Mein Gott, welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern?

Publiziert am 1. September 2017 von Matthias Zehnder

In der Nacht auf Freitag ging im Bergsturzgebiet von Bondo eine weitere Erd- und Schlammlawine nieder. In Houston ist wegen der Überschwemmung nach Hurrikan Harvey eine Chemiefabrik in die Luft geflogen. Meteorologen warnen bereits vor dem nächsten Hurrikan namens Irma. Und das alles dürfte erst der Anfang sein: Der Rekordsommer zeigt, wie rasch der Klimawandel zur Klimakatastrophe wird. Was für eine Welt hinterlassen wir bloss unseren Kindern?

Ich war noch selten so froh über eine Wetterverschlechterung: Die letzten Tage waren in meinem Büro in der Basler Altstadt kaum erträglich heiss und stickig. Auf dem Nachhauseweg spürte ich ein Prickeln und einen metallischen Geschmack auf der Zunge, es kratzte im Hals: Extrem hohe Ozonwerte machten das Fahrradfahren zur Tortur. Am Donnerstag brachte der Regen endlich Abkühlung.

Der August war nicht nur subjektiv erlebt sehr heiss. Auch objektiv gesehen war es ein ausserordentlich heisser Monat. Zudem war die Luft extrem feucht und bescherte der Schweiz ein subtropisches Klima. Die Nächte brachten kaum Erholung: Die Wärme blieb auch nachts erhalten. Einige Schweizer Messstandorte registrierten laut Meteo Schweiz die höchsten Minimumtemperaturen im August seit Messbeginn im Jahr 1864.[1] In Lugano zum Beispiel sank die Temperatur am 5. August nicht unter 23.5 Grad.

Wetterrekorde noch und noch

Der August 2017 brachte in der Schweiz weitere Wetterrekorde, zum Beispiel die höchste Regenmenge, die in der Schweiz innert zehn Minuten je gemessen wurde. Am 2. August fielen in Eschenz zwischen 02:40 Uhr und 02:50 Uhr 36.1 mm Regen – Rekord. Insgesamt registrierte die Schweiz nach dem drittwärmsten Frühling auch den drittwärmsten Sommer seit Messbeginn. Im landesweiten Mittel stieg die Sommertemperatur 1.9 Grad über die Durchschnittstemperatur 1981–2010. Heisser waren bisher nur der Sommer 2015 mit 2.3 Grad und der legendäre Hitzesommer Sommer 2003 mit 3.6 Grad über der Norm.

Der Monat Juni war gar der bisher zweitwärmste Juni seit Messbeginn. Meteo Schweiz hat eine Durchschnittstemperatur gemessen, die landesweit gemittelt 3.3 Grad über Norm liegt. Auch auf lange Sicht lässt sich die Erwärmung nicht mehr leugnen: Der Schweizer Sommer ist von der Klimaperiode 1961–1990 zur Klimaperiode 1981–2010 nachhaltig um 1.2 Grad wärmer geworden.[2] Ein Tor, wer die Klimaerwärmung heute noch leugnet.

Die Schweiz taut auf und die Berge rutschen

Wie drastisch die Konsequenzen ausfallen können, haben uns diese Woche gleich mehrere Ereignisse vor Augen geführt. Der Bergrutsch von Bondo zum Beispiel, wo in der Nacht auf Freitag erneut eine riesige Erd- und Schlammlawine ins Tal gedonnert ist.[3] Eine der Ursachen für die verheerenden Bergstürze ist der Klimawandel: Die steigenden Temperaturen sorgen dafür, dass die bisher im Permafrost gefrorenen Böden und Felsen im Gebirge auftauen und instabil werden.[4]

Dazu kommt die rasche Gletscherschmelze: Wenn ein Gletscher schmilzt, hinterlässt er eine Lücke. Das macht die Bergflanken instabil. Ein extremes Beispiel ist der Aletschgletscher. Forscher der ETH haben gemessen, dass die Moosfluh auf der Riederalp ins Rutschen geraten ist, weil der Aletschgletscher sich zurückgezogen hat.[5] Laut der ETH-Forschungsgruppe rutscht die Moosfluh mit über 30 cm pro Jahr ins Tal. Im Herbst musste die Moosfluh-Bergbahn deshalb sogar den Betrieb einstellen. Das Tempo, in dem der Berg ins Rutschen gekommen ist, hat die Forscher überrascht. Offenbar sind die Alpen viel weniger stabil als angenommen.

Keine Pläne für Schutz vor Umweltkatastrophen

Was passiert, wenn die Menschen sich nicht auf die Naturgewalten vorbereiten, ist derzeit in Houston, Texas, zu besichtigen. Texas hat sich viel zu wenig auf Hochwasser und Stürme vorbereitet. Texas gehört zu einer Handvoll Staaten, die keine Pläne für den Umgang mit den Katastrophen erarbeitet haben, die durch den Klimawandel zunehmen. Ein Grund dafür könnte sein, dass viele Texaner nicht an den Klimawandel glauben.[6]

Das ist kein Zufall: Im Öl-Staat Texas ist die Idee, das Verbrennen fossilen Stoffen könnte schädlich sein, nicht wirklich populär. Von 2000 bis 2015 war der Republikaner Rick Perry Gouverneur von Texas. Er gilt als einer der schärfsten Gegner der Idee, dass der Klimawandel auf den Menschen zurückzuführen ist. Klimaforschern wirft er vor, ihre Daten zu manipulieren. Klimaschutzmassnahmen gefährden aus seiner Sicht bloss den Wohlstand. Heute gehört Rick Perry als Energieminister zum Kabinett von Donald Trump.[7]

Ein Umweltminister gegen die Umwelt

Einen Verbündeten hat Rick Perry in Scott Pruitt gefunden, dem Leiter der amerikanischen Umweltschutzbehörde. Auch Pruitt glaubt nicht, dass der Mensch und sein Kohlendioxidausstoss am Klimawandel schuld ist.[8] Dass er sich damit gegen den fast einhelligen Konsens der Wissenschaft stellt, ist Pruitt egal. Er wehrt sich gegen alle Einschränkungen der Wirtschaft und war das erste ranghohe Mitglied der Trump-Regierung, das sich für einen Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen ausgesprochen hat.

Perry und Pruitt sehen den Klimaschutz in Opposition zu den Interessen der Wirtschaft. Katastrophen wie der Hurrikan Harvey zeigen jedoch, dass Schutzmassnahmen sehr wohl im Interesse der Wirtschaft sein können. Vielleicht ändern deshalb die Politiker in Houston ihre Meinung. Denn Texas wird so schnell nicht zur Ruhe kommen. Zu gross sind die Schäden, die Harvey angerichtet hat, zu offensichtlich die Versäumnisse des Bundesstaats. Und das ist noch nicht alles: Bereits rollt der nächste Sturm auf die USA zu: «Irma» heisst der Hurrikan und Meteorologen befürchten, dass er ähnlich stark ausfallen wird wie Harvey. Irma dürfte Anfang nächster Woche in den USA auftreffen.[9] Vielleicht wird Donald Trump ja tatsächlich eine grosse Mauer bauen müssen – aber nicht an der Grenze zu Mexiko, sondern gegen die Naturgewalten des Atlantiks.

Steuerliche Entlastung für Geschäftsautoinhaber

Und in der Schweiz? Wir haben keine mächtige Erdölindustrie, keine Raffinerien und auch keine Autohersteller, die sich gegen den Klimaschutz wenden. Bei uns besorgen das die rechtsbürgerliche Mehrheit im Parlament und Körperschaften wie Gewerbeverband, Wirtschaftskammer oder die Autoverbände. Ein Beispiel von dieser Woche: Der Nationalrat will mit einer Sonderregelung Inhaber von Geschäftsautos steuerlich entlasten. Bei der Beschränkung des Pendlerabzuges soll es für sie eine Sonderregelung geben.[10]

In der Schweiz wird mehr als die Hälfte des Kohlendioxids vom Verkehr (32%) und durch Gebäude (26%) verursacht.[11] Natürlich gibt es immer wieder «vernünftige» Argumente dafür, warum es den Verbrennungsmotor im Auto noch braucht. Warum Gewerbe und Läden darauf angewiesen sind, dass freie Bürger freie Fahrt auf den Strassen haben müssen. Warum man Öl- und Gasheizungen nicht abschaffen kann. Und warum die kleine Schweiz auf der grossen Welt wenig zum schlechten Klima beitrage. Wenn ich mir die Bilder aus Bondo und aus Houston anschaue, frage ich mich: Mein Gott – welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern? Und wie erklären wir ihnen in 20 Jahren, warum wir 2017 nicht gehandelt haben?

Basel, 1. September 2017, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen:

[1] Siehe http://www.meteoschweiz.admin.ch/home.subpage.html/de/data/blogs/2017/8/heisser-august-und-heisser-sommer.html

[2] Vgl. http://www.meteoschweiz.admin.ch/home.subpage.html/de/data/blogs/2017/8/heisser-august-und-heisser-sommer.html

[3] Vgl. https://www.nzz.ch/panorama/neuerlicher-murgang-das-grauen-in-bondo-nimmt-kein-ende-ld.1313811

[4] Vgl. https://www.nzz.ch/wissenschaft/bergsturz-von-bondo-das-hochgebirge-ist-mit-eis-stabiler-als-ohne-ld.1313353

[5] Vgl. https://www.nzz.ch/wissenschaft/klima/klimawandel-ld.141349

[6] Vgl. http://podcasts.srf.ch/world/audio/Echo-der-Zeit_31-08-2017-1800.1504200304333.mp3

[7] Vgl. http://www.independent.co.uk/news/donald-trump-rick-perry-energy-secretary-pick-texas-governor-global-warming-a7471411.html

[8] Vgl. http://www.sueddeutsche.de/politik/scott-pruitt-neuer-us-umweltchef-mensch-und-co-an-erderwaermung-unschuldig-1.3413430

[9] Vgl. https://amp.cnn.com/cnn/2017/08/31/us/hurricane-irma-forecast-weather/index.html

[10] Vgl. https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/20170227171548955194158159041_bsd178.aspx

[11] Vgl. https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/inkuerze.html – -1439031040

5 Kommentare zu "Mein Gott, welche Welt hinterlassen wir unseren Kindern?"

  1. Lb Hr Zehnder

    Sie publizieren erneut einen ausgezeichneten Artikel und zeigen auf, wie durch bisherige Technologien bzw. das Verhalten der Menschheit die klimatischen Bedingungen heute schon unsere Umwelt verändern. Dies wird sich in noch grösserem Ausmaß für unsere Kinder und Kindeskinder und alle künftigen Generationen auswirken.- Ein weiteres Riesenproblem ist die bisherige Nuklearpolitik mit Atomwaffen und Atomreaktoren: das Risiko eines erneuten Einsatzes von Atomwaffen nach Hiroshima und Nagasaki sind in der momentanen Auseinandersetzung mit Nordkorea grösser als je zuvor. Atomstrom kommt höchstens noch als Uebergangstechnologie in wenigen Ländern in Frage, hat aber aus finanziellen Gründen ausgedient. Unsere nukleare Hinterlassenschaft an die kommenden Generationen sind hohe Risiken und massive finanzielle Investitionen in Atomwaffen in den Atomstaaten, aber für die Ausserbetriebnahme der Reaktoren und die sichere Entsorgung des Atommülls auch in allen Ländern mit AKWs. Ein Kongress zur Thematik „Human Rights, Future Generations and Crimes in the Nuclear Age“ events-swiss-ippnw.org findet vom 14.- 17.9.2017 an der Uni Basel statt. Ev. von Interesse für Sie und Ihre Leser. Mit frdl. Grüssen A. Nidecker

  2. Wasser, das in Felsspalten zu Eis gefriert, kann eine enorme Sprengkraft entwickeln. Das ist eine uralte Geschichte. Gier, die sich in Köpfen und Herzen festsetzt, kann eine wachstums- und wohlstandsgeile Verschleisskraft entwickeln. Auch das ist eine uralte Geschichte. Neoliberal befreit herrscht eine kollektiv organisierte Verantwortungslosigkeit. Alle können tun und lassen, was sie wollen. Niemand kann etwas dafür. Und niemand kann etwas dagegen tun. Die Generation, die es mehrheitlich anders will und tut, ist noch nicht einmal gezeugt. Und vielleicht wird es eine solche Generation auch nie geben?

  3. Anmerkung 1: Zu diesem Wochenkommentar wählten Sie zur Illustration ein Fahrzeug, welches im Meer versinkt. Ist dies ein Tesla – dieses vielgelobte (auch von Ihnen) teure Elektrofahrzeug, welches meist reiche Fabrikanten und Banker ihr Eigen nennen, welche diese stets als Zweitfahrzeug nebst einem PS-Boliden halten, um ihr schlechtes ökologisches Gewissen zu beruhigen?
    Wäre originell und passend, denn damit wäre illustriert, das auch Herren Musk und ihre Teslas die Welt nicht retten könnten….
    Anmerkung 2: Der Seitenhieb auf die Trump-Regierung, an welcher alle Journalisten sich ständig abarbeiten, ist vermessen. Leider kämpft der Westen gegen den Westen. Diese Selbstzerfleischung ist schade. Und Putin, China und Co spielen die Umwelt- bzw. Friedensengel.
    Anna Rose, die russische Reporterin und Deutschlandkorrespondentin der russischen Zeitung «Rossijskaja Gazeta», weiss die Antwort: Es sei Russland ganz recht, steht Trump als Zielscheibe für alles. So kann Putin auch weiter Umweltsünden begehen, China auch weiter (viel mehr, Amnesty geht von tausenden jährlich aus) hinrichten… Der Focus unserer (mutigen) Medien richtet sich voll und ganz auf Umweltfrefel und einige Teilzeit-Hinrichtungen in den Staaten…. (Quelle: SRF Schawinski vom 23. 1.)
    https://www.srf.ch/sendungen/schawinski/roger-schawinski-im-gespraech-mit-anna-rose
    Anmerkung 3: Nicht nur rechtsbürgerliche Regierungen und Länder sind „schlecht und schuld“. Auch Ihre (im Umkehrschluss) gelobten linken Paradiese wie Kuba oder Venezuela schänden die Natur aufs Gröbste. Pet wird in der CH zu 50% recyclet und zu 75% verwertet. Bei Ihren linken Göttern bewegt sich das Pet-Recycling so um die 2-4%.
    Anmerkung 4: Auch auf die Gefahr hin, das ich mich wiederhole. Schon zu ihrem bemerkenswerten Wochenkommentar „Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima.“ vom 15. August 2017 hinterliess ich einen Kommentar, der auch zu diesem Thema passt und weiterhin Gültigkeit hat. (Nach-) Zu lesen unter:
    http://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/die-entscheidung-kapitalismus-vs-klima/

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