Was Franz Kafka uns heute zu sagen hat

Publiziert am 23. Februar 2024 von Matthias Zehnder

Am 3. Juni ist es hundert Jahre her, dass Franz Kafka gestorben ist. 2024 wird deshalb zu einem Kafka-Jahr: In einer ganzen Reihe neuer Bücher, in Ausstellungen, Theateraufführungen und Veranstaltungen wird an den vielleicht bekanntesten deutschsprachigen Schriftsteller erinnert. Darunter «Ein Kafka-Projekt» am Theater Basel, eine grelle, laute Tanzperformance. Ich hab mir die Aufführung angeschaut und war abgestossen von der Lärmigkeit dessen, was da auf der Bühne geboten wurde. Franz Kafka schrieb klar und mit poetischer Präzision. Als Jugendlicher habe ich seine Bücher geliebt, vor allem die kurzen Erzählungen. Seinen schwarzen Humor, seine lakonische Art, die rätselhaften Gleichnisse. Ich fand in seinen Texten jenes Gefühl der Fremdheit und Verlorenheit, das ich als Jugendlicher intensiv erlebte und bis heute aus Träumen kenne. Aus Ärger über das Kafka-Projekt im Theater Basel habe ich mich noch einmal in die Texte von Franz Kafka vertieft und mich gefragt: Was hat Kafka uns heute zu sagen?

Franz Kafka kam am 3. Juli 1883 in Prag als erstes Kind des jüdischen Kaufmanns Hermann Kafka und seiner Frau Julie zur Welt. Zeitlebens war er ein Aussenseiter. Als Jude im katholischen Prag, als Künstler in einer Kaufmannsfamilie, als Deutschsprachiger in Tschechien. Er studierte Jura, nicht weil ihn dieses Fach besonders anzog, sondern weil er glaubte, es nebenher erledigen zu können und er dadurch nicht beim Schreiben beeinträchtigt würde. Das Schreiben war es, was ihn wirklich anging, nichts anderes. So beschreibt es Rüdiger Safranski in seinem soeben erschienen Buch über Franz Kafka und sein Schreiben. Kafka selbst schrieb 1913 an seine Verlobte Felice Bauer: Ich habe kein litterarisches Interesse sondern bestehe aus Litteratur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.

Nach dem Studium arbeitet er als Jurist bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt und macht ganz eigentlich Karriere: In kurzer Zeit steigt er vom Aushilfsbeamten zum Obersekretär auf. Safranski schreibt, Kafka habe sich wegen der günstigen Dienstzeit bei der Versicherung beworben: 8 bis 14 Uhr. Daneben, so hoffte er, würde er genügend Zeit haben für das Schreiben. Er schreibt abends und vor allem nachts. 1917 erlitt er einen Blutsturz. Der Arzt diagnostiziert eine Lungentuberkulose. 1918 infiziert er sich mit der Spanischen Grippe. Sein Zustand wird schlechter. 1924 greift die Tuberkulose den Kehlkopf an. Er kann nicht mehr sprechen, bald auch keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Am 3. Juni 1924 gegen Mittag stirbt Franz Kafka im Alter von 41 Jahren in einem Sanatorium in der Nähe von Wien.

Einer der meistgelesenen Autoren der Welt

Zu Lebzeiten war Kafka kaum bekannt. Er selbst schrieb sich immer wieder in Extase – nur um danach dem eigenen Werk zu misstrauen. Kafka litt unter Selbstzweifeln. Er beauftragte deshalb seinen Freund Max Brod damit, seinen gesamten Nachlass zu verbrennen. Doch Brod setzte sich über das Testament hinweg und veröffentlichte die Texte, alle, auch die Unfertigen, ja sogar die Tagebücher. Heute ist Kafka einer der meistgelesenen Autoren – und zwar nicht der deutschen Sprache, sondern der ganzen Welt. Er ist mittlerweile wohl auch der am meisten kommentierte Autor der Welt. Rüdiger Safranski schreibt deshalb, Kafkas Werk drohe «unter den Deutungen fast zu verschwinden».

Der hunderste Todestag von Kafka führt 2024 zu einer ganzen Flut von Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen rund um Kafka. Ein Beispiel dafür ist «Ein Kafka-Projekt», das derzeit im Schauspielhaus Basel läuft. Die israelische Regisseurin und Choreographin Saar Magal setzt sich in szenischen Bildern zwischen Tanz und Schauspiel mit zentralen Motiven von Kafka auseinander: mit der Anfangsszene von «Der Prozess», als Josef K. ohne etwas Böses getan zu haben im eigenen Schlafzimmer verhaftet wird. Mit der Relativität der Realität. Und natürlich mit der Verwandlung von Gregor Samsa, der sich eines morgens, als er «aus unruhigen Träumen erwachte» in seinem «Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt» findet. Es sind Szenen, die präzis jene Beklemmung schildern, wie ich sie als Jugendlicher immer wieder empfunden habe.

Pochende Elektrobeats und Videogame-Ästhetik

Ich war deshalb gespannt darauf, wie das Theater Basel dieses Gefühl auf die Bühne bringt – und wurde bitter enttäuscht. Was Kafka in zurückhaltenden, klaren Worten beschreibt, hatte das Theater in eine lärmige Performace verwandelt. Tänzer kletterten zu pochenden Elektrobeats an übergrossen Aktenschränken herum. Kafkas innere Bilder wurden in plakative Szenen mit der Ästhetik eines Videogames übersetzt. Kafkas Sprache war reduziert auf einzelne Sätze, sprachliche Versatzstücke, eingestreut zwischen zuckende Leiber tanzender Schauspieler, zur Hälfte auch noch auf englisch. Kafka als kakophonischer Videoclip.

Theater Basel: Ein Kafka-Projekt. Schauspiel nach Franz Kafka. Konzept & Inszenierung: Saar Magal

Ich war enttäuscht und verärgert. Wie kann man nur so grob umgehen mit der Poesie von Kafka? Wie kann man die Traumbilder aus seiner inneren Welt herausreissen, auf eine Bühne zerren und so plakativ und laut darstellen? Mit meinen Freunden konnte ich darüber nicht diskutieren. Sie haben nur gelacht und gesagt, dass ich alt würde. Theater müsse halt manchmal laut sein, sonst erreiche es die jungen Menschen nicht mehr. Die Videoclip-Ästhetik sei doch zeitgemäss. Dieser Strom von Bildern, Stimmen und Bewegungen – so würden junge Menschen Kafka halt heute erleben.

Kafkas Schnörkellose Sprache

Ich bin anderer Meinung. Es kann doch nicht sein, dass Theater nur noch aus Performance besteht. Für mich ist Schauspiel Sprache, Dialoge, eine Geschichte, so absurd sie auch sein mag. Hat das Theater das Vertrauen in die Sprache und ins Narrative verloren? Warum? Können Kafkas Texte im Jahr 2024 nicht mehr bestehen? Sind sie zu leise, zu langsam, zu alt, zu reizlos? Erreichen sie die reizüberfluteten Gehirne von uns heutigen Menschen nicht mehr? Nach dem Besuch der Aufführung im Theater Basel habe ich seit langem wieder einmal intensiv Kafka gelesen und mich gefragt, was er uns heute zu sagen hat.

Kafka ist heute vielleicht der einzige deutschsprachige Weltliterat. Seine Sprache ist schnörkellos. Dass die Texte über hundert Jahre alt sind, merkt man kaum oder höchstens an einzelnen Wörtern. Warum ist das so? Ich glaube, es liegt daran, dass Kafka nicht die äussere Welt abbildet, sondern Geschichten und Gleichnisse aus der inneren Welt erzählt. In dieser inneren Welt sind wir alle allein. Jeder erlebt sie für sich, seine Träume und Alpträume, die Gefühle und Ängste. Als Teenager hatte ich das Gefühl, ich sei der einzige, der sich fremd fühle in der Welt und Angst habe, sich in dieser Fremdheit zu verirren. Kafka war eine Offenbarung: Er schrieb, was ich empfand. Ich war nicht mehr allein mit meinem Gefühl des Alleinseins.

Gemeinsam sind wir weniger allein

Das ist das Paradoxe an den Texten von Kafka: Die Fremdheit, die er beschreibt, ist uns allen vertraut. Er schreibt vom Alleinsein, das wir alle empfinden, deshalb trösten gerade seine düsteren Texte. Weil er eine innere Welt beschreibt, die keinem anderen zugänglich ist, nur jedem für sich, sind seine Texte universell.

Es ist diese Fremdheit und Entfremdung, die er beschreibt, die seine Texte so aktuell machen. Als Teenager habe ich mich vor mir selber fremd gefühlt. Heute sehe ich in seinen Texten jene Entfremdung mit der Welt, die ich empfinde. Mit der Welt, die uns umgibt: die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Hyperglobalisierung und ihre Folgen, die beschleunigte Medialisierung … Natürlich schreibt Kafka nicht konkret davon. Er beschreibt aber präzise das Gefühl, nicht dazuzugehören. Wobei das falsch ausgedrückt ist. Er beschreibt das Gefühl nicht, er stellt es dar und lässt es entstehen. Ein Beispiel dafür ist eine ganz kurze Erzählung aus dem Nachlass. Titel: «Gibs auf!»

«Gibs auf!»
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, daß es schon viel später war als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: «Von mir willst Du den Weg erfahren?» «Ja», sagte ich, «da ich ihn selbst nicht finden kann.» «Gibs auf, gibs auf», sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.
Franz Kafka: Sämtliche Erzählungen. S. Fischer-Verlag: Frankfurt am Main, 1970; S. 358

Spüren Sie es auch? In mir entsteht beim Lesen dieses Textes diese unbestimmte Verzweiflung, die ich aus Träumen kenne, wenn ich die Türen nicht mehr finde und die Beine mir nicht gehorchen wollen. Ich bin unter Zeitdruck. Der Schreck über die Entdeckung, dass es schon viel später ist, als ich dachte, lässt mich unsicher im Weg werden. Das kenne ich gut. Ich verschätze mich oft in der Zeit. Das macht unsicher. Ich habe das Gefühl, alle anderen auf der Strasse haben die Zeit im Griff und kennen ihren Weg. Nur ich nicht. Also fragt das Ich in der Geschichte einen Schutzmann nach dem Weg. Ich lese diesen Schutzmann weniger als Vertreter einer Obrigkeit, denn als Vertreter der Gesellschaft, ein formalisierter Vertreter des Orts, in dem ich mich befinde. Dieser Schutzmann gibt mir keine Auskunft, sondern wendet sich ab wie jemand, der mit seinem Lachen allein sein will. Er schliesst mich also nicht nur von der Auskunft aus, sondern auch von seiner emotionalen Reaktion auf meine Frage. Er lässt mich stehen.

Formal perfekt

Die kleine Erzählung beinhaltet alles, was ich an Kafka liebe. Sie ist formal perfekt komponiert. Zum Beispiel nimmt die Zeichensetzung im ersten Teil die Atemlosigkeit im Angesicht des Schutzmanns vorweg. Vom Moment an, da das Ich die Zeit von der Turmuhr abliest, bis zum Moment, da das Ich den Schutzmann fragt, sind die Sätze nicht durch Punkte unterteilt, sondern nur mit Kommata – die Atemlosigkeit stellt sich, lange bevor das Wort fällt, schon beim Lesen ein:

Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, daß es schon viel später war als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg.

Poetische Präzision

Der Schutzmann fragt zurück: Von mir willst Du den Weg erfahren? Die Satzstellung betont das «von mir». Ginge es nicht um den Schutzmann, sondern um den Weg, würde der Satz anders lauten. Etwa: Den Weg willst Du von mir erfahren? Oder: Du willst den Weg von mir erfahren? Dem Schutzmann geht es also nicht darum, was das Ich fragt, sondern wen es fragt. Das spiegelt genau diese Unsicherheit, die wir aus Träumen kennen und die uns manchmal auch in der realen Welt befällt: Aus unserer Sicht ist es doch logisch, dass wir den Schutzmann nach dem Weg fragen. Wenn der aber ungläubig zurückfragt, warum wir ausgerechnet ihn fragen, dann bedeutet das, dass es eine Gewohnheit oder eine Regel gibt, die uns fremd ist. Dadurch, dass der Schutzmann in seiner Rückfrage «von mir» betont, stellt sich beim Lesen jene eigentümliche Fremdheit ein, die wir auch heute angesichts einer verrückten Welt immer wieder empfinden. Auch hundert Jahre nach seinem Tod sind die Texte von Kafka deshalb so aktuell.

Das Werkzeug, das Kafka dafür benutzt, ist die Sprache: Er setzt sie mit poetischer Präzision ein. Deshalb hat mich das grelle und laute Kafka-Spektakel des Theater Basel so gestört: Kafka vertraut auf eine leise Sprache und es geht ihm um eine innere Welt. Verzückter Tanz und lärmige Musik decken diese Sprache zu.

Wenn Sie sich mit Franz Kafka beschäftigen möchten, dann greifen Sie zu seinen Texten. Auch und gerade im 100. Todesjahr. Als Einstieg empfehle ich Ihnen seine Erzählungen. Einige davon sind, wie «Gibs auf!», nur wenige Zeilen lang. Etwa «Zum Nachdenken für Herrenreiter». Kafka beginnt mit dem Satz: Nichts, wenn man es überlegt, kann dazu verlocken, in einem Wettrennen der erste sein zu wollen. und erklärt dann mit absurder Logik, warum es besser ist, zu verlieren. Es sind Erzählungen, die sich einem einprägen. Wie die Bilder eines starken Traums. Und wie jene lassen sie sich kaum fassen, bleiben rätselhaft. Das Gefühl der Absurdität und der Fremdheit, das sie vermitteln, trifft mich auch heute präzis ins Herz. Also: Lesen Sie Kafka!

Basel, 23. Februar 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

Bild: KEYSTONE/IBA-ARCHIV/Str

Portrait des Schriftstellers Franz Kafka (1883-1924), undatierte Aufnahme.

Ein Kafka Projekt: https://www.theater-basel.ch/de/einkafkaprojekt

Kafka, Franz: Sämtliche Erzählungen. S. Fischer-Verlag: Frankfurt am Main, 1970

Kafka Festival 2024: https://kafka2024.de/

Leben im Labyrinth – Wie wurde Franz Kafka zum Weltliteraten? SWR2 Forum, 12.1.202, https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/leben-im-labyrinth-wie-wurde-franz-kafka-zum-weltliteraten-swr2-forum-2024-01-12-100.html

Safranski, Rüdiger: Kafka. Um sein Leben schreiben. Hanser: München 2024

5 Kommentare zu "Was Franz Kafka uns heute zu sagen hat"

  1. Ihre folgenden Zeilen bestätigen mich mit meiner Ansicht zu den heutigen Theaterdarbietungen:
    «Ich war enttäuscht und verärgert. Wie kann man nur so grob umgehen mit der Poesie von Kafka? Mit meinen Freunden konnte ich darüber nicht diskutieren. Sie haben nur gelacht und gesagt, dass ich alt würde. Theater müsse halt manchmal laut sein, sonst erreiche es die jungen Menschen nicht mehr.
    Ich bin anderer Meinung. Es kann doch nicht sein, dass Theater nur noch aus Performance besteht. Für mich ist Schauspiel Sprache, Dialoge, eine Geschichte, so absurd sie auch sein mag. Hat das Theater das Vertrauen in die Sprache und ins Narrative verloren?»
    Das Theater ist in der Krise. Überall. Die «Alten» gehen nicht mehr in die Theater, da die Aufführungen abends stattfinden; dann wenn in den Kernstädten (wo sich die Schauspielhäuser befinden) Gewalt herrscht, Diebstahl und Schlägereien an der Tages/Nachtordnung sind, so dass sie nicht mal mehr eine Zeitungsnotiz wert sind.
    Auch kann man nicht mehr, wie in gehobenen und edlen Theatergängerkreisen usus, vom Elitevorort, den Speckgürteln der Städte mit den Wagen (meist germanische Oberklassenmodelle) vorfahren, sie unbeschadet stehen lassen ohne Ärger, Fahrverbote oder Halteverbote zu kassieren.
    Die so umworbene «Jungen», gelockt mit Performancen wie im Zirkus, mit E-Beats und Techno (schon wieder «out») kommen ei der Daus trotzdem nicht. Trotz Gratis-Tickets die überall in den Schulen rumliegen, trotz Gratis-App-Tickets, trotz Gratis-ÖV-Hin-und Rückfahrt. Das Angebot für «Junge» ist vom Sportclub bis zur Rapgang, von Alternativkultur bis Clubkultur usw… zu vielfältig, die ehrwürdigen städtischen Stätten zu besuchen.
    So verliert das Theater «doppelt»: Die reiferen Besucher mit Grell-Schrill-Laut-Pervers, mit Performancen von Nacktheit bis Geschlechtsakten auf Bühnen (Zürich). Die Schauspielenden können oft gar kein Deutsch mehr, kommen von allen Herren Ländern nur nicht aus dem «D,A,CH»-Raum mehr. Da bleibt nicht viel anders als Zirkusartistik, Pantomime und nackte Zuckungen. Wie kann das wohl noch mehr ins uferlos-crazyhafte gesteigert werden….
    Schade um all das, was hier und jetzt europaweit verloren geht.
    Aber wissen Sie was: Das ist alles egal. Gefördert werden die Theaterhäuser eh denn je. Gehört einfach dazu. Doch wie lange noch? Die viel zu grossen Säle bleiben leer wie die Säle unserer Kirchen. Die Mehrheit sass noch nie im Theater. Die Mehrheit der Bevölkerung ist 2024 erstmals «konfessionslos».
    Kirchen unbesetzt, Predigen für leere Bänke. Theater für Theaterintendanten ohne störendes Publikum. Und der Steuerzahler unterstützt ungefragt. Wann kommt die Änderung. Denn so kann es auf Dauer nicht mehr weitergehen….

    1. Solcherart Inszenierungen scheinen mir Systeme zu spiegeln, die in Tat und Wahrheit bereits kollabiert sind. In meinen Gedanken pendle ich mehr denn je zwischen einerseits einer Welt, die noch ist, aber nicht mehr wird sein können … und anderseits einer Welt, die sein wird, aber noch nicht ist. Zwischen Angst und Freude. Zwischen Trauer und Hoffnung. Einfach ist es nicht. Und manchmal todlangweilig: verbunden mit dem Gefühl, dass nichts mehr geht.

    2. Immer gleich das Kind mit dem Bad ausschütten, was? Nur weil ich eine Inszenierung kritisiere, heisst das nicht, dass das ganze Theater, die Innenstadt und überhaupt die Kultur schlecht sind.
      Die «Alten» gehen nicht ins Theater, weil es ihnen nicht gefällt. Mit Kriminalität hat das nun wirklich gar nichts zu tun. Schauen Sie sich doch mal die Statistik an. Wenn Sie möchten, können Sie problemlos mit dem Auto ins Theater fahren. Da hat es nämlich ein Parkhaus. Und hundert Meter weiter liegt das Credit-Suisse-Parkhaus. Auch kein Problem.
      Die Schauspielenden können natürlich deutsch, viele sind auch Schweizer. Anders ist es allenfalls bei den Tänzern und bei den Sängern.
      Der Steuerzahler unterstützt nicht ungefragt, das Kulturbudget ist jedes Jahr Teil der Budgetdebatte im Grossen Rat und manchmal (siehe Trinkgeldinitiative) auch in Abstimmungen.
      Ich persönlich kann mit einigen aktuellen Inszenierunegn am Tehater Basel nichts anfangen, aber das heisst doch nicht, dass das Theater, die Kultur und die ganze Stadt vor die Hunde gehen.

  2. Mein Kommentar war diesmal international gestrickt. Kein Wort von Basel sondern europaweit gesehen sind die klassischen Bühnen mit Problemen behaftet. Ich bleibe dabei: Europaweit ist es in den Kernstädten abends nicht mehr so gemütlich. Wenn in Berlin wiederum ganze Clans aufeinander gingen, ganze Quartiere abgeriegelt werden mussten, die Notaufnahme noch mit bewaffneten Polizisten bewacht werden musste, sonst gehen sogar im Krankenhaus die Verletzten mit Schusswaffen aufeinander, die Schulen bewacht werden müssen, sonst klicken die Messer ist dies alles für die „normale“ Agglo-/Landbevölkerung nicht sehr einladend und eher abschreckend. Aber ich glaube, das klassische Konsum-Theater darbt auch deshalb, weil die Europäer „statt“ sind. Dieser interessante Denkansatz lässt mich nicht mehr los. Den ganzen Tag konsumieren sie ab Handy und Computer. Im Büro wird konsumiert, ab Radio oder TV. Für was hat man noch seine Hände 2024. Interaktiv ist das Zauberwort an jedem Workshop, bei jedem Vortrag und auch bei vielen Alternativ-Theatern. Ja, es gibt zu viel Alternativen – und da meine ich jetzt nicht nur Sportclub oder Tanzverein….
    Jetzt komme ich auf die Region Basiliensis: Gerade neulich wurde im wirklich Oberen-10’000-Dorf Arlesheim für 16 Millionen Franken das neue Kulturhaus „Setzwerk“ eröffnet. Anstatt wie geplant eine begrünte Fassade erhielt es eine goldene Bling-Bling-Fassade (welche sich im Sommer aufheizt), welche aber die Schönen und Reichen anlockt wie die Motten das Licht. Inkl. Gratis-Parking – die 5 Minuten Heimfahrt auf die Arlesheimer Hügel ist gesichert. Die Agglo rüstet also auf, Geld ist dort genug vorhanden. Ein paar Meter weiter, um bei diesem Beispiel zu bleiben steht das „Neue Theater Dornach“ – mit interessanten Darbietungen (Born/Preussler). Ein paar Schritte weiter die Theaterbühnen am Goetheanum…
    und und und….
    Und nicht zuletzt die Sichtweise von U. Keller. In seinen zwei Kommentaren zeigt er uns auf fabelhafte Weise vor, was in Ihm vorgeht. Ja – dies geht nicht nur Ihm so. Doch formulieren in seiner schöpferischen, kompnierenden Sprache kann es nur er so gut….
    Vielschichtig sind also die Gründe, wie das Leben – und hoffentlich auch bald mehr wieder die ganze Theaterwelt…..

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