Wieviel Macht verträgt das Volk?

Publiziert am 2. November 2018 von Matthias Zehnder

Die Selbstbestimmungsinitiative der SVP will der Stimmbevölkerung in der Schweiz das letzte Wort und damit alle Macht geben. Die Partei sagt, die Initiative sorge dafür, dass auch in Zukunft das Volk über sich selber bestimmen könne. Doch Demokratie heisst nicht einfach: alle Macht dem Volk. Eine Demokratie besteht aus Institutionen und mehreren Mächten, die sich gegenseitig kontrollieren. Dazu gehören auch die Medien. Gedanken zu Demokratie und Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter.

Das Volk soll in der Schweiz das letzte Wort haben. Das fordert die SVP mit ihrer Selbstbestimmungsinitiative. Auf der Website für die Initiative[1] schreibt die Partei, es gehe darum, dass Bürgerinnen und Bürger bestimmen und Volksentscheide gelten müssten, denn die Selbstbestimmung sei gefährdet, deshalb müsse man die direkte Demokratie schützen. An Veranstaltungen erklären Partei-Exponenten wie Magdalena-Martullo Blocher, es gehe um das Volk. SVP-Politiker sprechen dabei das Wort «Volk» gerne so aus, als schreibe es sich mit «ck»: Es geht ums «Volck».

Also: Alle Macht dem Volk. Es soll abstimmen dürfen, was es will und sich dabei nicht von Verträgen einschränken lassen, welche die Schweiz bereits abgeschlossen hat. Es gibt genügend Untersuchungen und Argumente darüber, wie gefährlich das sein könnte.[2] Die Initiative will nicht nur die Verfassung als oberste Rechtsquelle festschreiben. Sie will vor allem einen starren Mechanismus einführen, der dazu führt, dass bestimmte internationale Verträge gekündigt werden müssen. Die Initiative würde zudem dazu führen, dass die Schweiz gewisse Verträge nicht mehr einhält.[3]

Die Juristerei überlasse ich gerne den Juristen. Was mich an dem Getöse über die Macht des Volkes, die direkte Demokratie und die Selbstbestimmung über diese Fragen hinaus interessiert, sind die grundsätzlichen Fragen, die sich mir stellen, wenn ich den SVP-Exponenten zuhöre. Es sind im Wesentlichen drei Fragen:

  • Wer ist eigentlich dieses Volk, das da bestimmen soll?
  • Von was sprechen wir, wenn es um die direkte Demokratie geht?
  • Was heisst Selbstbestimmung genau?

Schauen wir uns diese drei Fragen also etwas genauer an.

Wer ist eigentlich dieses Volk?

«Wir sind das Volk!» Die Rufe der DDR-Bevölkerung haben wir noch alle in den Ohren. Sie richteten sich gegen die Machtelite in der DDR und waren so stark, dass diese Elite im Oktober 1989 weggefegt wurde. Auf den Bildern dieses Herbstes in der DDR ist das Volk zu sehen: Es sind Tausende von Menschen, die friedlich auf den Strassen von Leipzig demonstrieren. Eine gleichberechtigte Menge von Arbeiterinnen und Arbeitern, von Intellektuellen und Ungebildeten, von Angestellten und Arbeitslosen, von Studentinnen, Studenten und Rentnern. So stellen wir uns das Volk vor. Doch diese Vorstellung ist falsch.

Das Volk, das bestimmt in der Schweiz, ist nicht die Bevölkerung, sondern die Stimmbevölkerung. Die Schweiz hat einen Ausländeranteil von rund 25 % und rund 20 % der Menschen sind unter 20 Jahre alt.[4] Das bedeutet: Etwa 60 % der Bevölkerung dürfen abstimmen. Davon gehen zwischen einem und zwei Drittel an die Urne. Zwischen 20 % und 40 % der Bevölkerung bestimmen also über den Rest der Bewohnerinnen und Bewohner des Landes. Das Volk, das da bestimmt, ist also im wörtlichen Sinn eine Elite.

Dazu kommt: Je nach Wohnort zählt eine Stimme unterschiedlich viel, weil in der Schweiz nicht nur die Zahl der Stimmen zählt, sondern auch die Zahl der Standesstimmen. Wenn wir uns die Stimmzahlen der Veloinitiative ansehen,[5] sehen wir auf einen Blick, wie unterschiedlich die Zahl der abgegebenen Stimmen in den Kantonen ist. Im Kanton Appenzell Innerrhoden etwa wurden 3617 Stimmen abgegeben, im Kanton Basel-Stadt 48’262 Stimmen. Das bedeutet, dass eine Stimme im Kanton Appenzell-Innerhoden 13mal mehr zählt als eine Stimme in Basel. Die Rechnung lässt sich beliebig weiterführen. Im Kanton Zürich zum Beispiel wurden 100mal so viele Stimmen abgegeben als im Kanton Appenzell-Innerhoden. Weil der appenzellische Halbkanton nur eine halbe Standesstimme hat, der Kanton Zürich aber eine ganze, bedeutet das, dass die Stimme eines Appenzellers 50mal gewichtiger ist als die Stimme eines Zürchers. Von wegen ein Volk und gleiche Rechte.

Was meint direkte Demokratie?

Die SVP will mit ihrer Initiative die direkte Demokratie schützen.[6] Das steht auch auf den wonnegelben Plakaten: «Ja zur direkten Demokratie» lautet die Parole. Was in der Diskussion ausgeblendet wird: Das «Ja» bezieht sich nur auf das Wort direkt. Werden die Volksrechte so bedingungslos ausgebaut, kann sich das Volk zwar tatsächlich sehr direkt einmischen. Alle anderen Aspekte, etwa internationale Verträge und Gerichte, werden dem Volk untergeordnet.

Doch dabei geht vergessen, dass die direkte Demokratie nicht nur aus direkt besteht, sondern auch aus Demokratie. Und eine Demokratie meint nicht, dass das Volk die absolute Macht hat. Das wäre eine «Demokratur», also eine unkontrollierte Alleinherrschaft des Volkes. Wesentliches Merkmal einer Demokratie ist die Gewaltenteilung[7] in eine legislative, eine exekutive und eine judikative Gewalt. Wenn die SVP ständig davon redet, die Macht der Richter beschränken zu wollen, ist das letztlich ein antidemokratischer Eingriff in die Gewaltenteilung. Wenn wir also die direkte Demokratie schützen wollen, dann müssen wir die Gewaltenteilung schützen und die Institutionen stärken, welche sie verkörpern. Genau damit tut sich die SVP aber schwer. Das macht ihr Ziel, die direkte Demokratie schützen zu wollen, zu einer hohlen Phrase.

Zu den wichtigen Institutionen gerade einer direkten Demokratie gehören auch die Medien, die so genannte vierte Gewalt. Die Medien sind der Transmissionsriemen, der auf allen Ebenen des Landes und bis in alle Kapillaren des Landes die Informationen transportiert, welche die Bürger benötigen, um an der direkten Demokratie teilzunehmen. Die Medien sind deshalb nicht die Feinde des Volkes, wie der gegenwärtige, amerikanische Präsident zu behaupten pflegt, sondern ein wichtiger Bestandteil der Demokratie.

Was heisst Selbstbestimmung?

Die SVP suggeriert, das Schweizervolk könne sich mit der Initiative die absolute Souveränität zurückerobern. Das ist ein Wunschtraum, der schon 1848, als die Schweiz gegründet wurde, weit entfernt von der Realität war. In einer derart vernetzten Welt, wie wir sie heute erleben, ist die absolute Souveränität eines Volkes völlig unmöglich. Ich denke dabei nicht einmal an die Einrichtung der Sommerzeit. Bekanntlich hat die Schweiz 1978 die Einführung der Sommerzeit mit einem Nein-Stimmenanteil von 84 % abgelehnt. Die Sommerzeit musste trotzdem eingeführt werden, weil es schlicht nicht praktikabel war, dass Schweizerinnen und Schweizer an der Landesgrenze die Uhr umstellen mussten.

Wenn es etwas gab, was die Welt in den letzten Jahren verändert hat, dann war es das Internet. Die Digitalisierung führt zu Umwälzungen, die gewaltiger sind, als alles, was seit der Industrialisierung stattgefunden hat. Die Schweiz hat dazu genau nichts zu sagen. Es sind globale Konzerne wie Google, Facebook oder Alibaba und Organisationen wie das W3C,[8] welche die Entwicklung vorantreiben. Die Digitalisierung ist eine globale Entwicklung. Selbst die EU mit rund 500 Millionen Einwohnern ist in vielen Belangen zu klein, um alleine Einfluss auf die grossen Konzerne zu nehmen. Wäre die Schweiz eine Stadt, stünde sie weltweit auf Platz 40: Unser Land hat exakt gleich viel Einwohner wie die Stadt Teheran.[9] Stellen Sie sich einmal vor, eine Stadt wie Teheran, Lahore oder Chicago[10] würde sagen, dass sie künftig ganz autonom selber über sich bestimmen wolle. Im globalen Kontext ist das schlicht lächerlich. Teheran, Lahore oder eben die Schweiz haben nur eine Chance, wenn sie sich mit anderen zusammentun – und dabei als verlässliche Partner auftreten, die einmal abgeschlossene Verträge auch einhalten.

Die Schweiz nimmt unter den grössten Städten der Welt Platz 41 ein. Quelle: Wikipedia

Mitbestimmen statt Selbstbestimmen

Gerade die kleine Schweiz ist in der stark globalisierten und digitalisierten Welt auf internationale Organisationen angewiesen. Ein Land, das so viele Einwohner hat wie Chicago, kann sich nicht alleine gegen die Internetriesen, gegen das internationale Verbrechen oder gegen die pure Macht von stärkeren Ländern durchsetzen. Im Verbund mit anderen Ländern aber geht das. Vielleicht muss die Schweiz dabei manchmal Konzessionen machen und die eine oder andere Kompetenz abgeben. Trotzdem hat sie dank der Hebelwirkung im Verbund mit anderen Ländern zusammen mehr Einfluss auf ihr Schicksal, als wenn sie sich in ihr Selbstbestimmungs-Schneckenhaus zurückzieht und alles alleine machen wollte. Ein Verbund mit anderen Ländern funktioniert aber nur, wenn die Schweiz garantieren kann, dass sie einmal abgeschlossene Verträge einhalten wird. Genau dagegen tritt die Selbstbestimmungsinitiative an und deshalb wehre ich mich gegen diese Initiative. Wehren Sie sich mit?

Basel,2. November 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen:

[1] Vgl. https://www.selbstbestimmungsinitiative.ch/argumente/

[2] Vgl. zum Beispiel die Übersicht des EJPD hier: https://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/abstimmungen/selbstbestimmungsinitiative.html

[3] Vgl. etwa das Interview mit Martin Dumermuth, Chef des Bundesamts für Justiz, in der «NZZ» vom 19.9.2018: https://www.nzz.ch/schweiz/die-selbstbestimmungsinitiative-ist-undemokratisch-ld.1421201

[4] Vgl. Bundesamt für Statistik, Kennzahlen der Bevölkerung: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/stand-entwicklung/bevoelkerung.html

[5] Vgl. https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/20180923/det620.html

[6] Vgl. https://www.selbstbestimmungsinitiative.ch/argumente/

[7] Schön und einfach erklärt, ist das zum Beispiel hier: https://www.ch.ch/de/demokratie/funktionsweise-und-organisation-der-schweiz/die-gewaltenteilung/

[8] World Wide Web Consortium, siehe https://www.w3.org/

[9] Vgl. Liste der Millionenstädte: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Millionenst%C3%A4dte

[10] Lahore und Chicago haben mit 8,7 Mio. Einwohnern etwas mehr Einwohner als die Schweiz.

11 Kommentare zu "Wieviel Macht verträgt das Volk?"

  1. Wieviel Macht verträgt das Volk

    Ein grosses Kompliment an Sie Herr Zehnder für den sehr aufschlussreichen Artikel mit dem Titel :Wieviel Macht veträgt das Volk. Ich habe sehr viel gelesen zu der unsäglichen Selbstbestimmungs -Initiative. So klar verständlich wie Sie erklären, weshalb unbedingt nein gestimmt werden muss, habe ich noch keinen einzigen Artikel entdeckt. Vielen Dank, dass Sie der Leserschaft die Augen öffnen.

  2. Es musste ja kommen: Ein Wochenkommentar über die Selbstbestimmungsinitiative. Und der Tenor des Artikels ist natürlich auch klar. Herr Zehnder erinnert mich stets an die telefonische Zeitansage (Tel. 161). Ruft man dort an, weiss man genau, was einem erwartet: „Beim nächsten Ton ist es genau….“. Beginnt man einen seiner Artikel zu lesen, funktionert es ähnlich. Natürlich schreibt er und sein Griffel ein dickes Nein zur Selbstbestimmungsinitative. Es klingt in mir als „immer schön auf Linie bleiben“, selten andersartige Ansichten miteinbeziehen, austariert schreiben um ein Hauch von Entscheidungsfreiheit zu überlassen nach . Doch ich erlaube mir in deiner, meiner, unserer (noch!) direkten Demokratie, mich zu äussern: Nach diesem Artikel lege ich erst recht ein JA zur Selbstbestimmung ein.
    Denn seine Zeilen erinnern mich an einen phrasendreschartigen ungarischen Stehgeiger, der mit seinen Saiten niemand mehr zum Bewegen bringt.
    Wie anders doch die (überparteilichen – jawoll – !) JA-Befürworter. Unternehmerisch denkend, querdenkend, innovativ, vital, frisch und wohlwollend der Schweiz eingestellt. Von manchem Angestellten über KMU-Chef bis selbstständigen Spielgruppenleiterin… Alles dabei. Sie sagen JA zu unserer Direkten Demokratie, die weltweit einmalig ist. Um die uns viel offiziell (und alle inoffiziell bewundern.) Denn in der Schweiz haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Rahmen von Volksabstimmungen das letzte Wort bei allen wichtigen politischen Entscheidungen. Diese weltweit einzigartige Selbstbestimmung in Form der bewährten direkten Demokratie hat der Schweiz Wohlstand, Freiheit und Sicherheit gebracht. Die Selbstbestimmungsinitiative sichert die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger als wichtigen Pfeiler des Erfolgsmodells Schweiz auch in Zukunft.
    Denn (zur Zeit noch…) bestimmen Bürgerinnen und Bürger. Mittels Initiativen und Referenden können wir in der Schweiz bei ALLEN, ALLEN wichtigen (noch) Vorlagen entscheiden. Dank diesem Recht behalten wir als Bürger die Kontrolle über unsere Rechtsordnung, unser Leben, unsere Heimat und unsere Zukunft.
    Weiterhin sollen, müssen unsere Volksentscheide gelten!
    Wir können in der Schweiz selber bestimmen, wie hoch unsere Steuern sind, ob und wie man unsere Landschaft vor Überbauung oder HEIMISCHE Arbeiter (Ob in- oder Ausländer!) vor Lohndumping schützt. Können wir den Tierschutz und unser Tierwohl noch selbst bestimmen. Können selbst entscheiden, ob unsere Franken-Währung bleibt oder nicht. Zentral für das Funktionieren unserer direkten Demokratie ist, dass Volksentscheide auch respektiert und umgesetzt werden.
    Ein NEIN gefährdet die Selbstbestimmung.
    Internationale Gremien und Behörden weiten den Geltungsbereich der internationalen Verträge jedoch laufend aus. So setzen Politiker und Gerichte in letzter Zeit mit Verweis auf internationale
    Verträge Schweizer Volksentscheide nicht mehr oder nur teilweise um. Diese Tendenz führt zu Rechtsunsicherheit und Raunen in der Bevölkerung (zu recht) und Politverdrossenheit (Gift für die Demokratie!) .
    Praktisch heisst dies aber, dass beispielsweise verurteilte Straftäter nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden können, weil sie sich auf internationales Recht berufen. Oder die eigenständige Steuerung der Zuwanderung wird – trotz Volksentscheid – mit Verweis auf das Freizügigkeitsabkommen mit der EU nicht umgesetzt. Die 13 Millionen-Schweiz lässt grüssen, (einige Politiker träumen ja davon), dann aber Lebensqualität ade – ausser für die oberen 10´000)
    Bitte, helft doch unsere Direkte Demokratie zu schützen. Ein Verlust wäre mehr als schade darum.
    Die Selbstbestimmungsinitiative schafft hier Klarheit und Rechtssicherheit. Demokratisches schweizerisches Verfassungsrecht ist in der Schweiz die oberste Rechtsquelle (für das wir im Ausland, seis Privat oder Geschäftlich, überall bewundert werden.)
    Im Konfliktfall soll es gegenüber internationalem Recht Vorrang haben. Ausgenommen ist natürlich das zwingende Völkerrecht. (Keine Frage – und die Schweiz ist Musterschüler bei solchem (Vgl. CH-D, CH-I, CH-GR)
    Auch die Menschenrechte sind dadurch nicht tangiert, da diese bereits in unserer Verfassung festgeschrieben sind (wie die Gegner, welche mit Angst schaffen und Angst schaffen uns Demokraten weis machen wollen.)
    Ein JA zur Selbstbestimmungsinitiative:
    – sichert das Stimmrecht der Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft;
    – schützt die direkte Demokratie und damit das Erfolgsmodell Schweiz;
    – schafft Rechtssicherheit;
    – erhält die rechtliche Selbstbestimmung der Schweiz.
    Und was oft vergessen geht, aber immer wichtiger wird auf unserem Planeten Erde: Es ist das beste Mittel gegen die grassierende Korruption. Schauen wir uns doch mal weltweit die Länder an, schauen wir uns doch die europäischen Länder an: Politiker sind bestechlich (und wie), Politiker kann man bestechen – ein ganzes Volk aber nie.
    Manchmal kommt es mir so vor, als wollten meine Mitbürger mit all den Wochenkommentaren und Äusserungen ausrufen: „Hurra, wir geben die Schweiz auf. Grossartig, wir kapitulieren.“ Unverständlich auch: Kürzlich hat der Nationalrat mit deutlicher Mehrheit gegen eine einzige Partei den bemerkenswerten Entscheid getroffen, dass in der Schweiz nicht mehr die Schweizerinnen und Schweizer, sondern die Ausländer das letzte Wort haben sollen. Das jedenfalls darf als unwiderlegbares Ergebnis der mehrtägigen Monsterdebatte über die Selbstbestimmungsinitiative der SVP festgehalten werden.
    Was immer in der Schweiz vom Volk und von den Kantonen entschieden wird, heute oder in der Zukunft, kann vom Parlament, kann vom Bundesgericht, kann vom Bundesrat mit einem Federstrich jederzeit gelöscht, zunichtegemacht werden. Man braucht nur irgendeine internationale Bestimmung zu finden, die sich gegen den betreffenden Volksentscheid richtet, und fertig ist es mit der direkten Demokratie und den Volksrechten, auf die alle Parlamentarier eigentlich einen feierlichen Eid geleistet haben.
    Es war beinahe faszinierend, wie sich Justizministerin Simonetta Sommaruga und die Ratsmehrheit gemeinsam in der irrigen Meinung bestärkten, wie gut es sei, wenn in der Schweiz nicht Volksentscheide, sondern angeblich höhere internationale Erlasse gälten. Die Schweiz, eidgenössische Rechtsgemeinschaft immerhin seit 1291, geriet in diesen Darstellungen zum finsteren Schurkenstaat, zum Unstaat, der ohne die Segnungen auswärtiger Richter aufgeschmissen wäre.
    Justizministerin Sommaruga und eine Ratsmehrheit dokumentierten, für alle nachprüfbar, wie wenig sie von den Stimmbürgern und von der direkten Demokratie im Grunde halten. Die Schweizer Stimmberechtigten sind für sie Kinder im Zustand ewiger Unmündigkeit, ein Volk von Kesb-Fällen, unfähig zu einem selbständigen, reifen Urteil. Eine Nationalrätin der Grünliberalen sprach mit Blick auf unser Staatsmodell abschätzig von «Ballenberg». Es klang wie eine psychiatrische Anstalt.
    Gegen die Dummheit und demokratische Unreife der Stimmbürger setzten die Justizministerin und ihre parlamentarischen Souffleure eine höhere Weisheit, ihre eigene und die der internationalen Richter, die angeblich besser wissen, wie man die Menschenrechte auf die Schweiz anwendet, als die Schweizer.
    Die Gegner der Selbstbestimmung reden von Menschenrechten und Vertragstreue, aber es geht ihnen einfach darum, den verfassungsmässigen Souverän in diesem Land, Volk und Stände, zu entmachten. Wir haben es bei der Masseneinwanderungsinitiative gesehen. Sie wurde vom Volk angenommen, aber vom Parlament nicht umgesetzt. Begründung: Die Initiative verletze internationales Recht und dürfe deshalb nicht oder nur homöopathisch umgesetzt werden. So argumentierte unter anderem Kommissionssprecher Kurt Fluri (FDP).
    Wie verlogen das alles doch ist: Wenn es Fluri um Vertragstreue ginge, hätte er bereits im Abstimmungskampf darauf hingewiesen, dass die Masseneinwanderungsinitiative gegen bestehende internationale Verträge verstosse und deshalb nie umgesetzt werden dürfe. Das aber sagte er nicht. Im Gegenteil. Noch im Februar 2014, unter dem Eindruck des frischen Volksentscheids, beteuerte der Solothurner in einem Interview durchtrieben, die Initiative müsse möglichst wortgetreu verwirklicht werden. Hatte er damals die internationalen Verträge vergessen, auf die er sich heute so scheinheilig beruft?
    Natürlich nicht, denn hier läuft ein anderes Spiel. Es läuft ein Staatsputsch gegen die direkte Demokratie, gegen den obersten Verfassungsgeber, gegen Volk und Stände. Die Politiker sind gegen die Selbstbestimmung des Volkes, weil sie, die Politiker, anstelle des Volks die Selbstbestimmung selber wollen. Sie wollen bestimmen, entscheiden, gestalten, dirigieren. Es geht ihnen nicht um die Wahrung des internationalen Rechts oder der Menschenrechte, die übrigens alle längst in der schweizerischen Bundesverfassung verankert und garantiert sind. Das internationale Recht dient ihnen lediglich als Hebel, als Brechstange, als weitläufig einsetzbare Allzweckwaffe, um unerwünschte Volksentscheide nach Belieben abzuschiessen. Dieses Parlament und die mit ihm verbundenen Staatsgewalten wollen keine direkte, sondern eine von oben, eine von ihnen gelenkte Demokratie.
    Wie die politische Elite in diesem Lande mittlerweile denkt, zeigte ein Interview des Bundespräsidenten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25. April 2018. Da sagte Alain Berset wörtlich: «Über Volksinitiativen können die Bürger ein Thema lancieren, das ihnen unter den Nägeln brennt. Und dann schaut das Parlament mit seinen zwei Kammern, was man daraus unter Berücksichtigung der geltenden Verfassung und des Völkerrechts machen kann.»
    Nach Meinung des derzeitigen Bundespräsidenten sind also Volksinitiativen nichts Weiteres als die unverbindliche «Lancierung eines Themas», ein bisschen psychotherapeutisches Pro-forma-Dampfablassen, eine Fingernagelsache, politische Maniküre. Und das «hochwohlweise» Parlament und der allwissende Bundesrat, flankiert von den Richtern in Lausanne, angefeuert von den Medien, schauen dann schon, ob man daraus irgendetwas machen könne.
    Diese bundespräsidiale Auffassung, die in der Debatte über die Selbstbestimmungsinitiative auf breiter Front zum Ausdruck kam, ist ein Affront, ist ein offener Bruch mit der geltenden Bundesverfassung. Diese hält nämlich fest: «Das Volk entscheidet, ob der Initiative Folge zu geben ist. Stimmt es zu, so arbeitet die Bundesversammlung eine entsprechende Vorlage aus.» «Entsprechen» heisst laut Duden: übereinstimmen, gleichkommen.
    Klar, es ist eine kalte Entmachtung des Volkes. Klar, es herrschen korrupte Zustände im Staat (nicht nur bei der Post…)
    Der Wahlkampf im nächsten Jahr wird sich um die Frage drehen: «Wie hältst du’s mit der direkten Demokratie?» Gut so. Denn die Wähler können dann entscheiden: zwischen den Bewahrern und den Demonteuren unserer weltweit bewunderten, einzigartigen Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger das letzte Wort haben..(sollten)!
    Jedoch, zuviel Platz, Länge und Zeit möchte ich der geneigten Wochenkommentar-Leserschaft nicht abverlangen. Ich mach´s kurz = Der Link:
    http://www.selbstbestimmungsinitiative.ch
    sei allen Unschlüssigen wärmstens zu empfehlen. Es geht hier nicht um pro SVP, contre SP etc…, es geht nicht um Ideologie und Linie, es geht um mehr, es geht um eigenes Denken, es geht um die Sache, es geht um unsere schöne Schweiz und es geht um all deren Bewohner, ob In- oder Ausländer, ob Alt oder Jung, also um uns.

    1. Sie haben völlig recht, Herr Zweidler, der Beitrag von Herr Zehnder hat von der Art her auch mich nicht überrascht. Noch weniger überrascht hat mich aber Ihre umgehende Reaktion darauf! Zuverlässig nach jedem (aus meiner Sicht sehr sachlichen und weiterführenden) Artikel bin ich erstaunt über Ihre unsachlichen, umschweifenden, mit viel Wörtern wenig aussagenden, schwierig nachvollziehbaren Argumente und teilweise sehr unangepasst persönlichen Anspielungen an die Adresse des Autors.
      Um es abgekürzt direkt anzusprechen: Ich bin besorgt über die momentane globale Entwicklung und ich hoffe, dass wir nicht wieder ins gleiche Fahrwasser wie unsere Vorfahren vor dem letzten Weltkrieg gleiten. Die populistische und nationalistische Politik von Trump, der SVP, AfD usw. und auch Sie mit solchen Beiträgen schüren nur Gewalt, Hass in und Spaltung der Gesellschaft; anstatt konstruktiv etwas an der Diskussion (welche zweifellos angebracht und nötig ist; ich möchte die momentanen Herausforderungen ganz klar nicht abstreiten!) beizutragen. Das ist beängstigend. Vor allem, weil die Parallelen zur Geschichte zu wenig erkannt werden. Anscheinend ist der Mensch nicht wirklich übertragungs- und lernfähig.
      Ich möchte nicht versuchen, Ihre Ausführungen auseinander zu nehmen. Ich rate Ihnen aus eigener Erfahrung eher, Ihren Horizont z. B. durch einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt etwas zu erweitern versuchen und persönliche Erfahrungen zu sammeln. Mir hat das jedenfalls gut getan. Und so würde ich auch Ihnen eine lebensbereichernde Erfahrung dabei wünschen – es tut unglaublich gut!

  3. Wer sich im Kreis dreht, steht rasend still und kommt nicht weiter. Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative ist soviel wert wie der Mist, auf dem sie gewachsen ist. Minarette, Burkas und fremde Richter: Alles Schreckgespenster, um mit Angstbewirtschaftung von der Realität abzulenken. Die Herausforderungen, die sich uns in unserer kleinen Schweiz unausweichlich beispielsweise mit der Klimazerstörung und der Migration stellen, können wir nie und nimmer alleine meistern. Und die Chancen für nachhaltig zukunftsfähige Lösungen lassen sich in einer globalisierten Welt nur kooperativ und international vernetzt für ökonomisch und ökologisch nachhaltig günstige Wirkungen nutzen.

  4. Die SBI bewegt. Das ist gut. Demokratie bewegt. Das heisst, noch ist sie nicht tot.
    Es bewegt auch mich. Wenn (leitende) Gegner der SBI behaupten, (direkte) Demokratie sei kein Menschenrecht…, dann Ade Schweiz, Mensch, Wert….
    Doch sehen Sie selbst: U n g l a u b l i c h:

    1. Lieber Herr Zweidler

      Ich rechne es Ihnen ja eigentlich hoch an, dass Sie sich derart stark für Ihre Anliegen einsetzen. Und das in einem „Newsletter-Forum“, welches vermutlich mehrheitlich eher von Andersdenkenden gelesen wird (was grundsätzlich problematisch sein kann; weil dann eben genau dieser kritische Austausch fehlt).

      Aber mit einem solchen Video von Herr Matter tun Sie sich aus meiner Sicht nicht wirklich einen Gefallen. Die konkrete in Frage gestellte Aussage mag isoliert betrachtet zwar vielleicht irritieren. Aber daraus die Schlüsse zu ziehen wie es Herr Matter tut, und Sie zu tun scheinen, finde ich höchst problematisch und unprofessionell.

      Und auch wenn die Botschaft so gemeint gewesen wäre, wie es Herr Matter auslegt, dann hätte die Interpretation aus diesem Grund ja auch noch lange nichts mit der Initiative zu tun, über welche wir in Kürze abstimmen werden. Das wäre ein ganz anderes Thema und wenn einmal darüber abgestimmt würde, dann würde konkret darüber abgestimmt werden. Wir stimmen im vorliegenden Fall also nicht über die Abschaffung unserer Demokratie ab. Eigentlich ist eher das Gegenteil der Fall, eine Ablehnung würde das Verständnis der Schweizer Stimmberechtigten über eine Demokratie untermauern.

      Das Video trägt somit rein gar nichts zu einer sachlichen Diskussion bei, welche uns als Gesellschaft weiterbringen würde; im Gegenteil. Es erinnert mich eher an Viktor Giacobbos Imitationen von Ueli Maurer. Manchmal war ich da gar nicht mehr sicher, wer nun eigentlich der Echte ist… Ich würde mir wünschen, auch bei Herr Matter ist es ein ganz raffinierter Komödiant, welcher ihn aufs Korn nimmt….und dann könnte ich über das Video nämlich ganz unbesorgt und ausgelassen lachen!

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