Was die Schweiz im Innersten zusammenhält

Publiziert am 9. Februar 2018 von Matthias Zehnder

Was ist es, das die Schweiz im Innersten zusammenhält? Ist es die Eisenbahn, das Telefon, der Cervelat? Wilhelm Tell, Winkelried oder Betty Bossi? Alles falsch: Es ist ein austariertes System des Ausgleichs von Interessen. Vom Finanzausgleich zwischen den Kantonen über die faire Verteilung von wichtigen Institutionen über das Land bis zum Gebührenausgleich innerhalb der SRG: Die Schweiz ist auf Solidarität gebaut. Noch. Aber die Rechte rüttelt daran und der Zeitgeist hilft dabei.

Der Geissenpeter[1] wäre wohl schon beim Lesen über das Wort «Finanzausgleich» gestolpert. Und er hätte einen Wutausbruch hingelegt, hätte er erfahren, dass dieses sperrige Wort viel wichtiger ist für den Zusammenhalt der Schweiz als seine Heidi. Mit dem Nationalen Finanzausgleich (NFA[2]) werden nämlich die Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kantone gemildert. Ziel ist es, dass kein Kanton ressourcenmässig mehr als 15 Prozent unter dem Schweizerischen Durchschnitt liegt. Anders gesagt: Die starken Kantone helfen den schwachen Kantonen, ihre Last zu tragen.

Die leistungsstarken Kantone müssen dafür tief in die Tasche greifen. Der Kanton Basel-Stadt zum Beispiel zahlt 2018 satte 173 Millionen Franken an den Nationalen Finanzausgleich.[3] Damit ist Basel-Stadt unter den Kantonen der derzeit viertgrösste Beitragszahler in den NFA. Am meisten Geld aus dem NFA-Topf erhält der Kanton Bern: 2018 sind es über 1,2 Milliarden Franken.

Das Bundeshaus in Bern, die ETH in Zürich

Seit 1848 hat dieser Ausgleich zwischen den Regionen nicht nur Tradition, er ist wörtlich das, was die Schweiz im Innersten zusammenhält. Deshalb befindet sich die Landesregierung in Bern und die ETH in Zürich, deshalb ist der Sitz des Bundesgerichts in Lausanne, der Sitz des Bundesstrafgerichts aber in Bellinzona. Seit ihrer Gründung vor 170 Jahren achtet die Eidgenossenschaft sorgfältig auf den regionalen, konfessionellen und wirtschaftlichen Ausgleich. Zürich ist die Wirtschaftshauptstadt der Schweiz, Bern das politische Zentrum, Genf der Sitz der internationalen Organisationen und Basel ist die Kulturhauptstadt. Die Städter beteiligen sich am Lawinenrisiko der Bergkantone. Alle Schweizer Steuerzahle unterstützen die Schweizer Bauern. Die vielen Zugfahrer zwischen Zürich Bern und Basel sorgen mit ihren Ticketzahlungen dafür, dass die SBB auch unrentable Seitenstrecken zu normalen Preisen anbieten kann.

Und natürlich sorgt die Schweiz für den Ausgleich zwischen den Sprachen. Auf jeder Banknote steht der Wert in vier Sprachen aufgedruckt. Obwohl die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer Deutsch redet, ist es in der Politik selbstverständlich, dass zumindest jeder in seiner Muttersprache reden kann. An Nationalen Kongressen und Tagungen müssen Deutschschweizer deshalb manchmal umständlich in ihrem Schulfranzösisch kramen und sie bereuen es, dass sie auf italienisch nur die Rechnung bestellen können. Die vier Sprachen werden nicht gemäss ihrer Verbreitung in der Bevölkerung behandelt. Französisch und Italienisch haben gemessen an ihrer Verbreitung ein höheres Gewicht, Rätoromanisch sowieso.

Umverteilung wichtiger als das Lauberhornrennen

Die vielleicht wichtigste Leistung der SRG für unser Land ist deshalb nicht die Pflege der Heidischweiz mit schönen Bergbildern oder mit der perfekten Übertragung des Lauberhornrennens in alle Welt.[4] Die wichtigste Leistung ist das umverteilen von Gebührengeldern innerhalb der Schweiz. Obwohl die Deutschschweizer mit 885 Mio. Fr. satte 73% der Gebühren einzahlen, erhalten sie nur 525 Mio. Fr. oder 43% aus dem Gebührentopf. Umgekehrt ist es in der Romandie: Die Westschweiz zahlt nur 280 Mio. Fr. ein, also 23% der Gebühren, erhält aber 33% des Gebührenaufkommens, also 400 Mio. Fr. Die Tessiner zahlen nur gerade 45 Mio. Fr. (4%) ein, erhalten aber mit 265 Mio. Fr. satte 22% des Gebührentopfs. Die Rätoromanen schliesslich bezahlen 0,5% der Gebühren, das sind 5 Mio. Fr. Sie erhalten aber 25 Mio. Fr, also 2% der Gebühren.

Die Deutschschweizer subventionieren mit anderen Worten die französischsprachige Schweiz mit 120 Mio. Fr., die italienischsprachige Schweiz mit 220 Mio. Fr. und die Rätoromanen mit 20 Mio. Fr. Das ist extrem wichtig für den Zusammenhalt der Schweiz, weil die französischsprachige und die italienischsprachige Schweiz ohne Transferzahlungen kaum eigene Medien hätte. Romands und Tessiner würden dann (noch) viel mehr Medien aus Frankreich und Italien konsumieren und sich entsprechend weniger an der Schweiz orientieren, sondern an den gleichsprachigen Nachbarländern.

Rätoromanisch nur ein Luxus?

Dieser innerschweizerische, mediale Finanzausgleich ist unter Druck. In der Deutschschweiz regen sich immer mehr Stimmen, die dagegen wettern. Das Tessiner Fernsehen sei zu gross, die Romands erhielten zu viel Geld und die Rätoromanen sowieso. Als Beispiel für die Stimmung ein Kommentar aus dem Onlinebereich der Basler Zeitung.[5] Da schreibt Daniel Roth: Wenn die Bündner schon ihr eigenes TV/Radio haben wollen, sollen sie es bitte auch selbst finanzieren. Das ist nur Luxus, da ohnehin alle Bündner zwei oder drei Landessprachen sprechen und verstehen. Nicht einmal die Walliser werden mit so hohen Subventionen beglückt wie die Bündner. Diese Geldverschwendung muss aufhören – Rätoromanisch wird ohnehin aussterben, wie jedes Jahr Dutzende andere Sprachen weltweit.

In dieselbe Richtung zielen Bemühungen, die Radio- und Fernsehgebühr zu halbieren. Die SVP droht ja schon länger mit einer 200-Franken-Initiative. Eine solche Halbierung der Gebühren würde das austarierte System des innerschweizerischen Finanzausgleichs torpedieren. Ich habe einmal ausgerechnet, wie hoch die Radio- und Fernsehgebühr wäre, wenn jeder Landesteil das finanzieren müsste, was er auch konsumiert. Hier das Resultat:[6] Die Deutschschweiz müsste für das bestehende Angebot etwa 200 Franken bezahlen. In der Romandie wären 490 Franken fällig. Tessiner müssten 1325 Franken bezahlen. Rätoromanen müssten eine Gebühr von etwa 500 Franken entrichten.

Nicht mehr unsere Schweiz

Wenn Deutschschweizer die Radio- und Fernsehgebühren halbieren wollen, dann zielen sie also letztlich darauf ab, dass die Deutschschweizer künftig nur noch das bezahlen, was sie selbst konsumieren – und für die anderen Landesteile gilt Après nous le déluge. Eine 200-Franken-Initiative ist also letztlich eine Initiative gegen den innerschweizerischen Finanzausgleich und damit gegen den medialen Zusammenhalt des Landes.

Nein, ohne die SRG bricht das Land nicht auseinander. Es gibt kaum etwas, das so wichtig ist. Aber ohne den Finanzausgleich der SRG driften die Landesteile weiter auseinander, weil die mediale Anziehungskraft der angrenzenden Länder dann grösser wäre als jene Kraft, welche die Schweiz medial zusammenhält. Die Schweiz würde auch nicht auseinanderbrechen, wenn es die vier Sprachen auf den Banknoten nicht gäbe, oder die Rücksichtnahme auf sprachliche Minderheiten, oder den Ausgleich zwischen den Regionen. Die Schweiz würde nicht auseinanderbrechen. Aber es wäre nicht mehr unsere Schweiz, Suisse, Svizzera, Svizra.

Basel, 9. Februar 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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[1] Vgl. https://www.srf.ch/sendungen/heidi/der-geissenpeter

[2] Vgl. https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/themen/finanzpolitik/nationaler-finanzausgleich.html

[3] Vgl. https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/50379.pdf

[4] Vgl. https://www.htr.ch/tourismus/ohne-srg-kein-rennen-47196.html

[5] Vgl. https://bazonline.ch/schweiz/standard/heimgartners-heimspiel/story/18571247

[6] Hier meine Rechnung:

 

Haushalte

Einnahmen

Budget

Gebühr

SRF 2.7 Mio. 885 Mio. Fr. 525 Mio. Fr. 195 Fr.
RTS 0.82 Mio. 280 Mio. Fr. 400 Mio. Fr. 487 Fr.
RSI 0.2 Mio. 45 Mio. Fr. 265 Mio. Fr. 1325 Fr.
RTR 0.05 Mio. 5 Mio. Fr. 25 Mio. Fr. 500 Fr.

Die Rechnung ist etwas vereinfacht, stellt aber die Grössenordnungen her.

6 Kommentare zu "Was die Schweiz im Innersten zusammenhält"

  1. Hei, wie sich zur Zeit alle um unsere Schweiz kümmern. Richtige „Patrioten“ sind zur Zeit alle. Wegen der SRG-Abstimmung reden sie alle vom wichtigen nationalen Zusammenhalt, von der „Klammer für die Schweiz“ bis zum Grundpfeiler unseres Landes.
    In Zukunft werden wir uns dank der (nicht von ungefähr) wählerstärksten Partei über die PFZ (Personenfreizügigkeit) an der Urne äussern dürfen.
    Ich hoffe, diese „Patrioten“, „Schweizversteher“, „Landeshüter“, „Wertebewahrer“ und „Heimatschützer“ erinnern sich dann auch noch daran.
    Denn die „Beschränkungsinitative“ wird die Schweizer Jahrhundertabstimmung. Es geht darum, ob wir unsere Gesetze noch selbst erlassen können, ob wir die Zuwanderung wieder selbst steuern dürfen und nicht nur den CEO´s überlassen, es geht um kleines, wie ob wir den MWST-Steuersatz nicht vorgeschrieben bekommen (wie alle EU-Länder), es geht um grosses wie die uferlose Verbetonierung unserer Landschaft (Tourismus, unwiederbringliche Lebensqualität), es geht um unsere Identität, ob wir (wie bald jetzt schon) in einer Grossagglomeration leben möchten, welche nicht nur von Zürich nach Basel reicht, sondern vom Bodensee an den Genfersee und nicht zuletzt, ob wir unseren Kindern und Kindeskindern eine 11-Millionen-Schweiz hinterlassen wollen, in der sie weder neu gestalten dürfen noch durchatmen können, da alles schon Beton!… Zu guter letzt geht es sogar darum, ob wir noch a b s t i m m e n dürfen! Wie sagte doch Gret Haller (71), strebsame EU-Verehrerin, SP-Politikerin und Publizistin im Tagesgespräch mit Marc Lehmann, als dieser einwandt, in der EU könne man nie über alles abstimmen… „In der EU kann und darf man über alles abstimmen! Die Katalanen dürfen abstimmen, die Italiener dürfen abstimmen usw“! – Lange Pause – Danach leise und unverständlich: „…Nur ob es dann umgesetzt werden darf und kann, ist nicht unbedingt der Fall.“
    Sie sehen also:Die Liebe zur Schweiz und zu unserer Demokratie geht (mir) weit über die Billag-Abstimmung hinaus!

    1. Ach, Herr Zweidler. Es geht hier um die NoBillag-Initiative, welche die SRG abschaffen will. Alle anderen Punkte, die sie aufführen, haben damit nichts zu tun.
      1) Die Beschränkungsinitiative will gegen alle Bedürfnisse der Wirtschaft die Bilateralen aufs Spiel setzen, in dem die Personenfreizügigkeit gekündet wird. Dies bei rekordtiefer Arbeitslosigkeit. Damit sägen Sie am Ast, auf dem wir alle sitzen.
      2) Die Elf-Millionen-Schweiz ist nicht der Grund, warum das Mittelland zubetoniert wird, sondern die lasche Raumplanung. Aber keine Angst: Es boomen die Städte. In Basel hat es in der Vertikalen noch Platz. Das ist ökologischer als ein Einfamilienhaus im „Grünen“ mit drei Autos vor der Tür.
      3) Dass wir alles selbst bestimmen könnten, wenn wir mit der EU nichts zu tun hätten, das ist eine blauäugige Illusion. Wir sind nun mal keine Insel, sondern vernetzt und eingebettet in Europa. Stellen Sie sich vor, die EU schafft die Sommerzeit ab. Da spielt es doch keine Rolle, welche Verträge wir mit der EU haben, die Schweiz muss nachziehen. Oder wollen Sie, dass an unserer Landesgrenze jeder die Uhr eine Stunde zurückstellen muss?

  2. Die Vision einer Schweiz, deren Bewohner*innen es verstehen, mit Vielfalt kreativ, produktiv und solidarisch zu leben, und es nachhaltig tun, ist auch meine Vision. Ich hege und pflege sie allerdings nicht nur im nationalen Rahmen. Für unsere Welt sehe ich es als brennendes Problem, wie superschlau verrückte oder steinreich satte Patrioten vor allem bei den Enttäuschten und Frustrierten punkten. Und wie es ihnen gelingt, ihre Anhänger*innen fremden- und innovationsfeindlich auf Popul- und Nationalismus-Kurs zu halten. Eine Schweiz als gieriges Schlaraffenland (= Land der faulen Affen) gefällt mir ganz und gar nicht.

  3. Seit wenigen Wochen lese ich Ihren Wochenkommentar. Leider widmen Sie sich nur noch einem Thema: No Billag und die SRG. Des Guten kann auch zu viel sein. Die Abstimmung ist ohnehin gelaufen. Zum Glück. Aber eine zu deutliche Abfuhr der Initiative an der Urne wünschen sich auch viele SRG-Unterstützer nicht. Bei einem Kantersieg der No-Billag-Gegner wird sich im Hause SRG wohl nur ganz wenig ändern – trotz der Versprechungen der SRG-Spitze und Politik.

    1. Das Thema dieses Kommentars war eigentlich die Solidarität, nicht die SRG. Aber keine Sorge: Ich schreibe bald nur noch über anderes. Es gibt maximal noch einen Kommentar über die SRG – und zwar darüber, wie es nach einem Nein zu NoBillag weitergehen könnte/sollte. Und keine Angst: Das Haus SRG wird sich auch bei einem hohen Nein-Stimmen-Anteil verändern. Das grösste Problem aller traditionellen Medien ist nämlich entgegen anderslautender Annahmen nicht die SVP, sondern der Medienwandel. Es stellt sich auch für die SRG die Frage, wie sie sich aufstellen kann, so dass sie einerseits jene Menschen, die noch ausschliesslich in der alten Medienwelt leben, noch bedient und nicht verliert und andererseits auch die Jungen, die sich nur noch in den neuen Medien bewegen, erreicht. Aber eben: Davon abgesehen, keine SRG mehr.

      1. LIEBLING DIE SCHWEIZER STERBEN AUS –
        DA MUSS EIN MANN DOCH SEINEN MANN STEHN…
        DRUM ZIEH DER SRG DEN STECKER RAUS
        LIEBLING DIE SCHWEIZER STERBEN AUS.
        oder wie sang schon Rudi Carell in den 70ern…
        ***
        Liebling, die Deutschen sterben aus,
        die Nachricht hab ich schwarz auf weiß gelesen,
        wie produktiv sind da doch die Chinesen,
        die wissen wie man’s macht,
        ich habe nachgedacht,
        und schlage vor, wir bleiben heut’ zu Haus,
        Liebling, die Deutschen sterben aus

        Liebling, die Deutschen sterben aus,
        die Lehrer stehn’ bald vor geschlossnen Türen,
        und wer zahlt dann dem FERNSEHN DIE GEBÜHREN,
        es wär ein schwerer Schlag auch für den Muttertag,
        die Hebammen ziehn’ schon die Stirne kraus,
        Liebling, die Deutschen sterben aus

        Liebling, die Deutschen sterben aus,
        dabei ist unser Kindergeld doch prima,
        es liegt auch ganz bestimmt nicht nur am Klima,
        es liegt, so scheint es mir, auch nicht am deutschen Bier,
        und ausnahmsweise nicht an Schmitt und Strauss,
        Liebling, die Deutschen sterben aus

        Liebling, die Deutschen sterben aus,
        Das kann man doch nicht einfach so mitansehn’,
        da muss ein echter Mann doch seinen Mann stehn’,
        komm gib mir deine Hand,
        und denk ans Vaterland,
        sei lieb, und zieh den FERNSEHSTECKER RAUS,
        Liebling, die Deutschen sterben aus,
        Liebling, die Deutschen sterben aus
        *****
        wir in der CH setzen aber lieber weiter auf Fernsekucken,
        und der Kinderlosigkeit kann man mit Migration abhelfen.

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