Schwarz

Publiziert am 30. September 2022 von Matthias Zehnder

Wenn ich derzeit Zeitung lese, Radio höre oder online Nachrichten schaue, sehe ich Schwarz. Ukrainekrieg. Energiemangel. Gaskrise. Klimakrise. Unfälle. Verbrechen. Skandale. Es entwickelt sich ein schwarzer Sog, der mich zu verschlingen droht. Dabei wüsste ich es besser: Die Welt ist nicht das, was die Medien melden.

Verstehen Sie mich recht: Der russische Angriff auf die Ukraine ist furchtbar. Der Krieg ist grauenhaft, in der Ukraine, aber auch für die russischen Soldaten, die ihrem Feldherrn gehorchen müssen. Die Gaspreise und die Krankenkassenprämien schiessen durch die Decke. Jetzt auch noch der Anschlag auf die Pipelines in der Nordsee. 

Aber das ist nicht die ganze Welt. Es sind die Nachrichten in den Medien. Sie sind wahr, aber es ist nicht alles. Medien melden immer das Aussergewöhnliche. Wenn wir uns die Welt als blaue Kugel mit schwarzen Flecken vorstellen, dann melden die Medien die schwarzen Flecken, nicht das Blau darum herum. Das Bild, das in uns Medienkonsumenten von der Welt entsteht, ist aber verheerend: Weil die Medien uns immer schwarz melden, meinen wir mit der Zeit, die ganze Welt sei schwarz. Doch das ist nicht so. Es gibt immer auch gute Nachrichten.

Und zwar nicht nur im Kleinen. Beispiele gefällig? 

  • Das Ozonloch schrumpft: Neuesten Forschungen zufolge ist das Ozonloch kleiner geworden, die ozonschädigenden Stoffe sind um die Hälfte zurückgegangen.
  • Wölfe, Seeadler, Biber, Braunbären und Wisente galten in Europa einst als ausgestorben. Doch dank Schutzprogrammen und Ausweitung der Flächennutzung sind diese Tierarten zurückgekehrt.
  • Frankreich stärkt den traditionellen Buchhandel: Ein neues Gesetz sieht eine Mindestgebühr bei den Versandkosten vor. Amazon darf keinen Gratisversand mehr anbieten. 

Die Meldungen stammen von einem neuen Medienangebot, das «Good News» heisst: Die Redaktion bietet jeden Tag sechs handverlesene, gute Nachrichten über mögliche Lösungen für soziale und ökologische Herausforderungen. Den Dienst können Sie per Web hier https://goodnews.eu/ abrufen, für die gängigen Mobiltelefone gibt es auch eine App. Klar: Das ist ein Tropfen auf eine glühende Herdplatte. Trotzdem: Jeden Tag ein bisschen Hoffnung gegen den schwarzen Blick der Medien auf die Welt.

Denn um die Welt steht es trotz allem besser, als wir meinen. Das gilt nicht nur für die Nachrichten, es gilt auch für die Menschen. Wir reden von Schweizern und von Deutschen, von Russen und Amerikanern und Chinesen, von Linken und Rechten, Städtern und Landschäftlern, Akademikern und Büezern. Wir reden vom Trennenden, weil das die Konflikte bietet, die jene Aufmerksamkeit beschert, von der die Medien leben. Aber ich bin überzeugt, dass das, was uns Menschen verbindet, viel grösser ist als das, was uns trennt. 

Eine russische Mutter liebt ihren Sohn genauso wie eine ukrainische, eine amerikanische, eine chinesische oder eine Schweizer Mutter. Der Hunger fühlt sich in Indien gleich an wie im Sudan oder in Mexiko. Ob Sie in der Stadt oder auf dem Land leben, ob Sie einen Universitätsabschluss haben oder kaum lesen können – wir alle möchten in Freiheit leben und wir alle streben nach Glück. 

So steht es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776: «Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräusserlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören». 

Leben, Freiheit und das Streben nach Glück – das wünschen sich auch Ukrainer und Russen, Chinesen und Tibeter, Iraner und Israeli. Das wünschen wir uns alle. Es ist das, was uns verbindet. Lassen Sie sich deshalb vom vielen Schwarz in den Medien nicht verunsichern. Machen wir Licht.

Mit diesen Zeilen über das Schwarz in den Medien verabschiede ich mich in meine Herbstferien und grüsse Sie herzlich.  

30. September 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Bild: Keystone/AP/Nariman El-Mofty

Das Bild zeigt die 70-jährige Valentyna Klymenko, die allein in ihrem durch russische Luftangriffe zerstörten Gebäude lebt. Sie schaut im Dunkeln ohne Strom auf ihr Handy in Borodyanka. Früher war ihre Wohnung laut und voller Leben. Statt der Stimmen ihrer Urenkel empfängt sie nun ein schummriges, feuchtes Zimmer. Sie kocht selten. Sie trinkt Obstkompott und isst Tomaten aus der Dose, die sie im letzten Jahr zubereitet hat, um das Gas in ihrem tragbaren Herd nicht zu verschwenden, und hofft auf bessere Zeiten.

 

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3 Kommentare zu "Schwarz"

  1. Links, Rechts, Oben, Unten… Gilt heut nicht mehr.
    Hell und Licht entsteht, wenn alle am gleichen Strang ziehen würden (tun sie aber noch immer nicht).
    Klassikschublade, Rockschublade, Popschublade – und Schlagerschublade (das geht ja gar nicht)… Gilt heut nicht mehr. Hell und Licht, Freude und Frohsinn durch Musik, egal welcher Couleur.
    Roland Kaiser – schlimmes Dudelfuzzi von früher. Mitnichten. Weiterentwicklung. Liebe – Licht – Hell – Mut – Energie – Kraft – Freude – Leben. Denn die Welt ist nicht verloren. Balade. Ode. Symphonie des Guten. Grandios. Schön. Herz. Grossartig. Hoffnung. Bombastisch. Berlin. Bravo.

    1. Weder schwarze Bad News noch rosarote Good News, aber auch Liebe und Ökokolgie allein sind nicht genug, wenn die Menschheit sich gemeinsam von den kollektiven Traumas heilen will, die uns immer noch mehr Scheussliches, Schlimmes und Schreckliches tun lassen. Michael Schmidt-Salomon hat bereits 2006 in seinem Manifest des evolutionären Humanismus festgehalten: „Die grösste aktuelle Bedrohung für den Homo sapiens besteht nicht in Erdbeben und Tsunamis, nicht in Vulkanausbrüchen oder Meteoriteneinschlägen, nicht in korrupten Regierungen oder Konjunktureinbrüchen, sondern in einer strukturell bedingten Dummheit. Unser Wahnsinn hat System! Es mag vielleicht anregender und vielleicht auch subjektiv entlastender sein, anzunehmen, dass die Geschicke der Menschheit von einem Grüppchen finsterer Verschwörer gelenkt werden, in Wahrheit steckt hinter der ganzen Misere aber nur eine einzigartige, gigantische, weltumspannende Riesenblödheit. Eben deshalb tut Aufklärung Not! Ohne eine breit angelegte, lokal wie global ansetzende Bildungsoffensive, die sich erstens auf die besten Traditionen von Wissenschaft, Philosophie und Kunst stützt und die sich zweitens nicht scheut, die Irrtümer selbst der heiligsten Traditionen tabulos offenzulegen, werden wir nicht in der Lage sein, die so dringend benötigten besseren Spielregeln für das menschliche Zusammenleben zu definieren.“ (zitiert in: Frei und miteinander sich bilden, UK, 2022).

  2. Das ist alles sehr richtig, und ich bin dankbar, dass diese Einseitigkeit der Medien immer wieder mal in Erinnerung gerufen wird. Und dass es sogar Medien gibt, die dem bewusst entgegen steuern. Aber ich kann mich des Verdachts kaum erwehren, dass es mehr als zahlreiche schreckliche (un) menschliche Taten auf unserem blauen Planeten gibt, über welche die Medien nicht (oder nicht mehr) berichten. Dieser düsteren, diffusen „Wolke“ zu wehren scheint mir noch schwieriger, als die handfesten negativen Berichte der Medien richtig einzuordnen.

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