NoBillag geht voll auf Kosten der Alten

Publiziert am 26. Januar 2018 von Matthias Zehnder

Die Jungen schauen nicht viel SRF. Die Jungen sind im Internet. Die Jungen nutzen lieber Youtube und Apps auf dem Handy. Die Jungen holen sich auf Netflix, was sie grad wollen. OK. Aber was ist mit den «Alten»? Warum redet niemand davon, was die Schweizer Senioren verlieren würden, wenn die NoBillag-Initiative angenommen würde? Denn eins ist klar: Die Senioren wären gleich mehrfach die Verlierer bei einer Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren. Ein Plädoyer für eine SRG, die (auch) älteren Menschen nützt.

In der Schweiz leben immer mehr ältere Menschen: Der Anteil der über 65jährigen nimmt stetig zu. 2016 waren 1,52 Millionen Personen 65 Jahre alt oder älter – das ist knapp ein Fünftel der Bevölkerung.[1] Diese Bevölkerungsgruppe wird in den nächsten Jahren stark anwachsen. Die Bevölkerungspyramide ist keine Pyramide mehr, sondern eine gekippte und gespiegelte Silhouette eines Berges: Der Bauch ist bei 50 Jahren am dicksten. Das sind die Babyboomer. Dieser Bauch rutscht in der Pyramide langsam nach oben. Man könnte meinen, in politischen Diskussionen seien deshalb die «Alten» ein wichtiger Faktor.

Alterspyramide der Schweizer Bevölkerung. Quelle: bfs

Denkste. In der ganzen NoBillag-Debatte war vor allem davon die Rede, dass die Jungen nicht mehr fernsehen, dass sie sich vor allem auf dem Handy über Apps informieren und dabei keine SRF-Inhalte konsumieren, dass ihnen Facebook und Youtube wichtiger sind als die gute, alte Flimmerkiste. Abgesehen davon, dass das so nicht stimmt – es ist interessant, dass von der älteren Generation in der NoBillag-Diskussion kaum je die Rede ist. Dabei würde diese Generation gleich dreimal verlieren.

Der erste Verlust: Abschied von Radio Beromünster

Wenn eine NoBillag-Initiative angenommen würde, müsste sich gerade die ältere Generation von zentralen Leistungen der SRG verabschieden. Ich habe in mehreren Analysen gezeigt, dass vor allem die Informationsangebote von Radio und Fernsehen SRF sehr rasch unter die Räder kämen. Im Radio wären das «Echo der Zeit», «Rendez-vous» und natürlich die regelmässigen, ausführlichen Nachrichten. Im Fernsehen wären es «Tagesschau» und «10vor10» (zumindest in heutiger Qualität), aber auch viele andere Informationsgefässe wie «Einstein», «Puls», Dokumentarfilme oder die «Rundschau».

Etwas vereinfacht und auf die ältere Generation gemünzt könnte man sagen: NoBillag killt Radio Beromünster, also die unabhängigen und manchmal unbequemen Nachrichten aus der Schweiz. Klar gäbe es weiterhin Nachrichten – aber eben nur so weit, wie sie sich auf dem «freien Markt» finanzieren lassen. Und der geht nicht grad pfleglich um mit Journalismus. In der Schweiz finden alle drei Monate Sachabstimmungen statt, an denen die Bevölkerung nur teilnehmen kann, wenn sie gut und unabhängig informiert ist. Es ist erstaunlich, dass das prognostizierte Ende des Rundfunk-Qualitätsjournalismus nicht für mehr Aufruhr sorgt. Die «Generation Beromünster» weiss vielleicht am ehesten, was sie dabei verlieren würde.

Der zweite Verlust: Fernsehen zum «Anstellen»

In unserer Familie ist klar: Tante Martha darf man um 19’30 Uhr nicht anrufen. Dann läuft die «Tagesschau». Oder jeweils Dienstags nach 20 Uhr. Dann läuft der Dienstags-Krimi. Oder gar der «Bestatter». Oder Dienstags nach 21 Uhr. Dann läuft der «Kassensturz». Wir lächeln dann jeweils – und rufen Tante Martha am nächsten Tag an. Wenn jemand Fernsehen genau dann schaut, wenn es ausgestrahlt wird, dann spricht man vom «linearen Fernsehen». Die Bedeutung von diesem Live-Fernsehen nimmt ab: Immer mehr Menschen nutzen die Fernsehprogramme zeitversetzt. Im Prinzip gibt es dafür drei Möglichkeiten: Digitale Fernsehplattformen wie jene von Swisscom oder UPC machen es möglich, das Live-Signal zu pausieren und dann zeitversetzt zu schauen. Auf denselben Plattformen lassen sich aus dem digitalen Fernsehprogramm heraus verpasste Sendungen abrufen. Über das Internetangebot der Sender oder über die jeweilige App lassen sich zudem vergangene Sendungen direkt abrufen.

Zeitversetztes Fernsehen wird wichtiger in der Schweiz. Aber: 83% des Fernsehkonsums bleibt live.[2] Am grössten ist der Anteil der zeitversetzt Zuschauenden in der Altersgruppe der 15–29jährigen: 27% des Fernsehkonsums in dieser Altersgruppe findet zeitversetzt statt. Im Umkehrschluss gilt: Je älter die Zuschauer, desto eher schalten sie einfach mal den Kasten an und schauen, was da kommt. Wenn es nach den Initianten geht, wäre damit nach einer Umsetzung der NoBillag-Initiative Schluss: Die Initianten gehen davon aus, dass es das Schweizer Fernsehen danach nur noch gegen Gebühr gibt.[3] Das bedeutet: Empfangbar wäre das Schweizer Fernsehen nur noch über eine digitale Settop-Box und nur dann, wenn (je nach Modell) 8 bis 18 Franken im Monat dafür bezahlt wird. Für ein Programm notabene, das (selbst in einem unrealistisch positiven Plan) nur noch ein Drittel des Budgets zur Verfügung hätte. Kurz: Würde die Initiative angenommen, könnten wir Tante Martha jeden Abend um 19.30 Uhr anrufen. Vielleicht wäre das sogar gut, weil sie sich ohne ihre «Tagesschau» etwas einsam fühlen würde.

Zeitversetzte Fernsehnutzung in der Schweiz. Quelle: Mediapulse.

Der dritte Verlust: Inhalte für Senioren

Schauen Sie ab und zu RTL oder ProSieben? Kommen Ihnen diese Fernsehsender irgendwie jünger vor? Das empfinden Sie richtig: ProSieben und RTL haben ein jüngeres Publikum als SRF1. In der Altersgruppe der 15–29jährigen schauen fast gleich viele Menschen ProSieben wie SRF2, auf Platz drei folgt RTL, SRF1 folgt erst auf Platz vier. Warum ist das so? Die Antwort lautet «werberelevante Zielgruppe». Das ist die Altersgruppe der 15–49jährigen. Das ist zwar bloss eine Erfindung von Helmut Thoma, dem Gründungschef von RTL, der damit seinen (damals) kleinen Sender gegenüber Werbern im Vergleich zum (damals schon) viel älteren Publikum von ARD und ZDF besser aussehen lassen konnte.[4] Doch die Zielgruppe hat sich als Währung durchgesetzt. Mittlerweile ist das Publikum von RTL auch etwas älter geworden und RTL hat die werberelevante Zielgruppe auf 14–59 erweitert.[5] Es bleibt das Phänomen, dass das jüngere Publikum vor allem für die grossen Brands interessanter ist, weil bei jungen Menschen die Markenentscheide noch nicht gefestigt sind.

Das bedeutet: Muss sich Radio und Fernsehen ausschliesslich oder grösstenteils über Werbung finanzieren, muss es sich an ein jüngeres Publikum wenden, damit es auch genügend Werbung der grossen Marken anzieht. Das wäre schon aus Gründen der Vermarktung das Aus für den «Senioren-Sender» SRF1. Klar wird das Publikum jenseits der 60 wichtiger – aber es fragt sich, ob das Werbevolumen, das diese Altersgruppe anzielt, gross genug ist, um ein Radio- und Fernsehangebot zu finanzieren. Das würde bedeuten: Genau die Zielgruppe, die am meisten fernsieht, würde vom Fernsehen inhaltlich nur noch schlecht bedient. Oder kennen Sie einen (grossen) privaten TV-Sender, der auf Senioren setzt?

Nachfrage: Geht es um das Alter oder um die Generation?

Wann ist man alt? Wenn der Atem nicht mehr ausreicht, die Kerzen auf der Geburtstagstorte auszublasen? Ab Jahrgang 1948? Oder wenn man am Samstagabend nicht mehr ausgeht, sondern schaut, was im Fernsehen so kommt? Alter ist nicht eine Frage des Jahrgangs, sondern des gefühlten Alters. Gut möglich, dass sich das Mediennutzungsverhalten in Zukunft wirklich radikal ändert. Dass unsere Jungen, wenn sie älter werden, nie einfach den Kasten anstellen. Mindestens ein Teil des Nutzungsverhaltens lässt sich aber auf die Lebenssituation zurückführen. Ein junger Mensch in Ausbildung ist nun mal in seiner Freizeit eher sozial engagiert (will heissen: unterwegs auf der Gasse). Wenn unser junge Mensch selbst mal Kinder hat, sieht das vielleicht anders aus. Vielleicht ist er dann froh, wenn er abends aufs Sofa plumpsen kann und eine freundliche Dame ihm die Nachrichten vorliest. Vielleicht ist das Fernsehen ja wirklich eher ein Medium für ältere Menschen. Dann wäre das Argumentieren mit der Jugend nicht sinnvoll.

Junge Menschen fragen gerne: «Wenn ich das Zeug nicht nutze, warum soll ich es dann bezahlen?» Abgesehen davon, dass viele junge Leute «das Zeug» halt doch nutzen, aber einfach per Youtube, im Internet oder per App – die Antwort ist ein einfaches, aber offenbar altmodisches Wort: Solidarität. Als Gemeinschaft haben wir Schweizer Bürgerinnen und Bürger beschlossen, uns einige Dinge zu leisten, die wir gemeinsam bezahlen. Die AHV zum Beispiel, die obligatorische Krankenversicherung (die nur funktioniert, so lange sie obligatorisch ist), öffentliche Schulen oder frei zugängliche Strassen. Genauso haben wir beschlossen, dass es sinnvoll ist für unser Land, wenn es über einen gut ausgebauten und allen frei zugänglichen, öffentlichen Rundfunk verfügt. Vielleicht sollten wir SRF mehr wie die AHV anschauen: als ein solidarisches Werk, für das alle bezahlen, auch wenn es vielleicht erst wirklich wichtig ist, wenn wir, wie Tante Martha, allein sind zu Hause.

Basel, 26. Januar 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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[1] Siehe https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung.html

[2] Vgl. http://www.mediapulse.ch/fileadmin/user_upload/TV/Publikationen/Semesterzahlen/2017_2._Semester/TSV-Nutzung_2017_2.pdf

[3] Siehe hier: https://www.matthiaszehnder.ch/medium/endlich-ehrlichkeit-der-initianten-nobillagnosrg/

[4] Vgl. http://www.stefan-niggemeier.de/blog/9609/zielgroupis/

[5] Vgl. https://www.wuv.de/medien/14_59_rtl_erweitert_werberelevante_zielgruppe_nach_oben

Endlich Ehrlichkeit der Initianten: NoBillag=NoSRG

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3 Kommentare zu "NoBillag geht voll auf Kosten der Alten"

  1. Ob als Alte oder Junge, als Linke oder Rechte, als Laien oder Profis, als Ab- oder Aufgestellte, u.a.m.: Während wir uns hoch engagiert Billag-billig die Köpfe zerbrechen, sahnen beispielsweise Facebook und Google auch in der Schweiz medienmässig milliardenfach ab.

      1. Okay. Und dann noch dies: Wer – wie beispielsweise ein gewisser Herr Köppel gestern – behauptet, Medien, die existenziell am Tropf der Werbung und/oder am Tropf von Superreichen hängen, wären frei, hat nicht nur einen Dach-, sondern auch noch einen Sachschaden. Ein Nein zu No Billag wird es am 4. März zeigen: Die Schweiz ist besser als die SVP.

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