Warum (auch) die Medien schuld sind am Wahlerfolg der AfD

Publiziert am 29. September 2017 von Matthias Zehnder

Am Erfolg der AfD sind die Medien mitschuldig, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien. Sie haben mit permanenter Aufregung und einer emotionalisierten Ablehnung der AfD zum Erstarken der Rechtsaussen-Partei beigetragen. Sie machen das, weil Emotionen und Sensationen auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Quoten sorgen. Doch gerade der Service Public hätte eine andere Aufgabe. Auch in der Schweiz.

Recht zu bekommen, ist manchmal schön. Aber nicht immer. Letztes Wochenende hätte ich zum Beispiel lieber nicht recht bekommen. Der Untertitel meines neuen Buches heisst: Wie die Medien zu Populismus führen. Und genau das ist in Deutschland geschehen: Eine über Monate überhitzte AfD-Berichterstattung hat mit zum Grosserfolg der Rechtspartei beigetragen. Anders gesagt: Die Bundesrepublik hat monatelang über nichts anderes geredet als darüber, dass man auf keinen Fall in den Baum fahren dürfe – und ist prompt mit Karacho im Baum gelandet.

12,6 Prozent der Stimmen holte die Alternative für Deutschland (AfD) – 10,7 Prozent im Westen und 20,5 Prozent in Ostdeutschland.[1] Schon am Wahlsonntag haben Politiker der grossen Parteien sich über die Medien beschwert. Joachim Hermann, Spitzenkandidat der CSU, erklärte in der Elefantenrunde in der ARD: Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich auch heute abend nur wieder mit der AfD. Es wird in den nächsten Wochen auch noch zu diskutieren sein, in welchem Ausmass die beiden öffentlich-rechtlichen Sender in den letzten Wochen massiv dazu beigetragen haben, in der Tat, nicht die AfD kleinzumachen, sondern grosszumachen.[2]

Nicht jeden Furz der AfD hochspielen

Hans-Christian Ströbele, der grosse, alte Mann der Grünen, der dem neuen Bundestag nicht mehr angehören wird, stiess auf ZDF ins gleiche Horn: Ich empfehle allen, auch Ihnen hier beim ZDF oder bei der ARD nicht jeden Furz oder jeden Spruch, den ein AfDler loslässt, selbst wenn der schlimm ist, tagelang, wochenlang immer wieder zu drehen und zu kommentieren. Wir haben denen viel zu viel Raum gegeben, das ist ein Fehler. Wir haben die hochgebracht dadurch.[3]

Katarina Barley, die SPD-Familienministerin, erklärte wenig später bei «Hart aber fair mit Frank Plasberg» im WDR, sie habe sich die Zahlen raussuchen lassen: 2016 strahlten ARD und ZDF 141 grosse Talkshows aus. Wie viele dieser 141 Talkshows haben sich mit dem Komplex Flüchtlinge, Islam, AfD und Radikalisierung beschäftigt? fragte Barley, und gab die Antwort gleich selbst: 54 Prozent. Natürlich muss man über diese Themen reden, aber man hatte zuweilen das Gefühl, es gebe nichts anderes mehr.[4]

Die Medien wollen Kritik nicht hören

Viel Kritik also an den Medien – nur die Medien selbst wollen davon nichts hören. Stellvertretend verteidigte Nikolaus Brender, bis 2010 Chefredakteur des ZDF, die öffentlich-rechtlichen Sender: Ich bin empört, erklärte Brender bei Frank Plasberg, als er auf die Kritik von Joachim Herrmann angesprochen wurde, wenn ich in dieser Runde gesessen hätte, ich hätte ihm Bescheid gegeben. Die wichtigsten Themen im Wahlkampf waren Migration, Flüchtlinge – und darüber sollen wir nicht reden dürfen?

Brenders Argumentation ist typisch, nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Medien. Denn das Problem ist nicht, dass die Medien über die AfD und über ihre Themen berichtet hat, sondern wie sie das gemacht haben: Die Medien haben die AfD sensationalisiert und sie haben im Aufregungsmodus über Terror, Islam, Flüchtlinge und die Sicherheit berichtet und diskutiert.

Empörung bringt Quote

Dabei spielt ein alter Medienmechanismus: Emotionen bringen Quote – und Aufregung ist die billigste Emotion. Wenn Alexander Gauland in einer Rede erklärt, dass die Deutschen ein Recht darauf hätten, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen,[5] ist das ein Skandal – aber eben ein präzise kalkulierter, der im Hinblick auf genau diese Medienmechanik hin inszeniert ist. Klar, empört sich danach die Deutsche Presse unisono, die deutschen Polittalker ziehen scharf den Atem ein – und zitieren alle empört Alexander Gauland.

Genau das hat die AfD beabsichtigt. Das ist keine Vermutung, das geht aus einem Strategiepapier hervor, das die FaZ bereits im Dezember 2016 veröffentlicht hatte.[6] Die AfD will im Bundestagswahlkampf mit Provokationen und Tabubrüchen auf sich aufmerksam machen, schrieb die FaZ. Laut Strategiepapier wollte die AfD mit sorgfältig geplanten Provokationen die anderen Parteien und die Medien zu nervösen und unfairen Reaktionen verleiten. Je mehr die AfD von ihnen stigmatisiert werde, desto positiver ist das für das Profil der Partei, heisst es laut FaZ in dem Papier.

Die Strategie der AfD

Das Spiel geht also so: AfD provoziert mit Äusserungen, die mindestens tendenziell rassistisch, revisionistisch, ausländerfeindlich, ja völkisch sind. Darauf reagieren die anderen Parteien und die Medien empört. Die Emotionen kochen hoch, zum Thema gibt es eine Talkshow, fairerweise wird auch ein Vertreter der AfD eingeladen, der (oder die) lächelt nett, gibt unschuldig zu, dass die Äusserung ungeschickt gewesen sei, weist dann aber darauf hin, dass das Problem dahinter und damit die Ängste der Bürgerinnen und Bürger ernst genommen werden müssten.

Weil sich die Parteien und die Medien vorher bereits emotional gegen die AfD in Stellung gebracht haben, können sie das Problem hinter der Äusserung nicht einfach zugeben. Die AfD kann sich als Medienopfer inszenieren, als Partei, welche die Finger auf die wunden Punkte legt, aber aus stilistischen Gründen von den anderen Parteien ständig niedergebügelt wird. Kein Wunder, holen die auf diese Weise Wähler.

Das Briefträger-Phänomen

Warum aber machen die Medien das Spiel ständig mit? Warum setzen auch die öffentlich-rechtlichen Sender auf hitzige Talkshows? Weil es Quote bringt. Der Medienmarkt funktioniert zunehmend nach einer Aufmerksamkeitslogik: Ziel ist es, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erzielen. Aufmerksamkeit holen die Medien mit den klassischen Boulevardtechniken Sensationalisieren, Emotionalisieren, Personalisieren. Je extremer eine Äusserung ist, je radikaler sich ein Politiker gibt, desto eher erhält er Aufmerksamkeit, weil er damit vom Normalen abweicht. Ganz nach der Journalistenregel: Wenn ein Hund einen Briefträger beisst, dann ist das keine Story ­ wenn aber ein Briefträger einen Hund beisst, das ist eine Story! AfD-Figuren, die politische Tabus verletzen, sind in der Aufmerksamkeitslogik deshalb ein Geschenk des Himmels: es sind lauter beissende Briefträger.

Dass «Blick» und «Bild» so funktionieren – geschenkt. Dass «Spiegel» und «Tages-Anzeiger» darauf einsteigen – traurig und schwer nachzuvollziehen, aber letztlich deren Sache. Unverständlich ist, dass auch öffentlich-rechtliche Sender wie ARD, ZDF und unser SRF voll in den Kampf um Aufmerksamkeit einsteigen. Diese Sender sind (weitgehend) mit Gebührengeldern finanziert. Sie sollten es sich leisten, nicht auch noch Öl ins Feuer zu giessen, sondern über Löschmöglichkeiten nachzudenken. Das heisst nicht etwa, wie Nikolaus Brender behauptet, dass sie nicht über die AfD oder über Themen wie die Flüchtlingskrise berichten können – bloss nicht immer im Aufregungsmodus.

Aufgabe der Medien sollte es sein, die Sprüche und Halbwahrheiten der Rechtsaussenpolitiker sachlich zu dekonstruieren. Sie sollten sich nicht blind darüber aufregen, wenn Alexander Gauland die Wehrmacht lobt, sondern sachlich erläutern, was daran problematisch ist. Ein Medium hat das übrigens perfekt gemacht. Es war weder die ARD, noch das ZDF oder der Spiegel – es war das vielgeschmähte Onlineportal Buzzfeed.[7] Der Artikel über die Gaulandrede hat seine wichtigsten Behauptungen sachlich analysiert und erläutert, warum das problematisch ist. ARD und ZDF sollten sich davon mal eine Scheibe abschneiden – und auch der Kritik an ihnen nicht bloss mit Empörung begegnen, sondern diese Kritik ernst nehmen.

Basel, 29. September 2017, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen:

[1] Siehe https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2017-09-24-BT-DE/index-content.shtml

[2] Siehe ab Minute 40 in der Berliner Runde der ARD: http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/bundestagswahl-2017/videos/berliner-runde-video-100.html

[3] Siehe https://www.zdf.de/nachrichten/heute-sendungen/videos/bundestagswahl-2017-stroebele-zu-jamaika-100.html

[4] Siehe ab 1:04:30 http://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/video-die-gerupfte-kanzlerin–wie-regieren-nach-dem-debakel-der-volksparteien-100.html

[5] Siehe https://www.buzzfeed.com/marcusengert/afd-spitzenkandidat-gauland-findet-deutsche-sollten-stolz?bftwdenews&utm_term=.mr4xpnDnL1 – .nkW09454px

[6] Siehe http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundestagswahl-2017-afd-will-im-wahlkampf-provozieren-14582830.html

[7] Siehe https://www.buzzfeed.com/marcusengert/afd-spitzenkandidat-gauland-findet-deutsche-sollten-stolz?bftwdenews&utm_term=.mr4xpnDnL1 – .nkW09454px

2 Kommentare zu "Warum (auch) die Medien schuld sind am Wahlerfolg der AfD"

  1. Schon interessant, bin hier in einer anderen Stadt im und kann einen Kommentar scheiben wie aus der heimischen Stube. Ginge auch aus Asien, Australien vom Internetcafe aus. Ziemlich multikulturelle Sache hier, aber das ist ja heute modern und passt zum Thema….
    Zum Thema auch empfehlenswert: Buch „Die Aufmerksamkeitsfalle“ vom Zytglogge-Verlag. Autor: Matthias Zehnder – bescheiden wir er ist, erwähnte er sein Werk in diesem Zusammenhang nicht.
    Die Medien mit ihrem heutigen Mechanismus tragen dazu bei, zweifellos. Wobei auch gesagt sei, dass ARD und ZDF (Leitmedien) stets Negativ über die AfD berichteten. Immer und ausnahmslos. „Der Spiegel“, das einst stolze Format das noch nicht merkte, das ebensolche heute obsolent wurden (werden); liess ebenso – wie könnte er auch anders – kein gutes Haar an der AfD.
    Doch TROTZ ALLEM: Wir sollten die Medien nicht so wichtig nehmen und vor allem sollte sich die (in D und bald auch in CH oft mit Zwangsgebühren finanzierte) Medienzunft, (deren Medienhäuser oft geschützten Werkstätten mit lebenssicheren Arbeitsplätzen ähneln) sich SELBST nicht so wichtig nehmen. Es gibt noch andere Parameter.
    Ich masse mir vom Schweizer Komfortlehnstuhl aus keine Bemerkungen über den deutschen Wahlkampf an. Doch der Deutsche Wolfgang Koydl darf und bringt es auf den Punkt:
    „Deutschland ist nach rechts gerückt – wegen des Dünkels der Parteien gegenüber den Sorgen der Bürger.“
    „Die AfD wird den Bundestag wieder zu einem „Resonazboden“ der deutschen Gesellschaft machen.“
    „Die Demokratie wird durch echte Wählerabbildung vor dem Erstickungstod gerettet“
    „Das bräsige Machtkartell (CDU+SPD=alles der gleiche Einheitsbrei) unter Kanzlerin Merkel wurde geknackt.“ Im quasi Einparteienregierungs-Land D musste es ja irgendwann mal so kommen…
    Und sonst ein kluger Kopf im deutschsprachigen Print-Wald drückte es abschliessend so aus: „Eine Partei ist dann erfolgreich, wenn sie sich ohne Rücksicht auf das Ansehen, auf das Prestige oder die Karriere für die Bürgerinnen einsetzt. Wenn sie die Sache über die eigenen Interessen stellt. Man muss auch die Kraft haben, sich mit Dreck bewerfen zu lassen, ohne die Nerven zu verlieren. Solange die AfDler dies beherzigen, werden sie in D gebraucht. Ihre grosse Schwäche: Es fehlt die überzeugende Leitung. Die Leute sind nicht so schlecht wie geschrieben, aber der eine, Gauland, geht gegen achzig. Die andere, Weidel, lebt in der Schweiz. Und der Dritte, Meuthen, wirkt zu akademisch, um die (akademische) Konkurrenz ernsthaft zu verunsichern. Egal, was aus der AfD wird: Es ist das Verdienst dieser Partei und ihrer Wähler, dass Deutschland am letzten Wochenende ein politisch vielfältigeres und damit demokratischeres Land geworden ist.
    Mit oder ohne oder wegen den Medien.
    Und nun wird es mir hier im Internetshop zu multikulturell. Heisst auf deutsch:
    „zu laut.“

  2. Wenn zuviele immer noch mehr zuviel wollen, wird es für unsere Erde bedrohlich. Auch wenn es global noch nicht soweit ist, scheinen immer mehr Menschen eine Zukunft zu befürchten, die nicht so werden wird, wie sie es sich vorstellen. Sie rotten sich deshalb immer öfter an- und wehklagend zusammen. In der anonymen Massengesellschaft tut ein bisschen Gemeinschaftsgefühl gut. Auch wenn es nur populistisch aufgemischt ist und nicht wirklich tragen kann: Besser nichts als gar nichts.

    Die 13 Prozent Deutschen für die AfD scheinen mir an sich in einer Gesellschaft, die mit Vielfalt zu Rande kommen kann, noch kein Problem. Wirklich schwierig kann es aber – und dies auch in der Schweiz – mit den von links bis rechts etablierten Parteien werden, wenn sie weiterhin nach dem Modell «Konkurrenz belebt das Geschäft» machtorientiert und mediengeil Mehrheitsentscheide generieren, die kaum nachhaltig zukunftsfähige Lösungen beinhalten. Zwar wäre dafür das Fach- und Sachwissen an sich reichhaltig und vielfältig verfügbar. So wie die Angsthasen und die Machthammel rückwärts laufen oder stehen bleiben, wird es aber nicht mehrheitsfähig und nicht umsetzbar.

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