Glück ist keine Glücksache
Was ist Glück? Für Goethe ist im «Faust» die Sache klar: Glücklich ist, wer zum «Augenblicke» sagt: «Verweile doch! du bist so schön!». Vermutlich würden sich die meisten Menschen dieser Definition anschliessen: Glücklich ist, wer am liebsten die Zeit anhalten würde. Das setzt allerdings voraus, dass man im Augenblick das Glück auch wahrnimmt. In ihrem Buch über das Altern schreibt Elke Heidenreich: «Mit zwanzig ist unser Herz unfertig und zagend, voller Sehnsucht nach Ichweissnichtwas, und wenn wir glücklich sind, spüren wir es nicht und wissen es erst hinterher, wenn das Glück verloren ist.»
Das ist vielleicht der grösste Vorteil des Alters: dass man (manchmal) das Glück erkennt, wenn es sich zeigt. Elke Heidenreich schreibt dazu, sie wisse heute, «dass das Glück kein Zustand ist, nach dem man verzweifelt suchen muss. Es ist immer nur ein Augenblick, und ich habe gelernt, ihn zu erkennen und zu geniessen.» Und was ist mit dem Glück des Lebens? Das setze sich, so Heidenreich, aus der Summe glücklicher Augenblicke zusammen. «Diesem Glück bin ich heute viel näher als damals, mit zwanzig.»
Dieser Satz geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Das Glück «ist immer nur ein Augenblick, und ich habe gelernt, ihn zu erkennen und zu geniessen.» Elke Heidenreich ist heute 81 Jahre alt und geniesst ihr Leben in vollen Zügen. Sie zitiert Astrid Lindgren: «Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern.» Deshalb lässt sich die Heidenreich auch nichts verbieten und hält es mit Keith Richards, dem Gitarristen der «Rolling Stones», der kürzlich seinen achtzigsten Geburtstag feierte und das Gitarrespielen immer noch geniesst. Und ein Glas Wein zum Essen.
Das Glück ist immer nur ein Augenblick und man muss lernen, ihn zu erkennen und zu geniessen. Ganz egal, ob beim Gitarre spielen, beim Klettern auf die Bäume, beim Blick in die Familienrunde oder beim Schreiben. Das bedeutet auch, dass Glück weniger damit zu tun hat Glück zu haben, als damit, fähig zu sein, es empfinden zu können. Glück ist also keine Glücksache, sondern eine Fähigkeit. Und das heisst auch: Glück ist Übungssache.
Mit diesen Zeilen grüsse ich Sie herzlich aus meinen Sommerferien. Mehr Wochenkommentar gibt es heute nicht. Dafür weise ich Sie gerne auf meine Sommerserien hin. In meinen Sommer-Buchtipps entführe ich Sie an spannende Orte auf der ganzen Welt. Die erste Folge führt uns auf die Trauminsel Capri. Die Krimis von Luca Ventura erlauben einen Blick hinter die glitzernde Fassade des Ferienparadieses. In den Fragebogeninterviews geben zudem Auslandskorrespondenten Auskunft über ihre Arbeit. In der ersten Folge lesen Sie, was Mirjam Mathis, TV-Korrespondentin von SRF für Frankreich, über die polarisierten Medien in unserem Nachbarland sagt.
Ich bedanke mich bei allen Unterstützerinnen und Unterstützern herzlich für Ihre Beiträge – Sie machen den Wochenkommentar weiterhin möglich.
Jetzt wünsche ich Ihnen, nein, nicht viel Glück, sondern viel Aufmerksamkeit für die glücklichen Momente.
5. Juli 2024, Matthias Zehnder; mz@matthiaszehnder.ch
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3 Kommentare zu "Glück ist keine Glücksache"
Möge ich mir selbst genügen und glücklich sein. Möge ich mich ganz, heil, wohl geborgen und frei fühlen. Mögen ich, du und wir alle von Herzen aus Liebe und mit Freude den Frieden leben.
Guete Morge Herr Zehnder
Jedes Wochenende fühle ich mich hingezogen Ihre jeweils aktuellen Themen entgegen zu nehmen und den Inhalt derer versuchen zu verstehen.
Als nicht auf höchstem akademischen Level Ausgebildeter ist es mir jeweils Aufgabe versuchen zu verinnerlichen, Ihren oft extensiven Ausflügen in höhere Sphären folgen zu können,
Jeweils folgende Kommentare widerspiegeln die verschiedenen Ansichten unserer Gesellschaft , welche nachvollzogen, jeweils in mir eingewisses Bedenken hinterlässt.
Oftmals wäre weniger darauf geantwortet mehr, als nur Zeilen darüber gefüllt zu sehen.
Brauche ich im gleichen Alter wie Frau Elke Heidenreich, noch Vorbilder für das weiter anstehende Leben, ich meine „Nein“!
Aber sehr wohl darf man Freude und Anerkennung anbringen, zu was man nicht mehr ganz so jung , noch fähig sein kann!
Für jüngere, nachfolgende Generationen, es lohnend sein kann, mit Ihrer Lebenserfahrung und Haltung sich auseinander zu setzen.
Nahe Erfahrungen uns aufzeigen, wenn einen im Alter von Tragik begleitet, Kraft, Wissen und Einsicht beginnen verlassen!
Die in allen Lebenslagen um sich greifenden KI uns alle beginnt zu überrollen, lässt die eigene Intelligenz als Sandkörnli erscheinen,.
Muss man denn daran zweifeln, ein halbes Jahrhundert zu früh dem Leben begegnet zu sein?
Ich nenne es für mich“ Glück“ in den letzten 50 Jahren des vergangenen Jahrhundert eine Familie mit Kindern gehabt und grossgezogen zu haben,
Frieden, Wohlstand und Zuversicht uns als Selbstverständlichkeit begleitet haben.
„Glück“ kann man der ganzen Erdengemeinschaft wünschen, wenn man der täglichen Informationsflut Glauben schenken darf.
Vor 10 Jahren wusste ich nicht, was der Ausdruck „Fake News“ nach heutigem Standard für eine Bedeutung hatte.
Ihnen Herr Zehnder wünsche ich schöne, erholsame Ferien um folgend uns mit viel Kraft, Wissen und „Intelligenz“ weiter erfreuen zu können.
Ruedi Kitzmüller-Rudin
Momente des Glücksgefühls sind wie Wellen auf dem Wasser, schön und nicht festzuhalten. Es gibt noch ein tieferes Glück, das wenig von den äusseren Umständen abhängt. Das Glück des inneren Friedens, der Dankbarkeit, des Eins-seins mit sich selber und der Welt, egal wie unvollkommen. Es ist der stille Hintergrund, vor dem sich alles in unserem Leben abspielt. Auch dieses tiefere Glück gilt es zu entdecken und es bewusst, aber entspannt, zu nähren.