Wie wir uns die Hitzewelle schönreden

Publiziert am 24. Juni 2022 von Matthias Zehnder

In den letzten Tagen war die Hitze das grosse Thema in den Medien: So heiss war es in der Schweiz wohl noch nie im Juni. Entsprechend intensiv wurde die Hitze thematisiert. Dabei fällt aber auf: Die meisten Medien in der Schweiz und in Deutschland haben die Hitzewelle mit fröhlich badenden Menschen illustriert. Kann man machen, ist ja nicht falsch. Aber es ist eine sehr einseitige Sicht. Die negativen Folgen der Hitze, ihre Gefahren und der Bezug zur Klimakrise werden dabei ausgeblendet. Zum Problem wird das, weil alle Medien, als hätten sie sich verabredet, zu ähnlichen Bildern greifen. Das Resultat ist ein starkes Framing der Hitzewelle. Ein Framing, das wohl keine Absicht ist, sondern das Resultat von Einfältigkeit auf den Redaktionen. In meinem Wochenkommentar zeige ich Ihnen diese Woche Beispiel für dieses Framing und ich sage Ihnen, wie Sie sich dagegen wehren können.

«Nationaler Hitzerekord egalisiert», meldet SRF: Diese Woche ist der alte Rekord aus dem Jahre 1947 exakt erreicht worden. Damals wurde in Basel am 27. Juni ebenfalls 36,9 Grad gemessen. Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht? Illustriert ist die Geschichte online mit einem Bild, auf dem vor dem Basler Münster fröhlich schwimmende Menschen zu sehen sind. Das Bild suggeriert: Es ist wohl eine gute Nachricht.

 

Am Samstag, 18. Juni, titelt der «Blick» «Hitz, hitz, hurra» und schreibt: «Das Wochenende wird heiss. Ganz heiss! Blick war gestern schon mal an den Brennpunkten». Illustriert ist der Text auf einer Doppelseite mit Menschen am und im Wasser und mit Badenden. Am Montag berichtet der «Blick» dann ausführlich. Titel: «Strandtastisches Wochenende». Auf den Bildern sind fröhliche Menschen im kühlenden Nass zu sehen, beim Baden im Genfersee und in einem Brunnen.

Kopf im Wasser

Der «Tages-Anzeiger» titelt sachlicher: «Die Sonne scheint länger». Als Folge der Erderwärmung habe «die Anzahl Hochdrucklagen in der Schweiz in den letzten Jahren deutlich zugenommen». Die Zahlen sind bedenklich: Die Zahl sehr heisser Tage hat sich laut diesem Artikel in Zentraleuropa seit 1950 verdreifacht. Laut einer Studie der ETH Zürich sind die wärmsten Tage um 2,3 Grad wärmer geworden. «Mit jedem zusätzlichen Grad Celsius der mittleren Erwärmung in der Schweiz verdoppelt sich die Anzahl der sehr heissen Tage». Die Schweiz habe sich im Durchschnitt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts «um etwa 2 Grad erwärmt. Das ist fast das Doppelte der globalen Erwärmung.» Illustriert ist der Artikel mit einem Mann, der seinen Kopf in einen Wasserstrahl hält. Er sieht nicht unglücklich aus.

Auf der Kehrseite berichtet der «Tagi»: «Ein Wochenende der Supersonnentage». Das klingt ja gut. Weiter schreibt die Zeitung: «Rekordtemperatur 36,9 Grad: Die Hitze trieb viele Menschen in die Bäder, manche auch ans Jodlerfest oder an den Ironman.» Illustriert ist der Artikel, sie erraten es, mit den obligaten Badenden. Zu sehen ist eine Frau, die in einem Zürcher Brunnen ein Bad nimmt und mit Stand-Up-Paddlern auf dem Genfersee. Ganz ähnlich die CH-Media-Titel: «Bereits der erste Hitzerekord» titelt die «bzBasel». «Die erste Hitzewelle dieses Sommers ist da und bringt in der Schweiz Temperaturen bis zu 36 Grad.» Illustriert ist der Artikel mit fröhlichen Menschen, die im Rhein stehen und sich gegenseitig mit Wasser bespritzen. 

Gummiboot als Eyecatcher

Werfen wir noch einen Blick in die «NZZ»: Die «Neue Zürcher Zeitung» beantwortet auf der Seite «Forschung und Technik» Fragen rund um die Hitzewelle und titelt: «Wie schützt sich der Körper vor Überhitzung?» Für den Organismus sei die Wärmeregulation lebenswichtig. «Deshalb ist er an heissen Tagen gestresst. Kommt zur Hitze noch eine hohe Luftfeuchtigkeit dazu, wird es rasch prekär.» Die NZZ beantwortet nüchtern Fragen wie: Wann spricht man von einer Hitzewelle? Wie weiss der Körper, dass er zu heiss hat? Und: Was unternimmt der Organismus gegen Überhitzung? Auch die NZZ illustriert diesen sachlichen Artikel mit einem Bild badender Menschen. Eyecatcher ist dabei ein Gummiboot in fröhlichem Rot. Auf der Regionalseite schreibt die NZZ zudem über einen weiteren Aspekt der Hitzewelle: «Eine Hitzebilanz, die überrascht», titelt die Zeitung. Thema des Artikels ist die Beobachtung, dass sich nicht nur die Stadt stark erwärmt; auch im Zürcher Oberland wurden bis zu 38,4 Grad gemessen. Illustriert ist auch dieser Artikel mit, Sie erraten es, Badenden: Das Bild zeigt Kinder, die sich in einem Brunnen in der Winterthurer Altstadt abkühlen.

Jetzt sagen Sie vielleicht: Was regt sich der alte Mann so auf. Ist doch schön, wenn Kinder es lustig haben in einem Brunnen, das gehört doch zum heissen Wetter. Klar, das gehört dazu. Gerade dieser letzte Artikel aus der NZZ ist aber ein gutes Beispiel für das, was ich meine. Der Artikel handelt von den erhöhten Temperaturen im Zürcher Oberland und davon, dass in dicht bebauten Orten der Beton die Umgebung aufheizt. Die badenden Kinder im Winterthurer Brunnen passen nicht zum Text. Das Bild steht für fröhliche Sommertage, im Text ist davon die Rede, wie problematisch es ist, dass sich dicht bebaute Städte aufwärmen. 

Kanton muss Fische retten

Das ist auch bei den anderen Beispielen so: Die Texte beschreiben eine problematische Hitzewelle, die Folgen für Menschen und die Umwelt hat. Oft wird der Bogen zur Klimaerwärmung geschlagen, in allen Medien wird die Hitzewelle als Extremereignis beschrieben. So war in Basel die Notfallstation des Universitätsspitals unter anderem der Hitze wegen komplett überlastet. Morgens um drei Uhr warteten noch 60 Menschen auf eine Behandlung. Auch für die Landwirtschaft sind die Folgen der Hitze verheerend. Der Kanton Basel-Landschaft rechnet damit, dass der Grundwasserpegel diesen Sommer so tief absinken wird, dass der Wasserverbrauch eingeschränkt werden muss. Diese Woche mussten im Baselbiet bereits Bäche ausgefischt werden. Weil sie zu wenig Wasser führen, würden die Fische sonst verenden. 

Die Hitzewelle ist also für Menschen, Tiere und Umwelt durchaus dramatisch und die Medien beschreiben diese negativen Folgen auch. Aber nur im Text. Die Bilder, mit denen sie die Artikel über die Hitzewelle illustrieren, erzählen eine völlig andere Geschichte: Die Fotos der fröhlich badenden und planschenden Menschen vermitteln ein positives Gefühl. Friede, Freude, Wasserspiele. Oder wie der «Blick» titelte: «Hitz, hitz, hurra». Relevant sind diese Bilder deshalb, weil viele Menschen auf dem Handy die durchaus differenzierten Texte nicht lesen, sondern bloss durch Titel und Bild scrollen. Das gilt nicht etwa nur für den «Blick», das gilt auch für die Apps von SRF, Tamedia und CH Media. Umso wichtiger wäre es, dass Titel und Bild die Hitzewelle adäquat abbilden und die Hitze nicht nur als Plausch darstellen.

Klischeebilder als Platzhalter

Bevor Sie mir jetzt schreiben, dass ich mich abregen soll, die Hitze sei doch auch etwas Schönes, man müsse nicht immer alles problematisieren und mit der Klimakrise in Verbindung bringen – darum geht es nicht. Interessant an den Beispielen ist, wie eintönig die Medien diese Hitzewelle illustrieren. Es scheint auf allen Bildredaktionen so etwas wie einen Reflex zu geben: Es ist heiss, – schnell her mit Bildern von badenden Menschen. Alle Medien reagieren gleich: Badende werden zum Klischeebild für Hitzethemen. 

Klischeebilder sind ein Problem, weil sie Vorurteile zementieren. Business = Geschäftsmann = Mann mit grau melierten Haaren und Brille. Familie = Vater, Mutter, Kind. Und Hund. Landschaft = Berge. Stadt = Beton. Wenn Medien eine durchaus differenzierte Berichterstattung mit solchen Klischeebildern illustrieren, verstärken sie vorherrschende Vorurteile und unterlaufen den Text. Besonders häufig sind solche Bilder anzutreffen, wenn es keine Bilder gibt zu einem Thema. Vor allem auf dem Handy, aber auch in vielen Onlinemedien gibt es Beiträge ohne Bilder jedoch nicht mehr. Jeder Beitrag braucht ein Foto. Viele Redaktionen greifen dann zu sogenannten Stock-Bildern. Das sind Datenbanken, die vorgefertigte Bilder international und deshalb günstig verkaufen. Diese Bilder triefen oft vor Klischees. 

Salto ins Badewasser

Bei der Hitzewelle war das nicht so. Da gab es Ereignisse. Der leergefischte Bach. Risse auf dem Acker. Probleme im Spital. Und durchaus auch planschende Kinder. Trotzdem haben die zitierten Medien unisono zu denselben Sujets gegriffen. Warum? Vermutlich aus zwei Gründen: Weil badende Menschen gut angeklickt werden – und weil die Bildredaktionen mit mutigeren Vorschlägen beim Chef vom Dienst oder bei der Produzentin abgeblitzt sind. Es wird heiss? Ach komm, wir nehmen Menschen beim Baden, das läuft immer. Mit dem Effekt, dass dabei fast schon komisch anmutende Text-Bildscheren entstehen. Ein weiteres Beispiel: SRF News meldet, dass die Hitzetage ein Risiko für die Gesundheit bilden und ergänzt: «Städtebauliche Massnahmen können helfen.» Illustriert ist die Meldung mit einer jungen Frau, die einen Salto ins Wasser macht. 

Was da passiert, das nennt man in der Wissenschaft Framing: Das Bild gibt der Meldung einen Rahmen, einen Drall in eine bestimmte Richtung. Dieser Rahmen bestimmt die Lesart der Meldung. Weil viele Menschen die Texte nicht so genau lesen, spielt das Bild beim Framing eine grosse Rolle. Wenn geschlossene alle Medien die Berichterstattung über Hitzetage mit fröhlich badenden Kindern illustrieren, nehmen die Leserinnen und Leser die negativen Konsequenzen der Hitze und der Bezug zur Klimaerwärmung nicht wahr. Die einseitigen Klischee-Bilder sorgen also für ein ganz bestimmtes Framing der Meldungen.

Ist das Absicht? Steckt dahinter ein böser Plan der Medien? Nein, das glaube ich nicht. Dahinter steckt nicht Bosheit, sondern (das ist fast noch schlimmer) Einfalt. Es geht um Klicks und Unterhaltung, da laufen badende Kinder nun mal besser als Bilder von sengend heissen Innenstädten oder von dürren Feldern. Wenn Sie wissen möchten, wie man die Hitzewelle auch sehen könnte, dann geben Sie mal bei der Google Bildersuche «Hitzewelle wissenschaftlich», «Hitzewelle Klima» oder «Hitzewelle Folgen» ein. Sie werden ganz andere Bilder sehen als die hübschen Bildchen von planschenden Kindern, mit denen uns die Medien in den letzten Tagen die Hitzewelle schöngeredet haben. Und noch der Profitipp zum Schluss: Es hilft, die Artikel auch zu lesen.

Basel, 24. Juni 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

Bild: © KEYSTONE/DPA/Thomas Warnack

Gygax, Nina (2022): Volle Notfallstationen am Unispital und am Kinderspital UKBB. In: Schweizer Radio Und Fernsehen (SRF). [https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/volle-notfallstationen-am-unispital-und-am-kinderspital-ukbb?id=12211433; 24.6.2022].

Klee, Matieu (2022): Im Baselbiet werden schon jetzt Bäche ausgefischt. In: Schweizer Radio Und Fernsehen (SRF). [https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/im-baselbiet-werden-schon-jetzt-baeche-ausgefischt?id=12211268; 24.6.2022].

Knellwolf, Bruno (2022): Bereits der erste Hitzerekord. In: «bz Basel» , 18. 6. 2022. S. 7. [https://www.bzbasel.ch/leben/hitze-die-erste-hitzewelle-ist-da-rekordwerte-werden-in-basel-und-sion-erwartet-der-bund-warnt-vor-gesundheitlichen-schaeden-ld.2306114; 23.6.2022].

Läubli, Martin (2022): Die Sonne scheint länger. In: «Tages-Anzeiger», 16. 6. 2022. S. 32. [https://www.tagesanzeiger.ch/die-sonne-scheint-laenger-613129811662; 23.6.2022].

Schweizer Bauer (2022): Hitze setzt Kühen zu – Ernte noch nicht gefährdet. In: Schweizer Bauer. [https://www.schweizerbauer.ch/politik-wirtschaft/agrarwirtschaft/hitze-setzt-kuehen-zu-ernte-noch-nicht-gefaehrdet/; 24.6.2022].

Schweizer Radio SRF (2022): Fast 37 Grad – Nationaler Hitzerekord Egalisiert. In: Schweizer Radio Und Fernsehen (SRF). [https://www.srf.ch/meteo/meteo-stories/fast-37-grad-nationaler-hitzerekord-egalisiert; 23.6.2022].

SRF News (2022): Die #Hitzewelle hat die #Schweiz fest im Griff. In: SRF News auf Twitter. [https://twitter.com/srfnews/status/1538517468800753664; 24.6.2022].

Trachsel, Céline (2022): Strandtastisches Wochenende. In: «Blick», 20. 6. 2022. S. 6–7. [https://www.blick.ch; 23.6.2022].

Zürcher, Christian (2022): Ein Wochenende der Supersonnentage. In: «Tages-Anzeiger» , 20. 6. 2022. S. 14. [https://www.tagesanzeiger.ch/ein-wochenende-der-supersonnentage-317661382180; 23.6.2022].

4 Kommentare zu "Wie wir uns die Hitzewelle schönreden"

  1. Super Wochenkommentar! Chapeau!
    Endlich jemand, der „um die Ecke denkt“, der die heutigen Medien (hier kann man das durchaus pauschal sagen) entlarvt.
    Doch die Medien sind Abbild der Gesellschaft, welche ebenso tickt.
    Badet weiter, Wasserschlachten sind neu trendy auch unter „Erwachsenen“, tobt in den Brunnen weit über die amtl. Nachtruhezeiten weiter (St. Alban), taucht unter, springt Klippen, tanzt am lauwarmen Birsköpflistrand als gäbs kein morgen.
    Wir nähern uns dem 40 Grad Sommer, die Inder dem 50 Grad Sommer – bald nähern wir uns dem 50 Grad Sommer und die hitzeerprobten Inder wohl dem 60 Grad Sommer – und krepieren….
    Ab in die Spass-Wasserröhrenrutsche, ins lustige Strömungsbecken und weiter, immer weiter runter vom 10 Meter „Joggeli“-Sprungturm – und „Jubel-Schwitze-Hitze“ lesen wir in den Medien dazu…..

  2. Finde alles ausgezeichnet beobachtet. Dazu drei Fragen: Warum konstruieren Medien mit ihren Bildern die Botschaft «Hitze macht Spass»? Warum tun sie das offensichtlich einigermassen unisono? Sollen vielleicht alle nur noch lachen und sonst nichts mehr machen?

  3. Stets von bestechender Relevanz, der Wochenkommentar, dieser jedoch noch stringenter. Eine geradezu brillante und entlarvende Analyse.

    Ich gebe zu, dass ich einige der erwähnten Artikel konsumiert habe, ohne dass mir diese eklatante Parallele aufgefallen wäre. Vielleicht, weil ich mir durch meinen mentalen Werbeblocker angewöhnt habe, mich an den Bildern vorbei in erster Linie auf die Buchstaben zu konzentrieren.

    In den Texten wird der Elefant im Raum ja noch punktuell angeredet/-geschrieben. Da würde sich für den Titel ein Verb aufdrängen, welches sich auf die bunten Bildli bezieht; schönmalen, schönzeichnen, schönklicken…

  4. Ein exzellenter Wochenkommentar, scharfsinnig beobachtet. Ein Bild sagt offenbar manchmal nicht mehr, sondern etwas anderes als tausend Worte. Ich werde in Zukunft vermehrt auf die Kongruenz von Bild und Text achten.

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