Warum Mofas gefährlicher sind als Terroristen

Publiziert am 23. September 2016 von Matthias Zehnder

Basel hat diese Woche Schlagzeilen gemacht: Ein mutmasslicher Dschihad-Rückkehrer sitzt in Basler Ausschaffungshaft – und könnte bald frei kommen. Die Fernsehsendung «Rundschau» hat darüber berichtet und die halbe Schweiz hat sich darüber empört. Bloss: Vor lauter Angst und Bangen vor islamistischem Terror gehen die wirklichen Gefahren vergessen.

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Die «Rundschau» des Schweizer Farbfernsehens brachte es am Mittwoch an den Tag: Auch Basel hat ein Netzwerk radikaler Islamisten. Offenbar sitzt ein mutmasslicher Dschihad-Rückkehrer in Basler Ausschaffungshaft. Und er könnte bald frei kommen, obwohl die Behörden ihn als ernst zu nehmende Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingestuft haben. Empörung, Aufschrei, Entsetzen. Die Basler Islamisten-Connection, titelte die «Basler Zeitung», Basler Moschee-Kassier unterstützte Jihadisten der «Tages-Anzeiger». Im Internet waren sich die Kommentatoren rasch einig: Alle verhaften und ausweisen, am besten nicht nur aus der Schweiz, sondern gleich aus Europa!

Verstehen Sie mich recht: Ich bin froh, schützt uns der Staat, schützen uns Polizei, Nachrichtendienst und Gerichte vor Menschen, die zu Anschlägen bereit sind. Bloss: Die Öffentlichkeit überschätzt die Gefahr masslos. Gerd Gigerenzer, Psychologe und Risikoforscher am Max-Planck-Institut in Berlin, sagt zum Beispiel, in den USA sei das Risiko, von einem Kleinkind erschossen zu werden, das mit der Waffe der Eltern spielt, wesentlich höher als an einem Terroranschlag zu sterben. In Deutschland ist es sogar wahrscheinlicher, vom Blitz getroffen zu werden, als von einem Terroristen erschossen zu werden. In der Schweiz dürfte es ähnlich unwahrscheinlich sein.

Obwohl viele Menschen das Gefühl haben, Terroranschläge hätten stark zugenommen, ist das Gegenteil der Fall: Die Zahl der Terroranschläge und die Zahl der Terrortoten hat abgenommen. Die britische Zeitschrift «The Economist» hat kürzlich die Entwicklung der Zahl der Terrortoten in Europa und in den USA in einer makabren Grafik zusammengestellt. Die Grafik zeigt: Die Terrortätigkeit der nordirischen «Befreiungsarme» IRA in England und der baskischen Terrororganisation ETA in den 70er und 80er Jahren waren um einiges tödlicher. Auch der Economist bezeichnet das Risiko, Opfer eines ganz gewöhnlichen Mordes zu werden, als viel grösser – vor allem in den USA: Da beträgt das Risiko, einem Terroranschlag zu erliegen, etwa 1 zu 56 Millionen – das Risiko, «ganz normal» ermordet zu werden, liegt dagegen bei 1 zu 20’000. Präsident Obama erklärte deshalb, das Risiko, in der eigenen Badewanne zu ertrinken, sei grösser, als das, von Terroristen getötet zu werden.

Trotzdem ist auch in unseren Medien von Terror, speziell von islamistischem Terror, viel häufiger die Rede als vom Ertrinken in der Badewanne. Wirklich stossend ist die ausufernde Terrorberichterstattung und deren politische Bewirtschaftung aus zwei Gründen: Zum einen erreichen die Terroristen gerade dadurch ihr Ziel, zum anderen gehen vor lauter Empörung über den islamistischen Terror viel grössere Gefahren vergessen.

Stellen Sie sich vor, ein Terrorist würde jedes Jahr in der Schweiz 3000 Menschen umbringen. Was würde geschehen? Natürlich würde eine nationale Krise ausgerufen. Die Armee würde die Grenze schützen, die Polizei wie in Frankreich mit Sondervollmachten ausgestattet. Politiker würden Härte und unbarmherziges Durchgreifen fordern. Die Bevölkerung wäre verängstigt, ja in Panik.

Nun ist es tatsächlich so, dass jemand in der Schweiz jedes Jahr 3000 Menschen umbringt. Bloss ist es kein islamistischer Terrorist, den man einsperren kann, es ist – die Luftverschmutzung. Eine für das Jahr 2010 aktualisierte Studie des Bundesamts für Raumentwicklung ARE kommt zum Ergebnis, dass wegen der Luftverschmutzung vor allem durch Feinstaub in der Schweiz jährlich rund 3000 Personen vorzeitig sterben. Dabei gehen rund 30000 Lebensjahre verloren. Luftschadstoffe lösen in der Schweiz jedes Jahr etwa 20000 Spitaltage aus wegen Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen. Die belastete Atemluft führt zu rund 17000 Fällen von akuter Bronchitis bei Kindern und rund 3000 neuen Fällen von chronischer Bronchitis bei Erwachsenen. Dadurch entstehen jedes Jahr Gesundheitskosten von rund vier Milliarden Franken. Haben Sie in den letzten Monaten mal eine Schlagzeile über schlechte Luft gelesen?

Die deutsche Autoindustrie hat jahrelang luftverschmutzende Dieselautos verkauft, die sie mit Tricks an den Zulassungsbehörden vorbeigeschmuggelt hat. Diese Diesel-Dreckschleudern sind vor allem für die Menschen in den Städten viel bedrohlicher als jede Terrorgefahr. Dennoch berichten die Medien über den Dieselgate wie über ein Kavaliersdelikt und die Menschen auf der Strasse zucken mit den Schultern und empfinden eine Muslima mit Schleier als gefährlicher als die VW-Manager, die jahrelang Schmutzschleudern verkauft haben.

Im Basler Wahlkampf plakatiert die SVP Plakate mit dem Slogan Paris. Würzburg. Nizza. …Basel? und suggeriert damit, dass auch bei uns ein islamistischer Anschlag quasi bevorstehe. Zur viel realeren Gefahr der Luftverschmutzung hat die Partei nichts zu sagen. Im Gegenteil: In Basel reagieren die Bürgerlichen höchst erzürnt über jede Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs. Die Freiheit der Auto- und Motorradfahrer ist ihnen offenbar viel wichtiger als die Gesundheit der Basler.

Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, sieht das anders. Seit dem 1. Juli sind Autos mit einer Erstzulassung vor 1997 in Paris verboten. Fahrzeughalter mit älteren Autos müssen an der Stadtgrenze auf die Metro umsteigen. Im Sommer 2017 soll das Verbot auf Autos ausgeweitet werden, die vor 2001 zugelassen wurden und ab 2020 will Anne Hidalgo alle Diesel-Autos aus Paris verbannen. Das ist konsequente Politik im Interesse der Bewohner von Paris.

Basel könnte sich eine Scheibe abschneiden und die Politiker könnten, statt jeden verlorenen Parkplatz zu bejammern, mal etwas tun für die Qualität der Luft und für die Gesundheit der Baslerinnen und Basler. Zum Beispiel ist es nicht einzusehen, warum immer noch Mofas mit Zweitaktmotoren unsere Luft verpesten dürfen. Sind Sie schon einmal beim Joggen oder Velofahren von einem Mofa überholt worden? Unerträglich.

Das ist keineswegs Einbildung grüner Sensibelchen. Laut einer Studie des Paul Scherrer Instituts sind Zweiräder mit Zweitaktmotor in vielen Städten die Hauptverursacher der Feinstaubbelastung, weil das mit Öl versetzte Benzin nur unzureichend verbrannt wird. Jetzt zählen Sie mal zusammen: In der Schweiz sterben jedes Jahr 3000 Menschen wegen der mit Feinstaub versetzten Luft. Für den Feinstaub sind in den Städten vor allem Zweitaktmotoren verantwortlich. Ergo: Zweitaktmotoren sind in der Schweiz jedes Jahr für den frühzeitigen Tod von 3000 Menschen mitverantwortlich. Kurz: Mofas töten Menschen.

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Die Gefährdung, die von Mofas, Mopeds und Kleinmotorrädern ausgeht, ist damit ungleich grösser und konkreter als die Gefahr, die von Terroristen ausgeht. Haben Sie in letzter Zeit einmal von einem Vorstoss gehört, Mofas aus der Stadt zu verbannen oder Zweitakter einzudämmen? Es wäre kein Problem, Zweitaktfahrzeuge zu verbieten und durch Elektrofahrzeuge zu ersetzen. Die Technik ist da, Infrastruktur ist dafür kaum nötig, ein Elektroscooter kostet kein Vermögen. Medien und Politik scheren sich aber nicht darum, sie beschäftigen sich lieber mit Terror und Muslimen. Das sichert mehr Einschaltquoten – und vielleicht auch mehr Wähler. Für uns Städter könnte sich diese Ignoranz als tödlich erweisen. Denken Sie daran, wenn Sie die nächste Terrorschlagzeile sehen: Die wahren Terroristen tragen hierzulande Krawatte, nicht Burka – und sie fahren Mofa.

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6 Kommentare zu "Warum Mofas gefährlicher sind als Terroristen"

  1. Matthias Zehnder bricht in der heutigen Wochenschrift keine Lanze für Terroristen. Es scheint, als ob er darauf achtet, das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Was er auch tut; doch halt stets nur aus einer Richtung. Mit Sätzen wie: „Die Gefährdung, die von Mofas, Mopeds und Kleinmotorrädern ausgeht, ist damit ungleich grösser und konkreter als die Gefahr, die von Terroristen ausgeht“ schafft er eine unnötige und gefährliche Nähe zweier Objekte die auf unserem Erdenball vorkommen.
    Diese Nähe, so empfinde ich, kann leicht, wenn man nicht aufpasst, von gewissen Kreisen zu einer Verharmlosung des Terrorismus umgemünzt werden. Solche Schreibweisen (Verniedlichung von Tatsachen) können genauso Nährboden für weitere Gewalt bilden wie das Hetzen auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Bevor man sich wie in diesem Fall zu weit aus den Lehnstuhl wagt, soll doch an dieser Stelle nochmals in banalster und einfachster Form festgehalten werden:
    Mofas und auch weitere Verbrennungsmotor-Fahrzeuge werden hierzulande für einen Zweck betrieben. Oftmals ist es der Zweck, von A nach B zu kommen. Sei es zur Arbeitsstelle oder auf der Arbeit selbst, zum Befördern von Waren oder Gütern aller Art. Auch Behinderte und Kranke werden vor unsere Spitäler nicht mit Velos gefahren, da dies schlicht nicht möglich ist. Für Grundversorgung und täglich Brot braucht es Fahrzeuge, welche vom Korn zum Mehl bis zur Hefe dem Bäcker dienen.
    Ob all diese Fahrzeuge (bitte den Mega-Ozonkiller Flugverkehr nicht vergessen) mit Verbrennungsmotoren angetrieben werden müssen, sei dahingestellt. Obwohl in der Mobilitätsbranche schon viel erreicht wurde (die Autobranche ist die innovativste aller, da der Konkurrenzdruck immens ist), geht – das wissen wir alle – mit neuen Ideen immer noch was zu Gunsten unserer Umwelt.
    Der Zweck jedoch – Fahrzeuge – sei es vom zitierten (urselten gewordenen) Mofa bis zum Megalinerbus dienen dem Erhalt des Rückgrats unserer Gesellschaft.
    Der Zweck des Terrorismus kennen wir leider auch alle nur zu gut…. = unglaublich, niederträchtig, widerlich, beschämend, schmerzhaft, traurig, unvorstellbares Leid verbreitend, tödlich.
    Die absichtlich einfach gehaltene Form meines heutigen Textes verdeutlicht simpel und banal die Absurdität eines Vergleiches zwischen Mofafahrern und Terroristen.
    Eindrücklicher kann man den Fehlgehalt des dieswöchigen langen und hochintellektuellen Textes nicht aufzeigen und entlarven.
    Da ich grundsätzlich an das Gute im Menschen glaube – und da Journalisten ja auch Menschen sind – sollte man die heutige Wochenschrift getrost als (einmaliger) Ausrutscher abschreiben.

    1. Herr Zweidler, jetzt wirds beleidigend. Ich schreibe explizit, dass es den Terrorismus ernst zu nehmen gilt. Wer darüber viel grössere und realere Gefahren vergisst, handelt schlicht dumm. Das ist, wie wenn man zwar einen Blitzableiter aufs Haus stellt, aber den Gashahn offen lässt. Zum Mofa: Allein in Basel sind 1600 Mofas unterwegs, im Baselland sind es über 7000. Zweitaktmotoren stecken zudem nicht nur in Mofas, sondern auch in vielen Kleinmotorrädern. Schlecht eingestellte Dieselfahrzeuge begegnen einem jeden Tag zu Dutzenden. Es ist grotesk, dass auf der einen Seite der Betrug der deutschen Autoindustrie an unserer Luft weggelächelt wird, wenn ein Schüler den Handschlag verweigert, empört sich aber das ganze Land, vom Dorfpolitiker bis zum Bundesrat. Das ist keine Bewertung von Handschlag oder Terrorismus, sondern eine Bewertung der grotesken Fehleinschätzung der damit verbundenen Risiken.

  2. Ausrutscher? Das sehe ich anders. Matthias Zehnder beschönigt die lebensverachtende Brutalität des Terrorismus keineswegs. Er erinnert jedoch daran: Auch heute noch, im Jahr 2016, stossen zahlreiche Fahrzeuge auf unseren Strassen krebserregende und Atemwegserkrankungen erzeugende Giftstoffe aus. Weite Teile der Öffentlichkeit und der Politik nehmen das selbst im Jahr 2016 noch stillschweigend hin. Wie wenig wird hinterfragt, wenn ein stinkendes Zweitakt-Mofa neben einem Kind im Kinderwagen vorbeiknattert oder ein Auspuffrohr Diesel-Giftgase direkt in einen Veloanhänger mit Kindern hineinpustet. In 60 Jahren werden sich Menschen ebenso wundern, dass dies 2016 noch möglich war, wie wir uns heute wundern, dass wir vor 60 Jahren unsere Kinderfüsslein im Schuhladen in Durchleuchtungsapparate stecken durften, um das Bewegungsspiel unserer Zehenknöchelchen zu bewundern…

  3. Dazu ein ganz anderer Blickwinkel.
    Ich gehe Abends alleine durch die Stadt. Es kommt mir eine Gruppe, vielleicht angeheiterter, junger Männer entgegen. Ich wechsle mit bangem Gefühl die Strassenseite. Szenenwechsel,- ich gehe Abends alleine durch die Stadt. Es kommt mir der Zeitungsverträger mit dem Mofa entgegen. Ich gehe frohen Mutes weiter.
    Angst ist irrational, soll aber ernst genommen und nicht klein geredet werden. Stete Angstgefühle können unser Denken und Handeln im negativen Sinn beeinflussen. Das wissen auch die Populisten aus Politik, den Medien, egal welcher Couleur, bestens und bedienen sich schamlos damit.

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