Macht und Medien: Wie türkisch ist die Schweiz?

Publiziert am 1. April 2016 von Matthias Zehnder

Ganz Europa lacht über den Türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Grund ist weniger die Satire des NDR auf das türkische Staatsoberhaupt, als dessen dünnhäutige Reaktion darauf. Auch die Schweiz lacht über den osmanischen Patriarchen, der nicht begriffen hat, was Pressefreiheit ist und dass Medien und Macht getrennt gehören. Doch: Sind wir in der Schweiz tatsächlich so viel besser? Sollte uns nicht eigentlich das Lachen im Hals steckenbleiben?

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Im Sturz durch Raum und Zeit, Richtung Unendlichkeit
Fliegen Motten in das Licht, Genau wie du und ich.

So beginnt das Lied Irgendwie, irgendwo, irgendwann der deutschen Sängerin Nena aus dem Jahr 1984. Die Satiresendung extra3 des Norddeutschen Rundfunks NDR hat auf die Melodie und den Klang des Refrains den satirischen Song Erdowie, Erdowo, Erdogan auf den Türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan gedichtet. Das Video zum Song zeigt Bilder aus Nachrichtensendungen: Erdoğan in seinem Palast, dazu heisst es: Er lebt auf grossem Fuss, der Boss vom Bosporus.

Türkische Polizisten verhaften Journalisten, verprügeln Studenten und Frauen, dazu trällert der Song: Ein Journalist, der was verfasst, das Erdoğan nicht passt, ist morgen schon im Knast. Redaktion wird dicht gemacht, er denkt nicht lange nach und fährt mit Tränengas und Wasserwerfern durch die Nacht. Erdoğan schüttelt Merkel die Hand: Sei schön charmant, denn er hat dich in der Hand: Erdowie, Erdowo, Erdoğan.

Auf die harmlose Satire hat der türkische Staatspräsident äusserst dünnhäutig reagiert: Das türkische Aussenministerium bestellte den deutschen Botschafter in Ankara ein und verlangte offenbar von ihm, dass Deutschland den Song lösche. Das Auswärtige Amt in Berlin nannte die Einbestellung des Botschafters an einer Pressekonferenz eine schärfere Form der Terminvereinbarung aufgrund eines akuten Gesprächsbedarfs. Immerhin meldete sich am Mittwoch auch Aussenminister Frank-Walter Steinmeier zu Wort: Er forderte die Türkei dazu auf, sich an europäische Grundwerte zu halten.

Extra3 legte am Mittwoch Abend nach und wandte sich direkt an Erdoğan. Wenn es Ihnen nicht gefällt, was wir machen: Sie müssen das nicht schauen, erklärte Moderator Christian Ehring. Es sei eigentlich ganz einfach in Deutschland: Wenn Sie Kritik hören wollen, gucken Sie extra3. Wenn Sie keine Kritik hören wollen, treffen Sie die Bundeskanzlerin. Weil die Verstimmung auf einem Missverständnis beruhen könnte, zeigte die Sendung den Song gleich noch einmal – diesmal aber mit türkischen Untertiteln.

Auch in der Schweiz reagierten Medien und Politiker: Sie empörten sich unisono über den Pascha vom Bosporus. Die Reaktion von Erdoğan war ja auch zu dumm: Da macht Extra3 einen Song, in dem die Sendung kritisiert, dass Erdoğan die Pressefreiheit einschränkt und Erdoğan reagiert darauf – indem er die Pressefreiheit auch in Deutschland einschränken will. In der Türkei kann man von Pressefreiheit längst nicht mehr sprechen: Erdoğan und seine Adalet ve Kalkınma Partisi, also die Regierungspartei AKP, suchen die Macht auch über die Medien. Wir Schweizer können darüber nur den Kopf schütteln. Schliesslich leben wir in der Musterdemokratie. Wir wissen, was Pressefreiheit wert ist und dass Macht und Medien nicht vermischt werden dürfen.

Ach ja?

Sicher: Bei uns läuft das alles viel subtiler ab. Die Regierung lässt keine Redaktionsräume stürmen und keine Journalisten in Haft nehmen. Aber in der Schweiz liegt die Macht ja auch nicht bei der Regierung.

Sondern beim Volk. Sprich: Bei denen, die im Volk etwas zu sagen haben. Heisst: Bei der Wirtschaft. Und die kann viel einfacher Einfluss nehmen auf Medien. Zum Beispiel, indem sie kritischen Medien die Inserate entzieht. Eine normale Tageszeitung macht mindestens die Hälfte ihres Umsatzes mit Anzeigen, bei Gratismedien sind es 100 Prozent des Umsatzes. Entsprechend gross ist der Einfluss von Anzeigenkunden. Natürlich erscheint der Inserent nicht beim Chefredakteur und haut wutschnaubend auf den Tisch. In der Schweiz läuft das, wie gesagt, subtiler ab. Ein Wirtschaftsverband storniert nach kritischer Berichterstattung durch eine Zeitung zum Beispiel die Anzeigen. Reiner Zufall, wenn Mitglieder dieses Wirtschaftsverbands ebenfalls geplante Werbemassnahmen zurückziehen, schliesslich hat jeder Kunde das Recht, seine Strategie jederzeit zu überprüfen.

Schon deutlich weniger subtil fällt die Einflussnahme aus, wenn Politiker an Medien direkt beteiligt sind. Der Einfluss von Christoph Blocher auf die Basler Zeitung ist offensichtlich bis peinlich. Dasselbe gilt für die Weltwoche. Im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Hermann Lei im Fall des gestürzten Nationalbankpräsidenten Philipp Hildebrand sind diese Woche Daten über den Telefonverkehr zwischen Blocher und Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel ans Licht gekommen: Auf dem Höhepunkt der Hildebrand-Affäre zwischen dem 3. und dem 11. Januar 2012 haben sich Blocher und Köppel in über 100 Telefon- und SMS-Kontakten ausgetauscht. Es ist anzunehmen, dass der Kontakt zwischen Blocher und seiner BaZ bzw. deren Chefredaktor Markus Somm ähnlich intensiv ist.

Nur blöd für mächtige Firmen und mächtige Politiker, dass es in der Schweiz auch wirklich unabhängige Medien gibt, Medien wie die SRG, die hauptsächlich durch Gebühren finanziert sind und sich weder von Inserenten, noch von Besitzern gängeln lassen. Bloss fragt sich, wie lange es diese Unabhängigkeit noch gibt. Natürlich wird kein SRG-Büro besetzt und keine Redaktion unter staatliche Kuratel gestellt. Vor allem SVP-Politiker kämpfen aber mit harten Bandagen gegen die SRG. Zum Beispiel mit der No-Billag-Initiative. Die Initiative will die Radio- und Fernsehgebühren und damit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Schweiz abschaffen. Die Initiative ist zustande gekommen und derzeit beim Bundesrat hängig.

Eine Schlüsselperson im Kampf gegen die SRG ist SVP-Nationalrätin Natalie Rickli. Auf den ersten Blick eine interessante, junge Politikerin, die sich für «freie Medien» einsetzt. Von Beruf ist Frau Rickli Partner Relation Manager bei Goldbach Group. Die Firma verkauft die Werbezeit privater Fernsehsender in der Schweiz, von Sat.1 über RTL bis TeleM1 und 3+. Schauen Sie sich einmal die TV-Kunden der Goldbach Gruppe an. Sehen Sie, was diese Kunden gemeinsam haben? Richtig: Für alle diese TV-Programme sind die SRG-Sender in der Schweiz die grösste Konkurrenz.

Natalie Rickli ist eine leitende Angestellte der Goldbach. Sie macht Politik gegen die SRG. Zum Beispiel, indem sie Beschwerden gegen die SRG einreicht, wenn sie kritisch über die SVP berichtet. Das ginge ja noch. Doch Rickli sitzt im Nationalrat in der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF). Das ist die Kommission, die sich mit den gesetzlichen Grundlagen der Tätigkeit der SRG und der Swisscom beschäftigt. Zum Beispiel mit der Frage, ob SRG, Swisscom und Ringier ein neues Netzwerk für die Vermarktung von Werbung bilden dürfen. Die Kommission beschäftigt sich also mit der Zukunft der SRG. Ach ja: Wissen Sie, wer die Kommission präsidiert? Richtig: Natalie Rickli.

Kurz: Dürfen wir über den Balken im Auge des Türken lachen, wenn wir Schweizer die Augen voller Splitter haben?

Macht und Medien – irgendwie, irgendwo, irgendwann…

4 Kommentare zu "Macht und Medien: Wie türkisch ist die Schweiz?"

  1. Grundsätzlich hat Matthias Zehnder natürlich recht mit seinem Kommentar. Was mir aber viel mehr Bauchweh macht, ist dass Hr. Erdogan langsam aber sicher alle Macht an sich reisst und der Westen ihm alles, auch viele Menschenrechtsverletzungen durchgehen lässt, weil er uns dafür und für viel Geld die Flüchtlinge „abnimmt“.
    Die Demokratieanfänge in der Türkei werden mit Füssen getreten von Erdogan und seinen Leuten und darüber wird grosszügig hinweggesehen. Vielleicht hilft da wirklich nur ein grosses Stück Humor.

  2. Ich sehe einiges anders: Bei der BaZ und der Weltwoche ist die Einflussnahme klar deklariert, wobei ich immer wieder feststellen muss, dass diese beiden Publikationen erstaunlich breit gefächert sind und durchaus auch gegen die eigenen „Geldgeber“ journalistisch recherchieren (man denke nur an den Fall Zuppiger, welcher die Weltwoche aufdeckte oder an die Story über die „Weisswein-Fraktion“ welche mehrheitlich gegen die SVP zielte) und das die beiden Publikationen erstaunlich oft interessante Aspekte anreissen, welche in anderen Medien selten bis nie zur Sprache kommen.
    Bei anderen Print-Medien ist die „Einflussnahme“ oft unklar deklariert, aber liest man die Blätter einige Zeit aufmerksamer, sensibilisierter und hellhöriger auf dieses Thema, merkt man schnell, woher der Wind weht. Man spürt geradezu förmlich, das die Wirtschaft deren Evangelium ist. Sei es jetzt beim Konsumentenblättli K-Tipp, das letzthin unkritisch über Wasserenthärtungsanlagen (mit Salzlösungen) berichtete, obwohl es da einige fragwürdige Aspekte zu recherchieren gäbe, und man im selben Journal einige Seiten weiter hinten eine grosse Anzeige einer Wasserenthärtungs-Apparatebau-Firma sichtete („die Quelle ihrer Schönheit“), welche vierfarbig inserierte (dieser einfache Fall ist noch klar zu durchschauen); oder bei den grossen Verlägen wie Ringier, TA-Media oder AZ-Medien, welche oft vielschichtiger verstrickt sind in Abhängigkeiten und Intressensverbandelungen, welch für den einfachen Leser kaum zu durschauen sind. Aber gesamtheitlich darf man auch hier anmerken, dass die Wirtschaft im Grossen das Sagen hat. Man denkt nur mal an das ganze Thema Verkehr, welches immer weitergetrieben wird, an die Themen wie Geldwesen (möglichst bargeldlos in Zukunft), welches von den Grossbanken gesteuert wird oder denken wir an das ganze Thema Zuwanderung, 80´000 Menschen pro Jahr mehr in der Schweiz ist das göttlichste, was der Schweiz passieren kann, wird immerwiederkehrend der Leserschaft eingebleut. Ja, für Baugeschäfte, welche den Infrastrukturausbau erledigen (grössere Abflussrohre, stärkere Stromleitungen, mehr Strassenbeton), für Verkaufsgeschäfte (mehr Umsatz, mehr Umsatz), für Liegenschaftsbesitzer und Immobilienfirmen, welche so keine Leerstände ihrer Wohnungen haben und noch die letzten Schattenlogis zu satten Preisen vermieten können mag dies zutreffen, jedoch der einfache Bürger, welcher sich mehr Grün, mehr Entspannung, weniger Hektik angefangen vom Arbeitsplatz bis zum Strassen- und Bahnverkehr wünscht, niemand interessiert. Zusammen mit den Links-Grünen, welche aus Gutmenschentum die ganze Welt in der Schweiz wohnhaft haben möchten, verwandeln diese Wirtschaftsinteressensgruppen zusammen mit der Presse die einstmals masshaltende, schöne Schweiz in eine einzige menschenfeindliche, lebensunwürdige Agglo-Schweiz. Denn wer ist der grösste Vermieter in der Schweiz – es sind die Banken und Versicherungen. Wer schaltet die meisten Inserate – es sind die Grossverteiler welche jährlich mehr Umsatz aufweisen wollen….
    Gegen solche Jumbo-Interessensgruppierungen wird sich in der heutigen Zeit keine der ohnehin schon serbelnden Print-Medien auflehnen wollen. Schliesslich sitzt das eigene Portemonnaie bei jedem im Hosensack – also am nächsten…
    Was die SRG und ihre gefühlten 30 Ferneshprogramme und etwa gefühlten 80 Radioprogramme angeht, welche vor allem in Zukunft aus Zwangsgebühren finanziert werden -bald tritt die Regelung in Kraft, dass jeder Bewohner dieses Landes Radio- und Fernsehgebühren (Mediengebühren) entrichten sollen, egal ob er dieselben nutzt oder nicht – sieht die Sache noch trister aus. Kann man bei den privaten Medien die Geldabhängigkeit noch nachvollziehen, verstehe ich bei den staatlichen Kanälen der SRG die offensichtliche Linkslastigkeit nicht. Diese ist seit Jahren ein Clichee, aber Sie wissen ja, an jedem Clichee ist etwas wahres dran, sonst wäre es ja kein Clichee geworden…. Nein – die eher linkslastige Berichterstattung wurde ja immer wieder von abhängigen und unabhängigen Untersuchungen bestätigt. Satire auf Kosten der SVP ist Usus, Fragen wir „wie kann man den drohenden Rechtsrutsch verhindern?“ anstelle der Frage „wie kann man dem sich abzeichnenden Rechtsrutsch entgegnen?“, was viel neutraler uns sachlicher wäre, gehören zum Standartprogramm…
    Dies zu untersuchen, warum im Hause SRG der Mainstream klar links steht, wäre einmal interessant. Liegt es an der Medienausbildung, liegt es am „Trend“ des Intellekt, den sich dort alle zuschreiben, liegt es am lockenden Duft der „coolen Weltoffenheit“, oder ist es einfach einfacher, sich sozial, links und nett zu geben? Egal, ob man jetzt als Leser dieses Kommentares eher nach Links oder Rechts tendiert, finde ich es gefährlich, solchen versteckten Kampagnenjournalismus zu fahren, sei dies nun beim K-Tipp (Wertvolles weiches Wasser – obwohl die halbe Welt froh wäre, sie hätte überhaupt Wasser – sodass man in diesem Zusammenhang eher von weichem Journalismus sprächen täte), beim Blick (welcher seinen Leser immer wieder eintrichtert, was sie gut und schlecht zu finden haben – z.B. nach der DSI in den grössten Lettern: „Dieses Nein tut uns gut“), also zwei Postillen, bei denen es offensichtlich ist; oder aber auch bei Blättern wie der NZZ, der TA-Mediengruppe, der AZ-Medien, wo man schon 5-8 mal hinschauen muss, um die subtilen Verstrickungen zwischen Zeitung und Interessensverbadelungen als Leser zu bemerken.
    Ich glaube, es bleibt einem nur konsterniert festzustellen, das die Welt nun mal so ist und keine baldige Besserung in Sicht ist.
    Das grosse Europathema Erdogan gehört somit auch in diese Kategorie. Ein Pakt zu schliessen mit dem, welcher nützlich ist. Nur in anderen Dimensionen. Das ist Realität. Wobei Matthias Zehnder mir einmal schrieb, es gibt keine Realität. Es gibt nur die abgebildete Realität.
    Ich weiss nur, das es unschön ist, mit solchen Typen Verträge zu schliessen. Aber auch nötig, wollen wir nicht die halbe Welt in Europa einwandern lassen. Und uns so allmählich selbst abschaffen und in Europa einen Klumpen von Überbevölkerung, Enge, Arbeitsplatzwettkampf, Glaubensstreit, Gewalt aus Armut, Slumausdehnung bilden lassen.
    Dies ist europäische Realpolitik – oder halt – siehe oben – „abgebildete europäische Realpolitik“.

  3. Mein Name ist Blocher. Pluto Blocher. Ein Plutokrat. Ich kann mir alles leisten. Unter anderem auch die BaZ und die Weltwoche. Ich bin der Senior-Sennenhund der Schweizerischen Volkstanz-Partei (SVP). Der mit Geld herrscht und mit dem Volk tanzt. Meine Stimmungskanonen heissen beispielsweise Bäri Brunner, Bäri Köppel, Bäre Martullo und Bäri Rösti. Wir verbreiten in der Schweiz eine Bombenstimmung. Demokratischen Engeln gleich inszenieren wir eine teuflische Strategie: Ohne Waffen ein Chaos schaffen.

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