Wie der Hass aus der Welt zu schaffen ist

Publiziert am 28. April 2017 von Matthias Zehnder

Er trieft im Internet aus allen Leserkommentarspalten, er ist an vielen Parteiveranstaltungen mit Händen zu greifen, er scheint der Motor der Gegenwart zu sein: der Hass. Er ist schamlos, ungeschminkt, direkt. Und wohl kein Zufall. Eine Antwort darauf, warum der Hass heute so verbreitet ist, habe ich in einem 50 Jahre alten Text gefunden. Es ist ein Interview mit Max Frisch über den Hass. Frisch erklärt, wie der Hass aus der Welt zu schaffen ist – und warum das nicht genügt. Aber lesen Sie selbst.

Wer den Hass verstehen will, muss eigentlich nur das Wort genauer anschauen. Es verrät viel mehr über den Hass, als uns im Alltag bewusst ist. So ist Hass ein so grosses Gefühl, dass es für das Wort Hass keine Pluralform gibt. Wenn der Hass jemanden erfüllt, dann gibt es nur diesen einen Hass. Das mittelhochdeutsche Wort haʒ bedeutete Groll und Feindschaft. Das bringt auch den heutigen Hass recht gut auf den Punkt: Es ist ein zutiefst feindlicher, innerer Groll. Hass ist nichts Schönes. Es ist kein Zufall, dass die Liebe lieblich macht, der Hass aber hässlich. Eng verwandt ist das Wort Hass mit dem Wort hetzen: Das bedeutet Hassen machen.

Politiker, die ihre Anhänger aufhetzen, bringen sie dazu, etwas zu hassen. Sie wecken den Groll in ihren Anhängern und lösen Feindschaft aus. Und sie machen ihre Anhänger und sich selbst hässlich. Auf Bildern von Wahlveranstaltungen eines Donald Trump, einer Marine Le Pen oder eines Björn Höcke ist das deutlich zu sehen: die Hässlichkeit der Gefühle, die sie auslösen.

Warum nur?

Umso erstaunlicher ist es, dass der Hass so um sich greift. Er trieft nur so aus den Kommentarspalten im Internet. Und das keineswegs verschämt: Immer mehr Menschen stehen mit eigenem Namen und auf Facebook sogar mit dem eigenen Gesicht zum Hass, den sie verbreiten. Der kollektive Hass wird zum kalten Feuer, um das sich die Internetgemeinde versammelt. Warum nur?

Antworten habe ich erstaunlicherweise in einem 50 Jahre alten Interview gefunden. Angesichts des vielen Hasses in der Welt führte Alfred A. Häsler 1967 und 1968 Gespräche mit bedeutenden Persönlichkeiten seiner Zeit, darunter etwa Ernst Bloch, David Ben-Gurion, Herbert Marcuse und Alexander Mitscherlich. Die Gespräche erschienen in der unabhängigen Tageszeitung «Die Tat» und später als Buch bei Rowohlt.

Ein Gespräch mit Max Frisch

Vor genau 50 Jahren sprach Häsler mit Max Frisch über Hass. Das Gespräch ist Bestandteil eines soeben erschienenen Buchs,1 das Interviews mit Max Frisch versammelt, und es ist bemerkenswert aktuell. Abgesehen vom Namen des amerikanischen Präsidenten (damals war das Lyndon B. Johnson) und des amerikanischen Feindbildes (Vietnam statt Nordkorea), könnte Frisch mit seinen Sätzen auch die heutige Zeit kommentieren.

Etwas überraschend ist dabei, dass Frisch den Hass nicht nur negativ sieht. Er erinnert an den Hass auf Hitler: Wie wäre es, wenn nicht Millionen von Polen und Franzosen und Tschechen und Dänen und Russen und Briten und auch Deutsche jenen Hitler gehasst hätten? Es gibt in den Augen von Max Frisch also einen gerechten Hass: den Hass auf die Henker. Die Heilsarmee in Ehren, aber sie hat noch kein besetztes Land befreit. Hass kann auch im Recht sein.

Erster Gedanke: Der Hassende schadet sich selbst

Im Verlauf des Gesprächs äussert Frisch drei Gedanken, die auch heute noch Gültigkeit haben. Der erste Gedanke: Frisch sagt, der Hass ist für den Hassenden das grössere Problem als für den Gehassten. Denn Hass als Stichflamme, das kann für Augenblicke erhellen, auf die Dauer verdummt er.

Eigentlich wissen wir das: Nicht von ungefähr reden wir von blindem Hass. Der tiefe Groll frisst den Hassenden auf und verblendet ihn. Frisch sagt es simpler: Hass verdummt. Das macht den Hass für die Hassenden gefährlich – denn verblendete Menschen lassen sich leichter verführen.

Zweiter Gedanke: Das Problem ist der Hass gegen Institutionen

Frisch unterscheidet Hass gegen Menschen und Hass gegen Institutionen. Hass gegen Menschen habe immer auch etwas Aufrüttelndes. Etwas anderes ist der Hass gegen eine Institution, da wird unser Hass selbst eine Institution, somit von Dauer, er sanktioniert sich als Gesinnung.

Das ist ein interessanter Gedanke: Hass gegen Institutionen wird mit der Zeit zur Gesinnung. Es könnte dies einer der zentralen Mechanismen der Politik sein, die sich gegen eine EU, gegen eine UNO, gegen den Bundesrat, gegen die Gerichte, ja gegen den Staat richtet. Hass gegen Institutionen gerinnt mit der Zeit zur Gesinnung. Das macht die politischen Extreme so stabil – und so gefährlich.

Dritter Gedanke: Der Hass in der Schweiz bleibt mässig

Häsler spricht Frisch auf den Fremdenhass an und darauf, dass dieser Hass auch in der Schweiz politisch verwertbar und damit gefährlich werde. Frisch winkt ab: Die Möglichkeiten sind mässig, nicht weil die Schweizer bessere Menschen sind, aber weil die schweizerische Politik auf eine Weise funktioniert, die Leidenschaft beinahe ausschliesst, auch die Leidenschaft zum Kreativen. Wo Begeisterung nicht gedeiht, hat auch der Hass nur eine beschränkte Chance. In dieser Hinsicht bin ich zuversichtlich; hier bleibt alles mässig.

Heute müsste man vielleicht hinzufügen: In der politischen Schweiz mag der Hass mässig bleiben, weil er die komplizierten, direktdemokratischen Wege nicht übersteht. In der Bürokratie der Demokratie verdorrt die Leidenschaft, auch der Hass. In der medialen Schweiz ist das anders. Da lodern Leidenschaften, weil sie ein wesentlicher Teil der von Aufmerksamkeit getriebenen, digitalen Medienwelt sind. Deshalb lodert da auch der Hass. Die Gefahr in der Schweiz ist das Auseinanderdriften der medialen und der politischen Welt: Die mediale Welt ist stark beschleunigt, leidenschaftlich, heftig und deshalb voller Hass, die politische Welt bleibt bürokratisch, kompliziert und deshalb trocken. Aus diesem Auseinanderdriften entsteht eine Spannung, die sich auch politisch entladen kann.

Was tun gegen den Hass?

Was wäre denn zu tun, fragt Häsler, um der Hasspropaganda den Boden zu entziehen? Frischs erstaunlich aktuelle Antwort: Bei uns? Dasselbe wie überall: Information über Sachverhalte. Hass hat immer einen Hang zur vereinfachenden Fiktion. Das ist äusserst bemerkenswert: Schon vor 50 Jahren plädiert Frisch für Information, also für Aufklärung und nennt den Zusammenhang zwischen Hass und Fake-News (Fiktion).

Frisch sagt dann aber auch: Vermutlich kann man den Hass nur abbauen, indem man die Welt verändert: indem man die grossen Hass-Ursachen abzubauen versucht. Wenn wir den Hass auf die Eliten, den Hass auf die Institutionen und global den Hass auf den Westen nehmen, kann und muss das heissen, dass wir die grossen Ungleichheiten abbauen müssen. Und die Schweiz? Frisch sagt: Die Schweiz, die heutige, ist aber konservativ und verhält sich zu jeder Idee, die Welt in ihrer gesellschaftlichen Struktur zu ändern, durchaus frigid.

Der Abbau von Hass genügt nicht

Vor allem aber sagt Frisch: Es genügt nicht, den Hass abzubauen: Hass kann zum Entsetzlichen führen, aber wir wollen nicht übersehen, dass Entsetzliches geschieht auch ohne Hass; ich bin überzeugt, dass etwa die Leute im Pentagon durchaus nicht hassen. Sie programmieren ihre Computer, das ist alles. Die Machthaber bräuchten keinen Hass, um das Entsetzliche zu veranstalten. Ein Abbau von Hass käme ihnen durchaus gelegen, aber damit ist das Entsetzliche nicht abgeschafft. Das ist vielleicht der grösste Trugschluss, dem wir aufsitzen: Eine Welt ohne Hass mag eine bessere Welt sein – das heisst aber noch nicht, dass es eine gute Welt ist.

1) Max Frisch: «Wie Sie mir auf den Leib rücken!» Interviews und Gespräche. Herausgegeben von Thomas Strässle. Suhrkamp, 237 Seiten, 29.90 Franken; ISBN 978-3-518-42584-8

6 Kommentare zu "Wie der Hass aus der Welt zu schaffen ist"

  1. 1.) Viva Schweiz! Denn ganz wichtig ist festzuhalten, wie M. Zehnder schreibt „In der politischen Schweiz mag der Hass mässig bleiben, weil er die komplizierten, direktdemokratischen Wege nicht übersteht.“ Ein Bravo an die direkte Demokratie und ein Auftrag, diese weiterhin so zu bewahren oder sogar noch auszubauen. Diametral dagegen steht dem die EU als intellektuelle Fehlkonstruktion, welche seit jeher von oben herablassend mit der europäischen Bevölkerung umgeht. „Machet den Zun nit zuwiit“ sprach einst Niklaus von Flüe. Dieser weisen Worte sind nicht nur bei der derzeitigen massivsten Zuwanderung in die Schweiz anzuwenden (letztes Jahr kamen netto wieder 80’000 plus – was ein solch kleines Land auf Dauer nicht verträgt – inzwischen fällt jedem die stetige brutalste Totalzubetonierung unseres Landes auf), s o n d e r n auch im Bereich beim Anwenden neuer (fremder) Gesetze, Richter, Abläufe, Ordnungen, welche fortdauernd von der EU übernommen werden sollten und welche stets gegen einen Abbau der CH-Volksrechte zielen. (Hüten wir uns davor – noch haben wir das Heft selbst in der Hand; „Selbstbestimmungsinitative Ja“ in naher Zukunft lässt grüssen).
    2.) M. Zehnder hält ebenso fest: „In der medialen Schweiz ist das anders.“ Dort sei der Hass grösser. Ist zwar unschön, aber immer noch harmloser, als wenn im Parlament geputscht würde (Türkei), geprügelt würde (Ukraine) oder getötet würde (Burundi). Teils haben sich die triefenden Hasstiraden in Leserbriefen und Online-Journalen die Medienzunft auch selbst zuzuschreiben. Da eine aufwiegelnde Schlagzeile, dort eine brandgefährliche Message meist eines Nebenschauplatzes, welcher gar nicht würdig ist, solch ein journalistisch Aufruhr zu veranstalten. Auch anheizende Bilder von Situationen können Wut, Hass und Zorn schüren. Auch Hr. Zehnder bebilderte diesen Wochenkommentar – was ich nicht verurteile, nur bemerke – oberhalb des Titels mit loderndem Feuer. Diese Visualisierung verstärkt das geschriebene Wort und suggeriert im Kopf, dass das Thema am kochen, wichtig und brandheiss sei.
    Dennoch bleibt festzuhalten, dass es sogar in den CH-Kommentarspalten immer noch gesitteter und ruhiger zugeht als in den meisten anderen Ländern. Kein Vergleich z.B. mit D, wo wirklich primitivste, schreibfehlergesäumte, angsteinflössende Texte im Netz herumschwirren.
    D a n k sei auch hier wiederum der direkten Demokratie, wo jeder Stimmberechtigte den Dampf ablassen kann. Gefragt wird. Ernstgenommen wird. Mit Ja oder Nein. Mit Wahlen von Gemeinde- bis Bundesebene. Mit dem Kugelschreiber dabei sein – anstatt mit Scheibeneinschlagen. Anstatt mit Bürgerprotesten. Anstatt mit Autos abfackeln. Anstatt mit Asylheimen anzünden. (D 2016 = 1578 Angriffe auf Flüchtlingsheime. Quelle BKA; in der CH 2016 = 0 – 2 Angriffe auf Asylunterkünfte.)
    Eine Schweiz, in der Parteien miteinander verkehren – von SP bis SVP. Zugelassen sind. Ventil sind. Nicht ein bundesdeutsches „Mit denen redet man nicht“ (Angela Merkel zur AfD), also Sätze und Aussagen, welche Millionen Bürger ausgrenzen und zu Wutbürgern werden lassen.
    Daher, man kann es nicht genug wiederholen in diesem Wochenkommentar-Themen-Zuammenhang: Die direkte Demokratie in der Schweiz, eine anhaltende Erfolgsgeschichte (Poitnetz.ch vom 24.3.2017). Die Schweiz ist der Goldstandart der direkten Demokratie, da kein Land der Erde demokratischer ist als die Schweiz (www.swissinfo.ch vom 10.11.2015).
    Ich habe Hoffnung, dass dies so bleibt. Obwohl alle CH-Parteien an der Demokratie herumsägen wollen, sie nicht mehr modern finden oder gar abschaffen wollen; diese Parteien sind auf dem Irrweg.
    Zuversicht und Optimismus: Solange die Wählerstärkste Partei (ohne jetzt hier den Namen nennen zu brauchen) die wählerstärkste Partei bleibt, ist es gut bestellt um unsere Demokratie. Gut bestellt um das beste und effektivste Gift gegen Hass.
    Hüten, beschützen und verteidigen wir sie. Das sind wir unseren Ahnen, unseren Kindern und Kindeskindern schuldig.
    Es ist nicht alles schlecht, was früher einmal gut war – auch wenn’s altmodisch klingt.

    1. Erlauben Sie eine kleine Berichtigung. Sie schreiben: Letztes Jahr kamen netto wieder 80’000 plus – das ist nicht korrekt. Der so genannte Wanderungssaldo, also die Differenz zwischen der Einwanderung und der Auswanderung von ausländischen Staatsangehörigen, betrug 2016 60’262 Personen. Die Nettozuwanderung hat damit um -15.7% gegenüber Vorjahr abgenommen. Fast die Hälfte der Zuwanderer sind Erwerbstätige, der Familiennachzug macht etwa ein Drittel aus, Aus- und Weiterbildung etwa 10%. Alle Details finden Sie hier: https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/publiservice/statistik/auslaenderstatistik/monitor/2016/statistik-zuwanderung-2016-12-jahr-d.pdf

      Dass die Schweiz durch eine Übernahme von Gesetzen und Verordnungen aus der EU ständig die Volksrechte abbaue, ist ein böswillig in die Welt gesetzter Mythos. In den allermeisten Fällen gleicht die Schweiz im eigenen Interesse Gesetze und Verordnungen an EU-Recht an. Die Schweiz macht das, weil 60 Prozent unserer Exporte in EU-Länder gehen und 80 Prozent unserer Importe aus EU-Ländern kommen. Das funktioniert nur, wenn die Verordnungen deckungsgleich sind. Wenn die Schweiz zum Beispiel EU-Richtlinien über Tierfütterung nicht übernehmen würde, könnte sie keine Fleischprodukte mehr in die EU exportieren. Das hat nichts mit Volksrechten zu tun, sondern mit der engen Verzahntheit der Schweiz in den Wirtschaftsraum Europa.

  2. Den Hass aus der Welt schaffen? Auf meinem Gradmesser für Lebenskunst gilt in der Mitte: Freiheit und Toleranz. Steht der Zeiger auf Angst oder Gleichgültigkeit, ist die Leidenschaft im Kühlschrank. Bei Machtgier oder Arroganz herrscht Fieber. Wenn es anhaltend zu kalt oder zu heiss ist, kann das mich stockhässig machen. Wenn es mir gelingt, Hass in Kreativität zu transformieren, bin ich wieder handlungsfähig und froh.

  3. Eine kleine Ergänzung zu Niklaus von Flüe und seinem Einfluss auf die eidgenössische Politik:

    Von Wut und auch Hass erfüllt waren im Vorfeld der Stanser Tagsatzung viele Urner und Schwyzer, weil sie sich bei der Verteilung der Beute aus den Burgunderkriegen zu kurz gekommen glaubten. In ihrem Saubannerzug gegen die Westschweiz entluden die frustrierten Innerschweizer ihren grenzenlosen Zorn. Der Graben zwischen Ländern und Städten war ebenso weit wie bedrohlich für den inneren Zusammenhalt der damaligen Eidgenossenschaft.
    Dass die Spaltung zwischen Stadt und Land verhindert werden konnte, ist kaum
    dem vielzitierten Satz „Machet den Zun nit zuo wit“ zu verdanken, der Niklaus Flüe erst 50 Jahre nach seinem Tod durch den Luzerner Gerichtsschreiber Hans Salat zugeschrieben wurde. Diese Aussage richtet sich nach Roland Gröbli „im Verständnis der Zeit – wider das Errichten von Eigennutz und damit das Abgrenzen von privat genutzten (Weide-)Gebieten anstelle der gemeinsamen Nutzung einer Allmend, zu der die ganze Gemeinschaft Zugang hat“ (in: Mystiker, Mittler, Mensch).
    Entscheidend dürfte vielmehr gewesen sein, dass es dem Stanser Pfarrer Amgrund
    nach seinem Besuch bei Niklaus von Flüe gelungen ist, die zerstrittenen Abgeordneten der Tagsatzung nochmals zusammenzubringen und damit den Weg für eine Kompromisslösung freizumachen. Die Erweiterung des Zauns im politischen Sinn wurde ja dann durch die Aufnahme von Freiburg und Solothurn doch noch möglich.
    Was diese Eidgenossenschaft immer wieder weiter brachte, sind die Bereitschaft, das Gespräch zu suchen, Kompromisse einzugehen und sich neuen Herausforderungen gegenüber nicht zu verschliessen.

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