Gorilla-Journalismus ist passé

Publiziert am 21. Juni 2019 von Matthias Zehnder

Diese Woche sollte den Medien in der Schweiz endgültig vor Augen geführt haben, dass die Zeiten von Gorilla-Journalismus vorbei sind: Ein Journalismus, bei dem der Journalist behaupten kann, was er will und dabei immer recht hat, bei dem es nur auf die Lautstärke ankommt und die NutzerInnen nichts zu sagen haben, ein solcher Journalismus ist nicht mehr zeitgemäss. Wenn es denn noch einen Beweis gebraucht hat, dann haben ihn Jolanda Spiess-Hegglin und der FCB diese Woche gebracht. Aber der Reihe nach.

Das Zürcher Obergericht hat diese Woche ein Urteil des Bezirksgerichtes von 2017 in wesentlichen Punkten bestätigt: Das Gericht hat Philipp Gut, den stellvertretenden Chefredaktor der «Weltwoche», wegen übler Nachrede schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.[1] Gut hatte in einem Artikel der «Weltwoche» 2015 die damalige Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin der Lüge bezichtigt: Sie habe sich die mutmassliche Schändung durch den ehemaligen SVP-Kantonsrat Markus Hürlimann nur ausgedacht, um einen Seitensprung zu vertuschen. Gegen diese Darstellung zog Spiess-Hegglin vor Gericht – und hat jetzt bereits in zweiter Instanz recht erhalten.

Bereits im Mai hatte Spiess-Hegglin einen Prozess vor dem Kantonsgericht Zug gegen Ringier, den Verlag der Boulevardzeitung «Blick», gewonnen. Das Gericht stellte fest, die Berichterstattung im «Blick» über den «Fall» Spiess-Hegglin mit voller Namensnennung und Abbildung der Beteiligten sei ein Eingriff in die Intimsphäre von Spiess-Hegglin gewesen und somit widerrechtlich.[2] Der Verlag akzeptiert das Urteil aber nicht und zieht es weiter: Ringier will Spiess-Hegglin keine Genugtuung zahlen und bestreitet, ihre Persönlichkeitsrechte verletzt zu haben. Spiess-Hegglin ihrerseits will vor dem Schweizer Boulevard-Verleger nicht klein beigeben, sondern Gewinnherausgabe und Schadenersatz einklagen. Das kostet viel Geld. Diese Woche hat deshalb der Basler Verein Fairmedia ein Crowdfunding, also eine öffentliche Geldsammlung, gestartet.[3] Unter dem Hashtag #TeamJolanda sucht der Verein 70’000 Franken, damit Spiess-Hegglin ihre Anwältin bezahlen und die Gerichtskosten bevorschussen kann. Mit überwältigendem Resultat: Innert weniger Tage ist das Geld (fast) zusammengekommen – und dies, obwohl keine einzige Zeitung über die Sammelaktion berichtet hat.

Gorilla-Journalismus

Der Fall Spiess-Hegglin ist ein klassischer Fall eines Journalismus, den ich als «Gorilla-Journalismus» bezeichne: Es ist ein Journalismus, der sich auf die Brust klopft und eine These in die Welt röhrt, dem es auf Lautstärke und Rechthaben ankommt und der sich nicht um Details, Falsifikation und schon gar nicht um das Publikum kümmert.[4] Gorilla-Journalismus stammt aus einer Zeit, in der die Medien ihre Leserinnen und Leser als Stopfgänse betrachteten: Egal, um was es ging – dem Publikum blieb keine andere Möglichkeit, als zu Schlucken, was produziert wurde. Die Journalisten-Gorillas hauten sich auf die Brust und beanspruchten die Wahrheit für sich. Es konnte ihnen ja niemand widersprechen.

Das ist heute ganz anders. Um beim Publikum zu beginnen: Aus den Stopfgänsen sind wählerische Tauben geworden, die sich nach Lust und Laune an einem quasi unendlich grossen Informationsbuffet bedienen können und nur noch mal da, mal dort etwas aufpicken. Die «Wahrheiten», welche die Stopfgänse noch widerspruchslos geschluckt hatten, werden von den Tauben hinterfragt: Sie können links und rechts andere Körner aufpicken und sich selber ein Bild zusammenstellen. Gorillas, die sich darauf beschränken, brustklopfend ins Publikum zu röhren, haben bei den Tauben keine Chance mehr. Tauben kann man nicht vollstopfen, man muss sie anlocken, verführen und vor allem überzeugen. Dazu muss man die Tauben beobachten und ihnen zuhören. Gorillas fällt das schwer. Sie können sich nicht damit abfinden, dass die Tauben nur noch das aufpicken, was ihnen passt und sich im Übrigen selbst ein Bild machen wollen. Gorillas lassen sich nicht beirren, durch Fakten schon gar nicht. Und wenn sie mal etwas gesagt haben, bleiben sie dabei. Im Fall Spiess-Hegglin etwa haben die wenigsten Journalisten öffentlich zugegeben, dass sie sich geirrt haben, mit prominenten Ausnahmen allerdings.[5] Die grossen Verlage haben die Berichterstattung über den Fall weitgehend eingestellt. Sie fürchten wohl, dass Opfer, die sich wehren, Schule machen könnten.

Der Fall FCB

Diese Woche war in Basel ein weiterer Fall von kollektivem Gorilla-Journalismus zu besichtigen. Der «Blick», aber auch andere Zeitungen, haben tagelang über den Trainer des FCB geschrieben: Der bisherige Trainer Marcel Koller werde entlassen, sein Nachfolger stehe bereit, es handle sich um Patrick Rahmen vom FC Aarau. Der «Blick» war sich am 11. Juni ganz sicher: Trainerknall beim FCB: Koller weg – Rahmen steht bereit![6] Am Tag darauf folgte die detaillierte Analyse: Koller weg, Rahmen kommt: 5 Fragen zum FCB-Trainerbeben[7] Die Zeitung beantwortete Fragen wie: Weshalb wird Koller entlassen? Was kostet die Trainer-Rochade? Und natürlich: Ist Patrick Rahmen der Aufgabe in Basel gewachsen? Als es sich herausstellte, dass Trainer Koller gar nicht entlassen worden war, posaunte der «Blick» folgerichtig: Irre Wende im Trainer-Wahnsinn von Basel: Koller soll bleiben – tritt Streller jetzt zurück?[8] Auf diese Weise haben die Gorillas vom «Blick» immer recht: Zuerst behaupten sie, der Trainer sei entlassen, als es sich herausstellt, dass es eine Ente war, ist die Rede von einer irren Wende. Die anderen Zeitungen, darunter die «Aargauer Zeitung» respektive die «bzBasel» und die «NZZ», lehnen sich in der Wortwahl nicht ganz so weit zum Fenster hinaus, schreiben aber ähnlich.

Im Stopfgans-Zeitalter wäre eine solche Berichterstattung für Club und Leserinnen und Leser verheerend gewesen. Heute kann es sich ein Club wie der FC Basel einigermassen leisten, mit den Schultern zu zucken. Der Club ist längst nicht mehr auf die Gorillas angewiesen, sondern hält direkt Kontakt mit seinen Fans über elektronische Kanäle. Längst muss nicht mehr der Club den Medien dankbar sein, sondern umgekehrt: Die Medien müssen dem Club dankbar sein, dass sie noch Informationen erhalten. Das heisst nicht, dass der FCB in der Kommunikation mit den Medien einen guten Job gemacht hat (der FCB hat grauenvoll kommuniziert), aber die Konsequenzen halten sich für den Club im Rahmen, weil die Medien nicht mehr so wichtig sind. Die Gorillas haben ausgedient. Das merkt auch das Publikum: Den Plauderi vom «Blick» glaubt kaum mehr jemand. Damit ist den Gorillas vom Dienst das schlimmste passiert, was einem Medium passieren kann: Ihnen ist die Glaubwürdigkeit abhanden gekommen.

Der Post-Gorilla-Journalismus

Wir leben also nicht mehr im Stopfganszeitalter. Journalisten können sich nicht mehr wie Gorillas aufführen. Die Zeit der Gonzos und der Stronzos in den Medien ist vorbei. Es braucht einen neuen Journalismus. Bloss: Wie könnte der aussehen? Ich glaube, dieser neue Post-Gorilla-Journalismus muss sich durch drei Eigenschaften auszeichnen:

  • Multiperspektivisch: Er muss sich seinen Themen jeweils aus mehreren Perspektiven nähern, unbedingt auch aus der Perspektive des Publikums. Von oben herab geht nicht mehr.
  • Diskursiv: Er darf nicht mehr apodiktisch behaupten, sondern muss sich dem Gespräch stellen, ja, er muss zu einem grossen Teil aus dem Gespräch bestehen. Journalismus ist heute eine Zweiweg-Veranstaltung.
  • Fehlerkultur: Damit beides funktioniert, brauchen die Medien unbedingt eine neue Fehlerkultur, also die Bereitschaft, Fehler zuzugeben und zu korrigieren. Das setzt die Bereitschaft, zuzuhören und sich selber zu hinterfragen voraus.

Der letzte Satz ist dabei vielleicht der wichtigste: Wer von Stopfgänsen zu Tauben wechseln will, muss in der Lage sein, zuzuhören und sich selber zu hinterfragen. Wie weit der heutige Journalismus davon entfernt ist, hat sich in den letzten Monaten etwa im Umgang mit #MeToo-Themen gezeigt: Die Medien haben sofort und scharf über alle möglichen sexuellen Übergriffe in Politik, Wirtschaft und Kultur berichtet. Nur in einem Bereich ist es auffallend still geblieben: Von Übergriffen in der Medienszene selbst war kaum je etwas zu lesen. Die Gorillas haben dafür gesorgt, dass niemand plauderte. Noch sind sie in vielen Redaktionen am Drücker. Aber ihre Zeit ist vorbei.

Basel, 21. Juni 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen:

[1] Vgl. SRF, Dienstag, 18.6.2019: https://www.srf.ch/news/regional/zuerich-schaffhausen/fall-spiess-hegglin-zuercher-obergericht-spricht-weltwoche-redaktor-schuldig

[2] Vgl. SRF, Freitag, 10.5.2019: https://www.srf.ch/news/schweiz/ein-meilenstein-jolanda-spiess-hegglin-gewinnt-gegen-den-blick

[3] Siehe Fairmedia: http://fairmedia.ch/home/teamjolanda/

[4] Die Bezeichnung ist damit natürlich eine Beleidigung für jeden Gorilla, aber weil die wenigsten Gorillas meine Kommentare lesen und es mir vor allem um das Bild geht, lasse ich es mal so stehen.

[5] Carmen Epp hat das Honorar, das sie für eine Kolumne mit Falschinformationen erhalten hat, an #TeamJolanda gespendet: https://twitter.com/CarmenEpp/status/1141386009239785472

[6] «Blick», 11.6.2019: https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/trainerknall-beim-fcb-koller-weg-rahmen-steht-bereit-id15367534.html

[7] «Blick», 12.6.2019: https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/koller-weg-rahmen-kommt-5-fragen-zum-fcb-trainerbeben-id15369337.html

[8] «Blick», 14.6.2019: https://www.blick.ch/sport/fussball/superleague/irre-wende-im-trainer-wahnsinn-von-basel-koller-soll-bleiben-tritt-streller-jetzt-zurueck-id15372423.html

3 Kommentare zu "Gorilla-Journalismus ist passé"

  1. Soweit okay. Als Wissenschafter wurde mir in den 1990er-Jahre im Rahmen eines Nachdiplomstudiums für Evaluation geraten: Wenn Sie Karriere machen wollen, sollten sie nicht so lügen, dass man es merken kann … aber auch nicht Wahrheiten sagen, die Mächtigen und/oder Reichen nicht passen. Ersteres entspricht dem Gorilla-Journalismus. Letzteres finde ich viel schlimmer: Ich habe deshalb keine der regionalen Tageszeitungen mehr abonniert.

  2. Eine sehr gute, interessante Auslegeordnung. Da merkt man wieder einmal, wer in der Sache durchblickt.
    Kurzer Blick zurück:
    Markus Somm führte einige Jahre die BaZ. Viele mochten das nicht. Doch wie er sein Medium sah, die Aufgabe der Journalisten, die Zeitungen sein sollte, schrieb er im grandiosen Text mit dem Titel „Unser lieber Staatsfeind“ nieder.
    Wie gesagt, Tempi-passati mit Somm und der BaZ. Doch seine Ansichten, seine Sätze, seine Worte: Famos, superb…. ich komm ins Schwärmen, so sehr, dass ich hier seine geschriebenen Zeilen – nein: seine komponierten Zeilen nochmals als Lesegenuss, Gedankenschmaus für alle gerne hineinkopiere. Viel Vergnügen:
    „Unser lieber Staatsfeind“
    Die Aufgabe der Zeitung? Kritik, Opposition, Aufklärung – so dass jede Regierung sie am liebsten einstampfen würde – von Markus Somm.
    =
    Was ich hier erzähle, könnte sich in jeder Schweizer Stadt zugetragen haben – früher und heute noch; vielleicht auch in Basel. Im November 1923 traf sich der Stadtrat von Baden zu seiner 76. ordentlichen Sitzung im Stadthaus, und nachdem man das Protokoll des letzten Treffens verlesen und abgehandelt, was abzuhandeln war, man über Paragrafen und Projekte gesprochen hatte, und das immer mit der nötigen Ruhe
    und dem ortsüblichen Ernst, wurde das Gespräch auf einmal von einem emotionalen Gewitter getroffen. Das Protokoll notierte: «In einem Articel des Badener Tagblattes vom letzten Samstag wurde mit der in diesem Blatte nachgerade üblich gewordenen Gehässigkeit die Auszahlung der Surbtalbahnsubvention an die aargauische Kantonalbank als Blamage des Gemeinderats Baden bezeichnet, begleitet von der perfiden Andeutung, der Betrag der Subvention sei durch Schuld des Gemeinderates für die Gemeinde verloren. »
    Da gab es für den freisinnigen Stadtrat Hurter kein Halten mehr: «Mit Indignation» stelle er fest, «dass der Gemeinderat jahraus, jahrein von anonymen Artikelschreibern angegriffen werde.
    Das Mass dieser Anödereien sei voll. Man möge endlich die Verleumder mit aller Rücksichtslosigkeit fassen. Dabei sei zu konstatieren, dass die Pöbelei mehr denn je überhand nehme, seit Dr. Wüest in Baden sei, der nicht nur in der Zeitung, sondern auch am Biertisch gegen den Gemeinderat in unverantwortlicher Weise
    hetze.»

    Aufruhr im Stadtrat
    Worum es bei dieser «Surbtalbahnsubvention » im Einzelnen gegangen war und wer recht hatte, ob der Gemeinderat von Baden (oder Stadtrat, wie er auch hiess, also die Exekutive) oder ob womöglich dessen Kritiker vom Badener Tagblatt: Es soll uns hier nicht kümmern. Immerhin wurde die Bahn in diesem verwunschenen Tal nördlich von Baden nie gebaut, doch dem Stadtrat machte sowieso etwas anderes Sorgen. «Herr Bisang», ein weiterer Magistrat, der die SP vertrat, schloss sich sogleich Hurters Ärger an, auch
    wenn er einräumte: «Gegen eine gerechte Kritik sei nichts einzuwenden, aber die beständigen Verdächtigungen, welche die Autorität der Behörde und das Ansehen der Gemeinde untergraben, dürfe man sich nicht länger mehr gefallen lassen.»
    Und weil man gerade am Schimpfen war, brachte sich nun auch der Stadtammann ein, Josef Jäger, ein gewaltiger Mann, der damals als der «kleine Diktator von Baden» bezeichnet wurde, weil er seit Jahren in der Stadt schaltete und waltete, wie es ihm passte: «Herr Stadtammann Jäger hält es für Heuchelei, dass dieselben Kreise, welche die Behörden planmässig herunterreissen, gleichzeitig auf die intensive Mitwirkung derselben Behörden bei der Gewerbeausstellung abstellen und den Vorsitzenden
    des Gemeinderates sogar im Ehrenausschuss dieser Veranstaltung haben wollen.»
    Planmässiges Herunterreissen? Wenn einer wusste, worüber er sich beschwerte, dann Jäger, der, bevor er zum Stadtammann gewählt worden war, zu den brutalsten Journalisten des Landes gehört hatte: Seine Polemiken waren berüchtigt, seine Wortwahl Gift, seine Artikel hinterliessen Bilder der Zerstörung. Um sich als
    Politiker durchzusetzen – Jäger war ein Freisinniger von der guten, radikalen Sorte – , hatte er seinerzeit als junger Mann eine eigene Zeitung gegründet, die Schweizer Freie Presse, und mit dieser begab er sich sogleich auf einen Feldzug gegen das Badener Tagblatt.
    Freisinnig waren zwar beide Blätter, aber der publizistische Bürgerkrieg artete aus, sodass man das kaum mehr erkannte, zumal sich die beiden Chefredaktoren, die auch Besitzer waren, wechselseitig dermassen persönlich vernichteten, dass an normale Beziehungen nie mehr zu denken war. Das war mehr als zwanzig Jahre her. Und obwohl Jäger seit Langem nicht
    mehr Kommentare schrieb, sondern Politik machte, und sein einstiger Gegner vom Badener Tagblatt inzwischen verstorben war, blieb nichts vergessen. Er hiess übrigens Joseph Zehnder und ist der Ururgrossvater von Peter Wanner, dem heutigen Verleger der AZ Medien.
    Auch Stadtrat Deuschle, eher eine sanfte Natur, schlug vor, dem Ehrenkomitee der Gewerbeausstellung fernzubleiben und sich die «gehässigen Anödereien entschieden zu verbitten », Herr Lang, Besitzer eines Bazars und Katholisch-Konservativer, «stimmt den Vorrednern ebenfalls zu und wünscht unbedingt, dass
    den unverantwortlichen Verleumdern unnachsichtlich
    das Handwerk gelegt wird», und schliesslich meldete sich Vizeammann Voser von den Katholisch-Konservativen zu Wort und gab zu Protokoll, er lese «das Badener Tagblatt wegen seines gehässigen Tones gegenüber dem Gemeinderat schon lange nicht mehr».

    Die Mission der Basler Zeitung
    Wie auch immer dieser Konflikt um die Surbtalbahnsubvention in den 1920er-Jahren ausgegangen ist: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Wer diese Protokolle liest – sie sind nicht erfunden, sondern liegen im Stadtarchiv Baden, das ich in einer anderen Sache kürzlich konsultiert habe – fühlt sich zwangsläufig an andere Städte, andere Zeitungen und andere Regierungen erinnert. Es scheint recht plausibel, dass künftige Historiker auch in den Gesprächsnotizen des Regierungsrates von Basel-Stadt seit etwa 2010 auf eine ähnliche Mischung von Entrüstung und Selbstmitleid stossen, wann immer
    von einer gewissen Zeitung die Rede ist. Diese Zeitung gibt es nach wie vor, sie blüht und verdient Geld, auch wenn manche Regierungsräte trotz aller Wirtschaftsförderung es wohl lieber sähen, sie wäre längst eingegangen.
    Selbst andere Verleger und andere Journalisten hätten nichts dagegen einzuwenden – trotz Strukturkrise und Angst um Arbeitsplätze.
    Wobei es mir hier nicht darum geht, um Mitleid zu werben, im Gegenteil, was ich hier verdanken möchte sind viele, viele unfreiwillige Komplimente, die uns unsere Kritiker machen, wenn sie uns verdammen, – was ich hier aber ebenso ausdrücken will, ist Stolz.
    Stolz auf eine der besten und kritischsten und heitersten Redaktionen dieses Landes, die sich bei den Mächtigen oft unbeliebt macht, weil sie bei Ihnen, unseren Lesern und Leserinnen, beliebt sein möchte. Stolz bin ich auf viele mutige und unverdrossene Kollegen bei der BaZ, die nach wie vor zeigen, warum es unseren Beruf braucht, die sich nicht abschaffen, indem
    sie das schreiben, was den Regierungen gefällt. Denn dafür braucht es uns nicht. Stolz bin ich schliesslich, dass wir gemeinsam, die vielen Mitarbeiter bei der BaZ, unsere Inserenten, unsere Leserinnen und Leser – und nicht zuletzt alle Bewohner dieser Stadt und dieser Region, täglich beweisen, was für ein Kunstwerk eine Zeitung trotz alledem bleibt. Was begeistert, beschäftigt, verärgert, fesselt und erschreckt zugleich so oft wie eine Zeitung, die ihre Arbeit gut macht?

    Die Krokodilstränen der Politiker
    Oft werden wir missverstanden: Wer kritisiert, wer herunterreisst, wer Missstände aufdeckt, tut dies nicht aus Lust an der Zerstörung, sondern aus Sorge über das, was ihm lieb und teuer ist. Journalisten sind Patrioten – ob sie nun links stehen oder rechts –, denn es kümmert sie, was hier in dieser Stadt und Region oder in diesem Land vorfällt. Man lasse sich nicht von den Mächtigen täuschen: Ganz gleich wie gut oder schlecht sie uns regieren und verwalten, wann immer sie sich über die Medien beklagen, tun sie es, weil sie um ihre Macht fürchten, nicht um die «Qualität» der Medien oder deren «Anstand». Ihr Jammer, ihre Kritik,
    ihre Krokodilstränen: Sie sind vorgeschoben. Was der Badener Stadtrat noch etwas ruppiger als «Verleumdung» oder «Anödereien» bezeichnete,
    heisst heute «Kampagne» oder «Fake News»: Immer wehren sich so Leute, die dabei ertappt worden sind, einen Fehler begangen oder einen Skandal verdeckt zu haben. Hätten sie die Fakten auf ihrer Seite, würden sie über die Fakten reden und die Journalisten widerlegen.
    Verzichten sie auf diese Auseinandersetzung und versteigen sich stattdessen in Stildebatten und Qualitätsseminaren, dann ist das immer der zuverlässige Beweis, dass die Zeitung richtig liegt.
    Warum gehen wir ein – ohne eine gute, kritische, geliebte und verhasste Zeitung? Warum brauchen Basel-Stadt und Baselland die Basler Zeitung wie der Fisch das Wasser und der Körper das Blut? Regierungen müssen kontrolliert werden – ganz gleich, ob sie bürgerlich oder links handeln, weil eine Regierung durch Wahlen nur ungenügend diszipliniert wird, solange der Bürger nicht ahnt, was diese Politiker ihm
    alles verschweigen.
    Demokratie ist die beste Staatsform aller
    Zeiten – und die direkte Demokratie ihre Königin, doch ohne Journalisten, die sich mit den Mächtigen – auch in einer Demokratie – anlegen und auseinandersetzen, verliert die Demokratie jede Kraft und jeden Saft. Deshalb ist es so schändlich, wenn Journalisten aus Angst um ihre Stelle oder ihren Ruf in ihrem oft konformistischen Milieu die Regierungen und ihre
    mächtigen Bürokratien nicht dauernd unter Beobachtung nehmen, sie kritisieren, gegen sie recherchieren, sie tadeln und ab und zu loben, wenn sie es verdient haben. Ohne uns Journalisten erheben sich die Regierenden und Herrschenden über die Bürger und verwandeln uns in Untertanen – mit anderen Worten, je häufiger eine Regierung sich über eine Zeitung beschwert, desto besser der Zustand einer Demokratie. Je kritischer eine Presse, desto besser geht es dem Land – und je gefährdeter die Freiheit in einem Land, für desto «anständiger», «vernünftiger» erklären die Politiker dessen Zeitungen.

    Anwälte der Wahrheit
    Ein zweites Missverständnis über die BaZ gilt es auszuräumen: Die erste Pflicht einer Zeitung ist die Opposition, und zwar ohne sich darum zu scheren, wem diese nun gilt, ob einer bürgerlichen oder einer linken Regierung. Genauso wie wir die bürgerliche Baselbieter
    Regierung kritisch untersuchen, genauso hart recherchieren wir, was dem rot-grün dominierten Regierungsrat von Basel-Stadt und seinen Beamten an Fehlern und Unsinn unterlaufen ist.
    Wir erkennen alles, weil wir blind sind gegenüber Freund und Feind, wir sind agnostisch, wir sind Anwälte der Wahrheit und keiner Partei.
    Das will nicht heissen, dass wir nicht unsere politischen Vorlieben haben, die im Zweifelsfall eher rechts von der Mitte liegen, liberal, konservativ, immer staatskritisch, doch das ist nicht die allererste Aufgabe dieser Zeitung. Die wichtigste Aufgabe dieser Zeitung ist es, das aufzudecken, worüber die Mächtigen nicht reden wollen, während wir Bürger nicht genug davon hören können.
    Wenn eine Zeitung ihre Aufgabe erfüllt, dann muss es sehr viele mächtige Leute geben, die sie am liebsten einstampften. Wenn eine Zeitung es nicht fertigbringt, dass Regierungsräte oder Stadträte öffentlich behaupten, sie würden sie nicht mehr lesen, dann hat sie etwas falsch gemacht.
    Nach der 76. Sitzung des Badener Stadtrates, deren Protokoll über mehrere Seiten lief, wobei kein Gegenstand mehr Platz beanspruchte als die Angriffe des Badener Tagblattes, kam man zu folgendem Schluss:
    «Es wird heute festgestellt, dass sämtliche anwesenden Mitglieder des Gemeinderates einig darin sind, die öffentlichen Anödereien seien mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen werden, auf welche Weise das zu geschehen hat.»
    Soviel ich in den Akten entdecken konnte, geschah nichts. Nie wurden Fakten beigebracht, um die Kritik des Badener Tagblattes zu entkräften. Und Stadtammann Jäger trat übrigens dem Ehrenausschuss der Gewerbeausstellung bei.
    =
    DAS IST DIE AUFFASSUNG, WELCHE ICH VON MEDIEN HABE. LEIDER HEUTE PRAKTISCH AUSGESTORBEN. SOMM SCHREIBT JETZT PRAKTISCH WIE ALLE ANDERN BRAV BEI TAMEDIA. VERGANGENE ZEITEN – UND NACHTRAUERN IST DOCH WOHL ERLAUBT…..

    1. Hallo Herr Zweidler
      Drei Bemerkungen:
      1. Bitte posten Sie keine texte, an denen Sie die Rechte nicht besitzen, sonst muss ich Ihre Kommentare aus rechtlichen Gründen löschen. Links setzen ist ok, Text kopieren geht nicht.
      2. «Die erste Pflicht einer Zeitung ist die Opposition» – dem möchte ich vehement widersprechen: Die erste Pflicht einer Zeitung ist die Information (samt Diskussion, Kritik, Kommentar etc.). Alles andere ist politische Anmassung.
      3. Gerade in der «BaZ» von Herrn Somm wimmelte es von Gorilla- (oder besser: von King-Kong-) Journalisten, die sich einen Deut um ihre Leserinnen und Leser und um die Opfer ihrer Berichterstattung kümmerten.
      Und noch ein Surplus: Auch wenn Sie die «BaZ» noch so hoch loben – ökonomisch ist diese «BaZ» gescheitert, sie musste verkauft werden.

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