Wie die Klimakrise (nicht) verschwinden wird

Publiziert am 11. August 2017 von Matthias Zehnder

Mitarbeiter des US-Landwirtschaftsministeriums sind diese Woche angewiesen worden, nicht mehr von «Klimawandel» zu sprechen, sondern von «Wetterextremen». Es dürfte nicht die einzige Anweisung dieser Art sein –bloss die einzige, die aufgeflogen ist. Dabei war noch nie so augenfällig wie diesen Sommer, dass das Klima aus den Fugen geraten ist. Und wir? Was können wir tun? Eine Antwort.

Vom Klimawandel habe ich zum ersten Mal vor über 30 Jahren gehört, im Chemieunterricht am Gymnasium. Mein Chemielehrer war ein junger, leidenschaftlicher Chemiker aus dem Bündnerland, ein Grüner wohl, vor allem aber ein guter Lehrer. Er hat uns schon damals von der CO2-Schicht erzählt und davon, was passiert, wenn die Menschen immer mehr fossile Stoffe verbrennen.

Er hat uns erklärt, wie sich das Kohlendioxid in der Atmosphäre anreichert, wie es einen Schild bildet, der die Sonne zwar reinlässt, aber die Abstrahlung der Wärme nicht mehr raus. Besonders gut waren meine Noten in Chemie nicht, der Bündner Chemielehrer und ich, wir konnten es nicht so gut miteinander. Aber an seine Skizzen vom Planeten mit dem CO2-Schild erinnere ich mich noch heute. Und daran, was unter dem Schild passieren wird, wenn sich das Klima verändert.

Hitzewellen, Stürme, Überschwemmungen

Diesen Sommer habe ich öfter mal an meinen damaligen Chemielehrer gedacht. Denn das, was in den Nachrichtensendungen zu sehen und zu hören war, das hatte er schon damals, in den 80er Jahren vorausgesagt: Hitzewellen, Stürme, Überschwemmungen, ein Wetter aus den Fugen – und vor allem steigende Temperaturen überall. Es begann schon im Juni: Der Juni 2017 war in der Schweiz nach 2003 der zweitwärmste Juni seit Messbeginn 1864.[1]

Auch in den Niederlanden, Frankreich und England wurden 2017 neue Rekorde aufgestellt: Die Monatsmitteltemperaturen lagen drei Grad über dem langjährigen Mittel. Laut Meteo Schweiz werden wir künftig vermehrt im Juni mit solchen Hitzewellen zu rechnen haben. Selbst bei gedrosseltem CO2-Ausstoss rechnen die Spezialisten mit mehr als einer Hitzewelle pro Jahrzehnt. Wenn die Emissionen nicht signifikant gesenkt werden, würden solche Juni-Temperaturen sogar zur Regel.[2]

Stadt unter Wasser

Mit fatalen Folgen, auch bei uns in der Schweiz. Der «Tages-Anzeiger» hat letzte Woche in einem grossen Web-Spezial gezeigt, wie stark die Schweizer Gletscher in den letzten Jahren geschmolzen sind.[3] Die höheren Durchschnittstemperaturen haben aber noch eine andere Folge: Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Die Klimaerwärmung führt deshalb auch zu extremen Regenfällen. Diesen Sommer habe ich das am eigenen Leib in Berlin erlebt. Die Stadt stand wochenlang praktisch unter Wasser.

Es begann Ende Juni: Am 29. Juni gingen in Tegel innert 24 Stunden 143,5 Liter Regen pro Quadratmeter nieder.[4] Das langjährige Mittel für Juni liegt dort bei 70,9 Liter – wohlverstanden: für den ganzen Monat! Im Juli ging es so weiter. Längst schluckte der Boden das Wasser nicht mehr. U-Bahn-Schächte liefen voll, die Strassenbahn blieb auf überschwemmten Plätzen stecken, manchmal sogar die Autos. Ende Juli bescherte das Tief Zlatan Berlin noch einmal einen heftigen Regen: innert zwei Tagen gingen mehr als 80 Liter Regen pro Quadratmeter auf die Stadt nieder.[5]

Grillier-Verbot in Griechenland

Und während des Dauerregens in Deutschland, der Schweiz und in Norditalien leiden Süditalien, Spanien und Griechenland unter Dauerhitze. In Bari, Catania, Florenz, Rom und Neapel rief die italienische Regierung wegen Höchsttemperaturen von bis zu 42 Grad Celsius die höchste Hitze-Warnstufe aus. In Griechenland verboten die Behörden sogar das Grillieren.[6]

Überraschend kommt das alles nicht. Vor solchen Wetterextremen hatte mein Chemielehrer schon 1985 gewarnt. Im grossen Stil hat Al Gore diese Konsequenzen 2007 in seinem Film An inconvenient Truth thematisiert. Diese Woche hat Al Gore in Berlin seinen neuen Film zum Klimawandel vorgestellt: An Inconvenient Sequel heisst der Film (deutscher Titel: Immer noch eine unbequeme Wahrheit). Bei uns ist der Film ab dem 7. September zu sehen.

Amerikanische Vogel-Strauss-Politik

Im ersten Film vor mehr als zehn Jahren hat Al Gore vor dem Klimawandel und seinen Folgen für die Erde gewarnt. In der Fortsetzung gibt er Einblick in seine Klimaschutz-Arbeit. Die Kamera begleitet ihn bei Gesprächen hinter die politischen Kulissen und natürlich auch an jene Orte auf der Erde, an denen die Klimakrise augenscheinlich ist. Der Höhepunkt des Films ist das Zustandekommen des Pariser Klimaabkommens – es ist ein Hollywood-Film. Doch anders als ein Blockbuster ist der Film damit nicht zu Ende: Der Schluss zeigt US-Präsident Donald Trump, wie er das Pariser Klimaabkommen kündigt – ein Tiefpunkt.

Diese Woche hat uns vor Augen geführt, wie real (und wie bitter) diese Seite der amerikanischen Politik ist. Während Al Gore in Berlin die Europapremiere seines Films feierte, veröffentlichte der «Guardian» Dokumente, die belegen, dass die Mitarbeiter des US-Landwirtschaftsministeriums diese Woche angewiesen worden sind, nicht mehr von «Klimawandel» zu sprechen, sondern von «Wetterextremen».[7] Das Ministerium hat eine ganze Liste von Wörtern herausgegeben, die zu vermeiden sind. Mit anderen Worten: Die Trump-Administration betreibt Vogel-Strauss-Politik.

30 Umweltregulierungen aufgehoben

Dabei sind gerade in den USA die Anzeichen für den Klimawandel überdeutlich. Wissenschaftler von 13 verschiedenen amerikanischen Institutionen haben in einer umfassenden Untersuchung diese Auswirkungen zusammengetragen. Dieser Climate Science Special Report liegt aber erst im Entwurf vor, er muss von den Behörden erst noch verabschiedet werden. Das wichtigste dieser Ämter ist die amerikanische Umweltbehörde EPA. Das Problem dabei: EPA-Chef Scott Pruitt glaubt nicht an den Klimawandel und verneint, dass Kohlendioxid etwas mit der Klimaerwärmung zu tun hat. Weil sie befürchten, dass ihre Forschungsergebnisse unter den Tisch gewischt oder zensuriert werden, haben die Wissenschaftler deshalb den Entwurf der «New York Times» zugespielt. Die Zeitung hat den Bericht diese Woche veröffentlicht.[8]

Die Bedenken sind wohl berechtigt. Die Medien erwecken hierzulande den Eindruck, Donald Trump sei als Präsident völlig wirkungslos. Das mag für die legislative Agenda mit dem Parlament zutreffen, aber nicht in der Administration.[9] Da ist Trump sehr effektiv. Allein die EPA hat bereits 30 Umweltregulierungen aufgehoben oder blockiert. Trumps Erlasse ermöglichen es, dass bald auch in der Arktis und im Atlantik wieder nach Öl gebohrt werden kann. Die Regulierung von Methanemissionen sowie CO2- und Effizienzvorschriften für Autos, Lastwagen und Treibstoff werden aufgehoben. Kurz: Trump macht genau das Gegenteil dessen, wofür Al Gore kämpft.

Und wir? Was machen wir daraus?

Was kann ich schon ausrichten, schulterzucken viele Menschen. Was wir tun können: Wir haben die Wahl. Wollen wir eher à la Trump den Kopf in den Sand stecken, das Wort Klimakrise aus unserem Vokabular streichen und weiterhin so viel Autofahren und Öl verbrauchen wie uns beliebt – oder richten wir uns eher nach Al Gore, der den Klimawandel als globale Krise bezeichnet und Politiker und Bürger zum Handeln aufruft? Donald Trump oder Al Gore – Sie haben die Wahl. Und wenn Sie den Kopf nicht in den Sand stecken möchten, aber keine Lust auf Hollywood haben, hilft Ihnen Meteo Schweiz weiter. Das Bundesamt informiert auf seiner Website nämlich nicht nur über das Wetter, sondern auch über das Klima.[10]

Basel, 11. August 2017, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen:

[1] Vgl. http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/aktuell/meteoschweiz-blog/meteoschweiz-blog.subpage.html/de/data/blogs/2017/6/einfluss-des-klimawandels-auf-die-hitze-in-europa-im-juni-2017-b.html

[2] Vgl. http://www.meteoschweiz.admin.ch/content/meteoswiss/de/data/blogs/2017/6/einfluss-des-klimawandels-auf-die-hitze-in-europa-im-juni-2017-b/_jcr_content/content/image.mchimg.png/1498824960219.png

[3] Vgl. https://interaktiv.tagesanzeiger.ch/2017/gletscherschwund/?openincontroller

[4] Vgl. https://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2017/06/starkregen-berlin-brandenburg-ueberflutungen.html

[5] Vgl. https://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2017/07/sommer-koennte-der-nasseste-seit-wetteraufzeichnungen-werden.html

[6] Vgl. http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/temperaturen-um-40-grad-weiter-enorme-hitzewelle-in-italien-und-griechenland/20164604.html

[7] Vgl. https://www.theguardian.com/environment/2017/aug/07/usda-climate-change-language-censorship-emails

[8] Vgl. https://www.nytimes.com/2017/08/07/climate/climate-change-drastic-warming-trump.html?smid=tw-share&_r=0

[9] Vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/donald-trump-und-die-unheimlichen-erfolge-seiner-praesidentschaft-15140059.html?GEPC=s3

[10] Zum Beispiel hier: http://www.meteoschweiz.admin.ch/home/klima/gegenwart/klima-trends.html

5 Kommentare zu "Wie die Klimakrise (nicht) verschwinden wird"

  1. Die Sprachakrobatik mit den «Wetterextremen» kommt mir irgendwie altbekannt vor. So hat ein Freund in den 1970er-Jahren im Aargau bei der Elektrizitätswirtschaft seine Stelle riskiert, weil er öffentlich von Atom-, und nicht von Kernkraft geredet und geschrieben hat. Obwohl solches individuell eine Zumutung bedeuten, oder gar existenzbedrohend sein kann: Global relevant scheint es mir aber nicht wirklich. – Wie beispielsweise aktuell das Eschen(baum)sterben, ist der Klimawandel naturgegeben und nicht zu stoppen. Er wird aber durch menschengemachte Klimazerstörungen mit beispielsweise CO2-Emissionen rasant beschleunigt. Neoliberal befreit kann auch in einer Demokratie wie der Schweiz eine kollektiv organisierte Verantwortungslosigkeit herrschen. Das Motto lautet: Alle sind frei, zu tun was sie wollen. Und niemand kann etwas dafür. Somit findet sich auch keine Mehrheit, die einerseits die Klimazerstörungen wirksam gebremst haben will, die durch beispielsweise immer noch mehr fahrenden und fliegenden Verkehr menschengemacht sind. Und anderseits gibt es auch keine Mehrheit, die in Hinblick auf die drohenden Folgen der unabwendbaren Katastrophen wirksame Massnahmen ergriffen haben will. Wer jetzt denkt, meine Hoffnung auf eine Welt mit günstigeren Perspektiven wäre sozusagen gestorben, hat mich richtig verstanden. Wenn ich mich trotzdem weiterhin nach besten Kräften und in der Regel als Geisterfahrer für attraktive, nachhaltig zukunftsfähige Lebensraum-Verhältnisse engagiere, so deshalb, weil ich schlicht nicht anders kann: Auch wenn es nicht einfach ist!

  2. Danke, Matthias, durchaus das, was wir denken. Nun sehe ich, dass ein Trump-Anhänger als US-Botschafter vorgesehen ist. Wie schön; nun darf er berichten, wie die reelle Welt tatsächlich denkt. Und die Schweiz ist Anschauungsunterricht für Klimawechsel.

    Gruss

    Bryan

  3. Es ist gut, dass es in der Trump-Administration noch Whistleblower gibt, die sich gegen die schiere Dummheit der neokonservativen Staatsführer wenigstens medial und kommunikativ zur Wehr setzen. Im Kloster Schönthal steht an einem Deckenbalken der treffende Spruch dazu: „Stupidity reduces sentences to words.“, will hier sagen, mit einem einzigen Wort kann die unerwünschte Realität vereinfacht und beseitigt werden. Die gleiche Logik hat auch in der Türkei zum Verbot des Begriffs „Kurdische Gebiete“ geführt – die Erdogans und Trumps dieser Welt erkennt man an ihrem Geläut …

  4. Auf die Gefahr hin, jetzt auch in den „Nachbet-Verein“ eintrete. M.Z. hat da schon eher recht. Und wenn das wirklich so ist, mit vorgeschriebenen Ausdrücken wie „Wetterextrem“ ist dies ungut. Kanns kaum glauben, denn in den Staaten lässt man sich nicht so schnell den Mund verbieten. Hoffe auch, die Quellen sind nicht „Der Spiegel“ aus D und „Der Stern“ aus D. Die bringen absolut nur Bad-News von Trump und schossen auch schon mit „Bad-Fake-News“ übers Ziel hinaus.
    Gut finde ich hingegen, das Trump das Pariser Klimaabkommen nicht unterzeichnete. Nein, ich bin nicht gegen den Klimaschutz. Aber dieses Abkommen ist tatsächlich nur heisse Luft. Da unterschrieb Rumänien, grössere Länder, kleinere Länder, gar China unterschrieb. Warum sitzt der Stift so locker: Weil es unverbindlich ist. Die holden Klimaziele für in 25 Jahren: Piepegal ob sie erreicht werden. CH-Umweltministerin Leuthard ist dann sicher nicht mehr im Amt, vielleicht gar nicht mehr unter uns. Der Rumäne in Pension oder an der Riviera von Bruderland Russland in Sochi. Für Rumänien: alles konsequenzlos, wenn nicht erreicht. Der Chinese: Unvorhergesehenes Eigetreten geltendmachen – usw… usw…
    Da kommt mir die Geschichte in Sinn, als BR Chr. Blocher noch im Amt war. Irgendwas Juristisches sollte von allen Europa-Ländern unterzeichnet werden. BR Blocher sagte zum italienischen Amtskollegen „Das unterzeichnen wir nicht“. Darauf der Italiener „Warum?“ Darauf Blocher „Weil es unrealistisch ist und wir es nicht erfüllen können“. Der italienische Kollege „Das ist doch egal. Trotzdem unterzeichnen. Ob man es einhaltet oder nicht spielt doch gar keine Rolle!“
    Genau so kommt es mir vor. Wenn es beim holden Pariser Abkommen nur um Image und Besserstellung seiner selbst geht, aber nicht um den Inhalt – ist dies schade fürs Papier. Und beim Papiersparen fängt der Umweltschutz gerade eben an.

  5. Einmal mehr ein ausgezeichneter Kommentar von Ihnen, Herr Zehnder !
    Fast ebenso dramatisch und im Rahmen unsrer Hinterlassenschaften für die kommenden Generationen sind die Risiken durch einen vorschnellen, unbeabsichtigten oder terroristischen Einsatz von Atomwaffen. Diese würden nebst der nicht diskriminierenden Vernichtung der Zivilgesellschaft auch zu einer massiven Umweltzerstörung führen. Dabei ist heute das Risiko eines Atomschlags grösser als je zuvor seit Hiroshima und Nagasaki. Ebenso führen die hohen Aufwendungen für die Ausserbetriebnahme der AKWs, den Rückbau der Reaktoren und die sichere Lagerung atomarer Abfälle in allen Ländern zu einer massiven finanziellen Belastungen der künftigen Generationen. Unser Symposium „Human Rights, Future Generations and Crimes in the Nuclear Age“ vom 14. – 17.9.2017 an der Uni Basel widmet sich den Menschenrechten künftiger Generationen unter dem Blickwinkel der bisherigen Atompolitik.

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