Warum es fatal ist, Politik als Deal zu sehen
Didier Burkhalter tritt zurück und mit ihm verschwindet das Schweiz-EU-Problem. So lesen sich jedenfalls die Kommentare in bürgerlichen Schweizer Zeitungen. Kernig wird nach dem linken Bundesrat im FDP-Mantel ein klar bürgerlicher Nachfolger gefordert. Der wird es dann schon richten mit der EU und für die Schweiz den besten «Deal» herausholen. Und genau das ist das Problem: Schweizer Politiker verstehen Aussenpolitik nur noch als Deal. Sie reduzieren die Welt auf einen Markt und kennen nur noch einen Wert: den Marktwert. Das ist fatal – gerade für uns Menschen in der Schweiz.
Die «NZZ» spricht vom europhilen Burkhalter und davon, dass sein Rücktritt die Chance für einen Neuanfang in der Europafrage biete.[1] Zwar gibt auch die NZZ zu: Die Positionen Brüssels werden sich nicht grundlegend verändern, aber die Schweiz müsse selbstbewusster auftreten. Auch sonst sei die Neubesetzung sehr wichtig: Es gilt, die Landesregierung wieder auf einen klar bürgerlichen Kurs zu bringen. Warum und wozu schreibt die NZZ nicht. Hauptsache klar bürgerlich. Und weil das doch sehr nach SVP tönt, schiebt der Kommentator noch nach: Es bestehen keine Zweifel, dass der frei werdende Sitz der FDP gehört.
A propos SVP: In der BaZ kommentiert Markus Somm, Didier Burkhalter wirke in den rauer werdenden Zeiten von Trump wie ein Mensch aus einer anderen Epoche.[2] Und so, wie Somm tönt, meint er damit eine vergangene Epoche. Der Grund für Somms Abneigung wird schnell klar: Burkhalter war überzeugt, weiss Somm, dass die Schweiz sich weiter in die EU integrieren sollte, am liebsten wäre ihm wohl der Beitritt gewesen. Deshalb seien Burkhalter und die Schweiz nicht warm geworden.
Vom Deutschen Reich freigeschossen
Denn, polemisiert Somm, der Blick auf den grandiosen Neuenburgersee genüge halt nicht, um zu verstehen, warum die meisten Schweizer einen EU-Beitritt ablehnten, insbesondere (das ist wörtlich zitiert) in der deutschen Schweiz nicht, jenem Reservat der Eidgenossen, die sich einst aus demokratischen Gründen vom Deutschen Reich freigeschossen haben. Wie bitte? Freigeschossen? Es war ja schon warm diese Woche. Aber so warm war es nun auch wieder nicht.
Denn das ist gleich dreifache Geschichtsklitterung: Zum einen haben sich die Schweizer nicht vom Deutschen Reich freigeschossen, sondern sich bis 1648 explizit zur Schirmherrschaft des Deutschen Reichs bekannt. Entsprechend sind in allen alten Orten heute noch Reichsadler zu Hauf anzutreffen, in welche die Kantonswappen eingebettet sind. Erst der Basler Bürgermeister Rudolf Wettstein hat die Eidgenossenschaft durch Verhandlungen aus dem Reich gelöst. Allfällige Unabhängigkeitsgelüste der Eidgenossen hatten zweitens keine demokratischen Gründe, die Demokratie im heutigen Sinne haben die Schweizer erst lange nach Napoleon gelernt. Als unabhängig haben sich die Schweizer dann präsentiert, wenn sie zwischen die Mühlsteine der europäischen Grossmächte zu geraten drohten. Und freigeschossen? Da ist der Tell mit Somm durchgegangen.
Aussenpolitik als Deal
Die Sommsche Suada mag historisch Blödsinn sein – sie ist typisch für die überhebliche Selbstpositionierung der rechtsbürgerlichen Schweiz. Ihr Tenor: Alle Bundesräte und Staatssekretäre, die es nicht schaffen, die EU in die Knie zu zwingen, sind unfähige, linke Europhile. Dass das absurd ist, dafür reicht ein Blick in die statistischen Zahlen: Europa hat fast hundert Mal mehr Einwohner als die Schweiz, die EU (510 Millionen Einwohner) etwa 61 mal mehr. Doch im Umgang mit der EU ist für die Rechten das demokratische Zählen der Köpfe plötzlich nicht mehr wichtig. Sie argumentieren lieber mit der Wirtschaft. Die Schweiz, argumentieren sie, ist wirtschaftlich sehr wichtig für die EU: Sie ist ihr drittwichtigster Handelspartner. Das stimmt – 8,4 % der EU-Exporte gehen in die Schweiz.[3] Das Problem ist: Die EU ist umgekehrt für die Schweiz viel wichtiger. Denn diese 8,4 % der EU-Exporte entsprechen 71,8 % der Schweizer Importe. Mehr als die Hälfte (53 %) der Schweizer Exporte gehen an EU-Länder –machen da aber nur 5,9 % der Einfuhren aus.[4]
Abgesehen davon, dass diese Zahlen die Grössenverhältisse deutlich machen – das Fokussieren auf die Wirtschaft ist typisch für die Schweizer EU-Politik. Schweizer Politiker betrachten die EU ausschliesslich aus wirtschaftlicher Perspektive, für deutsche Politiker ist die EU dagegen ein politisches Projekt, in erster Linie ein Friedensprojekt, sagt Adrian Arnold, Deutschlandkorrespondent des Schweizer Fernsehens.[5] Etwas überspitzt gesagt: Insbesondere für rechtsbürgerliche Schweizer Politiker ist Aussenpolitik the art oft he deal:[6] Die Aussenpolitik der Schweiz reduziert sich für sie darauf, für die Schweiz (und das heisst: für die Schweizer Wirtschaft) einen möglichst guten Deal herauszuholen. Es ist die Reduktion des Politikers auf den Dealmaker.
Die Welt als Markt
In ihrem Buch Widerstand der Vernunft: Ein Manifest in postfaktischen Zeiten schreibt Susan Neiman: Wenn nur das Messbare zählt, verwundert es nicht, dass Aussenpolitik als Deal verstanden wird, in dem Loyalität, Bündnistreue, ja, Prinzipien überhaupt keine Rolle spielen. Alles wird an einer Latte gemessen: Bringt es mir und meinem Stamm, meinem Land, meinem Volk Gewinn? Genau so argumentieren viele Schweizer Politiker. Sie reduzieren Werte auf Marktwerte und betrachten die Welt ausschliesslich durch die Brille der Wirtschaft: Die Welt als Markt.
In Frankreich, in Deutschland und in anderen Europäischen Ländern ist die EU, obwohl ursprünglich eine Wirtschaftsgemeinschaft, immer auch ein politisches Projekt: in erster Linie ein Friedensprojekt. In diesen Ländern wissen die Politiker um die Kostbarkeit (und um die Fragilität) des Friedens in Europa. In der Schweiz zucken die Menschen dagegen mit den Schultern: Die Alternative zur EU ist für sie nicht Krieg und Chaos, sondern nationale Handlungsfreiheit. Im Unterschied zu den Schweizern wissen Deutsche, Franzosen, Belgier, Niederländer, Tschechen, Slowaken und all die anderen, wieviel Blut diese so genannte nationale Handlungsfreiheit kosten kann.
Angela Merkel hat in letzter Zeit immer wieder betont, dass die EU eine Wertegemeinschaft sei.[7] Europa steht für die Werte der Aufklärung und des Humanismus. Europa grenzt sich auf diese Weise ab gegenüber China, Russland und neuerdings auch gegenüber den USA. Es würde der Schweiz gut anstehen, wenn sie wieder mehr in die humanistischen Werte investieren und weniger auf die Frankenwerte schauen würde. Fortschritt darf nicht einfach Umsatzsteigerung sein. Es mag sein, dass Geld nicht stinkt – aber manchmal klebt Blut daran. Dass wir Schweizer von zwei Weltkriegen verschont wurden, gibt uns nicht das Recht, uns über die Werte der Europäer hinwegzusetzen. Es würde uns im Gegenteil dazu verpflichten, voranzuschreiten.
Quellen:
[1] Vgl. https://www.nzz.ch/meinung/ruecktritt-von-didier-burkhalter-nun-ist-ein-buergerlicher-bundesrat-zu-waehlen-ld.1300968
[2] Vgl. http://bazonline.ch/schweiz/standard/Der-scheue-Staatsmann/story/23223675
[3] Vgl. http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/International_trade_in_goods/de#Extra-EU-Handel
[4] Vgl. https://www.eda.admin.ch/content/dam/dea/de/documents/faq/schweiz-eu-in-zahlen_de.pdf
[5] Vgl. http://www.matthiaszehnder.ch/vortraege/spannendes-gespraech-mit-adrian-arnold/
[6] Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Trump:_The_Art_of_the_Deal
[7] Zum Beispiel hier: https://www.aargauerzeitung.ch/ausland/merkel-und-cazeneuve-beschwoeren-wertegemeinschaft-der-eu-130972048
Anmerkung: in einer früheren Version des Textes stand, die EU habe etwa hundert Mal mehr Einwohner als die Schweiz. Das ist die EU und Europa verwechselt. Die korrekten Zahlen:
Europa: 742 Millionen Einwohner (Quelle)
EU: 510 Millionen Einwohner (Quelle)
Schweiz: 8,4 Millionen Einwohner (Quelle)
7 Kommentare zu "Warum es fatal ist, Politik als Deal zu sehen"
Lieber Matthias
Mit BR Burkhalter dürfen wir nochmals sagen: Der Lotse geht von Bord. Die EU ist nun die europäische Zukunft; und unser Land bildet Teil davon. Handel, Frieden, Aussenpolitik gegen Nichteuropäer, dafür werden wir zusammenstehen. Die SVP hat immer wieder bewiesen, dass sie von Geschichte keine Ahnung hat; aber von der Geschichte haben wir lernen müssen, was in einem fragmentierten Europa passieren kann.
BR Burkhalter hat es verstanden. Er ist der echte Bürgerliche; er hat die Vision einer selbstbewussten, freien Schweiz in einem kohärenten Europa entwickelt.
Es scheint mir nicht so lang her, dass gewisse Vorgänger der SVP alles anderes als bereit waren, sich frei zu schiessen; ihre Sympathien mit einem kompromisslos undemokratischen nördlichen Nachbar waren nach 1939 allzu offensichtlich. Sich den fremden Richtern freudig zu opfern, schien damals kein Hindernis. Dies ist jedoch eine Geschichte, die Herr Somm nie gelernt hat.
Wir sehen heute, wie es in der Welt mit Europa steht. Wir haben die grosse Chance, die Briten bei ihrer Entscheidung zu beobachten; und es sieht schlecht aus. Die Putins, Trumps und anderen erwarten nur, dass Europe nicht zusammen steht; und wir sind Teil davon. Kann die SVP dies nun lernen?
Lieber Herr Zehnder
Ich schätze Ihre pointierten Wochenkommentare sehr. Aber wenn Sie anderen Polemik und Überheblichkeit vorwerfen sollten Sie selbst möglichst nüchtern und exakt bleiben. Die EU hat 510 Millionen Einwohner, die Schweiz 8.3 Millionen. Hier von Faktor 61 auf „fast hundert Mal grösser“ aufzurunden scheint mir dann doch etwas gewagt. Oder haben Sie etwa Europa und die EU verwechselt?
Lieber Stephan Mumenthaler, Sie haben absolut recht. Herzlichen Dank für den Hinweis. Ich habe den Fehler im Text entsprechend korrigiert. Am Argument ändert sich meines Erachtens nichts: Die EU ist schon sehr viel grösser als die Schweiz. Nicht erwähnt habe ich dabei, dass in nächster Zeit das Hauptproblem der EU die Klärung des Verhältnisses mit Grossbritannien sein wird. GB ist etwa acht mal grösser als die Schweiz – die EU kann der Schweiz keine Konzessionen geben, die sie den Briten verweigert. Vor diesem Hintergrund alle Schweizer Diplomaten als Schwächlinge zu titulieren, die aus Brüssel nicht mit Fünfer, Magd und Weggli heimkehren, ist arrogant.
Es wird hier immer simpler: Der 1001. Seitenhieb gegen D. Trump: Da er als (erfolgreicher) Geschäftsmann Politik als Deal sieht (ist doch legitim; und für seine eigene Bevölkerung in der Politik gute Deals herauszuholen, noch legitimer – er erinnert sich wenigstens daran, wofür er gewählt wurde), wird seine (offene, durschaubare aber ehrliche) Politstrategie hier als „fatal“ abgetan.
Hingegen wird „Widerspruch-Angela“-Merkel (doch keiner merkelt´s) hochgelobt, da sie in letzter Zeit immer wieder betont, dass die EU eine Wertegemeinschaft sei. „Europa steht für die Werte der Aufklärung und des Humanismus. Europa grenzt sich auf diese Weise ab gegenüber China, Russland und neuerdings auch gegenüber den USA (…)“. Doch dass die EU ein für viele unmenschliches Gewand anzog und es dringend Reformen braucht (wie z.B. Helmut Hubacher (SP) oder Rudolf Strahm (SP) dringend ermahnen), wird unerwähnt gelassen. Und dass dann noch unbewusst (oder bewusst) die EU mit Europa gleichgestellt wird, ist suboptimal. Europa ist nicht die EU und die EU ist nicht Europa. Dafür wird unser abtretender Bundesrat (und EU-Turbo) D. Burkhalter (wie könnte es anders sein) hochgelobt und sinngemäss zitiert: „Es würde der Schweiz gut anstehen, wenn sie wieder mehr in die humanistischen Werte investiert….“
Warum nimmt er wohl den Hut? Seine Gründe (Auszug einer langen Liste:) CH-Volk will nicht in die EU, politische Einsamkeit, Probleme im Botschaftsbereich und die verlockende Aussicht, im besten Alter die milde Briese des Neuenburgersees zu geniessen und eine super-lebenslange Bundesratsrente abzukassieren. Das sind mir noch Männer (oder Frauen)!….. Solche Typen waren und sind nie meine!
Er gab auf, weil sich unmissverständlich klarstellte: Die Schweiz, darf, muss, kann, will und wird sich der Europäischen Union nie unterwerfen! Die Schweiz wird der EU nicht beitreten, und sie wird auch keinen sogenannten Rahmenvertrag unterschreiben, der sie einseitig an die EU bindet und europäischem Recht und europäischen Richtern unterwirft! Diesen Verlust an Souveränität, diesen Verlust an Volks- und Freiheitsrechten lassen sich die Schweizer nicht gefallen!
Denn: Was ist die wichtigste Aufgabe in der Politik? Die wichtigste Aufgabe der Politik ist es, dafür zu sorgen, dass es dem eigenen Land auch in Zukunft gut geht.
Damit man dafür sorgen kann, dass es dem eigenen Land auch in Zukunft gut geht, muss man zuerst einmal verstehen, warum es dem eigenen Land heute überhaupt gut geht. Der Schweiz geht es gut, weil sie unabhängig ist, weil sie ungebunden ist, weil sie eine Staatsform hat, welche die Interessen der hier lebenden Menschen in den Mittelpunkt stellt. Freiheit für die Bürger! Das ist das Wesen unserer Selbstbestimmung und Unabhängigkeit: In der Schweiz bestimmen Sie, liebe Zehnder-Blogleser, bestimmen wir, bestimmen die Direktbetroffenen über das, was sie betrifft. Deshalb geht es der Schweiz besser. Weil wir uns nicht von aussen befehlen lassen, was wir machen müssen, sondern weil wir seit Jahrhunderten möglichst massgeschneiderte politische Lösungen suchen für unser kleines und verwundbares Land.
Diese Selbstbestimmung hat auch nicht das Geringste mit Abschottung zu tun, wie Gegner immer wieder höhnen und behaupten, sondern diese Unabhängigkeit, diese Ungebundenheit, diese Beweglichkeit war und ist die Voraussetzung unserer Weltoffenheit, zu der wir als von Natur aus armes Land immer gezwungen waren!
Die Schweiz war doch nie ein autistischer Sonderling auf der Landkarte. Selbstverständlich haben wir immer mit möglichst vielen Staaten zusammengearbeitet und Verträge abgeschlossen. Aber die Pointe unserer Bündnispolitik war es eben immer, mit den Verträgen die Handlungsspielräume, die Freiheit, eben: die Unabhängigkeit der Schweiz zu vergrössern. Das war das Erfolgsrezept unserer Diplomatie früher.
Heute allerdings beobachtet man als interessierter Zeitgenosse und Leser z.B. einer „BZ-Basel“ u n d einer „BaZ“ (…und eines „Zehnder-Blogs“), dass unsere Bundesräte und Diplomaten das Gegenteil machen. Sie schliessen internationale Verträge ab, nicht um die Freiheit der Schweiz zu vergrössern, sondern um die Freiheit der Schweiz scheibchenweise abzuschaffen. Zum Beispiel mit diesem unseligen Rahmenvertrag, mit dieser aufgewärmten Neuauflage des EWR, den wir am 6. Dezember 1992 schon einmal abgelehnt haben. Das sehen Sie auch, wie weit die Elite in Bern von der Wirklichkeit entfernt ist: Wie kann man nur meinen, dass man einen klugen Fuchs zweimal mit der gleichen Falle fangen kann? Nachdem es ja schon beim erstenmal nicht geklappt hat. Es stimmt: In Bern tun sie alles, um die EU ja nicht zu verärgern, aber viel zu wenig, um die Schweizer Interessen zu verteidigen! Jeder Sportler würde zustimmen: Wenn Einknicken, Nachgeben und Umfallen olympische Disziplinen wären, dann stände unser Aussendepartement (mit hochgelobtem D. Burkhalter) heute in Olympia ganz zuoberst auf dem Medaillenspiegel!
Nur ein aktuelles Beispiel: Ein nicht genannt sein wollender Bundesrat, (…nennen wir ihn doch einfach mal… D. Burkhalter….), sagte nach dem Brexit geradezu angsterfüllt, jetzt wäre es ganz falsch, die Masseneinwanderungsinitiative umzusetzen oder die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen abzubrechen. Man dürfe doch einen angeschossen Tiger auf keinen Fall reizen!
Nun: Immerhin hat der Bundesrat inzwischen erkannt, dass die EU angeschossen ist. Allerdings denke ich beim Anblick der aktuellen EU nicht unbedingt an einen verwundeten Tiger, sondern eher an ein altersschwaches Kätzchen, doch wenn sie sich selber immer zur Maus herunterreden, ist es kein Wunder, wenn sie immer noch Angst haben! Auf dies hören SVP-Politiker im Bern (von CVP bis SP-Leuten, natürlich immer hinter vorgehaltener Hand) stets: «Ja, Ihr habt schon recht… Es wäre grossartig, wenn wir die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Schweiz aufrechterhalten könnten, aber wir sind doch viel zu klein und zu schwach, acht Millionen Schweizer gegen 500 Millionen Europäer – da müssen wir uns doch irgendwie institutionell, rahmenvertragsmässig an das grosse Mutterschiff in Brüssel andocken, ein Alleingang wäre viel zu gefährlich.» Auch an die glühendsten EU-Verehrer dieses Blogs gibt es dazu nur etwas zu sagen: Selbstmord aus Angst vor dem Sterben war noch nie eine gute Strategie. Klar: der Weg der Schweiz mag manchmal einsam sein und anstrengend. Und ebenso klar: dieses Alleinsein ist für mittelmässige, anpassungsfähige und geländegängige Typen fast nicht zu ertragen!
Hüten wir uns also vor solchen pseudovisionären Politikern, die bereit sind, unsere Volks- und Freiheitsrechte und unseren Wohlstand auf dem Altar ihres pseudoreligiösen europäischen Erlösungsglaubens zu opfern.
Die Schweiz hat nicht 700 Jahre lang gegen fremde Richter gekämpft, um jetzt unsere Freiheit mit einem „Rahmenvertrag“ gegen fremdes Recht und fremde Richter preiszugeben. Denn eines wissen wir schon jetzt: wie immer dieser Anbindungsvertrag von unserem A n b i n d u n g s m i n i s t e r Didier Burkhalter und seinem obersten Anbindungsdiplomaten Jacques de Watteville ausgehandelt werden wird: die Schweiz wird zahlen, zahlen und nochmals zahlen. Viele Milliarden an Clubbeiträgen, Kohäsionsbeiträgen, Transitionsbeiträgen, Solidaritätsbeiträgen, Bankenkonsolidierungsbeiträgen und Griechenlandrettungsbeiträgen
Die Europäische Union, liebe Blogleser – bemerken Sie es endlich – ist eine gigantische Molkerei mit dem Ziel, die tüchtige Schweizer Kuh zu melken!
Schauen Sie sich doch an, diese hoch dekorierten, hoch prozentigen Funktionäre, diese Junckers und Schultzens und wie sie alle heissen. Die Brüsseler Bürokratie ist ein Riese, in dem Zwerge regieren, von denen wir uns nie und nimmer einschüchtern lassen dürfen. (Diese Karrieristen sind durch ihren Aufstieg erst recht heruntergekommen.)
Nein, wirklich, ich meine es ernst: Am unsaubersten sind die Politiker, die mit allen Wassern gewaschen sind. Jetzt muss ich aber aufhören, die EU zu kritisieren. Das ist ganz schlechter Stil. Einem Krankenwagen auf dem Weg zur Intensivstation wirft man keine Steine hinterher. Kurzum: Die Schweiz ist frei, unabhängig und selbstbestimmt, oder sie ist nicht mehr die Schweiz! Natürlich wollen wir mit der EU, wo sinnvoll und von gegenseitigem Interesse, auf Augenhöhe bilaterale Verträge abschliessen, die man auch wieder kündigen kann, ohne dass man bestraft oder diskriminiert wird. Natürlich wollen wir mit der EU gut zusammenarbeiten und geschäften, aber wir wollen die EU nicht heiraten. Das ist der bewährte bilaterale Weg. Das ist der Weg! (für den z.B. eine SVP aus voller Überzeugung kämpft, was bewundernswert ist.)
Allerletzter Tipp: Seien Sie auf der Hut: Was der Bundesrat mit seinem Anbindungs- und Unterwerfungsvertrag anstrebt, ist nicht, wie immer behauptet wird, die Stärkung und Verbesserung des bilateralen Wegs; es ist im Gegenteil die Zerstörung des bilateralen Wegs, denn dieser „Rahmenvertrag“ unterwirft die Schweiz europäischem Recht und europäischen Richtern. Das ist nicht bilateral, das ist nicht einmal liberal, d a s i s t n u r f a t a l !
Ein unverdächtiger und klügerer Mann als die meisten von uns, der deutsche Schriftsteller Friedrich Schiller, (der P. S. meines Wissens auch nicht SVP-Mitglied war…..) hat zum EU-Rahmenvertrag schon für über 200 Jahren das ein für allemal Gültige geschrieben: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Der Wahn ist kurz, die Reue lang.“ Deshalb: Leider haben heutzutage die EU-Anbinder haben zwar so gut wie volle Macht von Regierung, Parlament, Verwaltung, Medien, Kulturschaffenden, Kirchen und Professoren. Aber ich und viele andere (und vielleicht auch Sie?) haben die tiefe Überzeugung, das leidenschaftliche Engagement und den Kampfeswillen! Ich und andere Standhafte, alle werden sich für die gute Sache einsetzen. Wenn man so in der EU rumschaut, ist es grossartig, das dies in der Schweiz in dieser Form überhaupt noch möglich ist. Deshalb sollten wir darauf achten, das dies auch für unsere Kinder und Kindeskinder noch so bleibt. Ein Rezept dafür ist sicher: Es heisst für uns definitiv nicht mit; sondern ausserhalb der EU!
„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ behauptete schon von Clausewitz (1780-1831). Das heisst soviel als „Die Politik trägt schon den Krieg in sich“. Und was ist ein „Deal“ anders als das Resultat eines politischen Krieges? Den besten „Deal“ hat man gemacht, wenn man den Gegner besiegt hat. Das ist das Gegenteil einer verträglichen Gesinnung: Da gönnt der eine dem anderen seine Interessen. Zwar werden „Deals“ auch mit „Verträgen“ besiegelt, aber diese könnte man als „eingefrorne Kriege“ bezeichnen, die jederzeit wieder „heiss“ werden können. Davon gibt es Beispiele zuhauf. Eines der wichtigste: Der Friedensvertrag von Versaille.
Schiller war sicher ein Kämpfer für die Freiheit, aber was bedeutete Freiheit für ihn? Da tut man gut seine Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ (1794) zur Hand zu nehmen. Er nennt die Kunst die Tochter der Freiheit. Aber diese hatte es schon damals immer schwieriger, da die sie von allen Seiten bedroht wurde:
„Der Lauf der Begebenheiten hat dem Genius der Zeit eine Richtung gegeben, die ihn je mehr und mehr von der Kunst des Ideals zu entfernen droht. Diese muss die Wirklichkeit verlassen und sich mit anständiger Kühnheit über das Bedürfnis erheben; denn die Kunst ist eine Tochter der Freiheit, und von der Notwendigkeit der Geister, nicht von der Notdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen. Jetzt aber herrscht das Bedürfnis und beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte frohnen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts.“ (2. Brief)
Wer sich auf Schiller beruft, sollte sich auch auf die Freiheit in seinem Sinne berufen, sonst zieht man sein Werk, in diesem Falle „Wilhelm Tell“, herab und spannt es vor dem Wagen des guten „Deals“, der Politik, die tanzt nach den Pfeifen einerseits einer Wirtschaft, die ins trübe Fahrwasser des Neoliberalismus geraten ist, anderseits des engstirnigen Nationalismus. Beide werden beherrscht durch die primitivsten Egoismen und Trieben.
Politik ist im Sinne Schillers eine Kunst, die Eigeninteressen zu schützen bei Gewährung der fremden, eine Kunst des Suchens nach einem Weg, die beide Parteien vorwärts bringt. Sie ist bestrebt, sich weder dem „Stofftrieb“ zu beugen, wo die Materie (z. B. Bodenschätze, Finanzplatzinteressen) sie zu beherrschen droht, noch dem „Formtrieb“, wo sie dazu neigt dem Gegner ihm fremdes auf zu zwingen. Künstler und Politiker verdienen im Sinne Schillers nur dann ihre Namen, wenn sie „spielend“ auftreten („Spieltrieb“) und so Stoff und Form immer wieder neu sich durchdringen lassen. Der „dealende“ Politiker ist Opfer geworden von Schillers „lärmendem Markt“ (siehe obiges Zitat).
Sowohl Clausewitz als Schiller lebten in der bewegten Zeit der Französischen Revolution und Ihrer Folgen, zogen aber daraus entgegengesetzte Schlussfolgerungen.
In chaotischer Weise, und verdunkelt durch unnötige Gewalt, leuchteten in dieser Zeit doch drei grundlegenden Ideale auf: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Französische Flagge veranschaulicht sie noch heute durch die Farben: Blau, Weiss und Rot.
Im Sinne Schillers kann die Freiheit nur gewonnen werden, wenn auf der einen Seite der Stofftrieb überwunden wird, z. B. die Gier nach Geld, wodurch der Mensch sich zum sozialen Wesen, zur Brüderlichkeit erziehen kann. Anderseits wenn er den Formtrieb besiegt, z. B. den Hang nach übertriebenen Gesetzen und Regulierungen, was schlussendlich zu Gleichschaltung, statt zu Gleichheit vor dem Gesetz führt. Denn Gleichheit bedeutet: Jeder sollte im Geiste des Gesetzes mit der gleichen Qualität der Zuwendung, aber individuell beurteilt werden aus dem einfachen Grunde, weil alle Menschen und ihre Schicksale verschieden sind. Sie sind eben gleich in Ihrer Verschiedenheit.
Vielleicht hat mancher Leser schon einen Verdacht bei sich aufkommen lassen und „Anthroposophie“ gerochen. Nun, der hat eine gute Nase! Meines Erachtens steckt trotz allen unzulänglichen Anthroposophen, und solche, die sich zu Unrecht so nennen, in der Anthroposphie Rudolf Steiners sehr viel, was den Goetheschen und Schillerschen Geist weiter entwickeln kann, bis ins Soziale hinein und bis in die Politik.
Es ist eigentlich gar nicht so schwierig ein zu sehen, dass die Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht überall gelten können, sondern in einer mehr oder weniger verborgener Gliederung der Gesellschaft zu Grunde liegen. Diese Ordnung, woran jeder Mensch in irgend einer Weise Teil hat, ist aber heute fast überall dadurch korrumpiert, dass diese Ideale dort auftreten, wo sie nicht hingehören: Die Wirtschaft ist in Wesen brüderlich, weil jeder für den anderen arbeitet (mit der heute seltenen Ausnahme des Selbstversorgers). Da braucht man gar nicht nach Ethik zu rufen, weil die wirtschaftliche Tätigkeit selber diese generieren kann. Die falsche, aber mächtige, sich fast überall als die einzig richtige präsentierende, Lehre des Neoliberalismus („Freiheit“ in der Wirtschaft) korrumpiert das Wesen der Ökonomie. Dort wo die Freiheit hingehört, nämlich im Geistesleben, im Bildungsbereich, wird sie gefesselt durch wirtschaftliche und staatliche Interessen und Regulierungen. Deshalb kann der Geist seine wichtigste Aufgabe, die sinnvolle Befruchtung von allem anderen nur sehr beschränkt und oft karikiert wahrnehmen. Denn der Staat sollte sich gesundschrumpfen auf das Gebiet, wo alle gleiche Rechte haben, auf die Jurisprudenz, das Steuerwesen, die Infrastruktur, die Demokratie und eben die Politik und die Diplomatie. Bei diesen müsste die Beziehung gepflegt werden, sowohl in- als ausländisch, die Begegnung auf gleicher Augenhöhe mit als Ziel die Verträglichkeit, der Interessenausgleich. Etwas banal auf den Punkt gebracht:
„Spiel statt Deal“ oder „Spieltrieb statt Dealtrieb“.
Ob mit oder ohne EU: Wo und in welchem Kontext auch immer die Politik sich an einer verantwortungsfreien Marktwirtschaft orientiert oder gar von ihr dominiert wird, gehören Deals zum guten Ton. Ein Modell, das auch in der Schweiz mehrheitsfähig scheint. Es ist anstrengend, sich dem berauschenden Sog einer kollektiv organisierten Verantwortungslosigkeit zu entziehen. Sie entspricht der perfekten Illusion einer totalen Freiheit. Der Preis einer solchen Politik: Mit Verlusten muss man rechnen.
Hier auch ein Schillerzitat, diesmal aus Wallenstein:
Nicht was lebendig, kraftvoll sich vefkündigt ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist’s, das ewig Gestrige, was immer war un immer wiederkehrt und morgen gibt, weil’s heute hat gegolten. Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht, und die Gewohnheit nennt er seine Amme.
Will heissen, wer im ewig Gestrigen stecken bleibt, kann gar nichts bewegen, weder im Negativen, noch im Positiven.