich in der Literaturstunde vor 60 Jahren dies gelernt: ‚No man is an Island‘, kein Mensch ist eine Insel (Alexander Pope). Er schrieb weiter, Frage nicht, für wen die Totenglocke schlägt, sie schlägt für dich.
Das Alleingehenwollen ist nur eine gefährliche, und, wie Herr Zehnder zeigt, eigentlich sinnlose Modeerscheinung. Ob Baselbiet oder (nicht mehr) Vereinigten Staaten, Grossbritannien oder Frankreich, Schwäche führt zu Aengsten, Aengste machen trotzig und grob. Meine Generation hat gesehen, wohin das führt. Seit etlichen Jahren nun Baselbieter, sehe ich in dem neuen Alleingehen, ob Brexit oder ‚Baselbiet bleibt selbstständig‘, nur Untergang und Wertverlust. Trump macht die USA nicht gross, sondern lächerlich. Demut und Zusammenziehen wären dringend erwünscht.
Frauke Petry, Marine Le Pen, Geert Wilders, Matteo Salvini, Europas Rechtspopulisten trafen sich im Januar 2017 in Koblenz zu einem gemeinsamen Kongress …
Von wegen „Der Starke ist am mächtigsten allein“
… Es scheint mir, die Nationalisten verhalten sich ziemlich europäisch.