Wenn sich Wahrheit schlicht nicht lohnt
In den USA ist ein spektakulärer Rechtsstreit im Gang: Dominion Voting Systems hat den Nachrichtensender «Fox News» auf Schadenersatz wegen Verleumdung verklagt. Fox hatte behauptet, die Wahlmaschinen von Dominion hätten bei der Präsidentschaftswahl 2020 Wahlbetrug ermöglicht. Dominion sagt, Fox habe gewusst, dass diese Behauptung falsch war. Prozessunterlagen zeigen jetzt, dass das stimmt: Starmoderatoren wie Sean Hannity und Tucker Carlson haben in internen Textnachrichten über die Lügen des Trump-Teams gelästert. Diese Woche hat die «New York Times» dazu die Aussagen von «Fox News»-Besitzer Rupert Murdoch veröffentlicht. Er erklärt, warum sein Sender wissentlich falsche Behauptungen in die Welt setzte. Die kurze Version: Weil es sich lohnt. Das könnte der laufende Prozess aber dramatisch ändern. In meinem Wochenkommentar sage ich Ihnen, welche Konsequenzen das auch für unsere Medien haben könnte.
Am Dienstag, 3. November 2020, haben die Amerikanerinnen und Amerikaner ihren Präsidenten gewählt. Sie erinnern sich bestimmt daran: Vier Tage lang blieb das Rennen zwischen Donald Trump und Joe Biden offen. Der Coronapandemie wegen hatten so viele Wählerinnen und Wähler wie noch nie per Briefwahl abgestimmt. Am Freitag, 7. November, twitterte Donald Trump, er habe die Wahl «by A LOT» gewonnen.
Nur eine Stunde danach gewann Joe Biden den Bundesstaat Pennsylvania. Damit lag er uneinholbar vor Donald Trump. Associated Press, CNN, MSNBC – alle grossen Medien in den USA erklärten deshalb Biden zum designierten Präsidenten – auch «Fox News.» Denn die Zahlen waren eindeutig. Dass «Fox News» diese Zahlen gleich interpretierte wie die liberale Konkurrenz, das hat Trump dem Sender nie verziehen. Und mit ihm offenbar auch das Publikum nicht.
Über Monate hinweg Lügen verbreitet
Die Wahrheit hatte deshalb keinen langen Bestand auf dem Sender. Die bekanntesten Moderatoren von «Fox News», unter ihnen Sean Hannity und Tucker Carlson, kehrten kurz danach an die Seite von Donald Trump zurück: Über Monate verbreiteten sie dessen Lügen darüber, dass die Wahl gefälscht worden sei, dass Joe Biden die Wahl gestohlen habe. Unter anderem haben sie behauptet, dass die Wahlmaschinen von Dominion manipuliert worden sei, um Stimmen für Joe Biden zu erzeugen oder zu stehlen. Hannity und Carlson haben auch regelmässig Gäste eingeladen, die diese Behauptungen wiederholt haben, darunter Rudy Giuliani und Sidney Powell.
Dominion Voting Systems hat deshalb Fox auf 1,6 Milliarden Dollar Schadenersatz wegen Verleumdung verklagt. Die Firma hat in ihrer Klage Beweise vorgelegt, die zeigen, dass Hannity und Carlson genau wussten, dass ihre Behauptungen falsch waren. In Textnachrichten an Kollegen schrieb Tucker Carlson zum Beispiel: «The software shit ist absurd.» Und: «I dont think there is evidence of voter fraud that swung the election.» Die Star-Moderatoren waren sich im Klaren, dass Joe Biden die Wahlen fair and square gewonnen hatte. Trotzdem erklärten sie in ihren Sendungen das Gegenteil und gaben Verschwörungstheoretikern wie Rudy Giuliani und Sidney Powell viel Sendezeit. Intern bezeichneten sie die beiden aber als Schwurbler und Spinner.
Der Grund ist nicht rot oder blau, sondern grün
Dominion wirft Hannity und Carlson deshalb vor, dass sie ihre Zuschauer absichtlich getäuscht hätten. «Fox News» argumentiert, es handle sich dabei um Meinungsäusserungen, die «alternative Perspektiven» gezeigt hätten. Die Äusserungen seien durch die Rede- und Meinungsfreiheit geschützt, wie sie der erste Verfassungszusatz in den USA garantiert.
Aber warum sagen Männer wie Tucker Carlson und Sean Hannity vor der Kamera das Gegenteil dessen, was sie selbst glauben und intern auch offen aussprechen? Die Antwort gab Rupert Murdoch, zu dessen Medienkonglomerat «Fox News» gehört. Die «New York Times» hat die Aussagen, die Murdoch unter Eid gemacht hat, diese Woche veröffentlicht. Warum also hat «Fox News» Lügen über die Wahlen veröffentlicht? Warum hat sich der Sender politisch so vehement an die Seite von Trump gestellt? Rupert Murdoch nannte den Grund: «It is not red or blue, it is green.» Der Grund ist also nicht rot wie die Republikaner und nicht blau wie die Demokraten, sondern grün wie die Dollarnote.
Quatsch für die Quote
«Fox News» hatte Zuschauer an noch weiter rechts angesiedelte Fernsehsender wie «Newsmax» verloren. Indem Tucker Carlson und Sean Hannity weiter wissentlich Lügen verbreiteten, wollten sie ihre Quoten retten. Für Rupert Murdoch war es also schlicht eine Geschäftsentscheidung. Sein Sender beruft sich jetzt zwar auf die Redefreiheit, tatsächlich haben die Moderatoren aber ihre Zuschauer wissentlich über den Tisch gezogen, weil es sich für sie lohnte.
Das ist ein Schlag ins Gesicht der Zuschauer. Vor allem aber untergräbt es die Grundlage der freien Medien. Wir gehen nämlich alle davon aus, dass die Medienfreiheit und der Markt uns die bestmöglichen Medien bescheren. Murdoch sagt nun aber offen, dass es ihm nicht auf die Wahrheit ankommt, sondern aufs Geschäft. Die Farbe seiner Medien ist nicht rot oder blau, sondern grün wie der Dollar. Dabei beruft er sich auf die in den USA fast schon heilige Redefreiheit. Ein Recht, das den Menschen die Freiheit garantiert, ihre Meinung zu äussern. Die Moderatoren haben aber nicht ihre eigene Meinung geäussert, sondern haben nach der Pfeife ihres Publikums getanzt: «Fox News» wollte den eigenen Zuschauern nicht widersprechen.
Gefährlich mächtige Ausschaltmomente
Wie ist das bei uns? Die politische Welt ist in Deutschland und in Österreich nicht so stark polarisiert wie in den USA und in der Schweiz mit ihrer Vielparteienregierung schon gar nicht. Trotzdem gibt es natürlich auch bei uns Schwarz-Weiss-Meinungen, die Ausschaltmomente provozieren. Das müssen gar nicht immer die grossen Themen wie der Ukraine-Krieg oder das Gendern sein. Volksmusik zum Beispiel ist ein harter Ausschaltgrund. 20 % bis 30 % der Bevölkerung hören zwar gerne Volksmusik, die anderen zwei Drittel schalten aber sofort um, wenn sie im Radio Volksmusik hören. Die Folge: Die meisten Radiosender verzichten im Musikteppich auf Volksmusik. Seichter Pop löst weniger negative Reaktionen aus.
Ganz ähnlich reagieren «Weltwoche»-Leser auf das Gendersternchen und Veganer*innen auf Schweizer Fleisch. Sie schalten ab. Diese Abschaltmomente sind heute vermutlich zahlreicher, weil es im Internet einfacher geworden ist, ihnen auszuweichen. Deshalb besteht auch bei uns die Gefahr, dass Medien sich immer stärker nach den Wünschen und der Meinung des Publikums ausrichten. Das zeigt auch und gerade die Auseinandersetzung um ein Comedyformat im Schweizer Fernsehen: Laut Studien wollen die Zuschauer bekannte Gesichter sehen. Weibliche Comediennes sind weniger bekannt als Männer, also setzt SRF auf Männer.
Wenn Fakten und Meinung vermischt werden
Nun sind Sean Hannity und Tucker Carlson etwas, was es bei uns in dieser Form nicht gibt: Die beiden sind Fernsehmoderatoren und zugleich politische Kommentatoren. Tucker Carlson ist Mitglied der republikanischen Partei, vertritt aber auch da Positionen, die ganz rechts aussen liegen. Er moderiert jeden Abend die Show «Tucker Carlson Tonight» auf «Fox News» und macht dabei immer mächtig Stimmung. Sean Hannity nimmt bedingungslos Partei für Donald Trump ein. Er ist auch schon an Wahlkampfveranstaltungen von Trump aufgetreten. Beide Moderatoren vermischen auf gefährliche Art und Weise Fakten und Meinungen. Es ist politische Agitation, verkleidet als Fernsehunterhaltung.
Das gibt es so bei uns nicht. Aber lehnen Sie sich nicht zu früh zurück: Auch bei uns werden Fakten und Meinungen gerne vermischt. Vor allem dann, wenn es um saftige Schlagzeilen geht. Nehmen Sie die aktuelle «Bilanz». Titelschlagzeile: «ChatGPT – die Job-Revolution». Das ist nicht etwa eine Meldung oder eine Tatsache, das ist eine Meinung. Oder der «Tages-Anzeiger»: «Biden demonstriert mit Besuch im Kriegsgebiet Solidarität». Das ist kein Fakt, sondern eine Interpretation. Natürlich liest es sich besser als die trockene Meldung «Biden besucht das Kriegsgebiet», bei Lichte betrachtet ist es aber nichts anderes als ein Kurzkommentar. Das gleiche gilt für diese Schlagzeile des «Express» aus Düsseldorf: «So gefährlich ist TikTok». Der Titel impliziert: TikTok ist gefährlich. Natürlich darf man dieser Meinung sein, aber es ist und bleibt eine Meinung.
Erst die Fakten, dann die Meinung
Die Werbekampagnen der grossen Medien bringen es eigentlich auf den Punkt: «Der Spiegel» hat lange mit dem Spruch «Keine Angst vor der Wahrheit» geworben. Heute lautet der Slogan «Sagen, was ist». Bei der Konkurrenz, dem Nachrichtenmagazin «Focus», heisst es: «Zu Fakten gibt es keine Alternative.» Und: «Erst die Fakten, dann die Meinung». Es wäre ein Motto, das sich alle Medien zu Herzen nehmen sollten. Das Problem ist, dass nüchterne Fakten weniger Aufmerksamkeit erzielen als reisserische Meinungen. Fragt sich, wie viel Meinung, wie viel Lüge unsere Gesellschaft zulässt.
Deshalb schauen wir auch in Europa gespannt auf die weitere Entwicklung des Falls Dominion gegen Fox. Das Gesetz schützt auch in den USA Lügner und Verleumder nicht. Medien stellen sich aber auf den Standpunkt, dass sie nur ihre Arbeit machen, wenn sie bekannte Lügner und Verleumder zitieren. Dominion muss Fox deshalb nachweisen, dass der Sender bewusst und böswillig gehandelt hat. Die Hürde dafür ist extrem hoch. Wenn es aber, unter anderem dank der internen Nachrichten der Talkhosts, gelingen sollte, dann wird das Urteil nicht nur finanzielle Konsequenzen für Fox haben. Es wird alle Medien betreffen, vor allem die extremen Ausleger im Fernsehen und im Internet. Es dürfte danach nicht mehr so einfach sein, Lügen zu verbreiten. Vor allem dann nicht, wenn man selbst nicht daran glaubt.
Basel, 3. März 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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Quellen
Bild: © KEYSTONE/EPA, Justin Lane
Vor dem Hauptsitz von Fox News in New York protestiert ein Mann am 28. Februar 2023 gegen die Lügen, die Fox nach den Wahlen bewusst verbreitet hat.
Glasser, Susan B. (2023): Donald Who?: Fox, The Dominion Case, And The Perils Of Pivoting From Trump. In: The New Yorker. [https://www.newyorker.com/news/letter-from-bidens-washington/donald-who-fox-the-dominion-case-and-the-perils-of-pivoting-from-trump; 3.3.2023].
Hampton, Rachelle und Martinelli, Marissa (2020): Here’s The Moment Fox News Called The Election For Biden. In: Slate Magazine. [https://slate.com/news-and-politics/2020/11/fox-news-biden-winner-presidential-election.html; 3.3.2023].
Klein, Charlotte (2023): Dominion Lawsuit Revelations Are Getting Harder For Fox To Ignore. In: Vanity Fair. [https://www.vanityfair.com/news/2023/03/fox-news-dominion-hannity; 3.3.2023].
Lüthi, Nick (2023): SRF macht nur, was das Publikum will. In: Persoenlich.com. [https://www.persoenlich.com/blog/srf-macht-nur-was-das-publikum-will; 3.3.2023].
Peters, Jeremy W. (2022): Defamation Suit About Election Falsehoods Puts Fox On Its Heels. In: The New York Times. [https://www.nytimes.com/2022/08/13/business/media/fox-dominion-lawsuit-first-amendment.html; 3.3.2023].
Peters, Jeremy W. und Robertson, Katie (2023): Murdoch Acknowledges Fox News Hosts Endorsed Election Fraud Falsehoods. In: The New York Times. [https://www.nytimes.com/2023/02/27/business/media/fox-news-dominion-rupert-murdoch.html; 3.3.2023].
Thompson, Stuart A.; Yourish, Karen und Jeremy, Yourish (2023): What Fox News Hosts Said Privately Vs. Publicly About Voter Fraud. In: The New York Times. [https://www.nytimes.com/interactive/2023/02/25/business/media/fox-news-dominion-tucker-carlson.html; 3.3.2023].
Timm, Jane C. (2023): What We Learned From The Latest Fox News-Dominion Case Filing. In: NBC News. [https://www.nbcnews.com/politics/politics-news/learned-latest-fox-news-dominion-case-filing-rcna72593; 3.3.2023].
4 Kommentare zu "Wenn sich Wahrheit schlicht nicht lohnt"
Jetzt nehmen Sie aber ein ganz grosses Wort in den Mund: WAHRHEIT.
Ob rechte Postillen, ob linke Blätter oder Online-News… wenn man so zurückblickt (Corona-Zeit aber auch durchaus weiter zurück in der Geschichte der Schweiz, Europas…) hat wirklich niemand „DIE Wahrheit“ gepachtet….
Bin ich jetzt schon so abgestumpft, aber wenn man akribisch und mit dem Elektronenmikroskop hinschaut, gibt es sie gar nicht, die Wahrheit, wenn sie weitergetragen wird, übermittelt wird, gesendet oder gedruckt wird.
Die Wahrheit ist dort, wo sie sich unmittelbar abspielt, ist dort wo sie erlebt wird, wo sie stattfindet. Und auch nicht in Vergangenheit, in Zukunft sondern nur in der absoluten Gegenwart.
Sonst existiert sie nicht.
Menschen, die gelernt haben, es nicht zu merken, wenn sie angelogen werden, lassen sich einfach in die Irre führen. Medien, die Herrschsüchtigen dabei helfen, dies zu tun, können es sich leisten, wenn und solange sie dafür bezahlt werden. Weil in einem System mit einer kollektiv organisierten Gleichgültig- und Verantwortungslosigkeit, wo alle tun und lassen können, was und wie sie es wollen, vor allem das Geld und kaum das Recht zählt.
….Gestern noch im Zürcher Hotel Marriott im Saal Century (hochinteressant), heute schon im You-Tube. In den ersten 15 Minuten des Vortrags gehts um die „Wahrheit“. Besser als der Herr gestern zwischen 11 und 12.30 im vollbesetzten Saal kann man diese Themata nicht vermitteln….
https://www.youtube.com/watch?v=r7uhx8hvd0o
Bravissimo.
Rupert Murdoch hat wider besseren Wissens seinen Zuschauern die Lügen von Donald Trump über einen Wahlbetrug serviert, weil sich das für seinen Sender lohnte. Köppel serviert seinen Leserinnen und Lesern wider besseren Wissens russische Propaganda, weil es sich für ihn lohnt. Insofern haben Sie recht.