Schwachstelle Mensch

Publiziert am 11. Januar 2019 von Matthias Zehnder

In den letzten Wochen des vergangenen Jahres haben unbekannte Hacker in Deutschland im grossen Stil vertrauliche Daten von Politikern und anderen Prominenten veröffentlicht. Jetzt hat sich herausgestellt: Es war kein fremder Geheimdienst, der die Menschen im grossen Stil ausspioniert hat und auch keine Verbrecherbande. Es war ein Jugendlicher. Was das bedeutet? Es zeigt vor allem, wieviele Menschen von der computerisierten Umwelt überfordert sind – und wie wenig Anbieter sie unterstützen.

Für viele deutsche Prominente hat das Jahr 2019 schlecht begonnen: Hacker haben im Internet massenweise persönliche Daten von Politikern und Journalisten veröffentlicht, darunter Handynummern, private Adressen, Briefe und Kreditkartendaten. Betroffen waren alle im Bundestag vertretenen Parteien – alle ausser der AfD. Die Daten waren zwar schon vor Weihnachten auf Twitter veröffentlicht worden. Aufgefallen ist es aber erst letzte Woche, weil Politiker wie Martin Schulz (SPD) plötzlich unflätige Anrufe auf ihre eigentlich geheime Handynummer erhielten.[1]

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nahm Ermittlungen auf. Das Nationale Cyber-Abwehrzentrum übernahm die zentrale Koordination. Die Rede war von einem der grössten Hackerangriffe, die Deutschland je erlebt hatte. BSI-Präsident Arne Schönbohm ging davon aus, dass über 1000 Politiker, Journalisten und Prominente vom Cyberangriff betroffen waren.[2] Natürlich schossen sofort Spekulationen darüber ins Kraut, wer dahinter stecken könnte: Ein Cyberangriff einer fremden Macht? Ein Hacker-Kollektiv? Eine Diebesbande?

Doxing aus Ärger

Alles falsch: Es war ein Jugendlicher, ein knapp 20 Jahre alter Schüler. Er lebt noch bei seinen Eltern in Mittelhessen, also in der Region zwischen Frankfurt, Düsseldorf und Kassel mitten in Deutschland. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main gab Anfang der Woche bekannt, das Bundeskriminalamt (BKA) habe die Wohnung des Jugendlichen durchsucht und ihn vorläufig festgenommen. Der Verdächtige sei geständig: Er habe die gegen ihn erhobenen Vorwürfe umfassend eingeräumt und über eigene Straftaten hinaus Aufklärungshilfe geleistet, teilt die Generalstaatsanwaltschaft etwas umständlich mit.[3]

Der jugendliche Hacker hatte sich offenbar über öffentliche Äusserungen der betroffenen Politiker, Journalisten und Prominenten geärgert und aus Rache persönliche Informationen der Promis veröffentlicht. «Doxing» heisst das im Cyber-Jargon. Ziel von Doxing ist es, die Privatsphäre aufzubrechen und die Opfer blosszustellen, indem Fotos, Kontaktangaben und private Daten aus E-Mails oder aus Chats veröffentlicht werden. Doxing ist also eine Art «Cyber-Mobbing». Veröffentlicht hatte der Hacker die Daten unter anderem über ein Twitter-Konto, auf dem er sich «God» nannte – mit der Adresse «@_Orbit».[4]

Gott bekam kalte Füsse

Als plötzlich die Bundespolizei in ganz Deutschland nach ihm fahndete, bekam «God» kalte Füsse. Er versuchte, seine Spuren zu verwischen, die Festplatten zu löschen und die Computer auf einem Recycling-Hof zu entsorgen.[5] Bloss ist es in der digitalen Welt nicht ganz so einfach, Spuren und Indizien auszumerzen. So kamen die Beamten dem jungen Mann rasch auf die Spur. Laut BKA hatte er keinerlei Informatikausbildung, er hat sich das Hacken selber beigebracht.

Der junge Mann ist inzwischen wieder zu Hause. Er zeige Reue und es bestehe keine Fluchtgefahr. Martin Schulz hat eine neue Handy-Nummer und wieder seine Ruhe, viele andere Politiker rund Prominente sind mit dem Schrecken davongekommen. Für den einen oder die andere mögen die Daten, die der Hacker veröffentlichte, peinlich oder ehrenrührig sein. Die Verletzung der Privatsphäre ist auch dann schmerzhaft und unangenehm, wenn sie «nur» elektronisch erfolgt. Und jetzt? Was geht uns das an? Und in der Schweiz?

Wir überforderten Benutzer

In erster Linie zeigt der Fall, dass sehr viele Benutzerinnen und Benutzer im Umgang mit Computer, Handy und Internet überfordert sind. Der junge Hacker konnte sich persönlicher Daten bemächtigen, weil die Promis auch einfachste Sicherheitsregeln nicht beachteten. Ein Beispiel: Das am häufigsten verwendete Passwort ist nach wie vor «123456». Das ist so absurd, wie wenn man sein Einfamilienhaus mit einem Spielzeugschlüssel von IKEA abschliessen würde. Auf der Liste der beliebtesten Passwörter befinden sich laut Hasso Plattner Institut der Universität Potsdam weitere Zahlenreihen – und das Wort «Passwort».[6] Zweiter Kardinalfehler: Viele Benutzerinnen und Benutzer setzen bei allen Diensten dasselbe Passwort  ein. Stösst ein Hacker auf dieses Passwort, kann er sich wie mit einem Generalschlüssel überall Zutritt verschaffen.

Die meisten Menschen nutzen Computer wie ein Auto oder die Stereoanlage: als nützliche Geräte, die man nicht weiter verstehen muss. Das ist gefährlich, weil sich die Computertechnik extrem schnell entwickelt. Alle eineinhalb Jahre verdoppelt sich die Rechenkraft, die man für das gleiche Geld kaufen kann. So lautet Moores Gesetz, das nach Gordon Moore benannt ist, einem der Gründer der Chipfabrik Intel. Wir sind uns gar nicht bewusst, dass wir mit unseren Smartphones eigentlich kleine Supercomputer in der Westentasche herumtragen. Noch vor 20 Jahren wären Spezialgeräte von der Grösse eines Familienkühlschranks nötig gewesen, um diese Power anzubieten – Spezialgeräte, die von Spezialisten betreut wurden. Heute hat  jeder so einen Supercomputer in der Hosentasche – freilich ohne jegliche Spezialausbildung. Das ist, wie wenn man einen Fahrschüler in ein Formel 1-Auto setzen würde – oder einen Kindergärtner bitten würde, mal eben die Dogge zu halten.

Schwachstelle Mensch

Deshalb wären eigentlich die Anbieter gefordert, ihre Dienste so auszugestalten, dass man sie nur sicher benutzen kann. Es wäre zum Beispiel relativ einfach für einen Mail-Dienst oder einen Onlineshop, prinzipiell nur sichere Passwörter zuzulassen. Ausser Onlinebanken hat jedoch kaum ein Anbieter Restriktionen eingebaut. Onlineshops wollen es ihren Kundinnen und Kunden so einfach wie möglich machen. Nur ja keine Hürden aufbauen, der Kunde könnte sich den Kauf sonst noch einmal überlegen. Dazu kommt, dass viele Anbieter selbst hoffnungslos überfordert sind.

Bei Anbietern und bei Konsumenten gilt deshalb: Computer könnten sicher sein, die eigentliche Schwachstelle aber ist und bleibt der Mensch. Das ist nichts Neues. Als einer der bekanntesten und gefährlichsten Hacker der Welt galt und gilt Kevin Mitnick.[7] Als er nach einer langen Haftstrafe 2003 auf Bewährung in die Freiheit entlassen wurde, habe ich ein Interview mit ihm geführt. Er sagte mir damals, dass das wichtigste Arbeitsprinzip eines Hackers nicht Geheimprogramme oder spezielle Programmierkenntnisse seien, sondern das so genannte «Social Engeneering» sei: Die Bandbreite reicht dabei vom einfachen Anruf bei einem vertrauenswürdigen Angestellten einer Firma und einem lockeren Gespräch über Passworte bis zum komplexen, mehrschichtigen Angriff wie in einem Schachspiel, erklärte mir Mitnick. Social Engeneering, das Erschleichen von Passwörtern und Zugängen über Menschen, sei meist viel einfacher, als das Knacken von Sicherheitstechniken.

Der versteckte Preis der Computerei

Wir staunen manchmal, wie günstig heute superschnelle Computer sind, wie einfach wir an Hochleistung durch Rechner kommen, was unsere Handydienste alles fertigbringen. Das Beispiel des deutschen Kinderzimmer-Hackers zeigt, dass wir den Preis für diese supergünstige Supertechnik möglicherweise auf einer ganz anderen Ebene bezahlen, als uns bewusst ist. Nötig im Umgang mit Computer, Handy und Internet wäre deutlich mehr Respekt und Vorsicht – und eine sehr viel bessere Ausbildung, bei Anbietern und bei Benutzern. Wer möchte sich schon ohne Vorbereitung in einen vollgetankten Formel-1-Boliden setzen.

Basel, 11. Januar 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Tipp zu sicheren Passwörtern

Sichere Passwörter bestehen aus einer zufälligen Folge von Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen. Sie sehen also zum Beispiel so aus: W6TjA$mu$fsA Dieses Passwort habe ich mir nicht selbst ausgedacht: Solche Passwörter lasse ich mir von meinem Passwortmanager generieren. Das ist eine App, mit der ich die Benutzernamen und Passwörter all der Webseiten und Dienste verwalte, die ich benutze. Ohne einen solchen Passwortmanager geht es heute nicht mehr. Denn sichere Passwörter kann man sich fast nicht merken – schon gar nicht, wenn es für jeden Dienst ein neues Passwort sein soll, das auch noch regelmässig ausgewechselt wird. Die beiden bekanntesten Passwortmanager sind LastPass und OnePassword. Beide gibt es als App für das Handy, als Programm für den Computer und als Plugin (Zusatz) für den Webbrowser.

LastPass: https://www.lastpass.com/de
OnePassword: https://1password.com/de/


Quellen

[1] Vgl. «Der Spiegel», 4.1.2019, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/medienbericht-ueber-hacker-angriff-auf-hunderte-deutsche-politiker-a-1246359.html

[2] Vgl. Zeit Online, 4.1.2019, https://www.zeit.de/video/2019-01/5986019427001/datendiebstahl-eine-hoehere-zweistellige-zahl-von-angriffen-die-sehr-erfolgreich-waren

[3] Vgl. Pressemitteilung des BKA vom 8. Januar 2019: https://www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2019/Presse2019/190108_FestnahmeDatenausspaehung.html

[4] Vgl. «Spiegel» vom 8.1.2019; http://www.spiegel.de/netzwelt/web/hackerangriff-tatverdaechtiger-ist-wieder-auf-freiem-fuss-a-1246965.html

[5] Vgl. «Spiegel» vom 10.1.2019: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/daten-leak-so-wollte-0rbit-seine-spuren-verwischen-a-1247415.html

[6] vgl. Pressemitteilung des HPI vom 18.12.2018: https://hpi.de/pressemitteilungen/2018/die-top-ten-deutscher-passwoerter.html

[7] Wie viele andere, ehemalige Hacker führt Mitnick heute eine eigene Sicherheitsfirma: https://mitnicksecurity.com/about/kevin-mitnick-worlds-most-famous-hacker-biography

3 Kommentare zu "Schwachstelle Mensch"

  1. Sie setzten sich sehr für sichere Passwörter, befassen sich mit Hackern, Apps die Codes generieren und mit dem „Versteckten Preis der Computerei…“ (Ihre Worte)
    Ich spüre den Preis der Computerei täglich, und der ist nicht versteckt. Denn ich zahle meine Rechnungen, wie die Mehrheit der Bewohner der Schweiz auch (noch), am Postschalter ein. Die abgestempelten Quittungstalons habe ich physisch bei mir und ich kann sie archivieren wo und wie ich will, auch bei Stromausfall und Internetverbindungsunterbrechung. Wenn die NASA, das Englische Parlament und sogar das Pentagon gehackt werden, muss mir keine Schweizer Post oder Schweizer Bank erzählen, ihr Online-Banking sei sicher.
    Ich und die Mehrheit der Bewohner zahlen für ihr Bedürfnis jedoch pro Rechnung 2.50 bis 3 Fr. mehr, der von den Firmen wir Salt, Orange, div. Versicherungen oder auch Stromanbieter auf die Rechnung unter der Position „Postschaltergeschäft“ dem Kunden, also mir und der Mehrheit, draufgeschlagen wird.
    Dies ist gar nicht in Ordnung.
    Es fällt auf, dass vorallem grosse Firmen dies so handhaben. Der Autowerkstatt, dem Schreiner, dem Bäcker für den Partyservice käme so was nie in den Sinn.
    Absolute Frechheit besitzt die neue Firma Serafe, welche im Auftrag die neuen „Radio- und Fernsehzwangsgebühren“ einzieht (egal ob man einen Radio oder Fernseh, Tablet usw. hat oder nicht). Man wird also seit 2019 nicht nur gezwungen, diese „Gebühr“ (welche eigentlich eine Steuer ist) zu bezahlen, man wird auch noch von der Firma „Serafe“ (deren einzige Aufgabe ist, Rechnungen zu stellen) zusätzlich mit einem „Postschalterbetrag“ abgeknöpft, wenn man dies nicht gefälligst Online am PC tut.
    Während man bei einer Salt, Swisscom oder Bank den Anbieter wechseln kann, kann man dies bei diesen neu eingeführten Zwangsgebühren für jeden Haushalt absolut nicht.
    Dies alles auch „Preise der Computerei“. Es gibt auch noch die Seite, der Offline-Menschen, der nicht so Technik-Affinen, welche viel zu selten zu hören ist.
    Dafür werden die Berichte (nicht nur hier, überall in den Medien) über Apps, Online, Tablets, Smartphones und Datenverbindungen, neue und noch stärkere Handyfundktechnik etc… viel zu hoch gehängt.
    Hier wieder ein Bericht über die Digitale Welt, dort wieder ein Bericht über die Digitale Welt und dort drüben gleich nochmals einer. Nur noch Automatisierung, Computerisierung, Digitalisierung und Schulung, Weiterbildung, Förderung einseitig über und in diesem Bereich. Jedoch (ganz gut!):
    „Mit PC-Tastatur wird keine Wand hochgezogen.“
    oder auch nicht schlecht: „Wenn alle Online Studieren, wer baut dann noch unsere Unis?“ (sprich, wer kann noch mit den Händen arbeiten?)
    Auf diese Tatsache steuert unsere Gesellschaft schon seit vielen Jahren zu, ohne etwas dagegen zu tun. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren konnte man in Kinder- und Schulbüchern den Satz lesen: „Papa kommt aus dem Büro heim.“ So gut wie nie hiess es: „Papa kommt aus der Werkstatt heim oder von der Baustelle.“ Das musste ja schon damals bei den Kindern den Eindruck erwecken, dass alle Väter in Büros arbeiten.
    Auch heute hat sich an dieser Situation nicht viel geändert. Bei einem Bauprojekt hört und sieht man nur von den Leuten, die planen, am Computer arbeiten und denken. Die Handwerker können von Glück reden, wenn sie in den Medien erwähnt werden. Im günstigsten Fall wird davon berichtet, dass die Handwerker mit Hochdruck arbeiten müssen (weil vorgängig die „Digitalen“ zuviel Zeit verplämperten…)
    Während die Digitalen gutes Geld kassieren, steht es bei den Einfachen nicht zum Besten: Weder die Löhne noch die Arbeitszeiten oder auch das gesellschaftliche Ansehen sind besonders attraktiv. Ein Handwerker mit verschmutzter Arbeitskleidung wird im sozialen Gefüge eher in den unteren Rängen eingeordnet. Den PC-Nerds, den Schlipsträger etc… werden hingegen Lächelnd die Türe unserer Gesellschaft immer weiter aufgehalten.
    Es bleibt nur zu hoffen, dass unsere Gesellschaft irgendwann erkennen wird, dass mit einer PC-Tastatur keine Wand hochgezogen, kein Dachstuhl abgebunden und auch keine Schraube angezogen werden kann.
    Übrigens ist auch die Bezeichnung Handwerker für diesen (unterschätzten oder in der heutigen Zeit, wie hier, ignorierten) Berufsstand nicht ganz vollständig: Denn nur mit den Händen zu arbeiten, ohne den Kopf einzusetzen, lässt auch den geschicktesten Handwerker wenig Konstruktives zustande bringen.
    Alle Jammern, dass sich die Schere zwischen Reich und Arm weit öffnet.
    AUCH HIER!
    JA, HIER BEGINNT ES.
    DIE SCHERE ÖFFNET SICH, und ständig über Digital, Computerisierung usw. zu berichten anstelle auch mal von einem Metzger, einem Tunnelbauer oder einem Landwirt, trägt und beschleunigt diese Öffnung bloss unnötig und zusätzlich.
    Man darf durchaus von einer Brutalen Technik-Diktatur reden, in der wir heute leben.
    Online, Computer & Co ist ok. Sich auch für die Offlinen, die Älteren, die Einfachen oder sich mal für diejenigen einsetzen, welche die Bildschirmflimmerei nicht mitmachen wollen (bewusst oder unbewusst), wenn das unsere Banken und Poststellen schon nicht tun und für eine Auslandsüberweisung, zum Beispiel nach Deutschland, am Schalter bis zu 30 Fr (!) Bearbeitungsgebühr verlangen (wenn eine Oma dem Enkel in Offenburg seinen Geburtstagsbatzen schenken will, bezahlt sie unseren Gier-Geld-Instituten diesen Betrag…), wäre in diesem links-liberal-„menschenfreundlichen“ Wochenkommentar stark!

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