Warum Firmen nur mit neuen Ideen das Homeoffice überleben

Publiziert am 14. August 2020 von Matthias Zehnder

Auf einen Schlag hat sich Homeoffice weitherum etabliert. Was dabei gerne vergessen geht: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiten, erleben ihre Firma oft kaum mehr. Ob sie für Firma X oder Y arbeiten, ist plötzlich egal, weil sie ohnehin zu Hause arbeiten. Und: Homeoffice mag effizient sein, es gehen wesentliche Aspekte der Zusammenarbeit in einer Firma verloren. Weil diese Aspekte jedoch in offiziellen Prozessen nicht vorgesehen sind, fallen sie oft unter den Tisch. Das lässt sich kompensieren und es muss nicht einmal viel Geld kosten. Aber es braucht Ideen.

Kevin Ohnesorg[1] ist Programmierer. Er arbeitet für die lokale Niederlassung einer amerikanischen Tech-Firma als Entwickler. Seit Wochen arbeitet Kevin allein zu Hause im Homeoffice. Rein arbeitstechnisch war das für ihn kein grosser Wechsel. Wie bei allen grossen Tech-Firmen ist sein Team über die halbe Welt verteilt. Schon vor der Coronakrise hatte er mit seinen Team-KollegInnen vor allem elektronisch Kontakt. Jetzt geht er dafür nicht mehr ins Büro, sondern arbeitet nur noch von seinem Wohnzimmer aus. Er sagt: «Eigentlich macht es keinen Unterschied mehr, ob ich für Google, Microsoft oder Apple arbeite. Ich arbeite so oder so zu Hause am Bildschirm.»

Für Kevin Ohnesorg mag es keinen Unterschied machen, für wen er arbeitet. Aber für das Unternehmen macht es einen grossen Unterschied, ob es in der Lage ist, Talente wie Ohnesorg zu halten. Kevins Arbeitgeber sorgt im Normalfall deshalb dafür, dass es den MitarbeiterInnen wohl ist: Am Arbeitsplatz stehen Früchte, Snacks, Kaffee und Drinks zur Verfügung. Grillparties sorgen für gute Laune. Ein Inhouse-Fitnesscenter und kostenlose Ernährungsberatung hält die Angestellten fit. Wer in der Stadt einen Termin hat, kann sich dafür einen Elektroroller oder einen Segway aus der Firmengarage holen. Seit Corona die Programmierer ins Homeoffice gezwungen hat, fallen all diese Benefits flach. Kevins Arbeitgeber zerbricht sich deshalb den Kopf darüber, wie sich Talente wie Kevin halten – und neue Talente anstellen lassen.

In Pandemiezeiten gilt das nicht nur für Programmierer, sondern für eine Vielzahl von Berufen, deren Tätigkeit sich stark ins Homeoffice verlagert haben. Das Arbeiten von zu Hause aus ist effizient und einfach – aber es kann für den Arbeitgeber ganz schön gefährlich werden. Denn wie Kevin erleben viele Angestellte ihren Arbeitgeber kaum noch, wenn sie am Küchentisch programmieren oder auf der Couch eine Präsentation zusammenbauen. Am Beispiel Roche kann ich erklären, warum das für die Arbeitgeber Gefahren birgt.

Vom Hochhaus ins Homeoffice

Von meinem Büro aus sehe ich das Roche-Hochhaus auf der anderen Seite des Rheins in Basel. Gleich neben dem Hochhaus ist ein zweiter Büroturm im Bau. Er soll 205 Meter hoch werden und damit den ersten Turm um 27 Meter überragen. Zusammen bieten die beiden Türme Platz für knapp 5000 Arbeitsplätze. Wenigstens zu normalen Zeiten. Denn auch bei Roche arbeiten in Corona-Zeiten viele MitarbeiterInnen im Homeoffice. Gut möglich, dass sich die Tasks im Office zu Hause genauso gut erledigen lassen wie im Firmen-Office. Doch im Heimbüro erleben Roche-MitarbeiterInnen ihre Firma ganz anders.

Wer jeden Tag sein Büro im 25. Stockwerk des Roche-Hochhauses bezieht oder auf dem vollen Firmenparkplatz sein Auto stolz zwischen anderen, teuren Wagen parkiert, nimmt seinen Arbeitgeber unterschwellig als erfolgreich wahr, schon bevor er seinen Computer hochgefahren hat. In der Eingangshalle, in der Firmenkantine, im Fahrstuhl, an der Kaffeemaschine haben die Arbeitgeber weitere Möglichkeiten, sich zu positionieren und einzubringen. Sei das, wie Kevins Firma, mit kostenlosen Drinks und Süssigkeiten, sei das mit einer besonders interessanten Menü-Auswahl in der Kantine – oder auch nur mit einer spektakulären Aussicht wie im Fall von Roche. Informelle Gespräche mit Mitarbeitern sorgen darüber hinaus für ein Wir-Gefühl. Auch ohne explizite Kommunikation vom Arbeitgeber wissen die Mitarbeiter, für wen sie arbeiten, wie die Firma tickt und wie sie sich positioniert. Und der Arbeitgeber hat viele Möglichkeiten, seinen Mitarbeitern gegenüber beiläufig Wertschätzung auszudrücken.

Im Homeoffice ist das ganz anders. Viele Angestellte erleben nur noch wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der direkte Kontakt mit dem Arbeitgeber schrumpft auf einige offizielle E-Mails. Für die Firma ist es viel schwieriger, sich den Mitarbeitern gegenüber zu positionieren und ihnen Wertschätzung auszudrücken. Im Heimbüro erleben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Arbeitgeber deshalb viel distanzierter. Die Beziehung beschränkt sich auf technische Tools, auf die Titelzeile im Intranet oder die Farbe des Homescreens. Wie Kevin Ohnesorg sagen sich immer mehr Mitarbeiter: «Eigentlich macht es keinen Unterschied mehr, für wen ich arbeite. Ich arbeite so oder so zu Hause am Bildschirm.»

Was das für die Firmen bedeutet

Die Frage ist deshalb: Wie kann sich ein Unternehmen bei seinen MitarbeiterInnen einbringen, wenn die immer zu Hause sind? Die Antwort lautet natürlich: mit Kommunikation. Aber was heisst das? Ich glaube, es geht um drei Aspekte, die vor allem von mittelgrossen Firmen gern vernachlässigt werden. Es sind die drei «W»:

Das Warum: Der erste Punkt betrifft das zentrale «warum» der Firma, den Grund, warum es die Firma gibt und warum sich die MitarbeiterInnen jeden Tag ins Zeug legen.[2] Nein, dabei geht es nicht in erster Linie um Geldverdienen oder um Marktanteile. Starke Firmen haben eine Mission. Bei Startups ist das ähnlich: Da leben und arbeiten alle für ein einziges Ziel. Mittelgrossen Firmen ist dieses zentrale «Warum» oft abhandengekommen. Gerade im Homeoffice spielt das «Warum» aber eine Schlüsselrolle. Suchen Sie deshalb Ihr «Warum»!

Das Wie: Für Angestellte ist es (meistens) viel weniger entscheidend, wo sie arbeiten, als wie sie arbeiten. Ganz besonders gilt das im Homeoffice: Begleitumstände wie bürokratische Prozesse, Umgangston, Kommunikation mit Vorgesetzten sind plötzlich viel wichtiger als der Arbeitsort. Der ist ja ohnehin in der eigenen Küche. Firmen, die klar strukturierte Prozesse haben (oder, negativ formuliert, zu bürokratischen Abläufen neigen), haben Mühe, den Umgang mit den Mitarbeitern rasch zu verändern. Kleinere Firmen mit informellen Abläufen sind da im Vorteil. Nutzen Sie die Bewegungsspielräume!

Die Wertschätzung: Der dritte Punkt ist die zitierte Wertschätzung. Grosse Firmen sind sich meist bewusst, wie wichtig Talente sind. Sie haben Talentförderung institutionalisiert und Förderprogramme installiert und sie haben die Mittel, ihre Mitarbeiter mit interessanten Benefits bei der Stange zu halten. Kleinen Firmen fehlen oft die Mittel dafür – und mittelgrossen Firmen meist Ideen und Chuzpe für die Umsetzung. Dabei ist es gar nicht so kompliziert, den Mitarbeitern Wertschätzung nicht nur zu zeigen, sondern zu beweisen!

Was das für die Angestellten bedeutet

Homeoffice mag bequem sein – für die Angestellten ist es auf Dauer ein Verlust. Abgesehen von der Fruchtschale im Büro und dem immer gut gefüllten Getränkekühlschrank auf der Etage fehlt mit der Zeit vor allem der informelle Kontakt, es fehlen die zufälligen Begegnungen. Steve Jobs hat in solchen Zufallsgesprächen die wichtigste Quelle für Kreativität gesehen. Er hat deshalb den Hauptsitz von Pixar und später auch den Hauptsitz von Apple als Kreis konzipiert. Die MitarbeiterInnen mussten immer wieder den Innenhof überqueren – und begegneten sich dabei auf vielfältige Art und Weise. MitarbeiterInnen fehlen im Homeoffice drei Arten von Kontakten. Ich habe sie unter drei «I» gruppiert:

Information: Damit meine ich soziale Kontakte ganz generell. Die meisten Menschen sind soziale Wesen. Dazu gehört der informelle Austausch über das Leben ganz generell. Über Ferien und Urlaubsorte, über Geburten, Geburtstage und Gebrechen, über Krisen und Knatsch, die neuste Diät, den angesagten Stadtstrand und den letzten Sonntag. All diese Informationen festigen das soziale Geflecht unserer Beziehungen. Aus Sicht der Arbeit sind die Informationen überflüssig – im Homeoffice fallen genau diese Art der Kontakte deshalb weg. Aber die Beziehungen der Menschen leben davon. Geben Sie deshalb auch im Homeoffice informellen Gesprächen Raum!

Inspiration: Im Homeoffice ist es viel schwieriger, neue Menschen kennenzulernen. Das beklagen derzeit vor allem Studierende, die von der Universität mit Onlinevorlesungen ins Heimbüro verbannt werden. Neue Kontakte sind nicht nur spannend, sie bieten auch die nötige Inspiration, um auf neue Ideen und neue Lösungen zu kommen. Sie sind für Mitarbeitende wie für Arbeitgeber deshalb gleichermassen wichtig. Aber: Man muss es organisieren!

Irritation: Im Homeoffice arbeitet jeder für sich. Allenfalls stört der Nachbar, weil er mal wieder zur Unzeit den Rasen mäht, oder die Kinder, weil sie so laut im Garten spielen. Im Büro muss ich mich viel häufiger mit Irritationen auseinandersetzen. An Sitzungen, im Grossraumbüro, auf dem Gang, in der Kantine – überall begegnen wir Menschen, die uns irritieren, weil sie uns stören und herausfordern, zum Beispiel, weil sie anderer Meinung sind oder schlicht, weil sie sich anders verhalten. Und genau diese Irritationen sind es, welche die Menschen in Bewegung setzen. Irritationen führen zu neuen Gedanken und Ideen. Deshalb sind nicht nur die angenehmen Seiten der Arbeit in einer Firma wichtig, sondern auch solche Irritationen. Sie sind im Homeoffice schwierig zu organisieren – aber auch das ist möglich!

Es braucht vor allem Ideen

Kevin Ohnesorg wird die nächsten Monate weiterhin im Homeoffice arbeiten. Wie ihm ergeht es vielen anderen Angestellten (und den meisten Studierenden). Arbeitgeber sollten sich die drei «W» und die drei «I» der Mitarbeitenden deshalb zu Herzen nehmen. Die Probleme lassen sich lösen und es ist meist keine Frage von Umsetzung oder Technik und für mittelgrosse bis grosse Unternehmen sicher auch keine Frage der Kosten. Es ist eine Frage von Ideen. Und die kann man sich ja auch bei einem digital creative wie mir holen.[3] Oder?

Basel, 14. August 2020, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

Bild: ©Volodymyr – stock.adobe.com

[1] Der Name ist erfunden, die Zitate sind echt.

[2] Siehe dazu Simon Sinek: Frag immer erst: warum. Wie Top-Firmen und Führungskräfte zum Erfolg inspirieren. Redline Verlag: München 2014

[3] Literatur dazu gibt es (noch) nicht, ich kann Ihnen deshalb hier keine Literaturhinweise geben. Sie können sich aber, wenn Sie Fragen dazu haben oder konkrete Ideen suchen, gerne per Mail oder Telefon an mich wenden.

5 Kommentare zu "Warum Firmen nur mit neuen Ideen das Homeoffice überleben"

  1. Homeoffice heisst ja nicht zwingend 5 Tage zuhause arbeiten. wenn aber nur die Hälfte der Berufspendler während zwei Tagen zuhause und 3 Tagen im Büro arbeiten würden, hätte unser überlastetes Verkehrssystem auf einmal wieder Luft. Da müsste vermutlich der Staat halt noch mit Vorschriften nachhelfen. Letztlich ist das immer noch besser und vor allem billiger als Staus und überfüllte Öffis.

    1. Bei den amerikanischen Firmen, die ich kenne, heisst es im Moment tatsächlich, 5 Tage zu Hause zu arbeiten.
      Aber es ist absolut richtig: Homeoffice würde einige Verkehrsprobleme lösen. Ich finde Homeoffice deshalb eine gute Sache – bloss müssen die Firmen anders mit ihren Mitarbeitern umgehen und kommunizieren, wenn die im Homeoffice sind. Und das sind sich viele Firmen nicht bewusst.

  2. Weil bei einer digitalisierten Kommunikation und Kooperation – sofern eine solche überhaupt (noch) stattfindet – nicht alle Sinne beteiligt sind, kann sich damit auch vermehrt Sinnloses etablieren. (Zu viel) Homeoffice kann – bei jungen und alten Menschen – nicht nur zu einer emotionalen, körperlichen und sozialen Verkümmerung, sondern auch zu einer solchen des Gehirns führen, weil seine vielfältigen Funktionen mit der Digitalisierung kaum mehr umfassend genutzt werden, und sein Potenzial nicht mehr trainiert wird. Weil das alles zwar von Menschen gemacht, aber mehrheitlich unbewusst stattfindet, nenne ich es „kollektiv unbewusst organisiert“. Bewusst von Mächtigen und/oder von Reichen genutzt, kann so die Digitalisierung als Instrument für die Manipulation und die Herrschaft genutzt werden.

  3. Gute Auslegeordnung zum Thema.
    Noch ein Punkt, den ich ganz neutral einbringen möchte (habe es in meiner Tageszeitung gelesen):
    Datenschutz. Heikel. Wenn meine Pensionskassendaten am Küchentisch in Rixheim am Bildschirm erscheinen. Oder meine Versicherungsnachweise in Kandern im Dachstock bearbeitet werden. Dann klingelt der Paketbote. Und man geht hin. Und die Putzfrau schaut sich mal den Bildschirm genauer an. Oder die Katze will und muss man rauslassen. Und die Kinder gehen derweil an die Tastatur. Verändern Zeichen. Oder der wütende Freund will seiner Freundin was auswischen und verwechselt kurz mal Namen???
    Und welches Datenschutz-Gesetz gilt dann, das Schweizerische, das Deutsche, das Französische….
    Ein nicht zu unterschätzender Aspekt, welcher da in meiner Tageszeitung stand….

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