Warum die Künstliche Intelligenz zum Tod des Internets führen wird

Publiziert am 10. Februar 2023 von Matthias Zehnder

Künstliche Intelligenz soll die Suche im Internet revolutionieren. Microsoft investiert gleich mehrere Milliarden Dollar in die Technik. Die Erwartungen sind riesig. Selten war ein Hype grösser. Das Management von Google hat sogar einen «Code Red»-Alarm ausgerufen: Die Entwicklung hat das Potenzial, selbst die übermächtige Suchmaschine zum Absturz zu bringen. Tatsächlich hat seit der Erfindung des iPhones kaum eine neue Technik ein so grosses disruptives Potenzial. Nicht nur für Google, für das ganze Internet, ja für uns denkende Menschen überhaupt. In meinen Wochenkommentar sage ich Ihnen diese Woche, warum der Einsatz einer plaudernden KI bei Suchmaschinen dazu führen wird, dass das Internet, wie wir es kennen, aufhört zu existieren – und dass die Menschen, die es nutzen, geistig fett und träge werden.

Google ist nervös. Und das will etwas heissen: Wer weltweit rund 90 Prozent des Marktes für Suchmaschinen beherrscht, sollte eigentlich ruhig schlafen können. Doch in der digitalen Welt kann es sehr schnell gehen: In den 90er-Jahren war AltaVista die dominierende Suchmaschine im Internet. AltaVista ging 1995 online und beherrschte diesen Markt rasch etwa so, wie das heute Google tut. AltaVista setzte nicht nur auf die Suche, sondern präsentierte als Einstiegsseite für das Internet viele Links zum Anklicken. Google setzt dem bis heute eine quasi leere Seite entgegen: Der Homescreen von Google besteht ausschliesslich aus dem Eingabefeld für die Suchanfrage. Google hat also weniger die Suche als die Benutzerschnittstelle revolutioniert und damit AltaVista aus dem Markt gekegelt. Genau dasselbe Schicksal könnte jetzt Google blühen.

Bis jetzt zeigt Google nach Eingabe der Suchwörter oder der Frage ins Suchfeld die besten Links. Das ist schwieriger, als man meint, weil die Suchmaschine dafür die relevantesten Nadeln aus einem Nadelhaufen herausfischen muss. Verantwortlich dafür ist der Suchalgorithmus, die eigentliche Maschine hinter Google. Eigentlich ist das weniger eine Such- als eine Sortiermaschine: Die wichtigste Leistung von Google ist nämlich das Ranking, also das Sortieren der Resultate. Ziel ist es, dass die für den Nutzer relevantesten Ergebnisse der Suche zuerst aufgeführt werden. Das hat Google in den vergangenen 20 Jahren so gut geschafft, dass die Suchmaschine heute weltweit über einen Marktanteil von 90 Prozent verfügt. Warum also ist Google so nervös?

Das Businessmodell von Google geht kaputt

Um das zu verstehen, müssen Sie erstens das Businessmodell von Google verstehen und zweitens die Art und Weise, wie eine chattende KI in die Suche eingebettet werden soll. Beginnen wir mit dem Geschäftsmodell von Suchmaschinen. Die Suche ist sowohl für die Suchenden als auch für die gefundenen Websites kostenlos. Wie verdient Google Geld? Mit Werbung: Ausserhalb der eigentlichen Suchresultate führt Google auf der Resultateseite «gesponserte» Suchresultate auf. Wenn Sie etwa nach «Herrenhemd» suchen, bietet Google nicht nur Zugriff auf die eigentlichen Suchresultate, sondern zeigt über, unter und neben diesen Resultaten Webangebote an, die dafür bezahlt haben, dass sie auf dieser Resultateseite auftauchen. Weil diese gesponserten Einträge abgesehen von der Überschrift «gesponsert» genau gleich aussehen wie normale Suchresultate, fällt das vielen Benutzern gar nicht mehr auf. Diese Werbung ist für Google die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle: Beim Google-Mutterkonzern Alphabet macht Werbung rund 80 Prozent des Umsatzes aus.

Wie soll die Künstliche Intelligenz nun in die Suche eingebettet werden? Die KI soll dem Benutzer Suchanfragen in gut verständlicher Sprache beantworten. Wer heute auf Google oder Bing eine Suchanfrage eingibt, erhält als Resultat Links auf Webseiten ausgespielt. Ein Klick auf einen dieser Links führt zur Antwort auf die Suchanfrage. Wer also auf Google eingibt: «Wie backt man einen Zopf?», der erhält als Antwort Links samt Bildern auf Rezepte, die auf den Webseiten von Betty Bossi, Swissmilk, Schweizer Brot, Fooby und anderen veröffentlich worden sind. Wenn Sie dieselbe Frage auf ChatGPT eingeben, erhalten Sie als Antwort ein Zopfrezept, Backanleitung inklusive. Microsoft und Google haben vor, ihre Suchmaschinen um diese Art der Beantwortung von Fragen mindestens zu ergänzen.

Antworten direkt in der Suchmaschine

Ganz neu ist das nicht: Schon heute bietet Google teilweise nicht nur Links auf Suchanfragen, sondern auch Antworten direkt in den Suchresultaten. Wenn Sie auf Google eine «Was ist?»-Frage stellen, beantwortet Google die Frage direkt im Suchresultat. Bei diesen Antworten handelt es sich aber immer um Zitate von Webseiten. Am häufigsten wird Wikipedia zitiert, bei medizinischen Fragen kommen aber auch Medizinalwebsites zum Zug. Ein Klick auf den Link unterhalb der Kurzantwort, die Google anzeigt, führt sie auf die Quelle dieser Antwort. Der Teil, den Google daraus zitiert hat, ist dabei farbig markiert. Die Einbettung einer Chat-KI würde diese Art der Beantwortung von Fragen stark ausbauen. Dabei würde aber nicht mehr einfach eine Quelle zitiert, die chattende KI würde die Antwort jeweils neu formulieren.

Das birgt grosse Risiken. Anders als ihr Name sagt, ist die Künstliche Intelligenz nämlich nicht intelligent. Die vorliegenden KI-Modelle verstehen eine Frage nämlich nicht. Sie beantworten Fragen rein sprachlich. Sie können also ausrechnen, welche Wörter am wahrscheinlichsten in einer Antwort auftauchen sollten. Das kann zu genialen Antworten führen, aber auch zu völligem Stuss. Das Problem dabei ist, dass das niemand so richtig kontrollieren kann, weil die KI von der Bedeutung dessen, was sie da sprachlich generiert, keine Ahnung hat. Google ist bereits mit der öffentlichen Demo der neuen Funktion ganz fürchterlich in die KI-Falle getreten. «Bard», der Chatbot von Google, sollte in der Demo die Frage beantworten, von welchen neuen Entdeckungen durch das James-Webb-Teleskop man einem neunjährigen Kind erzählen kann. Das hat der Chatbot auch gut verständlich gemacht. Bloss war die Antwort nicht korrekt: Bard sagte, dass das James-Webb-Teleskop die ersten Bilder von einem Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems gemacht habe. Doch ein solcher Exoplanet wurde zum ersten Mal schon 2004 fotografiert, viele Jahre vor der Inbetriebnahme des James-Webb-Teleskops. Die Google-Aktie ist daraufhin um sieben Prozent abgestürzt.

KI wird Google ersetzen

Dass eine solche chattende KI fehleranfällig ist, ist aber nicht das grösste Problem von Google. Das grösste Problem ist, dass die Chats die bisherige Leistung von Google wenigstens zum Teil ersetzen werden. Nun sagen Sie vielleicht: Mir egal, Google verdient ohnehin zu viel Geld. Das kann man so sehen. Dann lassen Sie mich das Problem anders formulieren: Künstlich intelligente Zusammenfassungen von Suchresultaten führen zum Tod des Internets, wie wir es kennen. Seit das World Wide Web Anfang der 90er-Jahre entwickelt wurde, bot das Netz die Möglichkeit, Wissen von der Quelle zu beziehen. Mit einem Klick können Sie direkt die Forschungsresultate der Oxford University, die Rede von Joe Biden oder die Meinung der Schriftstellerin Julie Zeh abrufen. Mit dem Aufkommen von künstlich-intelligenten Chatbots auf den Suchmaschinenseiten schiebt sich eine neue Ebene zwischen die Benutzer und die Originalinformation im Internet: der Chatbot, der die Informationen im Internet für die Benutzer verständlich zusammenfasst. Dieser Zwischenebene wegen wird es das Internet, wie wir es kennen, bald nicht mehr geben.

Mann kann deshalb die Bedeutung der Entwicklung bei den grossen Suchmaschinen gar nicht überschätzen. Das wird gigantische Auswirkungen auf das Web und seine Benutzer haben. Nicht weil die KI so gut oder so unfehlbar wäre. Ich bin da im Gegenteil eher skeptisch. Ich glaube, dass wir uns zu sehr von der sprachlichen Eloquenz der Programme beeindrucken lassen. Das grosse Problem wird sein, dass sich das Internet vom Supermarkt für Informationszutaten in einen Laden für Fertigkost verwandeln wird. Und das gilt nicht nur für Webseiten. Microsoft hat an der Demo des KI-Einsatzes in ihrem Webbrowser Edge gezeigt, wie die KI in der Lage ist, auf Knopfdruck die wichtigsten Punkte aus einem PDF-Dokument zu extrahieren. Das ist eindrücklich. Und es ist bedenklich, weil die KI sich zwischen die Anbieter der Informationen und ihre Nutzer schiebt.

Fatal für die Medien und die Benutzer

Bedenklich ist das aus zwei Gründen: Zum Ersten ist das für die Anbieter von Informationen fatal, allen voran für die Medien. Wenn die Benutzer es sich angewöhnen, sich nur noch von der KI vorverdaute Info-Häppchen servieren zu lassen, dann ist das wirtschaftlich der Untergang professioneller Medien. Auch wenn Microsoft in seinen Demos brav die Quellen angibt – die meisten Menschen werden sich mit der generierten, leicht verständlichen Zusammenfassung begnügen. Weil die Medien im Internet von der Aufmerksamkeit und den Klicks der Benutzer leben, entzieht die KI den Medien auf diese Weise die wirtschaftliche Lebensgrundlage.

Zum Zweiten ist das aber auch fatal für die Benutzerinne und Benutzer. Letztlich werden sich die Menschen von der KI im Web entmündigen lassen und das auch noch freiwillig. Originalinformationen sind kompliziert und oft widersprüchlich. Wie anstrengend. Die KI fasst das so schön in Häppchen zusammen. Readers Digest statt Literatur, Fünfminuten-Terrine statt echtes Gemüse, vorgefertigte Instant-Information statt Selberdenken. Das wird eine ganze Reihe von politischen, kulturellen und rechtlichen Problemen nach sich ziehen. Jede Zusammenfassung ist auch eine Interpretation. Wer schützt die Urheber der Informationen? Das Problem dabei ist: Schützen lässt sich nur die Darstellung der Information, nicht die Information selbst.

Wir werden geistig verfetten

Natürlich ist die Nutzung der KI freiwillig. Die Websites von Zeitungen, Universitäten und Künstlerinnen werden, wenigstens vorerst, weiterhin zur Verfügung stehen. Die KI wird nicht mit Zwang arbeiten. Sie wird bloss so verführerisch angenehm sein und uns so freundlich ihre Dienste anbieten, dass wir sie alle nutzen werden. Und dann passiert mit unseren Gehirnen dasselbe, was in den letzte hundert Jahren mit unseren Körpern passiert ist: Wir werden geistig träge und verfetten im Kopf.

Deshalb wird uns die KI gefährlich. Nicht weil sie so gut sein wird, sondern weil wir Menschen so schwach sein werden. Einige eifrige Zeitgenossen werden mit Gehirnjogging und geistigem Work-out ihre Köpfe fit halten. Es werden so wenige sein, wie heute einen Marathon laufen können. So wie sie heute Rolltreppen fahren, den Lift nutzen, den Elektro-Scooter und das Auto werden die meisten Menschen sich den Annehmlichkeiten der vorformulierenden KI hingeben. Umso mehr, als sie dafür bald nicht mehr mühsam Buchstaben auf einer Tastatur eintippen müssen, sondern mit ihren Computern sprechen können.

Das ist Ihnen zu düster? Es wird nicht düster werden. Sondern bunt, hell und freundlich. Verführerisch eben. Eine schöne neue Welt der KI. Das Kürzel wird dann nicht mehr für «Künstliche Intelligenz» stehen, sondern für «Künstliche Information».

Basel, 10. Februar 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

Bild: © KEYSTONE/AP/Ted S. Warren

Hat gut lachen: Satya Nadella, der Chef von Microsoft, freut sich darüber, dass seine Firma Google vorerst abgehängt hat.

BaZ (2023): 100 Milliarden Börsenwert verloren Googles neuer Chatbot gibt falsche Antwort: Aktienkurs bricht ein. In: Basler Zeitung. [https://www.bazonline.ch/googles-neuer-chatbot-gibt-falsche-antwort-aktienkurs-bricht-ein-999981745490; 9.2.2023].

Grant, Nico und Metz, Cade (2022): A New Chat Bot Is A ‘Code Red’ For Google’s Search Business. In: The New York Times. [https://www.nytimes.com/2022/12/21/technology/ai-chatgpt-google-search.html; 10.2.2023].

Knight, Will (2023): Meet Bard, Google’s Answer to ChatGPT. In: WIRED. [https://www.wired.com/story/meet-bard-googles-answer-to-chatgpt/; 10.2.2023].

von Lindern, Jakob (2023): Künstliche Intelligenz: Microsoft baut Chatbot in seine Suchmaschine ein. In: ZEIT ONLINE. [https://www.zeit.de/digital/2023-02/microsoft-bing-chatgpt-ki-suchmaschine/komplettansicht; 8.2.2023].

Marshall, Aarian (2023): My Strange Day With Bing’s New AI Chatbot. In: WIRED. [https://www.wired.com/story/my-strange-day-with-bings-new-ai-chatbot/; 10.2.2023].

Metz, Cade und Weise, Karen (2023): A Tech Race Begins As Microsoft Adds A.I. To Its Search Engine. In: The New York Times. [https://www.nytimes.com/2023/02/07/technology/microsoft-ai-chatgpt-bing.html; 10.2.2023].

Pichai, Sundar (2023): An important next step on our AI journey. In: Google. [https://blog.google/technology/ai/bard-google-ai-search-updates/; 8.2.2023].

Roose, Kevin (2023): Bing (Yes, Bing) Just Made Search Interesting Again. In: The New York Times. [https://www.nytimes.com/2023/02/08/technology/microsoft-bing-openai-artificial-intelligence.html; 10.2.2023].

Spiegel (2023): Supercomputer für ChatGPT und DALL-E Microsoft investiert weitere Milliarden in OpenAI. In: Der Spiegel. [https://www.spiegel.de/netzwelt/web/microsoft-investiert-weitere-milliarden-in-openai-supercomputer-fuer-chatgpt-und-dall-e-a-d19697d2-6bbf-4203-986c-5b5c3bc71903; 10.2.2023].

Thorbecke, Catherine (2023): Google unveils its ChatGPT rival. In: CNN. [https://edition.cnn.com/2023/02/06/tech/google-bard-chatgpt-rival/index.html; 8.2.2023].

Zeier, Rafael (2023): Microsoft setzt voll auf Künstliche Intelligenz – Google mahnt zur Vorsicht. In: Berner Zeitung. [https://www.msn.com/de-ch/nachrichten/undefined/microsoft-setzt-voll-auf-knstliche-intelligenz-google-mahnt-zur-vorsicht/ar-AA17gV0A; 10.2.2023].

3 Kommentare zu "Warum die Künstliche Intelligenz zum Tod des Internets führen wird"

  1. Ein Mensch will sich selbst und die Wahrheiten der Welt erkennen: was er allein nicht gut schaffen kann. Andere Menschen sowie beispielsweise auch das Internet oder künstliche Intelligenz können ihn dabei unterstützen: es aber nicht für ihn tun. Ganz und abschliessend wird es nie gelingen: sich selbst und die Wahrheiten der Welt erkennen, ist und bleibt für jeden eine ewige Reise. – Alle sind ganz unterschiedlich unterwegs. Mit von der Partie sind immer und überall auch beispielsweise faule oder uninteressiert gleichgültige Menschen: sollten es davon immer mehr werden, schiene mir nicht künstliche Intelligenz der ursächliche Grund dafür.

    1. Lieber Ueli Keller – wiederum wahre Worte.
      Eine schrecklich nette neue Welt.
      Und wir werden von doof zu doofer.
      Nähme mich wunder, was KI auf diese Frage zu Antworten hätte:
      „Helfen gegen Putin nur Waffen?“
      Dies (und mehr) fragt sich ein besorgter Th. Zweidler

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