Wie die SVP das Wort Souveränität zum Kampfbegriff macht

Publiziert am 19. Februar 2016 von Matthias Zehnder

Kaum ein Wort hat eine so steile Karriere gemacht in den letzten Jahren wie das Wort Souveränität. Christoph Blocher und die SVP haben das Wort zu einem eigentlichen Kampfbegriff gemacht, zu einem Heiligenschein der Schweiz, den anzutasten ein Frevel wäre. Allerdings sitzen sie dabei einem Missverständnis auf. Oder werfen sie bewusst die Dinge durcheinander und propagieren eine geissenpetrige Freiheit an Stelle der Eingebundenheit in die internationale Staatengemeinschaft?

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Sicher ist: Die SVP hat das Wort Souveränität wie eine Art Heiligenschein über der politischen Schweiz zum Leuchten gebracht. Und dem Heiligenschein droht Gefahr. In seiner letzten Albisgüetli-Rede warnte Christoph Blocher, dass die weltweit einzigartige Volkssouveränität der Schweiz zunehmend eingeschränkt und ausgehebelt werde. Bundesrat Ueli Maurer widmete an der SVP-Delegiertenversammlung 2014 dem Wort Souveränität gar eine ganze Rede. Er warnte vor Begriffspanschern, die der Souveränität ihren Wert nehmen.

Bezeichnend sind die folgenden drei Sätze aus der Rede von Ueli Maurer: Souveränität heisst Selbstbestimmung im Gegensatz zu Fremdbestimmung. Dank der Souveränität können wir Bürgerinnen und Bürger selbst über unser Schicksal entscheiden. Wir geben uns die Regeln, nach denen wir leben wollen. Christoph Blocher formuliert es in seiner Albisgüetli-Rede ganz ähnlich und fragt rhetorisch, wer in unserem Gemeinwesen entscheide, Politiker, Professoren, Richter oder irgendwelche Kongresse? In der Schweiz ist die Antwort seit Jahrhunderten klar: Es ist das Volk, die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen – der Souverän – als oberste Instanz. Er setzt das Recht.

Die beiden sagen: Wenn irgendwelche Kongresse die Souveränität der Schweiz verwässern, nehmen sie dem Bürger die Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Oder konkret: Der Klimagipfel nimmt dem Schweizer Bürger seine Freiheit. Klingt in dieser Argumentationskette zwar logisch, ist aber falsch. Denn Blocher und Maurer werfen mit Souverän und Souveränität bewusst zwei Begriffe durcheinander und sie vermischen die beiden Bedeutungen, die das Wort Souveränität hat. Versuchen wir, das etwas aufzudröseln.

Das Wort Souveränität hat zwei Grundbedeutungen. In der Politik meint Souveränität, dass ein Staat die Macht und das Recht hat, frei nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ohne dabei das Recht anderer zu verletzen. Am ehesten lässt sich diese Bedeutung mit Landeshoheit übersetzen. Souveränität meint also, dass ein Staat über sich selber bestimmen kann. Geschützt wird diese Landeshoheit durch das Völkerrecht.

Doch Souveränität hat eine zweite, alltagssprachliche Bedeutung, wie sie etwa im Satz Die Souveränität des FCB war verblüffend zum Ausdruck kommt: Hier bedeutet Souveränität Überlegenheit, Sicherheit. Deshalb ist es doppeldeutig, wenn die SVP die Souveränität der Schweiz hochhalten will: Geht es der Partei bloss um die Landeshoheit oder feiert sie die Überlegenheit der Schweiz? Mit der Zeit wird aus der Souveränität der Schweiz eine Art Urkraft, eine spezielle Eigenschaft, wie sie nur der Schweiz eigen ist.

Doch das ist pure Politromantik. Souveränität meint lediglich, dass ein Staat grundsätzlich unabhängig ist von anderen Staaten und also handlungsfähig. Das dürfte auf die meisten der 193 UN-Mitgliedstaaten zutreffen. Die Souveränität der Schweiz meint also ihre Handlungsfreiheit innerhalb des Völkerrechts, wie sie allen anderen Staaten auch zusteht. Ein rechter Teil dieser Handlungen besteht darin, dass die Schweiz Verträge mit anderen Staaten abschliesst, vom Rücknahmeabkommen bis zum Freihandelsabkommen. Die Datenbank der Staatsverträge des EDA listet derzeit 4902 solcher Staatsverträge auf. Der älteste in der Liste ist die Vereinbarung vom 22. November 1946 zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Deblockierung der schweizerischen Vermögenswerte in Amerika, der jüngste in der Liste stammt vom 28. Januar 2016 und betrifft den automatischen Steuerdatenaustausch zwischen der Schweiz und Japan.

Mit jedem dieser Verträge hat die Schweiz ihre Handlungsfreiheit eingesetzt – und durch Abschluss des Vertrags ein Stück Freiheit aufgegeben, weil sie sich ja nun an einen Vertrag halten muss. In seiner Onlinedokumentation schreibt das Europaparlament deshalb: Im heutigen Völkerrecht wird statt Souveränität der Begriff Völkerrechtssubjekt verwendet, weil viele völkerrechtlich geregelten Beziehungen zwischen Staaten deren Souveränität einschränken.

Das ist wohl der Punkt, an dem Maurer und Blocher aufschreien und von Verwässerung der Volkssouveränität sprechen. Sie vernachlässigen dabei, dass das Abschliessen eines Vertrags das Wahrnehmen genau dieser Souveränität ist und vermischen Souveränität und Souverän. Kommen wir also zum zweiten Begriff, dem Souverän. Auch das ist kein Schweiz-spezifisches Zauberwort. Der Souverän ist schlicht der Inhaber der Staatsgewalt. In einer Demokratie ist es das Volk, in einer Monarchie der König, in einer Diktatur der Alleinherrscher.

In der Schweiz ist das Volk der Souverän und unterliegt deshalb dem Paradox der Souveränität, wie Giorgio Agamben in seinem Buch Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben schreibt: Der Souverän steht zugleich ausserhalb und innerhalb der Rechtsordnung. In der Schweiz ist das einfach erklärbar: Das Volk als Souverän kann durch eine Abstimmung Recht setzen und steht insofern ausserhalb der Rechtsordnung, das Volk steht deshalb aber nicht über dem Recht, es untersteht dem Recht, das es sich selbst setzt.

Wir haben also die Souveränität im Sinne der Landeshoheit gegen aussen, geschützt durch das Völkerrecht, und wir haben den Souverän, der im Land über die Staatsgrundsätze entscheidet und deshalb über Souveränität verfügt, geschützt durch die Verfassung und das Landesrecht. Die Bürger können nicht dank der Souveränität entscheiden, wie Maurer sagt, sondern dank der Demokratie und es wird nicht die weltweit einzigartige Volkssouveränität ausgehebelt, wie Blocher behauptet, sondern die Globalisierung hat eine immer stärkere Verbundenheit der Länder zur Folge, eine Verbundenheit, die sie durch Ausübung ihrer Souveränität mit Verträgen bestärken.

Wer also behauptet, das Völkerrecht beschneide die Freiheit des Schweizer Volkes, versteht unter Freiheit bewusst eine bezugslose Geissenpeter-Freiheit. Genau das macht die SVP, wenn sie die Freiheit des Volkes absolut setzt, wenn sie eine Initiative wie die Durchsetzungsinitiative formuliert, die keine Rücksicht nimmt auf Staatsverträge oder das Völkerrecht. Sie sieht die Schweiz nicht als Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft auf einem global vernetzten Planeten, sondern als souverän-überlegene Insel in einem Staatenmeer, deren Staaten auf einer niedrigeren Evolutionsstufe stehen geblieben sind, weil ihre Völker nicht souverän und die Staaten deshalb nicht frei seien. Es ist ein Bild der Schweiz, das nicht einmal rückwärtsgewandt ist, weil es auch in der Vergangenheit nie zugetroffen hat.

Wer Freiheit nur gelten lässt, wenn sie schrankenlos ist, wer unter Souveränität eine absolute Handlungsmacht versteht, wer beides dem Volk zuschreiben will, der macht aus der Freiheit eine Diktatur des Stärkeren, des falsch verstanden Souveränen. Im berühmten Satz von Rosa Luxemburg Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden steckt, dass Freiheit sich immer an der Freiheit der anderen misst. Der Massstab für die Souveränität der Schweiz kann deshalb nicht eine wurstige Geissenpeter-Freiheit ihres Volkes sein. Die Souveränität der Schweiz misst sich an der Souveränität anderer Länder, ganz egal, ob es sich dabei um Frankreich handelt – oder um Tuvalu.

9 Kommentare zu "Wie die SVP das Wort Souveränität zum Kampfbegriff macht"

  1. Die Schweiz wäre ohne das Eingebundensein in die Staatengemeinschaft ja gar nicht überlebensfähig – das mussten ja schon die eidgenössischen Reisläufer erfahren, nicht erst die Banken und die Exportindustrie. Danke Herr Zehnder für das erneute Aufzeigen, wie mit falsch verwendeten Begriffen eine gefährliche Überlegenheits-Arroganz der Schweiz in den Köpfen vieler verankert wird. Hatten wir das nicht schon mal in Europa vor nicht allzu langer Zeit bei einem wesentlich grösseren in seinem Souveränitätsverständnis gebeutelten und auseinander gerissenen Staatsgebilde?

  2. „Souverän“, lieber Herr Zahnder, einmal mehr !
    Die schleichende Stimmungsmache der SVP oder besser gesagt: die bewusste und gezielte Manipulation zeigt ja bereits vielerorts -nicht nur an Stammtischen- Wirkung.
    Mir kommt dabei (leider) auch Schiller in den Sinn:

    „Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn.
    Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen.
    Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?
    Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?
    Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt,
    um Brot und Stiefel seine Stimm‘ verkaufen.
    Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen.
    Der Staat muß untergehn, früh oder spät,
    wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.“

    Ich befürchte, am nächsten Sonntag wird gezählt und nicht gewogen!

  3. Souveränität bedeutet laut meinem etymologischen Wörterbuch des Deutschen von 1995: unumschränkte Herrschaft, höchste staatliche Herrschaftsgewalt, (staatliche) Überlegenheit.
    Die Sennenhund- und Volkstanz-Partei (SVP) – ich nenne sie gemäß ihren volksdümmlichen Auftritten so – konstruiert Souveränität zum ewig allmächtigen Schweizer Trojaner. Er ist mit tumber Macht gefüllt.

    1. Souveränität und dessen Bedeutung wurde nun zur Genüge auf diesem Blog auseinanderdividiert.
      Dass man aber die SVP, welche die grösste Partei im Land stellt, welche die Mehrheit der wählenden Bevölkerung vertritt, als Sennenhund- und Volkstanz-Partei darstellt, nenne ich schlicht und einfach unseriös. Sie haltet laut ihrer Definition auch „volksdümmliche Auftritte“ ab, und sebstverständlich darf auch das Wort „tumb“ in ihrem Argumentarium nicht fehlen. Was dies bedeutet, kann jeder selbst nachschlagen oder nachgoogeln. Und danach vergleichen mit der Politik der Partei, welche Probleme aufgreift (nicht „bewirtschaftet“), die diese auch angeht (nicht „hetzt“) und die versucht, einigermassen umsetzbare Lösungen hinzubrignen, selbstredend auch noch mit dem vielbenutzten (aber oft in falschem Zusammenhang eingesetzten) Wort Trojaner.
      Für Resultate benutzt die SVP wahrscheinlich den Menschenverstand, der ca. 1950 in der Schweiz geherrscht haben muss – was jedoch gar nicht so verkehrt ist, der zwar heute nicht mehr immer (West-)Europa-Konform ist (oder besser gesagt EU-Behörden-Monster-Büros-Konform), aber wenn man weltweit vergleicht, immer noch zum modernsten und humansten Handeln im Ländervergleich zählt.
      NB: Ich finde es schön, dass mir Gelegenheit gegeben wurde, Ihnen hier zu Antworten, denn dies ist Demokratie, direkte Demokratie, nein sogar (der modernen Technik und diesem Blog sei Dank) „direkteste Demokratie“. Sachlich aufeinander zugehen, sachbezogen seine Gedanken niederzuschreiben – und auf allgemeine Floskeln wie „dumm“, „blöd“ oder „doof“ weitgehendst zu verzichten ist schon ein grosses Stück „Kultur“ – oder aufs hier und jetzt bezogen „Netzkultur“. Negative Beispiele grassieren im Netz schon genug, z.B über Österreichs Obergrenze, die als reale Antwort auf die unglaublichen Flüchtlingsströme, welche dieses Land ohne Geo- und Obergrenzen bis vorgestern zu schultern hatte, nun mit einem „coolen“ Spruch (Ich fordere eine Obergrenze für Idioten) schlechtzumachen, und dies sogar aus Mündern von staatssubventionierten Organisationen bringt Austria, die Bewohner und Europa keinen Jota weiter.
      Bleiben wir Sachbezogen – es steht uns allen gut an.

      1. Falsch Herr Zweidler, die SVP vertritt mit ihrem Wähleranteil von knapp 30% bei weitem nicht die Mehrheit der wählenden Bevölkerung. Die Mehrheit sind immer 50% plus eine Stimme. Allerdings vertritt sie die grösste Minderheit der Schweizer Wähler.

  4. Nach dem Motto „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ (Carl Schmitt) könnte die Taktik der SVP dergestalt verstanden werden: Versetze das Volk in ständige Alarmbereitschaft, verstehe die Partei und ihre Führungselite als einzig wahres Sprachrohr des Volkes, lenke und entscheide durch leichte, prägnante Bilder und Angstszenarien.
    Anstatt die als heilig erachteten Werte wie Demokratie, Neutralität und Föderalismus in einem europäischen Kontext zu denken und mit den Nachbarn weiterzuentwickeln, schaffte die SVP mit ihrer Rhetorik und Propaganda bislang zwei verlorene Jahrzehnte. Ihre Worte „Sie sieht die Schweiz nicht als Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft auf einem global vernetzten Planeten, sondern als souverän-überlegene Insel in einem Staatenmeer, deren Staaten auf einer niedrigeren Evolutionsstufe stehen geblieben sind, weil ihre Völker nicht souverän und die Staaten deshalb nicht frei seien.“ sind deshalb leider völlig zutreffen. Doch wie können neue Erzählstränge kreiert und im Alltag etabliert werden?

  5. Ich finde die gepflegte Auseinandersetzung hier sehr Schweizerisch, das will heissen, sehr gut, so wie ich das gerne habe, aber selten antreffe.
    Was mich interessieren würde ist folgendes:
    Völlig unabhängig von irgendwelchen Parteien sind doch in den letzten Jahren vor allem Themen um die EU, Ausländer und Kriminelle in unserer Politlandschaft aktuell. Mal abgesehen von grösseren Kriesen in der Wirtschaft.
    Genau diese Themen werden von der SVP „bewirtschaftet“, denn Lösungen habe ich noch keine gesehen. Das politische Wording wird maßgeblich von der SVP dominiert, ist halt auch eine ausgesprochene Stärke der SVP.
    Aber ich habe den Eindruck, dass in erster Linie genau diese Partei für die Verrohung der Politik in der Schweiz verantwortlich ist, leider sind inzwischen die anderen Parteien auf den Zug aufgesprungen, wohl zum Teil auch notgedrungen.
    Ich finde, dass daraus eine herausragende Qualität der Schweizer Politik verloren gegangen ist. Die anständige, sachliche, „uneigennützige“ (anders fomuliert: im Interesse der in der Schweiz lebenden Bevölkerung) und respektvolle Diskussion. Wie sehen Sie das?

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