Glückshormone

Publiziert am 3. Februar 2024 von Matthias Zehnder

Chcht – Chcht Chcht – linken Ski belasten, rechten Ski, linken Ski. Der Schnee spritzt unter den Brettern weg wie Gischt. Vor mir das atemberaubende Panorama der Engadiner Alpen, das Bernina-Massiv, der Piz Palü, der Morteratsch und der Corvatsch, unter mir knirscht der Schnee der Corviglia, über mir wölbt sich ein tiefblau strahlender Himmel. Chcht – Chcht Chcht – in meiner Brust wird mir eng vor Glück. Wäre ich Jodler, ich würde Jauchzen. Die Frage ist, warum mich diese Engadiner Berge so glücklich machen.

Letzte Woche habe ich Ihnen hier von Ferdinand von Schirach und seinem Auftritt in Basel erzählt. In seinem Stück erzählt er von den Präriewühlmäusen und den Bergwühlmäusen. Die sehen zwar fast gleich aus, verhalten sich aber höchst unterschiedlich. Während die Präriewühlmäuse monogam sind und ihrem Partner ein Mäuseleben lang treu bleiben, führend die Bergwühlmäuse ein geradezu wildes, polygames Leben. Der Grund: Hormone. Präriewühlmäuse haben offenbar mehr Oxytocin-Rezeptoren im Gehirn als ihre nahen Verwandten in den Bergen. Blockiert man diese Rezeptoren medikamentös, verwandelt sich auch die brave Präriewühlmaus in einen Partytiger und führt ein so ausschweifendes Leben wie ihre Verwandten in den Bergen. Auf ähnlich einfache Weise lässt sich die Bergwühlmaus in eine treue Partnerin verwandeln. Ferdinand von Schirach fragt sich deshalb, ob es aus sei mit der Romantik und den Gefühlen: «Kein Paradies mehr, keine Hölle? Nur zu viel oder zu wenig Hormone?»

Und mein Glücksgefühl in den Egnadiner Bergen – alles nur Chemie? In meinem Fall sind es Neurotransmitter im Gehirn, die Stimmung machen: Dopamin, Serotonin, Oxytocin und vor allem Endorphine. Sie werden bei körperlicher Aktivität freigesetzt und können ein Gefühl der Euphorie hervorrufen. Chcht – Chcht Chcht – definitiv Euphorie. Alles nur Endorphine?

Sind wir nur Chemiebaukästen auf zwei Beinen, hilflos unseren Hormonen ausgeliefert? Albrecht von Haller und Segantini – nichts als Neurotransmitter in Synapsen?

Nein, nein, das kann nicht sein. Erst kommt der Geist und dann die Hormone. Es war mein freier Entscheid, in diese Berge zu fahren, die Ski anzuschnallen und auf dem Schnee an diesen herrlich geschwungenen Bergflanken talwärts zu fliegen. Kein Wunder, werden dann Endorphine frei. Ich lebe grad, was ich in den Bildern von Segantini sehe und bei Albrecht von Haller gelesen habe.

Wenn Titans erster Strahl der Gipfel Schnee vergüldet
Und sein verklärter Blick die Nebel unterdrückt,
So wird, was die Natur am prächtigsten gebildet,
Mit immer neuer Lust von einem Berg erblickt

Das hat Albrecht von Haller 1729 in seiner epochalen Ode «Die Alpen» geschrieben. Es klingt zwar heute alt, es ist deswegen nicht weniger wahr. Warum mich diese Engadiner Berge so glücklich machen? Weil ich sie liebe. Ja, Glück und Treue und Hochgefühl – es ist alles eine Frage der Hormone. Aber manchmal, manchmal schaffen wir es, in den Chemiebaukasten einzugreifen und eine Pipette voll Glück zu erhaschen. Wir können es wenigstens versuchen.

Chcht – Chcht Chcht – herrlich!

Pontresina, 3. Februar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Einen eigentlichen Wochenkommentar gibt es diese Woche nicht, ich war in den Skiferien.

 

2 Kommentare zu "Glückshormone"

  1. Glücklich sein kann, wer sich selber ist:
    Ich bin, der ich bin.
    Du bist, wer Du bist.
    Wir sind, die wir sind.
    Mögen wir in unseren Herzen wohnen.
    Mögen wir unseren inneren Frieden finden.
    Mögen wir uns selbst genügen und glücklich sein.
    Mögen wir uns ganz, heil und wohl geborgen fühlen.
    Mögen wir unbeschwert und friedvoll unterwegs sein.
    Mögen wir aus und in Liebe leben.
    Wir sind, die wir sind.
    Du bist, wer Du bist.
    Ich bin, der ich bin.

    Zwei Dinge verleihen der Seele am meisten Kraft:
    Vertrauen auf die Wahrheit
    und Vertrauen auf sich selbst.
    Seneca

  2. Grüezi Herr Zehnder,
    „Chcht, Chcht, Chcht“.
    Mit welchem Genuss habe ich Ihre Zeilen aus dem wundervollen Oberengadin gelesen.
    Vor meinem geistigen Auge habe ich das Alpenpanorama um die so eindrückliche Berninagruppe in mir aufgesogen.
    Ihre begleitenden Ausführungen über uns als wandelnden Chemiebaukasten und über sowohl als auch Wühlmäuse, eröffnen einem den Zugang zu Ihren dort oben erlebenden Erfahrungen, was Glück bedeuten kann!
    Möge Ihnen jeder gelungene Schwung noch mehr Freude und Glückshormone bringen!
    Bei solch einem Überschwang an gelungenen Ferien darf auf eine grosse Nachhaltigkeit gehofft werden.
    Mit einem Blick gegen Osten zu von unserem Hausberg, d‘Chrischona, von wo aus gesehen Sie gerade jetzt sind eher ein Hügel, vermeine ich mit viel Fantasie die gleissenden Hänge Ihrer Abfahrten ausmachen zu können.
    Vermutlich auf der Piste wünsche ich Ihnen weitere, schöne Glückshormonausschüttungen, jeder Moment solch schöner Tage zählt.
    Schade nur, dass heute so Wenige an Ihrem Glück teilnehmen, anzunehmen auch auf einer Piste, sich ein Kommentar schlecht tippen lasse….

    Alles Gueti
    Ruedi Kitzmüller

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