Helden ohne Waffen

Publiziert am 10. Mai 2019 von Matthias Zehnder

Im Moment sieht es aus, als wäre die neue Waffenrichtlinie durch: Laut SRG-Umfrage sind zwei Drittel der Stimmbürger für die Vorlage. Das ändert aber nichts daran, dass in der Schweiz nach wie vor Waffenbesitz mit Freiheit und Sicherheit – ja: mit Heldentum gleichgesetzt wird. Und das im Jahr 2019! Warum eigentlich? Ich glaube, es liegt daran, dass wir zu wenig friedliche Helden ohne Waffen haben. Ich habe deshalb in Fiktion, Geschichte und Gegenwart nach Menschen gesucht, die auch (oder gerade) ohne Waffen zum Helden geworden sind und präsentiere Ihnen meine Liste der friedlichen Vorbilder.

Kennen Sie diese Kürzestgeschichte von Wolfang Borchert?

Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Haus. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot. Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter. Warum nicht, fragte der Soldat.[1]

Die Geschichte beschreibt knapp und lakonisch, dass ein Mensch das macht, was er gelernt hat. Ein Soldat hat gelernt, zu töten. Im Krieg wird er dafür sogar gelobt und belohnt. Nach dem Krieg gelten plötzlich andere Regeln. Aber der Soldat tötet, wenn er Hunger hat. Er hat nichts anderes gelernt.

Die Abstimmung über das neue Waffenrecht dürfte laut SRG-Umfrage[2] einigermassen klar zu Gunsten der strengeren, europäischen Bestimmungen ausfallen – trotzdem schaffen es die Waffenfreunde immer wieder, in unseren Köpfen diese seltsame Gleichung zwischen Waffen einerseits und Freiheit und Sicherheit andererseits herzustellen. Ich würde sogar sagen: Trotz all der Fürchterlichkeiten, die sich in den letzten Jahren ereignet haben, von Massakern in Schulen bis zu Bürgerkriegen, werden Waffenträger heute wieder stärker bewundert. Woran liegt das? Ich glaube, es liegt daran, dass wir nichts anderes lernen.

Schwer bewaffnete Helden

Im Kino, im Fernsehen und zwischen Buchdeckeln sind nach wie vor schwer bewaffnete Männer die Helden. «Avengers Endgame», die neuste Folge der Avengers-Serie, spielt mit viel Krieg und Knall derzeit Rekordergebnisse ein und hat soeben in Sachen Einspielergebnis den Film «Titanic» überholt: Der Film hat bereits über zwei Milliarden Dollar eingespielt, – dabei hatte der Film erst am 22. April Premiere in den USA.[3] Im Film kämpfen Superhelden mit allerlei Superwaffen gegen Superbösewichte. Die Botschaften bleiben letztlich: Ein starker Mensch weiss sich zu wehren. Waffen machen frei. Auf den Kampf kommt es an. Wenn wir der Welt ständig solche Geschichten erzählen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen reagieren wie der Soldat bei Borchert.

Ich habe mich deshalb gefragt, wo die Helden ohne Waffen sind. Warum müssen wir uns ständig Geschichten erzählen von Menschen, die bis an die Zähne bewaffnet sind? Wo sind die Helden, die ohne Waffen und Gewalt unsere Herzen (und unsere Köpfe) erobern? Mir fallen sofort viele kämpfende Helden mit allerlei Waffen ein, von historischen Figuren wie Cäsar oder Churchill bis zu all den Helden in Film und Literatur, von Old Shatterhand und Asterix über den Terminator und Luke Skywalker bis zu Wonderwoman und James Bond – aber was ist mit friedlichen Helden? Mit Menschen, die auch ohne Waffen stark sind – oder stark sind, gerade weil sie nicht bewaffnet sind?

Ich habe deshalb eine Liste von Helden zusammengestellt, die ohne Waffen auskommen. Die Liste ist natürlich alles andere als vollständig und sie ist auch nicht besonders objektiv. Mir ging es darum, Menschen in den Fokus zu rücken, an die man vielleicht weniger denkt, die aber allesamt beweisen, dass Stärke und Freiheit ohne Waffen geht. Die Liste gliedert sich in drei Themenbereiche: Geschichte&Politik, Wissenschaft&Kunst und Literatur&Film. Hier ist sie (ein Klick auf den Namen bringt sie zum entsprechendne Wikipedia-Artikel):

Geschichte&Politik

Abgesehen von offensichtlichen Friedensgrössen wie Henry Dunant, Albert Schweitzer, Martin Luther King, Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela stehen auf meiner persönlichen Heldenliste folgende Namen:

Dietrich Bonhoeffer (1906–1945)
Der evangelische Theologe schloss sich dem deutschen Widerstand rund um Admiral Canaris an und kämpfte mit Worten gegen Adolf Hitler. Er wurde am 9. April 1945 hingerichtet. Bekannt ist er bis heute für sein Lied «Von guten Mächten», das er in Gestapo-Haft schrieb.

Rosa Luxemburg (1871–1919)
Eine der ersten Frauen in der deutschen Arbeiterbewegung, ja in der deutschen Politik. Sie kämpfte gegen Militarismus – und wurde von Soldaten ermordet. Ihr bekanntester Satz lautet: «Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.»

Carl von Ossietzky (1889–1938)
Der Journalist und Schriftsteller war Herausgeber der Zeitschrift Die Weltbühne. 1931 veröffentlichte er Berichte über die verbotene Aufrüstung der Reichswehr und wurde deswegen verurteilt. Er blieb dennoch überzeugter Pazifist.

Iris von Roten (1917–1990)
Die Basler Juristin schrieb mit «Frauen im Laufgitter» ein feministisches Buch über Frauenrechte, lange bevor in der Schweiz davon wirklich die Rede war. Das Buch wurde, gerade auch von Frauenorganisationen, scharf kritisiert.

Greta Thunberg (2003)
Natürlich kann man Greta (noch) nicht mit Rosa Luxemburg oder Carl von Ossietzky vergleichen. Trotzdem ist die schwedische Klimaaktivistin  für mich eine Heldin, weil sie beweist, dass auch ein 16jähriges Mädchen mit ganz friedlichen Mitteln die Welt verändern kann.

Wissenschaft&Kunst

Wissenschaftler und Künstler eignen sich besonders gut als waffenlose Helden. Unter vielen anderen haben mich diese fünf besonders beeindruckt:

Charles Darwin (1809–1882)
Obwohl er fast ständig seekrank war, reiste der junge Darwin auf der HMS Beagle während fast fünf Jahren einmal um die Welt und sammelte dabei all jene Funde und Beobachtungen, die es ihm später ermöglichten, die Evolutionstheorie zu entwickeln.

Alexander Fleming (1881–1955)
Noch vor 100 Jahren verliefen viele, heute harmlose Infektionen tödlich. Erst 1928 entdeckte Alexander Fleming, dass bestimmte Schimmelpilze Bakterien töten können: Das Penicillin war gefunden.

Rachel Carson (1907–1964)
Die Biologin und Autorin veröffentlichte 1962 das Buch «Silent Spring» (Der stumme Frühling), in dem sie die Auswirkungen von Pestiziden auf Ökosysteme schilderte. Das Buch führte zum Verbot von DDT und zur Entstehung der (amerikanische) Umweltbewegung.

Joan Baez (*1941)
All den Glamour-Stars möchte ich Joan Baez entgegensetzen: Mit ihren Liedern bin ich aufgewachsen, ihr Einsatz für Bürgerrechte und Frieden hat mich immer beeindruckt. Sie zeigt, dass frau ohne Pose stark sein kann.

Ai Weiwei (*1957)
Der chinesische Künstler lässt sich nicht von seiner dissidenten, pazifistischen Kunst abbringen. Besonders beeindruckt hat mich eine Installation mit über 1000 Rettungswesten im Park des Belvedere in Wien. Die Rettungswesten schwammen wie Seerosen auf dem Wasser und erinnerten schmerzhaft-schön an die Flüchtlingskrise im Mittelmeer.

Literatur&Film

Fünf ganz unterschiedliche, männliche Helden, die cool und stark wirken, ohne bis zu den Zähnen bewaffnet sein zu müssen:

Phileas Fogg («Reise um die Erde in 80 Tagen»)
Der exzentrische, britische Gentleman aus Jules Vernes Abenteuerroman reist mit Geld und List rund um die Erde und verliert dabei nie Anstand und Contenance.

Richard Blaine («Casablanca»)
Humphrey Bogart beweist mit Rick in «Casablanca», dass auch coole, selbstsichere Männer ein Herz haben und deshalb sentimental sein können.

Ravic («Arc de Triomphe»)
Die Hauptfigur von Erich Maria Remarques Vorkriegsroman ist ein typischer Antiheld: Als Chirurg vollbringt er Wunder und rettet Menschen – sich selbst kann er aber nicht retten. Dafür bleibt er sich treu.

Jean-Luc Picard «Star Trek Next Generation»)
In «Star Trek» ging es nicht um Kriege, sondern um die Entdeckung des Universums (Vergangenheitsform, weil die neuste Serie mit dieser Tradition leider bricht). Verkörpert wird die Idee des friedlichen Erkundens durch Jean-Luc Picard, Captain des Raumschiffs «Enterprise» (Patrick Stewart).

Owen Meany («A Prayer for Owen Meany»)
Er ist kleinwüchsig und hat eine piepsige Stimme. Davon abgesehen aber ist Owen Meany, die Hauptfigur des gleichnamigen Romans von John Irving, riesig: Er ist überzeugt, dereinst einen Opfertod sterben zu müssen und sieht den eigenen Tod sogar in Visionen voraus.

Und welches sind Ihre Helden?

Basel, 10. Mai 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

[1] Wolfgang Borchert: Draussen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen. Hamburg: Rowohlt 1956; S. 82

[2] Quelle: Umfrage von gfs.bern im Auftrag der SRG: https://www.srf.ch/news/schweiz/abstimmungen/abstimmungen/umfrage-zu-den-abstimmungen-alle-ergebnisse-ein-doppeltes-ja-ist-wahrscheinlich

[3] Vgl. http://www.filmstarts.de/nachrichten/18525089.html

5 Kommentare zu "Helden ohne Waffen"

  1. Nelson Mandela? Mohandas Karamchand Gandhi (Mahatma Gandhi)? Die viele „Helden des Alltags“ in der Schweiz? Ärzte und Helfende in Ebola Gebieten? und viele mehr echte Helden. Wo der Blick hinfällt. Alle unbewaffnet. Aber mit Rückgrat.

  2. Eine eindrückliche Liste. Nur passt Dietrich Bonhoeffer irgendwie nicht ganz da hinein (ich würde behaupten, es ist eine seiner grossen Stärken, dass er eben nirgends so recht reinpasst, sondern uns immer wieder von neuem heraufordert). Bonhoeffer hat zwar selbst keine Waffe in die Hand genommen, aber er hat bei einer Widerstandgruppe mitgewirkt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Hitler zu ermorden.
    Bonhoeffer wäre nicht Bonhoeffer, wenn er nicht diesen Umstand sehr sorgfältig reflektiert hätte. Er hat die Tat und sein Mitwirken daran nie glorifiziert, sondern klar als „Sünde“ gesehen. Doch für ihn wäre es die grössere Sünde gewesen, aus moralischen Gründen dem Rad nicht in die Speichen zu fallen.
    Gerade in der sorgefältigen Wahrnehmung dieses moralischen Dilemmas beeindruckt mich Bonhoeffer.

  3. Vielen Dank. Eine eindrückliche, sicher von jedem/jeder fortsetzbare Liste. Mein Favorit: Jesus! Er bezahlte seine pazifistische Haltung mit dem Tod. Daraus wurde eine Bewegung, die leider nicht immer seinen Idealen folgte, aber immer wieder aufgerufen ist, sich auf sie zurückzubesinnen.

  4. Natürlich münzt der dieswöchige Wochenkommentar auf die bevorstehende Entwaffnungsinitative ab. Und klar nimmt der Autor für ein „Ja zum Waffengesetzt“ Stellung ein.
    Natürlich kann man die aufgelisteten „Helden ohne Waffen“ huldigen. Haben ja auch (tw.) Grosses geleistet.
    Doch gebe ich zu bedenken, dass man einen Mörder auf der Flucht nur mit einer Schusswaffe stoppen kann. Selbst ein Fahrerflüchtiger kommt im Fluchtrausch praktisch ausnahmslos mit Androhung oder Gebrauch von Schusswaffengewalt zur Besinnung. Da nützt ein frohlockendes Hosiannasingen eines Engels Aloisius auf Wolke 7 nicht viel. Obwohl uns diese Vorstellung allen besser gefallen würde. Waffen also a priori gegen Literatur, Dichtung usw. auszuspielen, ist „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen.Das wissen die Leser genau.
    Und ebenfalls weiss man genau, dass auch mit dem neuen Waffengesetz diejenigen, welche an eine Waffe kommen wollen, auch an eine gelangen. Gerade mit den offenen Grenzen Europas ist es immer leichter geworden, an eine Ostblock-Kalaschnikow zu kommen oder auch an Messer, Elektroschocker, Baseballschläger, Pistolen usw. Denn der Kofferraum wird selten bis nie mehr kontrolliert. Die Unterwelt boomt, für die (ital. und russ.) Mafia ist plötzlich ganz Europa das neue Schlaraffia.
    Nur die blauäugigsten der Blauäugigen glauben noch an den Storch. Genau so verhält es sich mit den Politiker-Waffen-Märchen, die uns aufgetischt werden.
    Alle haben doch (wieder einmal mehr) bloss Angst vor der EU. Vor dem Verlust von „Schengen“. Und vor ihrem persönlichen Ego-Image-Ansehen auf dem Brüsseler Parkett, dass sie verlieren könnten. An die Bevölkerung, die Schützen, die Sportler, die Kultur, die Identität, das Brauchtum usw. denken solche „Volksverdreher“ zuletzt. Und das beste:
    SCHENGEN STEHT DABEI GAR NICHT AUF DEM SPIEL
    • weil der Bundesrat mit der EU ausgehandelt hat, dass wir wegen Schengen unser liberales Waffengesetz nicht aufgeben müssen
    • weil die Schweiz in den letzten 10 Jahren anstandslos schon über 200 Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes übernommen hat
    • weil die Sicherheit im Schengen-Raum ohne die Schweiz nicht gewährleistet werden kann
    Anders, als das Ja-Lager den Eindruck zu erwecken versucht, halten die EU-Länder die Schweiz nicht aus einem Akt der Nächstenliebe im Schengen-Raum, sondern aus robusten Eigeninteressen. Die Annahme, die EU-Länder würden diesen Eigeninteressen zuwiderhandeln, um die Schweiz zu einer Gesetzesänderung zu zwingen, von welcher sie keinerlei Nutzen erwarten können, entbehrt jeglicher rationaler Grundlage. Wer den privaten Waffenbesitz verbieten will, soll eine entsprechende Volksinitiative lancieren. Der Stimmbürgerin vorzugaukeln, sie müsse sich für den Verbleib in Schengen entwaffnen lassen, ist unlauter!
    UNSERE FREIHEIT HINGEGEN STEHT SCHON AUF DEM SPIEL
    • weil die Schweiz durch die EU-Waffenrichtlinie für nichts und wieder nichts entwaffnet wird
    • weil wir als mündige und verantwortungsvolle Bürger diskreditiert und eines zentralen Freiheitsrechts beraubt werden
    • weil mit der Übernahme von unnützen Gesetzen ein gefährliches Präjudiz geschaffen wird, das weiteren Eingriffen in andere Bereiche Vorschub leistet und die Position der Schweiz gegenüber der EU schwächt.
    • WÜRDIGEN WIR ALSO DIE „HELDEN OHNE WAFFEN“, wie wir jeden Tag würdigen, wenn es z.B. in unserer schönen Stadt Basel nicht brennt. Trotz langen Wochen ohne Feuerbrunst (wie jetzt z.B.) schafft doch keiner, aber auch gar keiner unsere Feuerwehr ab.
    • Ein wuchtiges NEIN zum Waffengesetzt ist die einzige, überlegte, bedachte Handlung. Danke für die Veröffentlichung …und gar ihr Urnengang mit dem richtigen Zettel in der Hand. Ändern ist gut, alles Ändern in unserem grossartigen Land muss aber nicht sein, und Ändern des Änderns Willen (bloss um als „in“-„trendig“-„modern“ zu gelten) ist im Heute schwer von Gestern…!

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