Wie mächtig sind die Medien?

Publiziert am 24. Mai 2019 von Matthias Zehnder

Das gab es noch nie: Nur Tage nach der Veröffentlichung eines Videos bricht Österreichs Regierung auseinander. Die FPÖ sieht sich als Opfer einer Medienkampagne. In der Tat haben «Spiegel» und «Süddeutsche» an einem Wochenende geschafft, woran sich die SPÖ seit Monaten die Zähne ausgebissen hat. Offenbar haben die Medien doch noch grosse Macht, oder? Doch der Schein trügt. Die Macht der Medien ist im Gegenteil stark limitiert. Und es sind die Medien selbst, die am Ast sägen, auf dem sie noch sitzen.

Der Vorgang ist einmalig: Vor einer Woche veröffentlichten «Der Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» ein Video, das den österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ dermassen in Misskredit brachte, dass er zurücktreten musste. Kanzler Sebastian Kurz trennte sich kurz darauf von Innenminister Herbert Kickl, weil er dem FPÖ-Hardliner die ermittlungstechnische Aufarbeitung des Skandals nicht zutraute. Aus Protest trat darauf die FPÖ aus der Regierung zurück. Ein Kanzler macht Schluss: Das Video, der Rücktritt, die Neuwahlen – ein Wochenende stellt die Republik auf den Kopf, titelte die Wiener Wochenzeitung «Falter».[1]

Bei dem Video handelt es sich um einen Zusammenschnitt von Videos, die 2017 in einer Villa auf Ibiza verdeckt aufgenommen worden waren. Die Videos belasten Heinz-Christian Strache schwer: Er stellte einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte für ihre mögliche Hilfe im Wahlkampf öffentliche Aufträge in Aussicht. Darüber hinaus schmiedete er Pläne, mit Hilfe der Frau die «Kronen Zeitung» zu übernehmen, die mit Abstand grösste Zeitung Österreichs, und den öffentlich-rechtlichen ORF unter Kontrolle zu bringen oder sogar zu privatisieren.[2]

Screenshot des heimlich aufgezeichneten Videos, wie es der «Spiegel» veröffentlicht hat.

Forensische Prüfung durch externe Gutachter

Das Video war am Abend des 24. Juli 2017 in einer Villa auf Ibiza aufgenommen worden. Erst diesen Monat haben das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» das Material zugespielt erhalten. Die beiden Medien haben die Aufnahmen zunächst einer forensischen Analyse unterzogen. Sie haben also geprüft, ob es sich bei den Personen wirklich um Heinz-Christian Strache und seine Entourage handelt und ob das Video echt ist, oder ob Spuren einer Fälschung zu finden sind. Dafür haben die beiden Medien externe Gutachter hinzugezogen, darunter ein zertifizierter Sachverständiger für Foto-Forensik, Foto-Anthropologie und digitale Forensik wie der «Spiegel» schreibt. Darüber hinaus hat das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT in Darmstadt ein datenforensisches Gutachten erstellt.[3]

Dieser Vorgang habe etwa eine Woche gedauert. Dann haben «Süddeutsche Zeitung» und «Spiegel» letzten Freitag die relevanten Ausschnitte aus dem Video online veröffentlicht und eine entsprechende Geschichte dazu in der Zeitung respektive im Magazin. Noch am Wochenende trat Strache zurück. Danach ging es Schlag auf Schlag. Mittlerweile muss auch Kanzler Kurz um seine politische Zukunft bangen: Am Montag muss er sich einem Misstrauensantrag im Parlament stellen. Mit einer einzigen Publikation haben also die Medien die österreichische Regierung gestürzt.

Wie mächtig sind die Medien?

Wer mit einem Handstreich eine ganze Regierung stürzt, muss über sehr viel Macht verfügen. Das beklagt auch die Rechte in Deutschland und Österreich: Die FPÖ sei das Opfer einer Kampagne, das Video sei illegal aufgenommen worden. Für den deutschen AfD-Politiker Björn Höcke ist der Fall klar: Solche Strukturen, die hier am Werk waren, gefährden unsere Demokratie, schreibt er auf Twitter.[4] Der Bösewicht ist für die Rechten also nicht der österreichische Vizekanzler, sondern derjenige, der das Video gedreht hat – und die Medien, die es verbreitet haben.

Natürlich ist das absurd. Es ist etwa so, wie wenn ein Bankräuber sagt, die Bilder aus der Überwachungskamera seien nicht legal aufgezeichnet worden. Doch das ändert nichts am Bankraub. Interessant ist übrigens, dass im Video selbst von der Macht der Medien explizit die Rede ist: Heinz-Christian Strache schmiedet Pläne, die «Kronenzeitung» zu übernehmen und den ORF kalt zu stellen. Er skizziert damit ein Vorgehen gegen kritische Medien, wie wir es auch in der Schweiz in den letzten Jahren kennengelernt haben. Beispiele dafür sind die Übernahme der «Basler Zeitung; durch Christoph Blocher, seine Versuche, die «NZZ» unter Kontrolle zu bringen und das Vorgehen der SVP gegen die SRG.

War die Veröffentlichung rechtens?

SRF-Chefredaktor Tristan Brenn sagt: Hätte SRF das Ibiza-Video zugespielt bekommen, so hätten wir es wohl auch gebracht.[5] Hat Brenn also keine Bedenken, dass er mit der Ausstrahlung eines verdeckt aufgezeichneten Videos gegen das Gesetz verstossen könnte? Nein, hat er nicht. Versteckte Bild- und Tonaufnahmen können gemäss Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Publikation eines Sachverhalts besteht und dieser nur mit versteckten Aufnahmegeräten belegt werden kann. So steht es in den publizistischen Leitlinien von SRF[6] und daran hält sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Zurück zur Frage: Sind die Medien schuld? Sind die Medien zu mächtig? Diese Woche ist in der Schweiz die Werbestatistik für das vergangene Jahr veröffentlicht worden: Jedes Jahr zeigt die Statistik, welche Werbeträger in der Schweiz wieviel Umsatz gemacht haben. Die Resultate: Radio, Fernsehen und Aussenwerbung bleiben etwa konstant, die Umsätze mit Werbung in gedruckten Medien nimmt jedes Jahr um etwa 10% ab – und die Onlineumsätze gehen durch die Decke. Letztes Jahr setzen die Onlinemedien in der Schweiz inklusive Suchmaschinenmarketing über zwei Milliarden Franken um. Man darf davon ausgehen, dass der Onlinebereich heuer etwa zweieinhalb Milliarden Franken Umsatz gemacht hat. Die Wemf veröffentlichte in diesem Jahr aber keine vollständigen Zahlen dazu. Der Print ist unterdessen auf eine Milliarde Franken abgesackt.[7]

Medien haben Macht verloren

Die Zahlen zeigen: Die klassischen Medien haben ihre grosse Macht verloren. Noch vor wenigen Jahren führte am «Print», also an gedruckten Zeitungen, kein Weg vorbei. Das ist heute ganz anders: Es gibt viele und gute Alternativen zu den klassischen Medien. Der Grund: Früher hatten die Zeitungen in vielen Regionen das Distributionsmonopol für Inhalte. Die Digitalisierung hat zu einer enormen Angebotsausweitung geführt. Heute sind die klassischen Medien ein Player unter vielen und längst nicht mehr der grösste.

Wie kommt es nun, dass die «Süddeutsche» und der «Spiegel» mit der Veröffentlichung des Strache-Videos dennoch eine so grosse Wirkung erzielt haben? Sind die ‹alten› Zeitungen doch mächtiger als angenommen? Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, die Medien haben nicht nur eine Macht, sondern zwei. Die erste Macht ist die Distributionsmacht, also die Kraft, einen Inhalt an viele Empfänger zu verteilen. In diesem Bereich haben die klassischen Medien massiv Terrain verloren (und sie werden weiter verlieren). Es gibt schlicht zu viele und viel günstigere Alternativen zum Transport eines Inhalts in einer gedruckten Zeitung. Die klassischen Medien haben aber noch eine andere Macht: die inhaltliche Macht, einem Inhalt Glaubwürdigkeit zu verleihen. Man könnte diese Macht vielleicht ‹Deutungsmacht› nennen.

Deutungsmacht der klassischen Medien

Entscheidend an der Veröffentlichung des Strache-Videos durch «Spiegel» und «Süddeutsche» war nicht, dass die beiden Publikationen das Video verteilt haben, sondern dass sie dem Video durch ihre Veröffentlichung ein Gütesiegel vergeben haben. Anders gesagt: Es waren nicht die Medien, die den FPÖ-Vizekanzler Strache zu Fall gebracht haben. Er hat sich mit seinen Aussagen selbst zu Fall gebracht. Die Medien haben durch die Veröffentlichung des Videos den Aufzeichnungen jenes Gütesiegel gegeben, das es brauchte, damit Straches eigenen Worte ihre Sprengkraft entfalten konnten. In Umkehrung von Marshall McLuhans berühmtem Diktum, the medium is the message könnte man also sagen: the message was the medium.

Die Medien haben also zwar an Distributionsmacht verloren, aber sie besitzen immer noch viel Deutungsmacht. Die grosse Krux der Medien ist: davon können sie nicht leben. Distributionsmacht kann man problemlos in Form von Werbung verkaufen. Deutungsmacht nicht. Der Sinn eines Gütesiegels ist, dass man es gerade nicht kaufen kann. Medien, die ihr Heil im Content Marketing mit so genanntem Native Advertising sehen, also im Verkauf von redaktionell aussehender Werbung, sägen deshalb am Ast auf dem sie sitzen: an ihrer Glaubwürdigkeit. Und das wäre dann im Sinne der Heinz-Christian Strache dieser Welt: Wenn die Medien nicht mehr glaubwürdig sind, können sie auch keine Politiker mehr stürzen.

Basel, 24. Mai 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen:

[1] Vgl. «Falter» 21/19 vom 21.05.2019, https://www.falter.at/archiv/wp/ein-kanzler-macht-schluss

[2] Die ganze Geschichte gibt es hier: https://www.spiegel.de/plus/heinz-christian-strache-fpoe-ist-oesterreichs-vizekanzler-kaeuflich-a-00000000-0002-0001-0000-000163955864

[3] Der «Spiegel» hat Vorgehen und Ablauf hier beschrieben: https://www.spiegel.de/politik/ausland/heinz-christian-strache-warum-der-spiegel-das-video-jetzt-veroeffentlich-hat-a-1268180.html

[4] Vgl. Twitter-Account von Björn Höcke: https://twitter.com/BjoernHoecke/status/1130126919519936516

[5] Tristan Brenn sagt das nicht nur, er hat es auch geschrieben und zwar in einem Gastbeitrag in der aktuellen «Weltwoche»: https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2019-21/artikel/versteckte-kamera-die-weltwoche-ausgabe-21-2019.html

[6] Siehe hier: https://www.srf.ch/unternehmen/content/download/1974706/file/Publizistische_Leitlinien_SRF_2017.pdf

[7] Die Berichterstattung dazu zum Beispiel hier: https://www.persoenlich.com/kategorie-werbung/online-rubrikenmarkte-legen-kraftig-zu

4 Kommentare zu "Wie mächtig sind die Medien?"

  1. Anstelle ich mir zu diesem Gebiet die Finger wundtippe, sei für einmal die aktuelle (612.) Folge zu Teleblocher. ch empfohlen. Dort wird auf interessante und unterhaltsame Art auf dieses Thema eingegangen (Abschnitt „Das lbiza- Video“) und auf die Rolle der hinterhältigen Filmer, welche absichtlich die Progatonisten in die Falle lockten und dreist aufzeichneten. Das die Videomanipulatoren Deutsche waren und so ein ganzes Nachbarland mit ihrem Tun destabilisieren (gerade als Deutsche hat dies noch eine zusätzliche Tragweite) und nun alles kurz vor den Europawahlen uns Medienkonsumenten aufs Brot geschmiert wurde (welch ein Zufall), schlägt dem Fass den Boden raus.
    Obwohl pauschalisieren nie gut ist, fällt auf, das die ganze Zunft stetig gegen Rechtsbürgerlich dreckelt und sich einen Sport daraus macht, rechtsbürgerliche Parteien nur negativ darzustellen, dabei aber in ihrem Eifer gar nicht merkt, dass sie sich (längerfristig) so ihr eigenes Grab zu schaufeln.
    In dieses Kapitel gehört das (ebenfalls in der Folge 612 thematisierte) „Englisch von Ueli Maurer“. Da trifft ein Bundesrat den Amerikanischen Präsidenten, deponiert erfolgreich unsere Anliegen (Freihandel usw.) und in den einheimischen Medien ist ausschliesslich sein „Englisch in einem kurzen TV-Intereview“ unser Riesen-Thema. Interessante Sichtweisen, welche uns da vom internationalen Unternehmer und ehemaligen Bundesrat (der weiss von was er spricht und wie es im Bundesrat-Stadel abgeht) Dr. Chr. Blocher im Gespräch mit Matthias Ackeret vermittelt werden.
    Also: Eigene Filterblase verlassen führt zu freiem Geist. „Andere Meinungen dürfen richtig wehtun beim hören, wichtig sind sie trotzdem“ sagte schon vor Jahren Dr. (neu) Markus Somm. Das gilt auch in Heute immernoch; umsomehr.

    1. Lieber Herr Zweidler, in aller Kürze zwei Entgegnungen:
      1) Es stimmt nicht, dass die Medien nur über die Englischkenntnisse von Herrn Maurer berichtet haben und es stimmt nicht, dass Maurer viel erreicht hat im Weissen Haus. Die «BaZ» schreibt: «Ueli Maurer hat bei seinem Treffen mit dem US-Präsidenten keine konkreten Fortschritte beim Freihandel erzielt – im Gegenteil.» Siehe hier: https://www.bazonline.ch/schweiz/standard/maurers-geheimbericht-aus-trumps-buero/story/20238387 Maurer ist mit den Anliegen der Schweiz also aufgelaufen. Und a propos Englisch: Wie wollen Sie ernsthaft sich international für Ihr Land einsetzen, wenn Sie nicht einmal Englisch sprechen?
      2) Sie übernehmen die Diktion der FPÖ: Nicht Strache ist der «Böse», sondern die Filmer. Das ist, wie geschrieben, so, wie wenn der Bankräuber sich über eine Überwachungskamera beschweren würde, die nicht angeschrieben war. Dass Strache sofort zurückghetreten ist, zeigt, dass er selbst genau weiss, dass er Gesicht und Ehre verloren hat. Es war die FPÖ, die angetreten ist, um für Recht und Ordnung zu Sorgen und dem Motto Österreich first nachzuleben. Wenn er genau diese Werte so eklatant verrät, ist das für ihn selbst und für die FPÖ eine Katastrophe, auch wenn das Video illegal ist. Es wäre, wie wenn ein Abstinenzler beim Saufen erwischt wird.

  2. Wenn Politiker*innen so gehört, gelesen oder gesehen würden, wie sie sind, und nicht so, wie frau*mann sie haben möchte, würden viele gar nicht gewählt, oder sie müssten die Handtasche oder den Hut nehmen.
    Dafür können Medien nicht viel, weil: wer nicht wissen will, was er*sie nicht wissen will, will es nicht wissen.
    Und Medien können es auch nicht gross ändern, denn:
    nicht viele sind so dumpfbacken plump wie ein Herr
    Strache.

  3. Antwort:
    Geschätzter Herr Zehnder,
    …… Smalltalk auf Englisch. Verhandlungen, Verträge und Geschäftsabwicklungen in der jeweiligen Landessprache mit einem guten Übersetzer. So ist man sattelfest bei wichtigen Dossiers.
    So ist es üblich. Dies zur Ehrenrettung für den Ueli. Und Frau Merkel (D) spricht auch nie Englisch. Weil sie es nicht kann. Nur dort sagt (getraut) keiner was.
    Zum „Ibiza-Video“ noch ein Kommentar einer Schweizer Wochenzeitung (und nein, es ist nicht die WoZ). Dieses Editorial ist auf der Webseite frei zugänglich, deshalb erlaube ich es mir, es hier zu kopieren. Es soll die Leserschaft aus der Gedanken-Tretmühle raushelfen. Und Vogelschau zu halten. Jedes Wort ist zu unterstreichen, wenn es da heisst……
    Politik ist die Fortsetzung des Kriegs mit subtileren Mitteln, und alle Politiker sind vogelfrei. Das ist keine Forderung. Das ist die Wirklichkeit.
    Das heimliche Strache-Video in Österreich ist das seit langem spektakulärste Beispiel eines politischen Auftragsmords. Mit illegalen KGB-, Gestapo- und Mafia-Methoden wurde ein Politiker gefällt, der dumm genug war, sich hereinlegen zu lassen.
    Die einzige Straftat, die bis jetzt begangen wurde, ist dieses Video. Was die Strache-Killer mit dem Politiker machten – heimliches Filmen und Abhören mit Lockvogel –, wäre dem Schweizer Geheimdienst sogar bei akutverdächtigen Islam-Terroristen nicht erlaubt.
    Klientelwirtschaft von Afrika bis Zürich
    In der totalen Empörung über den inzwischen zurückgetretenen Parteichef schwingt viel Heuchelei mit. Natürlich ist es tödlich für Strache, dass er auf den Bildern genauso korrupt wirkt wie die Politiker, denen seine Partei seit Jahren Korruption vorwirft.
    Mildernd kann er für sich allerdings in Anspruch nehmen, dass er als damals noch amtsloser Oppositionsführer nur davon redet, was sonst überall gemacht wird.
    Klientelwirtschaft ist eine Realität, und zwar nicht nur in Afrika. In Zürich werden öffentliche Wohnungen an geneigte Kreise vergeben. Bundesräte wechseln in die Verwaltungsräte jener Firmen, denen sie während ihrer Amtszeit mit saftigen Aufträgen zu Diensten waren.
    Überall dort, wo der Staat eine gewichtige Rolle in der Wirtschaft spielt, schwillt der Korruptions-Speckgürtel der Profiteure. Die grüne Energiewirtschaft ist eine gigantische Geldmaschine, die unzählige Büros und Parlamentarier versorgt. Die gleichen Leute, die die Gesetze machen, sitzen in den Betrieben, denen die Gesetze nützen.
    Ist es noch Milizpolitik oder schon Korruption, wenn Schweizer Politiker mit Mandaten bezahlt werden, wenn sie in Bern auf Geheiss ihrer Geldgeber Einfluss nehmen? Wer weiss denn so genau, was die Krankenkassen ihren zahlreichen Fürsprechern im Bundeshaus überweisen, damit sie im Gesundheitswesen die richtigen Weichen stellen?
    Doris Leuthard (CVP), bundesrätliche Schirmherrin über die Swisscom, erhielt von Swisscom-Präsident Hansueli Loosli zwei gutbezahlte Verwaltungsratsmandate von Coop und Bell – beide Gremien präsidiert von Loosli.
    Der ironische Sozialdemokrat Moritz Leuenberger, einst oberster Bauherr des Bundes, fand nach dem Rücktritt Unterschlupf bei der Baufirma Implenia. Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt.
    Was immer man Strache vorwirft: Absichten zur persönlichen Bereicherung lassen sich aus den bisher veröffentlichten Geheimaufnahmen nicht ableiten.
    Und es gibt keinen Grund, sich in der Schweiz sittenrein über den österreichischen Filz zu erheben. Unsere Politiker haben einfach Glück, dass ihnen keine bildhübschen Russinnen auflauern, um sie im Verlauf eines siebenstündigen Wodka-Abends zu verfänglichen theoretischen Aussagen zu verleiten, die ein Kamerateam heimlich aufzeichnet.
    Natürlich erstaunt die kolossale Dummheit, mit der Strache vor einer Unbekannten brisanteste Vertraulichkeiten preisgibt und zumindest verbal und dem Anschein nach auf schummrige Machenschaften einsteigt.
    Heilige Angela der Selbstgerechten
    Der Mann disqualifiziert sich als Plaudertasche, als Möchtegernmachtmauschler, und es ist auch richtig, dass man einen Politiker nicht dann erst zum Rücktritt auffordert, wenn man ihm eine Straftat nachweisen kann. Politiker sollten Charakter haben, und Charakter ist das, was man tut, wenn einem niemand dabei zuschaut.
    Wie halten wir es dann aber in der Schweiz mit einem wie dem Genfer Regierungsrat Pierre Maudet? Der schneidige Freisinnige liess sich von einem Scheich zwecks Vorteilsnahme einladen, log darüber die Öffentlichkeit an und krallt sich nun lächelnd an seinem Amt fest, als ob nichts gewesen wäre. Ist das nun harmloser oder nicht doch eher viel dreister und krimineller als die feuchtfröhlichen Strache-Prahlereien von Ibiza?
    Gewiss, die öffentlich-rechtlichen Medien und die belagerte EU-Corona nehmen den Fall zum willkommenen Anlass, um die «Rechten» und «Rechtspopulisten» vor den Europawahlen pauschal in die Pfanne zu hauen. Sippenhaft regiert. Allen voran schwingt sich Deutschlands Kanzlerin zur heiligen Angela der Selbstgerechten auf.
    Sie tut so, als seien Filz und Korruption eine Exklusivdomäne der «Populisten», was nur schon deshalb absurd ist, weil die meisten populistischen Parteien als Underdogs in der Opposition sind und den Staatskuchen gar nicht verteilen können. Was nicht heisst, dass sie es nicht tun würden, wenn sie denn könnten.
    Und hat es Merkel schon vergessen? Nicht die Populisten-AfD, die es damals noch gar nicht gab, sondern ihr hochverehrter Vorgänger und Dauerkanzler Helmut Kohl steckte bis zum Hals in einem CDU-Parteispendenkorruptionssumpf mit dunkelschwarzen Kassen. Die Moralpredigten scherbeln gewaltig.
    Was Strache im Suff nur daherschwafelt, haben Merkels Parteifreunde im In- und Ausland längst verwirklicht. Luca Volontè aus Italien, einst Fraktionschef der christdemokratischen Europäischen Merkel-Volkspartei, soll Bestechungsgelder aus Aserbaidschan in Höhe von 2,4 Millionen Euro erhalten haben.
    Oder Ernst Strasser, ebenfalls Mitglied der christdemokratischen Grossfamilie, ehemaliger österreichischer Bundesminister, Träger eines hohen Wiener Verdienstordens, wurde vor nicht allzu langer Zeit wegen Bestechlichkeit im Europaparlament zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt.
    Auch zur Linken darf man sich nicht aufplustern. Der Sozialist Bettino Craxi war dermassen korrupt, dass er zu 28 Jahren Gefängnis verknackt wurde. Er verteidigte sich keine Sekunde, sondern sagte nur: «Alle anderen haben es auch getan.» Das nimmt den Strache-Dummheiten nichts von ihrer Verwerflichkeit, aber es lässt die Luft raus aus der scheinheiligen Empörung der Strache-Gegner, die jetzt ein Fest feiern.
    Mafia-Flair im Schweizer Staats-TV
    Womit wir bei den Medien wären. Spiegel, Süddeutsche Zeitung und der mit ihr eng verbandelte Tages-Anzeiger haben sich wie schon bei den «Panama Papers» von Verbrechern einspannen lassen.
    Das ist an sich nicht verboten, solange sie die Mafiamethoden nicht selber anwenden oder zu solchen aufrufen. Das haben Spiegel und Süddeutsche nicht getan, ganz anders als der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, Tristan Brenn. Auf Twitter lobt der Chef der Gebührenanstalt aus Anlass der Strache-Causa die gesetzeswidrigen «verdeckten» Praktiken ausdrücklich. Müssen wir also damit rechnen, dass der Leutschenbach demnächst die Ferienhäuser bekannter Schweizer Politiker verwanzt?
    Natürlich darf man über private Aktivitäten von Politikern berichten. Wenn die privaten Handlungen Missstände aufzeigen, die relevant sind, ist Berichterstattung Pflicht. Selbst moralische Verfehlungen können Thema sein. In einer Demokratie hat die Öffentlichkeit einen Anspruch, zu erfahren, wie es um die Integrität der Amtspersonen steht.
    Weinselige Berner Abendrunden
    Gleichzeitig: Hüten wir uns vor der Vorstellung, ein Film zeige die Wirklichkeit. Auch das Strache-Video ist stark geschnitten. Wir sehen nur belastende Ausschnitte, ein Destillat aus mehreren Stunden, das die Journalisten, die keine Sympathisanten des Entblössten sind, mit Zerstörungsabsicht ausbreiten.
    Unbestritten: Es gibt da eine ganze Menge verfänglicher Aussagen. Aber kann man sie wirklich zum Nennwert nehmen? Was wird in langen Gesprächen und Verhandlungen nicht alles versprochen und beschworen, um die andere Seite bei Laune zu halten?
    Nicht auszudenken, was während einer Parlamentssession an weinseligen Abendrunden in der Berner Altstadt von Politikern so alles ausgebrütet, zusammenfantasiert und im Rausch auch wieder vergessen wird. Ibiza ist überall.
    Vielleicht hat Strache nur geblufft, geflunkert, gelogen und übertrieben, um die vermeintliche Millionärin für bestimmte Zwecke zu bezirzen. Reden ist nicht gleich handeln, und im Amt konnte man Strache bis jetzt keine Illegalitäten nachweisen. Wer Böses denkt und sagt, ist noch kein Verbrecher. Wenn auch womöglich ungeeignet für sein Amt.
    Kurz droht der Sturz
    Keine glückliche Figur macht Wunderknabenkanzler Sebastian Kurz. Anstatt den Abgang Straches staatsmännisch zu verdauen, die grundsätzliche Stabilität der Regierung, ihre ansprechenden Leistungen hervorzuheben, um die FPÖ-Wähler zu sich zu ziehen, entfesselte er einen kleinkarierten Grabenkrieg . Seine Koalition kam darüber zu Fall. Jetzt droht auch Kurz der Sturz.
    Es gibt im Moment nur Verlierer. Ebenso die Medien, die sich kurzsichtig auf die Schultern klopfen, stehen als Schmuddelkomplizen im Zwielicht.
    Was lernen wir aus der schmierigen Affäre? Politiker sind vogelfrei. Es gibt keine Privatsphäre mehr. Wer in der Öffentlichkeit steht, muss damit rechnen, dass man ihn mit miesen Tricks attackiert.
    Und klar: Die Welt ist ungerecht. Die Journalisten helfen heute nicht den Underdogs, sie helfen den Mächtigen, den Etablierten.
    Wer sich gegen sie auflehnt, muss schlau sein. Schlauer als die Mächtigen, die er von den Machthebeln verdrängen will.

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