Todesanzeige für die Tageszeitung

Publiziert am 16. April 2021 von Matthias Zehnder

Böse Zungen haben ja immer schon behauptet, Tageszeitungen würden nur aus drei Gründen gelesen: wegen der Seite «Unfälle und Verbrechen», wegen der Hinweise auf Ladeneröffnungen – und der Todesanzeigen wegen. Das hat sich in Basel jetzt bestätigt: Weil die «BaZ» keine amtlichen Todesanzeigen mehr abdruckte, kam es zu einem kleinen Leseraufstand. Fast gleichzeitig musste Bern den Tod der Medienvielfalt bekannt geben: Die Zeitungen «Bund» und «Berner Zeitung» haben jetzt auch ihre Lokalteile zusammengelegt. Beide Ereignisse lehren uns viel darüber, was Tageszeitungen eigentlich sind – und was wir mit ihnen verlieren. Die Frage ist: Nimmt die Politik den Ball auf?

In den letzten Tagen ist es in Basel zu einem kleinen Zeitungsstürmchen rund um die amtlichen Todesanzeigen gekommen. Gemeint sind damit die kurzen Nachrichten über Verstorbene. Seit dem 1. April 2021 ist im Kanton Basel-Stadt ein neues Bestattungsgesetz in Kraft. Das Gesetz sieht vor, Bestattungsanzeigen nur noch auf der Homepage der Stadtgärtnerei zu veröffentlichen. Der Kanton beliefert also die Tageszeitungen nicht mehr mit den amtlichen Sterbemeldungen. Eine kleine Sache, meinen Sie? Von wegen. Die «Basler Zeitung» machte einen Skandal draus und schrieb, es sei «geradezu haarsträubend herablassend, die Todesanzeigen unter der Rubrik ‹Stadtgärtnerei› suchen zu müssen» und bezeichnete den Publikationsverzicht als «Respektlosigkeit der Verantwortlichen sondergleichen». Die «BaZ» fragt deshalb, warum es sich «dieser reiche Kanton» nicht einmal mehr leisten könne, die «Daten an die Zeitungen in der Region weiterzuleiten», schliesslich sei es «derselbe Kanton, der rumänischen Bettlern Unterkünfte offeriert».[1]

Einmal abgesehen davon, dass mir bei solchen Vergleichen nicht nur die Spucke wegbleibt, ist der Vorgang durchaus interessant. Ich meine damit nicht das neue Gesetz. In digitalen Zeiten ist es wirklich völlig egal, ob der Kanton die amtlichen Todesanzeigen an die Zeitung liefert oder ob die Zeitung die Anzeigen selber elektronisch einsammelt. Mit ihrem lauten Reklamieren hat sich die «BaZ» diesbezüglich nur selbst desavouiert. Nein: Bemerkenswert sind die Proteste der Leser:innen. Ihretwegen holt die «BaZ» (wie übrigens, ohne einen grossen Aufstand zu veranstalten, auch die «bzBasel») die amtlichen Todesanzeigen jetzt selber ab und publiziert sie in der Zeitung. Zu viele Leser:innen hatten protestiert, dass sie sonst ihr Abo nicht verlängern. Dieser Vorgang beweist, dass man eine Zeitung nicht einfach als Informationsangebot betrachten kann. Und das hat weitreichende Konsequenzen.

Die Zeitung als Kulturleistung

Die Informationen über die verstorbenen Basler:innen sind kostenlos im Internet abrufbar: Die Stadtgärtnerei Basel hält sie online bereit.[2] Die Angaben finden sich übrigens bei der Stadtgärtnerei, weil sie für die Friedhöfe und die Abdankungen zuständig ist (und nicht, wie die «BaZ» insinuiert, weil «die Toten nur Dung und Moder der Stadtgärtnerei» wären). Die Information ist also gratis und franko im Internet verfügbar. Die Zeitungsleser:innen der «BaZ» möchten sie aber in ihrer Zeitung lesen und bezahlen dafür auch. Letztlich bedeutet das: Eine Zeitung ist nicht in erster Linie Information, sondern in erster Linie eine bestimmte Darreichungsform von Information. Eine Bündelung, ein Angebot, das umfassend und komplett sein muss. Es reicht nicht, dass eine Information im Internet verfügbar ist, Zeitungsleser möchten sie in ihrer Zeitung sehen. Eine Zeitung ist so etwas wie ein Essen in einem Restaurant: Der Gast möchte von der Vorspeise bis zum Dessert ein komplettes Menü geniessen – auch wenn, wie die Informationen im Internet, fehlende Lebensmittel jederzeit im nächsten Supermarkt zu haben sind. Und so, wie ein Restaurant unter seinen Gästen eine gewisse Gemeinschaft schafft, nimmt an einer Lesergemeinde teil, wer eine Zeitung liest. Eine Zeitung informiert nicht bloss, sie schafft Öffentlichkeit und macht das auch erlebbar. Leser:innen nehmen, indem sie die Zeitung lesen, an dieser Öffentlichkeit teil und erleben diese Teilnahme auch.

Das ist nicht nur bei Todesanzeigen so. Ein anderes Beispiel dafür sind Berichte über Fussballspiele. Wer sich für den FC Basel interessiert, verfolgt die Spiele entweder per Ticker im Internet, über die Push-Meldungen der «Rotblau»-App auf dem Handy oder im Bezahlfernsehen. Trotzdem liest er (oder sie) am nächsten Tag den Bericht in der «BaZ» oder der «bzBasel». Das liegt nicht an der fehlenden Information. Es liegt viel eher am Wunsch, teilzuhaben. Leser:innen erwarten auch künftig den Bericht über den FCB-Match in ihrer Zeitung, weil sie von ihrer Zeitung erwarten, dass sie vollständig informiert. Das bedeutet letztlich: Zeitungen (oder allgemeiner: Medien) sind nicht einfach Information, sondern eine bestimmte Darreichungsform von Information. Ein Essen in einem Restaurant ist auch nicht in erster Linie Ernährung (das auch), es ist in erster Linie eine bestimmte Darreichungsform von Nahrung. Nicht nur der Inhalt (die blutte Information), auch (und möglicherweise vor allem) die Form ist entscheidend. Und das bedeutet: Medien sind nicht einfach Informationsinstrumente. Medien sind Kultur.

Weitreichende Konsequenzen

Das hat weitreichende Folgen. Es bedeutet nämlich, dass wir Medien nicht einfach als Informationssammlungen betrachten können, sondern als Kulturleistung beurteilen müssen. Und das heisst letztlich: Die Politik kann angesichts des Mediensterbens nicht schulterzuckend auf das grosse, weite Internet verweisen und argumentieren, irgendwo da draussen sei die Information ja vorhanden. Medien funktionieren wie ein Restaurant – und Medienkonsumenten wie Gäste: Es geht nicht nur um die Ernährung, sondern auch um die Art und Weise, wie die Gerichte zubereitet und serviert werden.

Warum sind die Konsequenzen dieser Feststellung weitreichend? Nehmen wir dazu das Beispiel Bern: In der Bundesstadt gab es bisher zwei Tageszeitungen, den «Bund» und die «BZ». Die beiden Zeitungen gehören zwar seit Jahren demselben Verlag, sie haben aber bisher mit zwei verschiedenen Lokalredaktionen unterschiedliche Lokalteile produziert. Jetzt hat Tamedia entschieden, die Zeitungen ganz zusammenzulegen und künftig auch den Lokalteil aus einer Hand zu produzieren.[3] Das ermöglicht es Tamedia, 20 Vollzeitstellen zu streichen. Die Marken «Bund» und «BZ» bleiben zwar erhalten, aber dahinter stecken dieselben Inhalte. Die Marken sind also, wie früher Vauxhall und Opel, reiner Etikettenschwindel. Für die Medienkonsumenten in Bern ist damit ein Verlust an Medienvielfalt verbunden. Ein Verlust, den die Politik in aller Regel mit dem Verweis auf alternative Angebote im Internet hinnimmt. Motto: Es gibt ja zahlreiche kleine Blogs, Newsletters und Informationsangebote, die für Medienvielfalt sorgen. Das ist aber, wie wenn der Wirt im Restaurant einen Gast, der sich beschwert, an den nächsten Supermarkt verweisen würde. Die Vielfalt wäre auch in Bern nur gegeben, wenn es echte Alternativen zu «Bund»/«BZ» geben würde. Das muss kein gedrucktes Medium sein, ob Papier oder Internet ist egal. Aber es muss ein Medium sein, das für eine lokale Grundversorgung sorgen kann. Eine mediale Grundversorgung.

Konsequenzen für die Kultur

Wenn wir die Medienlandschaft beurteilen, dürfen wir uns also nicht darauf beschränken, zu prüfen, ob Informationen verfügbar sind. Es geht darum, dass einzelne Medien in der Lage sind, das ganze Spektrum an Informationen abzubilden. Und genau darum ist es immer schlechter bestellt. Besonders gelitten hat in den grossen Zeitungsnetzwerken die Kulturberichterstattung. Die Zeitungen enthalten zwar noch Kulturteile, ein grosser Teil davon ist aber nicht mehr lokalisiert. Von Basel bis St. Gallen und Luzern wird den Leser:innen derselbe Kulturteil angeboten. Hors-Sol-Medien nenne ich solche Medienangebote.

Natürlich finden sich Informationen über die aktuellen Ausstellungen auf den Webseiten von Kunstmuseum und Fondation Beyeler und die Angaben über die nächsten Konzerte auf der Website des Sinfonieorchesters Basel. Irgendwo da draussen findet sich so gut wie jede Information – so, wie sich irgendwo da draussen jedes Lebensmittel findet. Wenn ich bei Tanja Grandits Platz nehme (ich hoffe, das geht bald wieder), nützt mir das aber nichts, wenn es die vegetarische Variante nur beim Comestibles in der Altstadt gibt. Von einem Tagesmedium erwarte ich entsprechend umfassende Information, vom Internationalen bis zum Lokalen, vom Vermischten bis zur (lokalen!) Kultur. Und genau diese Grundversorgung können lokale Medien immer weniger liefern.

Medien als förderungswürdige Kultur

Bei dieser Grundversorgung geht es nicht einfach um eine simple Verfügbarkeit von Information irgendwo da draussen im Internet, es geht um die Kuratierung, Aufbereitung und Lieferung der Information aus einer Hand. Das ist gar nicht so sehr eine Informationsleistung, es ist vielmehr eine Kulturleistung. Die Verfügbarkeit von umfassend informierenden, lokalen Medien gehört genauso zur Kultur einer Stadt wie Theater und Konzerte. Man kann sich deshalb fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, dass Kommunen und Kantone im Rahmen ihrer Kulturförderung auch lokale Medien fördern müssten. Es ist nicht einzusehen, warum der Kanton Basel-Stadt knapp 140 Millionen Franken für Kultur ausgibt, Medien davon aber ausklammert. Lokale Medien sind ein wichtiger Bestandteil einer Stadt, einer lokalen Kulturszene. Es genügt, siehe Todesanzeigenstürmchen in Basel, eben nicht, wenn eine Information irgendwo im Internet steht. Medien sind eine eigene Kulturleistung, die sich nicht in Informationen im Netz aufbrechen lässt.

Es ist schön, gibt es viele Menschen, die als Mäzen:innen Kultur ermöglichen. Aber wir dürfen Kultur nicht nur den Spezialinteressen privater Financiers überlassen. Wir müssen sie als öffentliches Gut pflegen. Dasselbe gilt für die Kulturleistung lokaler Medien: Es wäre fatal, wenn lokale Medien nur noch dank Mäzen:innen möglich wären. Wie Kultur sind Medien im öffentlichen Interesse und sollten auch eine öffentliche Angelegenheit sein – nicht nur, wenn es um Todesanzeigen geht. Ich wünsche mir darüber eine politische Auseinandersetzung auf kantonaler und lokaler Ebene. Medien sind, wie Landwirtschaft, Kultur und Bildung, zu wichtig, als dass wir sie mit dem Markt untergehen lassen dürfen.

Basel, 16. April 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

Bild: ©Francesco83 – stock.adobe.com

[1] «Basler Zeitung», 3. April 2021: «Der Tod der amtlichen Todesanzeigen»; https://www.bazonline.ch/der-tod-der-amtlichen-todesanzeigen-190426544424

[2] Die Adresse: https://www.stadtgaertnerei.bs.ch/friedhoefe/bestattungsanzeigen.html

[3] «Bund» und «Berner Zeitung» legen die Redaktionen zusammen: https://www.derbund.ch/bund-und-berner-zeitung-legen-die-redaktionen-zusammen-304855128029

Nachtrag: Die «Basler Zeitung» hat am Samstag, 17. April einen weiteren Artikel über die Digitalisierung und die ältere Generation publiziert: «Der Kanton vergisst die älteren Mitbürger». Der Vorwurf: Digitalisierung schliesse die ältere Generation aus. Das ist gleich doppelt falsch: Zum einen lässt sich Digitalisierung genau umgekehrt als Befähigung gerade von älteren und handicapierten Menschen begreifen und zum anderen schliesst, wenn überhaupt, die Digitalisierung längst nicht mehr ältere Menschen aus, sondern wenn schon bildungsfernere Menschen in jedem Alter. Ich werde voraussichtlich nächsten Freitag eine Replik darauf schreiben – wenn Sie sicherstellen möchten, dass Sie die Replik erhalten, abonnieren Sie doch hier den Wochenkommentar.

3 Kommentare zu "Todesanzeige für die Tageszeitung"

  1. Danke Herr Zehnder für ihre pietätvolle Haltung jenen gegenüber, welche sich die Todesanzeigen (TX-Group = „Traueranzeigen“) weiterhin in ihrer Zeitung zu lesen wünschen.
    Ja, es gibt sie – noch – (viele) – welche keinen Zugang zum Internet haben. Gerade älteren Mitmenschen ist es wichtig zu wissen, ob Mitmenschen ihres Jahrgangs (Schulgspänli, Arbeitskolleg/innen) oder Freunde der Pfadi/Blauring usw…. verstorben sind oder ob man ihnen weiterhin zu den Geburtstagen gratulieren darf. Das ist doch mehr als verständlich und menschlich.
    Ich finde es im (besonders) superdigitalisierten Kanton Basel-Stadt, wo Parkbussen nur noch mit einem QR-Code unter die Scheibe geklemmt werden (wo ist der EZ-Schein, wie europaweit üblich? – was mache ich ohne Handy?) und Todesanzeigen wegen (zu gut und zu weit gemeintem „Datenschutz“) nur noch Online abrufbar sind – schön, dass die beide grossen Tageszeitungen „BaZ“ und „BZ“ einen Weg gefunden haben, ihren (wohl treusten und langjährigsten Kunden/innen und Abonnenten/innen) diesen Service weiterhin zu bieten.
    Das ist private Innovation, das ist Leserdienst, das ist Servicefreundlichkeit.
    Den Initianten dieser unsinnigen staatlichen Bestimmung wünsche ich trotzdem nicht, dass dereinst sie in ihrem hohen Alter je erfahren müssen, durch immer neuere technische Apparate und Effekte vom Leben abgehängt zu werden.

  2. Die (alten) Medien scheinen sich mit viel Aufwand aber ohne Perspektiven wie auf einem Karussell im Stillstand im Kreis zu drehen. Todesanzeigen sind vor allem für eine Gesellschaft relevant, die am Sterben ist. Auch Nachrichten beispielsweise über den FC Basel, die Parteien und ihre Politik, das Klima, das sogenannte Rahmenabkommen und über Corona sind eigentlich Todesanzeigen.

  3. Eine Vielfalt der Lokalmedien, in denen das ganze Spektrum der Informationen als Grundversorgung vorhanden sein müsste, als kulturförderungswürdig zu postulieren und dies mit Subventionen zu unterstützen ist ein unverhältnismässiger Riesenaufwand zugunsten verschiedener «Kleinkonsumentengruppen» und verfestigt bei der zunehmenden Medienkonzentration, trotzdem die Verbreitung eines Einheitsbreis.

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