Warum Tageszeitungen sterben

Publiziert am 8. März 2019 von Matthias Zehnder

Die gedruckte Tageszeitung liegt im Sterben. In Deutschland wollen sich gleich zwei grosse Verlagsgruppen von ihren gedruckten Zeitungen verabschieden. Auch in der Schweiz kracht es im Gebälk der Verlage. Mit hahnebüchenen Argumenten wollen sie jetzt Google zur Kasse bitten. Doch das wird der guten, alten Tageszeitung nicht helfen. Denn das grosse Problem der Verlage ist: Ihr Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr.

Bei allen grossen Medienhäusern tönt es im Moment ähnlich wie bei der NZZ Gruppe. Das Haus an der Falkenstrasse hat am 7. März die Geschäftszahlen für 2018 kommuniziert. Im Kerngeschäft, also bei den NZZ Medien, heisst es: Im Werbemarkt wirkte sich der anhaltende strukturelle Rückgang und zusätzlich der Konkurs der Anzeigenvermittlerin Publicitas aus, wodurch der Umsatz um 3,7 Mio. CHF abnahm. [1]Und auch den nächsten Satz liest man wie einen Refrain in den Geschäftsberichten aller Medien: Die Einbussen aus dem Werbemarkt konnten nur teilweise kompensiert werden, das Betriebsergebnis (EBIT) liegt mit 5,0 Mio. CHF um 1,9 Mio. CHF unter dem Vorjahr.

Der Geschäftsbereich NZZ Medien konnte zwar im Abonnentenmarkt 2018 leicht zulegen: Die NZZ Medien verzeichneten da ein Umsatzwachstum von 2%. Doch das reicht bei weitem nicht aus, um die Erlöse zu kompensieren, die im Werbemarkt wegbrechen. So oder ähnlich sieht es bei vielen Medien aus: Sie sind zwar mit ihren digitalen Angeboten recht erfolgreich, aber: Die Einbussen aus dem Werbemarkt konnten nur teilweise kompensiert werden. Das heisst auf Deutsch: Umsatz und Ertrag sinken.

Verlage ziehen Konsequenzen

In der Schweiz haben unaufmerksame Leserinnen und Leser bisher von den dramatischen Veränderungen wenig mitbekommen: Ob «BaZ» oder «bzBasel», «BernerZeitung» oder «St. Galler Tagblatt» – die Zeitungen gibt es ja alle noch. Dass die allermeisten Zeitungen in der Schweiz heute entweder Tamedia oder CH Media, dem Joint Venture von AZ Medien und NZZ, gehören und die überregionalen Inhalte aus einer der beiden Zentralredaktionen kommen, das merken die Leserinnen und Leser auf den ersten Blick nicht. Ihr Blatt existiert ja weiterhin.

In Deutschland ziehen die ersten Verlage jetzt Konsequenzen – und die sind dramatisch. Die Funke-Mediengruppe aus Essen, die im Bundesland Thüringen praktisch alle Zeitungen herausgibt, will keine Zeitungen mehr drucken. Die «Thüringer Allgemeine» in Erfurt, die «Thüringische Landeszeitung» in Weimar und die «Ostthüringer Zeitung» in Gera sollen künftig nur noch digital erscheinen.[2] Der Druck der Zeitungen und vor allem die Verteilung der Blätter an die immer dünner gestreuten Abonnenten, ist der Funke-Gruppe zu teuer geworden. Die Kölner Mediengruppe DuMont will noch weiter gehen: Sie will ihre Regionalzeitungen verkaufen, weil sie nicht mehr rentieren. Zu den Blättern gehören etwa der «Kölner Stadt-Anzeiger», der «Kölner Express», die «Berliner Zeitung», der «Berliner Kurier», die «Mitteldeutsche Zeitung» aus Halle und die «Hamburger Morgenpost».

Kein Vertriebsmonopol mehr

Warum geht es den Verlagen so schlecht? Die Antwort ist einfach: Weil es sie im Werbemarkt nicht mehr braucht. Vor 20, 30 Jahren machten die Verlage noch viel Geld mit Werbung und Anzeigen. Die Verlage haben immer gesagt, dass sie so viele Anzeigen verkaufen, weil ihre Inhalte so gut seien. Doch das stimmte nicht. Die Verlage haben so viel Werbung verkauft, weil sie in den Regionen faktisch ein Vertriebsmonopol für Werbung hatten. Wie sonst hätte ein Kleiderladen auf sich aufmerksam machen wollen? Wie sonst hätte der Coiffeur am Ort eine Lehrstelle ausschreiben können? Dasselbe galt auf der Benutzerseite: Was hätten Herr Müller und Frau Meier zum Frühstück oder im Tram anderes lesen wollen als die gedruckte Tageszeitung? Man kam um das Papier nicht herum.

Dann kam die Digitalisierung und mit ihr das Internet. Die Digitalisierung führte zu einer quasi unendlichen Angebotsausweitung: Plötzlich gab es Millionen von Möglichkeiten für Werbewillige – und für Lesewillige. Wer heute eine Lehrstelle ausschreiben will, braucht die Zeitung nicht mehr. Es gibt einfachere Möglichkeiten dafür im Internet. Und wer zum Frühstück oder im Tram etwas lesen will, muss nur das Handy aus dem Hosensack nehmen. Das digitale Angebot ist gigantisch. Die Verlage haben unendlich grosse Konkurrenz bekommen. Aus der Sicht des Werbemarktes braucht es sie nicht mehr wirklich – und auch aus der Sicht von vielen Leserinnen und Lesern.

Die Digitalisierung ist schuld

Das stimmt natürlich nicht: In vielen Regionen spielen Tageszeitungen nach wie vor eine wichtige Rolle für die Information über die Politik, Kultur und den regionalen Sport. Tageszeitungen sind für die Demokratie vor Ort nach wie vor lebenswichtig. Gerade in der Schweiz. Das Problem ist nur: Mit dieser Funktion haben sie noch nie wirklich Geld verdient. Die Anzeigenkunden buchten sie, weil die Tageszeitungen die einzige Möglichkeit boten, einen Werbeinhalt zu potenziellen Kunden zu transportieren. Und die schauten sich die Tageszeitung an, weil sie nützlich war. Da stand das Kinoprogramm drin, die Zeiten der Gottesdienste, man erfuhr, wer gestorben war und wer geheiratet hatte und auch, was Ronald Reagan oder Willy Ritschard gerade wieder gesagt hatten.

Viele dieser Informationen erreichen uns heute auf anderen Wegen. Für das Kinoprogramm haben die Kinos Webseiten, für Stellen gibt es Datenbanken und die grossen Politiker laufen in Endlosschlaufe im Internet. Bloss die lokale Politik, die findet weiterhin vor allem bei der lokalen Tagezeitung statt – gedruckt und online. Aber wer vermisst die lokale Politik so sehr, dass er bereit ist, dafür 550 Franken im Jahr zu bezahlen? Die Digitalisierung und das Internet haben das Geschäftsmodell der Verlage zerstört. Es braucht die Verlage nicht mehr wie bisher.

Google und Facebook im Visier

Sie selbst sehen das freilich ganz anders. Sie sehen sich von Google und Facebook übervorteilt. Andreas Häuptli, der Geschäftsführer des Verlegerverbands Schweizer Medien, hat deshalb eine Mission: Er will, dass die Verleger auf Augenhöhe mit den Silicon-Valley-Playern verhandeln.[3] Häuptli und der Verlegerverband möchten in der Schweiz ein so genanntes Leistungsschutzrecht installieren. Unter dem harmlosen Titel «Urheberrechtsgesetz. Änderung» debattiert der Ständerat in der laufenden Session einen Vorschlag, der erzwingen will, dass Google, Facebook und Co. die Verlage für ihre Leistungen entschädigen.

Das Gesetz soll um Artikel 13b ergänzt werden. Darin heisst es: Wer, als Betreiber eines sozialen Netzwerks, eines Informations- oder Unterhaltungsdienstes oder einer anderen Kommunikationsplattform im Internet, journalistische Sprachwerke oder Fotografien so zugänglich macht, dass Personen von Orten und Zeiten ihrer Wahl dazu Zugang haben, schuldet den Urhebern und den Urheberinnen hierfür eine Vergütung.[4] Das würde bedeuten, dass Google und Facebook die Verlage für Links auf ihre Artikel entschädigen müssen. Dieser Vergütungsanspruch kann nur von zugelassenen Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden. Häuptli jubelt: Endlich bestehe die Chance für einen fairen Deal zwischen den internationalen Plattform-Giganten und der Schweizer Medienbranche.

Wie die Käseunion in der Landwirtschaft

Bloss eines wird nicht klar: Warum genau sollen die Verlage Geld von Google erhalten? Denn es ist ja die Suchmaschine, die den Verlagen einen Dienst erweist, indem sie ihnen Traffic liefert. Die Verlage argumentieren, Google verdiene Geld mit fremden Inhalten. Denn Google schaltet auf den Suchseiten Werbung. Auf diesen Suchseiten stehen die Suchresultate und die bestehen aus kleinen Ausschnitten der abgesuchten Webinhalte. Bloss: Nachrichten zeigt Google auf Google News.[5] Das ist eine spezielle Seite mit aktuellen Schlagzeilen aus Medienangeboten und den Links dazu. Und diese Seite ist werbefrei.

Die Verleger haben schon recht: Das Internet im Allgemeinen und Google&Co. im Besonderen sind schuld an ihrem Niedergang. Aber nicht, weil sie die Zeitungen übers Ohr hauen, sondern weil sie Onlinewerbung wesentlich effizienter verkaufen. Google ist nämlich längst nicht mehr nur eine Suchmaschine, sondern auch ein Werbevermarkter: Google schaltet auf vielen Websites Banner.[6] Und das ist einfacher und effizienter, als die Angebote der Verlage. 2019 wird in der Schweiz wohl für deutlich über 2 Milliarden Franken Onlinewerbung verkauft. Experten erwarten, dass Google, Facebook und Instagram 70 Prozent dieses Umsatzes machen werden. Das entspricht 40 Prozent des gesamten Werbeumsatzes.[7] Die Amerikaner machen damit in der Schweiz etwa so viel Werbeumsatz wie alle Presse- und TV-Erzeugnisse zusammen! Klar, dass das die Verleger ärgert. Aber ein Leistungsschutzrecht, das die Stellung der grossen Verlage in der Schweiz zementieren will, ist nicht die richtige Antwort darauf. Es wäre, wie wenn die Landwirtschaft in der Schweiz zur Käseunion zurückkehren würde.

Wenn Tamedia oder die NZZ Werbung verkauft, fliesst dieses Geld zurück in Medienprodukte. Wenn Google Werbung verkauft, fliesst das Geld aus der Schweiz ab. Das ist schlecht für das Medienangebot in der Schweiz. Es wäre deshalb wichtig, Wege zu finden, wie Google, Facebook & Co. an den Kosten der Medien in der Schweiz beteiligt werden. Aber bitte so, dass nicht die grossen, alten Verlage ihre Position zementieren, sondern dass das Geld auf breiter Ebene für Inhalte zur Verfügung steht.

Basel, 8. März 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

[1] Medienmitteilung der NZZ-Gruppe vom 7.3.2019: https://www.nzzmediengruppe.ch/2019/03/wachstum-im-nutzermarkt/

[2] Vgl. «FAZ» vom 14.2.2019: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/funke-mediengruppe-rueckzug-auf-raten-16039402.html

[3] Editorial Februar-Newsletter 2019 von Schweizer Medien: https://www.schweizermedien.ch/artikel/news/2019/fur-ein-griffiges-leistungsschutzrecht

[4] Fahne des Gesetzesvorschlags im Ständerat, Frühjahrssession 2019: https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2017/20170069/S2%20D.pdf

[5] Siehe https://news.google.com/?hl=de&gl=CH&ceid=CH:de

[6] Auch auf dieser Website stammen die Banner von GoogleAds.

[7] Vgl. «Handelszeitung», 20.02.2019: https://www.handelszeitung.ch/unternehmen/schweizer-online-werbung-fliesst-zu-google-und-co

5 Kommentare zu "Warum Tageszeitungen sterben"

  1. In vielen Berufsgruppen/Branchen ist vieles „gestorben“, vieles vorbei und „tempi passati“. Vielen bleibt nur noch viel (schöne) Erinnerung.
    Warum soll es in der Medienbranche anders sein? Nur ein Unterschied besteht: Die Selbstdarstellerzunft von Print, Radio und TV nimmt sich selbst fruchtbar wichtig.
    Das stört mich immens. Sie nennen ihre Berechtigung für ihr Wichtigsein mit: „Wir sind die Kapillaren der Gesellschaft“, „Wir halten die Schweiz zusammen“, „Wir sind nicht zu vergleichen=unvergleichlich“ (mit Maurern, Bäckern, Monteuren…)
    So so. Sich selbst überhöhen, andere runtersetzen. Das beherrscht diese Zunft. Mit neutraler Berichterstattung, sauberen Recherchen hat´s die „New-Generation“ nicht mehr. Eigene Meinung durchzwingen, am Radio im Interview mehr den Journalisten mit seinen Fragen zu hören bekommen als der Befragte. Und im TV Relaunch um Relaunch zu realisieren, mit dem einzigen Zweck, noch trendiger und moderner rüberzukommen. Klar zu Beobachten tagtäglich bei TeleBasel = früher sachlicher Journalismus-Sender vom Nachrichtenpult aus/heute Ganzkörpermoderation und Beine herzeigen (Verpackung) wichtiger als Inhalt! Widerlich und abstossend. All das trägt zum Schaufeln des eigenen Grabes bei. Der Lauf der Zeit ist nicht aufzuhalten. Das gilt für alles auf unserem Blauen Planeten. Und somit auch für die Medien (da können die Herrschaften sich noch lange für was besseres halten).
    Arbeitslosigkeit, Entlassungen, Einsparungen, Zusammenlegungen. Was in der Industrie, Gewerbe Tagesprogramm ist, hat nun auch die erwähnte Branche erreicht.
    Nur machen die andern nicht so eine Szenerie draus.
    NB:
    Der beste Mann der Schweizer Medien, Markus Somm (ehemaliger Verleger und Chefredaktor der BaZ, heutiger Tamedia-Autor) ist uns temporär abhanden gekommen. Er gönnt sich eine halbjährliche Auszeit an der Harvard University in Bosten/USA. Dort forscht er als Fellow am renommierten Shorenstein Center on Media, Politics und Public Policy über Themen wie Business Modelle für digitale Medien usw.
    Interessanter Mann, der bei seiner Rückkehr bestimmt auch viel Interessantes und Neues zum Wochenkommentar-Thema zu berichten wüsste. Wäre schön, wenn man auch hier auf „diesem Kanal“ darüber zu lesen bekäme.
    Zum Abschluss der passende Link für Medien-Insider dazu:
    https://shorensteincenter.org/shorenstein-center-announces-spring-2019-fellows/

    1. Ach, Herr Zweidler. Drei Dinge zur Klarstellung.
      1) Ich habe über die ökonomische Grundlage gedruckter Tageszeitungen geschrieben. Das hat mit Radio, TV etc. wenig zu tun und mit Journalismus nur insofern, als der Journalismus ohne ökonomische Grundlage nicht stattfinden kann.
      2) Ihr «bester Journalist der Schweiz» ist der Chefredaktor, der in seiner Amtszeit am meisten Leser verloren hat. Das ist insofern bemerkenswert, als er in seiner Amtszeit immer den Markt als Bezugsgrösse gepredigt hat. Auf ihn selbst angewendet, schaut dabei kein gutes Zeugnis heraus.
      3) Zu Ihrem Haupteinwand. Sie schreiben: Journalisten seien nicht wichtig, das sei eine Selbstdarstellerzunft, Maurer, Bäcker, Monteure seien auch wichtig. Auf grundsätzlicher Ebene sind alle Arbeitsplätze in der Schweiz wichtig, deshalb gibt es Einrichtungen wie Lohnschutz. Ich meine aber, beim Journalismus (und ich rede jetzt nicht von Unterhaltungsshows, sondern von Informationsjournalismus) verhält es sich noch etwas anders. Die Schweiz schützt ihre Landwirtschaft. Einerseits bezahlt die Schweiz Milliarden an Direktzahlungen, andererseits schützt die Schweiz die einheimische Produktion durch Importverbote oder hohe Zölle. Warum? Weil die Gesellschaft der Ansicht ist, dass die Schweiz sich bis zu einem gewissen Grad selber versorgen können muss und dass es wichtig ist, dass die Landschaft bestellt wird. Ich meine, beim Informationsjournalismus verhält es sich ähnlich. Als direkte Demokratie muss die Schweiz ein Interesse daran haben, dass die Bürgerinnen und Bürger auf allen Ebenen gut informiert sind. Wenn der (Werbe-)Markt diese Information nicht mehr finanziert, müssen wir andere Wege suchen, weil es nicht sinnvoll ist, bezüglich Informationsversorgung vom Ausland abhängig zu werden.

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