Pulverdampf und Pistolenrauch

Publiziert am 22. März 2019 von Matthias Zehnder

Der Bundesrat will den Bundeseigenen Rüstungsbetrieb Ruag aufspalten und so dafür sorgen, dass die Ruag mehr Spielraum erhält. Die Waffenlobby findet das gut. Sie sagt, die Schweiz brauche eine starke, nationale Rüstungsindustrie. Der Bundesrat schliesst sich dieser Argumentation offenbar an – und sitzt damit alten Mythen auf. Viel wichtiger als Pulverdampf und Pistolenrauch sind im 21. Jahrhundert Kompetenzen im Cyberbereich. Und darum steht es in der Schweiz nach wie vor eher schlecht bestellt.

Der Mann ist ein ehemaliger Brigadegeneral der deutschen Bundeswehr. Er hat 2000 bis 2006 den Deutschen Bundestag in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beraten und war 2006 bis 2013 Gruppenleiter im Bundeskanzleramt, Sekretär des Bundessicherheitsrates und Militärischer Berater der Bundeskanzlerin in Berlin. Er ist also ein erfahrener Militär, der auch politisch arbeitet. Der Mann heisst Erich Vad. Diese Woche hat die Schweizer NZZ einen grossen Gastkommentar des deutschen Ex-Generals veröffentlicht. Titel: Warum es eine nationale Rüstungsindustrie braucht.[1] Der Brigadegeneral a.D. schreibt, der sicherheitspolitische Handlungsspielraum der Schweiz sei ohne eine nationale Rüstungsindustrie mit Kernkompetenzen und nationalen Schlüsseltechnologien stark eingeengt.

Stellen Sie sich einmal vor, ein grüner Politiker aus Deutschland würde der Schweiz in einer Zeitung Hinweise geben auf das richtige Verhalten im Umgang mit dem Autoverkehr. Oder ein prominentes Mitglied der Linken würde der Schweiz in einem Zeitungsbeitrag den Kopf dafür waschen, dass unsere Banken nach wie vor Geld in Kohleminen investieren. Es wäre Feuer im Schweizer Dach. Nicht so bei Erich Vad. Der Ex-General scheint in der Schweiz mit seiner Botschaft gut anzukommen. Aber wie kommt ein pensionierter, deutscher General überhaupt dazu, sich in der NZZ über die Schweizer Rüstung auszubreiten?

PR für die Rüstungsindustrie

Ganz einfach: Vad wird (vermutlich) dafür bezahlt. Der Brigadegeneral ausser Dienst ist in den Dienst der Schweizer Beratungsfirma Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten getreten.[2] Mit Erich Vad verfüge die Firma über einen erfahrenen Strategen und Experten für Risikoeinschätzungen, Issue Management und Krisenbewältigung. Er ergänzt und verstärkt das bestehende Portfolio strategischer und analytischer Kompetenzen von Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten, lässt die Firma mitteilen. Als Dinosaurier der PR-Branche hat der «Tages-Anzeiger» die Konsulenten bezeichnet und schrieb: Ihr Geschäftsmodell gilt vielen als Relikt aus alten Zeiten.[3]

Ihr Geschäftsmodell besteht darin, die Meinung der Öffentlichkeit im Allgemeinen und wichtiger Politiker im Speziellen zu Gunsten ihrer Kunden zu beeinflussen. Ein wichtiges Mandat hatten die Konsulenten zum Beispiel von der Firma Saab: Sie sollten Politik und Öffentlichkeit davon überzeugen, dass der Gripen das richtige Kampfflugzeug für die Schweiz ist.[4] Das ist bekanntlich nicht gelungen. Jetzt will die Firma die Schweiz davon überzeugen, dass sie eine starke Rüstungsindustrie braucht. Der Kommentar von Eric Vlad ist jedenfalls auch auf der Homepage der Konsulenten unter «Publikationen zum Download» nachzulesen.[5]

Mehr Freiheit für die Ruag

Der Einsatz des Ex-Generals und von Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten gilt vermutlich der Schweizer Rüstungsfirma Ruag. Es dürfte kein Zufall sein, dass das Plädoyer für eine nationale Rüstungsindustrie in denselben Tagen erschien, an denen der Bundesrat seine Pläne für die Zukunft der Schweizer Rüstungsfirma Ruag bekannt gab. Der Bundesrat will die Ruag aufspalten in einen Schweizer Bereich für die Versorgung der Armee, der eng ans VBS gebunden wird, und in einen internationalen Bereich, dessen Leinen gelockert werden: Mit der geplanten Entflechtung erhält die Ruag International mehr Spielraum, um sich auf dem Weltmarkt zu positionieren, zitiert die NZZ VBS-Sprecher Renato Kalbermatten.[6]

Rüstungskritische Geister runzeln die Stirn: Mehr Spielraum für einen Schweizer Rüstungsbetrieb? Was soll das denn? Da kommt das Plädoyer von Erich Vad zu pass. Vad schreibt, dass eine starke heimische, wehrtechnische Rüstungsbasis und die Herstellung von modernen Waffen und militärischer Ausrüstung ihre hohe politische Bedeutung behalten würden. Er geht sogar einen Schritt weiter: Die Aufgabe der Herstellung von Waffen und militärischer Ausrüstung würde bedeuten, sich jede Option auf ein militärisches Eingreifen zum Schutz des eigenen Landes … zu verbauen.

Heimatschutz für Rüstungsgüter

Aber braucht es dazu wirklich eine nationale Rüstungsindustrie? Auf jeden Fall, meinen Erich Vad und Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten: Ausländische Produzenten werden niemals den spezifischen politischen Erfordernissen und auch den nationalen Eigenheiten nationaler Streitkräfte entsprechen wollen. Im Falle des Falles sei nicht sichergestellt, dass ausländische Produzenten liefern. Auch werde es schwierig sein, technologisch hochwertige Produkte zu bekommen, die State of the Art sind, weil ausländische Anbieter aus berechtigtem Interesse heraus ihre technologische Führerschaft nicht vorzeitig aufgeben wollen. Das Land lasse sich politisch unter Druck setzen, ja es werde erpressbar, wenn es von ausländischen Lieferanten abhängig sei.

In einer fast schon lustigen Volte geht Vad dann noch einen Schritt weiter und fordert, die heimische Rüstungsindustrie müsse viel und frei exportieren können. Vad fordert deshalb, das Exportreglement müsse dringend vereinheitlicht werden und europaweit gelten. Und weiter: Der Export von Waffen und militärischer Ausrüstung kann zudem ein sehr effektives Instrument der Aussenpolitik sein. Der jeweilige Exporteur kann dosiert politischen Einfluss auf den Empfänger von Rüstungsgütern ausüben.

Schweiz soll andere erpressen

Wie gesagt: Wenn es um Käse ginge, wäre es lustig. Vad fordert eine nationale Rüstungsindustrie, damit das Land nicht erpressbar sei. Damit die Rüstungsindustrie stark ist, müsse sie möglichst frei exportieren können. Als Bonus stellt Vad dem Land in Aussicht, dass es damit andere Länder erpressen könne. Pardon: dosiert politischen Einfluss auf den Empfänger ausüben könne. Das alles empfiehlt Vad der neutralen Schweiz, dem Depositarstaat der Genfer Konvention.

Aber schauen wir uns Vlads Argumentation etwas genauer an. Sie lautet: Was wichtig ist für die Schweiz, muss sie selbst herstellen, weil sie sich sonst in Abhängigkeiten begibt. Welche Technologie ist für die heutige Schweiz am wichtigsten? Wahrscheinlich Technologien im Bereich Informatik und Telekommunikation. Ergo dürfen unsere Telekom-Unternehmen auf keinen Fall Technik aus den USA und schon gar nicht aus China installieren, sondern müssen ganz unbedingt auf heimisches Schaffen bauen. Also: Mobilfunksender, Computer, Prozessoren aus der Schweiz! Spätestens jetzt schütteln Sie hoffentlich den Kopf: Wenn jedes Land seine eigenen Computer bauen würde, wären Rechner unbezahlbar. Es gibt keine Industrie, die so globalisiert und so extrem in global verteilte Arbeitsschritte aufgeteilt ist, wie die Computerindustrie.

Keine Computer aus dem Emmental

Nein, Computer und Prozessoren aus dem Emmental – das funktioniert nicht. Und ich vermute mal, unter dem Strich ist es bei Rüstungsgütern ähnlich. Oder soll die Schweiz selber Kampfflugzeuge und Panzer entwickeln? Dem Alt-General und seinen Konsulenten geht es darum, der Ruag und anderen Rüstungsfirmen möglichst ungestörte Geschäfte zu ermöglichen. Und das in einer Zeit, in der etwa Neuseeland habautomatische Waffen verbietet.[7]

Aber nehmen wir das Argument ernst: Was wichtig ist für die Schweiz, um das muss sie sich selbst kümmern. Da fallen mir in erster Linie andere Dinge ein als Rüstungsgüter. Saubere Luft zum Beispiel. Klimaschutz. Die Wasserversorgung. Cleantech. Und wenn wir etwas mehr auf die Sicherheit der Schweiz fokussieren, dann ist es vor allem die Cybersicherheit. Das KMU-Land Schweiz steht in Sachen Cybersecurity nach wie vor auf eher dünnen Beinchen. Das Beratungsunternehmen Deloitte schreibt in einer Studie über Cybersicherheit in der Schweiz: Während der Grossteil der international ausgerichteten Unternehmen das Risiko der Internetkriminalität als hoch einschätzt, halten binnenwirtschaftlich orientierte Unternehmen diese Risiken für niedrig. Die Bedrohung der Netz- und Informationssicherheit (Cyber Security) zu unterschätzen birgt grosse Risiken.[8] Also: Wenn wir wirklich etwas für die Sicherheit der Schweiz und ihrer Wirtschaft tun wollen, sollten wir nicht mit Waffen hochrüsten, sondern mit Computern. Und vor allem mit der Bildung und Ausbildung in Sachen Internetsicherheit.

Basel, 22. März 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

[1] NZZ vom 18.3.2019; https://www.nzz.ch/meinung/ruestungsindustrie-warum-es-sie-braucht-ld.1463798

[2] Siehe Pressemitteilung der Firma https://www.konsulenten.ch/files/media/files/83ebf3c5e286e6ee1b6c0c98c4477733/konsulenten_mm_eric_vlad_de.pdf

[3] «Tages-Anzeiger» vom 19.3.2016: https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/die-dinosaurier/story/26915225

[4] Vgl. etwa «NZZ am Sonntag» vom 15.12.2018: https://nzzas.nzz.ch/schweiz/kampfjet-kauf-lobbyisten-in-hoechstform-ld.1445152

[5] Siehe hier: https://www.konsulenten.ch/de-ch/hirzel-neef-schmid-konsulenten.html#news mit direktem Link auf: https://www.konsulenten.ch/files/media/files/c16127ee9e7f9499ecf3721ed29705c5/konsulenten_erich_vad_gastkommentar_NZZ.pdf

[6] Vgl. NZZ vom 21.3.2019: https://www.nzz.ch/schweiz/der-bund-will-die-ruag-aufspalten-ld.1368248

[7] Vgl. https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/neuseeland-christchurch-waffengesetze-verbot-waffen-sturmgewehr

[8] Siehe hier: https://www2.deloitte.com/ch/de/pages/audit/articles/cyber-security-in-switzerland.html

4 Kommentare zu "Pulverdampf und Pistolenrauch"

  1. Ich finde, es braucht beides. Also Cyber-Security und die klassische Abwehr („Pulverdampf-Militär“, wie Sie es nennen). Auch wenn letzteres zur Zeit gerade nicht modern ist. Was nicht modern ist, kann es aber ganz schnell wieder modern werden, zahlreiche Beispiele der Geschichte zeigen dies.
    Nebenbei darf durchaus immer geträumt werden von der total friedlichen Welt. Leider gibt es auf Erden halt noch ein paar „rabiate“ Staaten, deren wir uns wehren können müssen. Ob mit Cyber oder aktueller Militärtechnik – beides zählt.

    1. Falsch verstanden. Es geht (diesmal) nicht darum, die Armee abzuschaffen, es geht um die Rüstungsindustrie. Es ist aber interessant, dass Sie diesen Kurzschluss machen: Wer sich gegen die Rüstungsindustrie äussert, wird gleich als nestbeschmutzender Armeeabschaffer diffamiert. Nein, es geht um die Frage, ob Schweizer Firmen mit dem Export von Waffen Geschäfte machen sollen. Die Beantwortung dieser Frage hat meiner Meinung nach eben gerade nicht mit der Sicherheit des Landes zu tun (vielleicht sogar im Gegenteil).

  2. Bei der Rüstungsindustrie geht es mit viel Ideologie vor allem ums Geschäfte machen und nicht um Sicherheit. Dafür braucht es Grenzen überschreitend eine Weltgesellschaft, die das Leben liebt und dafür gemeinsam die Verantwortung trägt.

  3. Aus Vad wird Vlad, was für ein köstlicher Verschreiber ( im Abschnitt „Schweiz soll andere erpressen“). Ein Schelm, wer da nicht an „Vlad den Pfähler“ (aka Dracula) denkt. Das passt ganz wunderbar zu Herrn Vad und seiner „Mission“, danke für den Schmunzler mit Nachhall.

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