Warum wir den Klimawandel nicht den Medien überlassen dürfen
Die Schlagzeilen im Hitzesommer 2018 waren eindrücklich: So heiss war es selten, so trocken nie. Sensationell – entsprechend haben auch die Medien darüber berichtet. Doch das Klima ist eine längerfristige Angelegenheit. So richtig gefährlich wird es dann, wenn wir uns an die Hitze gewöhnt haben und die Medien längst nicht mehr darüber berichten, weil die Erwärmung zur Normalität geworden ist. Wir dürfen den Klimawandel deshalb nicht einfach den Medien überlassen.
«Du willst etwas über den Klimawandel schreiben? Das ist doch schon abgelutscht.» Der Freund hatte kein gutes Wort für meinen Plan übrig, nach dem Hitzesommer einen Wochenkommentar über den Klimawandel schreiben zu wollen. «Zudem ist es gar nicht mehr so heiss», meinte er. Ohne es zu wollen, brachte er damit mein Thema auf den Punkt: Der Klimawandel pendelt in den Medien nämlich zwischen Sensation und abgelutscht – Medien können nicht mit langfristigen und langsamen Entwicklungen umgehen. In Sachen Klimawandel werden sie damit zu einem Teil des Problems. Aber der Reihe nach.
Der Sommer 2018 war ausserordentlich. Das ist keine subjektive Feststellung mehr, das sagt inzwischen jede Statistik. Dabei geht es um drei Werte, die rekordverdächtig sind: Die Temperaturen kletterten besonders hoch, es war besonders viele Tage hintereinander sehr heiss und der Sommer 2018 war ausserordentlich trocken. Vor einer Woche ging nach elf Tagen eine besonders lange Hitzeperiode zu Ende. In Sion sind die Temperaturen dabei auf über 36 °C geklettert, Zürich erreichte fast 36 °C, Basel fast 35 °C.[1] Insgesamt hat die Zahl der Hitzetage in der Schweiz stark zugenommen. Ein Hitzetag ist ein Tag, an dem die Temperatur auf über 30 °C ansteigt. Sion verzeichnete bis Anfang August 36 Hitzetage, in Locarno waren es 31 und in Genf und Chur waren es 26.[2] Gleichzeitig hat es kaum geregnet. Der Sommer 2018 war rekordtrocken: So wenig geregnet in einem Sommer hat es zuletzt vor 97 Jahren.[3] Von April bis Juli fielen kaum Niederschläge. Und es bleibt weiterhin sehr trocken.
Medien lieben das Wetter…
Die Medien reagieren gerne auf diese Rekorde, denn Sensationen verschaffen Aufmerksamkeit. Der Sommer, der nie endet, titelte das Magazin «Der Spiegel» letzte Woche und schrieb von Deutschland als einem Land im meteorologischen Ausnahmezustand.[4] Die «Sonntagszeitung» warnt: Eine der intensivsten Hitzewellen bedrohe das Leben vieler Menschen.[5] Und der «Blick» prognostiziert: Der Hitzesommer war erst der Anfang![6] Das ist der Stoff, aus dem die Medien sind.
In den Kommentarspalten zu den Artikeln finden sich besorgte Leserkommentare, aber auch viele ablehnende Meinungen. Etwa: Experten Quatsch. Alles Populisten mit grosser Klappe. Nächsten Sommer wird geschlottert. Der Borkenkäfer kommt wieder und frisst den Wald total auf. Alle paar Jahre wieder dieselbe Story. Habe die Nase längst voll von diesem Schwachsinn. Hört endlich auf mit diesen Lügen, schreibt etwa Urs Gfeller aus Meierskappel.[7] Es werden grundsätzliche Zweifel angemeldet (falsche Messungen), der Klimawandel wird als (linke) Propaganda abgetan und die Erwärmung auf allerlei andere Ursachen als auf den CO2-Ausstoss zurückgeführt, von Sonnenflecken bis zur zyklischen Erwärmung. Vor allem aber führen die Zweifler immer wieder ein Argument ins Feld: Von einem wärmeren Sommer lässt sich noch nicht auf ein wärmeres Klima schliessen.
…aber das Klima ist nichts für die Medien
Das Problem ist: Die Zweifler haben recht. Ein heisser Sommer macht noch keine Klimaerwärmung. Das Klima ist die Gesamtheit der typischen Wetterabläufe in einer Region über eine längere Zeit.[8] Medien berichten sehr selten über eine Gesamtheit und schon gar nicht über einen typischen Verlauf. Medien berichten über Extreme, über Rekorde, über sensationelle Unwetter, über das Ausserordentliche wie die Trockenheit – und das heisst: Medien berichten nie über das Klima, Medien berichten immer über das Wetter. Man kann ihnen also zurecht vorwerfen, dass sie nicht von Frühling reden können, wenn sie eine Schwalbe sehen.
Klimaerwärmung ist, wenn die Erwärmung Normalität ist – und das Normale interessiert die meisten Medien nicht. Oder in den Worten meines Freundes formuliert: Von Klimaerwärmung kann man dann reden, wenn das Thema abgelutscht ist – nur reden dann genau deshalb die Medien nicht mehr darüber. Das Vermitteln von komplexen Zusammenhängen, von langfristigen Statistiken ist nichts für «Blick» und Co. So ein Balkendiagramm holt in aller Regel einfach zu wenig Aufmerksamkeit. Und nach der fünften Hitzeschlagzeile haben sich alle schon so daran gewöhnt, dass auch die Hitze kein Aufreger mehr ist.
Bloss Zynismus geht immer
Mehr Aufmerksamkeit verspricht es, wenn das Wetter gegen den Strich gebürstet wird. Wenn zum Beispiel Manfred Messmer in der «BaZ» schwärmt: Welch herrlicher Sommer! Heiss wie im Süden, ein blauer Himmel von frühmorgens bis spätabends. Und nachts der klare Sternenhimmel. Das ist ein Sommer, wie wir ihn uns schon seit Jahren gewünscht haben.[9] Das regt auf, weil es zynisch ist. So zynisch, wie wenn man sich am farbigen Feuerwerk erfreuen würde, das die über Syrien explodierenden Granaten erzeugen.
Denn statistisch ist der Fall klar, da können die Zweifler noch so lange mosern: Unsere Sommer werden immer wärmer und immer trockener. Die Temperatur ist in der Schweiz seit 1864 in allen Regionen markant angestiegen, schreibt Meteo Schweiz. Die stärksten Zunahmen zeigen sich im Winter im Mittelland sowie im Sommer in den Alpen.[10] Die Grafiken zum Anstieg der Temperatur sollten Zweifler eigentlich sofort zum Verstummen bringen: Wenn man in einer Grafik die Abweichungen von der Durchschnittstemperatur aufzeichnet und die Abweichungen nach oben rot einzeichnet und die nach unten blau, dann sind die Balken seit etwa 1985 durchgehend rot.[11] Der Fall ist eindeutig: Seit 30 Jahren wird es immer wärmer.
Das Problem ist: Niemand hat Lust auf Veränderung
Es ist etwa so, wie wenn Sie jede Woche auf die Waage stehen und 30 Mal zeigt die Waage ein höheres Gewicht als bei der letzten Messung. Wenn Sie einigermassen ehrlich sind zu sich selbst, müssen Sie sich eingestehen, dass das wohl kein zufälliges Auf und Ab mehr ist, dass es nicht 30 Mal daran liegen kann, dass Sie vor dem Wiegen ein Glas Wasser getrunken haben. Das Problem ist: Wenn Sie zu dieser Feststellung gekommen sind, müssen Sie handeln. Kalorienbomben streichen, weniger Kohlenhydrate, mehr Salat, weniger Süsses. Egal, wie Sie es drehen und wenden, welchen Diätvorschlag Sie befolgen, welcher Theorie sie anhängen: Es wird nicht gehen, ohne dass Sie Ihr Essverhalten ändern. Und genau das macht niemand gern.
So ist das auch bei der Klimaerwärmung. Wenn wir zugeben, dass die Erde sich verdammt schnell erwärmt, dann müssen wir verdammt schnell etwas dagegen tun. Die meisten Menschen verhalten sich aber wie unsere Bauern. Wegen der ausserordentlichen Hitze und der Dürre im Sommer 2018 verlangen die Schweizer Bauern vom Bund Zollsenkungen und Rücksicht bei den Subventionen. Die Bauern selbst erfüllen aber kein einziges Klimaziel des Bundes[12] und sie wollen auch nicht Hand bieten für schärfere Regeln in der Schweiz.[13]
Das Thema ist vorbei, das Problem bleibt
So verhalten wir uns alle: Wenn die Waage zu viele Kilos anzeigt, zweifeln wir zuerst an der Waage, dann beklagen wir das Schicksal. Bis wir handeln, etwas verändern, gar auf etwas verzichten, dauert es ganz schön lange. Der Bauch kann warten. Doch das Klima nicht. Politiker wollen ihren Wählerinnen und Wählern Klimaschutz nur zumuten, wenn es nicht weh tut. Die Wirtschaft lobbyiert mit dem Argument Wettbewerbsfähigkeit gegen jede Massnahme und erreicht damit, dass nichts geschieht. Und wir alle sind viel zu sehr im Konsum gefangen, als dass wir unser Verhalten ändern könnten. In der Easyjet-Gesellschaft zählt nach wie vor nur der Preis, den wir in Franken zahlen – was es die Welt an Ressourcen kostet, ist den meisten Menschen egal.
Denn so heiss der Sommer war – das Thema ist vorbei. Wetter geht als Thema in den Medien zwar immer, aber das Klima ist abgelutscht, wie der oben zitierte Freund sagte. Bloss: Auch wenn man absolut keine Lust mehr hat, über Übergewicht zu reden – der Bauch bleibt (glauben Sie mir, ich weiss das). Deshalb dürfen wir das Thema Klima nicht mehr bloss den Medien überlassen. Wir müssen die Verantwortung dafür selbst übernehmen. Wir alle. Jetzt.
Basel, 17. August 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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[1] Vgl. https://www.srf.ch/meteo/meteo-news/hitze-vorlaeufige-bilanz-der-sommerhitze-2018
[2] Vgl. https://www.srf.ch/meteo/meteo-news/hitze-vorlaeufige-bilanz-der-sommerhitze-2018
[3] Vgl. https://www.srf.ch/news/schweiz/rekordsommer-2018-so-trocken-war-es-zuletzt-vor-97-jahren
[4] «Der Spiegel» 32/2018, S. https://magazin.spiegel.de/SP/2018/32/158733096/
[5] Vgl. «Sonntagszeitung»: https://www.tagesanzeiger.ch/sonntagszeitung/toedliche-hitze/story/10358589
[6] Vgl. «Blick» https://www.blick.ch/life/wissen/naturwissenschaften/waermeperiode-bis-2022-der-hitzesommer-war-erst-der-anfang-id8731723.html
[7] Leserkommentar zu https://www.blick.ch/life/wissen/naturwissenschaften/waermeperiode-bis-2022-der-hitzesommer-war-erst-der-anfang-id8731723.html
[8] Vgl. Meteo Schweiz, https://www.meteoschweiz.admin.ch/home/klima/klima-der-schweiz.html
[9] «BaZ», 15. August 2018, S. 13: https://verlag.baz.ch/artikel/?objectid=74A55530-73D2-4ACC-A1C62440CB6F89CF#.W3aV6u27
[10] Vgl. https://www.meteoschweiz.admin.ch/home/klima/klimawandel-schweiz/temperatur-und-niederschlagsentwicklung.html
[11] Vgl. Meteo Schweiz: https://www.meteoschweiz.admin.ch/product/output/climate-data/climate-trends-processing/ths200m0/swiss/year/1864-smoother/climatetrend_ths200m0_swiss_year_1864-smoother_d.pdf
[12] Vgl. «Watson», 10.8.2018: https://www.watson.ch/schweiz/gesellschaft%20&%20politik/854530337-bauern-jammern-wegen-der-duerre-doch-sie-erfuellen-kein-einziges-klimaziel-des-bundes
[13] Vgl. «NZZ am Sonntag», 4.8.2018 : https://nzzas.nzz.ch/schweiz/bauern-hadern-mit-klimapolitik-ld.1408958
6 Kommentare zu "Warum wir den Klimawandel nicht den Medien überlassen dürfen"
Wie recht Sie haben, Herr Zehnder!
Da kratzen sie z.B. in Saas Fee den Firn vom letzten Jahr zusammen, um damit die Gletscherspalten zu füllen. Und warum? Damit die Menschen weiter im Sommer gefahrlos skifahren oder snowboarden können. Die Wirtschaft und der Wettbewerb diktieren dieses Verhalten, denn im Sommer skifahren kann man ja nicht überall.
Warum man dieser Wintersportart auch im Sommer frönen muss, ist mir schleierhaft.
Vielleicht sollte man den Gletscher überhaupt einmal in Ruhe lassen. Er wird schon genug von der Sommerhitze gestresst. Ein paar „menschenfreie“ Monate würden ihm sicher gut tun, und der Verzicht auf dieses Skivergnügen scheint mir machbar.
Bravo, ich stimme in den Nachbet-Lobgesang ein. Wie recht Sie haben mit Ihrem Satz:
NIEMAND HAT LUST AUF VERÄNDERUNG.
Lassen wir jetzt mal die Flugzeuge, Autos, die Kreuzfahrschiffe, die Braunkohle, die Industrie (alles grosse Klimasünder) aussenvor. Lassen wir die Plauschflügli mit der Ju-52 mal eben so schnell ins Grotto zum Boccalino-trinken, lassen wir die Heli-Gletscher-Tourismus-Heiratsflüge, lassen wir den zunehmenden Usus, das jeder aus dem Nahen- und Fernen-Osten einmal für ein Selfie auf dem Titlis gestanden sein MUSS.
Veränderung kann auch heissen:
Keine Kunsteisbahn Margarethen mehr, keine Badis, welche in der Schweiz flächendeckend erst in den 50er Jahren aufkamen (vorher ging es auch), keine Hallenbäder mehr (Energiefresser und Schleudern), keine Skilifte und Gondelbahnen mehr, für welche alle Starkstromleitungen bis auf unsere höchsten Gipfel gezogen werden mussten (nicht bloss mit 220 V ist es da getan – und wie Bergweiden und Starkstromgrabungen doch zusammenpassen) etc. etc.
Es ging früher auch ohne Badis, ohne Kunstis, ohne Skilifte an jedem Berghang….
WENN VERÄNDERUNG, DANN GRUNDLEGEND. Halt auch mit Konsequenzen für die Nebenbetriebe (Wirtshäuser, Geschäfte etc) und den Verlust des „Schweizer Heiligtums“: Den Arbeitsplätzen, dem Wohlstand.
Die heutige Spirale des Wahnsinns stoppen und um 180 Grad drehen wäre angesagt.
Aber eben: Wie richtig erwähnt = wer will das schon….
Die Schlaraffenland- und Wirtschaftswunder-Gesellschaft hat mit ihrem gierigen und rücksichtslosen «Immer-noch-mehr» ihre Grenzen überschritten. «Immer-noch-mehr» geht in Tat und Wahrheit eigentlich schon lange nicht mehr: Beispielsweise nicht beim Konsum, nicht bei der Produktion, nicht beim Sport, nicht beim Tourismus und nicht beim Verkehr. Und auch beim Klima und bei der Umwelt geht «Immer-noch-mehr» nicht mehr. Mit der Mentalität «Konkurrenz belebt das Geschäft – und mit Verlusten muss gerechnet werden» steckt auch die Schweiz in einer Sackgasse. Noch tiefer als die Mehrheit es wahrhaben will. Der Klimawandel ruft nach einem Mentalitätswandel. Der Ruf «Achtsam und bescheiden sein – Sorge tragen: wir wollen unsere Lebensgrundlagen nicht verlieren» wird wahrscheinlich von der Mehrheit erst gehört, wenn er aus der Wüste kommt. Und dann wird es zu spät sein.
Kennen Sie die Klimaseniorinnen? Nein? Dann sollten Sie sie kennenlernen. Etwas über sie zu lesen führt weiter als zu lesen, wie die Medien versagen – die notabene den gleichen „Sachzwängen“ unterliegen wie die übrige Profitwirtschaft.
I. Rusterholtz
Lieber Herr Zehnder,
wer lesen will, der kann doch seit Jahren wissen, dass Wetter nicht gleich Klima ist und dass ein heisser Sommer allein kein Beweis für irgendwelche Klimaentwicklungen sein kann. Nur will das niemand lesen, das langweilt die grosse Mehrheit der Spassgesellschaft. Wir leisten doch (fast) alle unseren Beitrag gegen das schlechte Gewissen, schränken uns im Konsum enorm ein und kaufen uns statt dem Drittauto ein E-bike. Woher der Strom aus der Steckdose kommt ist schon wieder eine so komplizierte Frage, dass man sich besser nicht mit ihr abgibt. Wichtig ist nur, der Strom der stinkt nicht, zumindest nicht an der Steckdose, das versteht jeder. Wenn die Suckerbergs (Schreibweise zufällig) und wie sie sonst noch alle heissen, endgültig und ohne unsere Gegenwehr die Macht über uns übernommen haben, werden sie uns schon eintwittern, was Klimawandel ist und das wird dann auch geglaubt werden. Sie haben schon sehr viele Gläubige, die unter Pseudonym den baren Unsinn, die Verniedlichung jedes Problems und die Verballhornung jedes seriösen Gedankens ungestraft ins Kabel einspeisen dürfen. Es lebe die mediale Freiheit, die natürlich auch ich nutze.
Ich grüsse Sie und habe wenig Hoffnung.
Bla, bla, bla, bla. Erspart es mir. Z.B. diese nichtssagende Bemerkung am Schluss: «Wir müssen die Verantwortung dafür selbst übernehmen. Wir alle. Jetzt.» Abgedroschen? Allerdings! Wie übernimmt denn bitte der Autor selbst die Verantwortung dafür? Was nur will uns der Autor damit sagen, wenn etwas. Wenn er etwas sagen will, dann sage er es, sage, was er damit meint. Was, bitte soll sich ändern? Was mich betrifft, es soll sich ändern, dass mit diesen sinnlosen oder sogar schädlichen Beschuldigungen und Verzichtsappellen aufgehört wird. http://bit.ly/guilt-denial