Leben wir in einer Filterblase? Natürlich!

Publiziert am 2. Dezember 2016 von Matthias Zehnder

Seit der überraschenden Wahl von Donald Trump geistert ein Wort durch die Medien: «Filterblase». Der Vorwurf: Soziale Netzwerke sorgen mit ihren Algorithmen dafür, dass die Benutzer über kurz oder lang nur noch Nachrichten sehen, die ihnen gefallen. Auch wenn das so radikal in der Schweiz (noch) nicht stimmt – die Entwicklung geht in diese Richtung. Was das bedeutet – und wie Sie die Filterblase aufstechen können.

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Öffnen Sie einmal einen Webbrowser, starten Sie Google und suchen Sie nach etwas. Zum Beispiel nach «Afghanistan» oder «Wasser». Nachdem Sie die Eingabetaste gedrückt haben, zeigt Ihnen Google die Suchresultate. Die Seite, die Sie sehen, stellt Google speziell für Sie zusammen. Es gibt die Seite nicht, bevor Sie Google benutzt haben und es gibt sie nicht mehr, nachdem Sie sie verlassen haben. Google generiert die Seite ganz allein für Sie.

Auch wenn Sie sich nicht bei Google einloggen, erhebt Google dafür Dutzende Merkmale. Ort, Sprache, Browser, Computertyp, Zeit, Schreibgeschwindigkeit, Browserhistory und viele mehr. Auf der Basis dieser Angaben (oder, wenn Sie sich bei Google einloggen, auf der Basis all Ihrer Suchanfragen) stellt Google Ihnen eine Seite zusammen. Auf dieser Seite sind die Ergebnisse für jeden Benutzer etwas anders sortiert. Das Problem ist das Kriterium, das Google dabei verwendet: die Relevanz.

Relevant – für wen?

Jetzt sagen Sie vielleicht: Relevanz heisst Wichtigkeit, das ist doch super, Google sortiert mir die Ergebnisse nach ihrer Wichtigkeit. Schon. Bloss sortiert Google die Ergebnisse nicht nach ihrer Wichtigkeit, sondern nach Ihrer Wichtigkeit: Google versteht unter Wichtigkeit nämlich nicht die Bedeutung eines Ergebnisses für die Welt, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf ein Ergebnis klicken – also die Bedeutung, die ein Ergebnis für Sie hat.

Wenn Sie eine Weile nach Ferien in Aegypten gesucht haben, werden Sie auf Ihren Resultateseiten vor allem Ferienangebote finden. Wenn Sie sich mit den Muslimbrüdern, mit dem Regime von Abd al-Fattah as-Sisi oder mit Foltervorwürfen beschäftigt haben, werden Sie ganz andere Suchresultate sehen. Das heisst auch: Wenn Sie sich für Ferien interessieren, werden sie mit der Zeit die politische Seite von Aegypten nicht mehr zu Gesicht bekommen. Genau das ist das Problem: Google stellt die Sucheresultate so zusammen, dass Sie nur noch jene Welt sehen, die Sie suchen.

Das Problem der Filterblase

Als erster hat der amerikanische Autor Eli Pariser dieses Phänomen untersucht und in einem viel beachteten Vortrag kritisiert. Filterbubble nennt Pariser diese von Algorithmen nach den Vorlieben der Benutzer zurechtgefilterten Welt, also Filterblase. Sie kommt überall da zum Tragen, wo Computerprogramme Resultate so auswählen, dass die Klickrate steigt, dass also die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass ein Benutzer auf ein Resultat klickt. Nach diesem Prinzip funktioniert nicht nur Google, sondern auch Facebook: Die Plattform wählt für ihre Benutzer die Nachrichten so aus, dass sie eine möglichst relevante Auswahl sehen – und das heisst eben: dass sie möglichst häufig Nachrichten anklicken.

In einem geteilten Land wie den USA hat dieses Prinzip verheerende Folgen: Linksliberale sehen nur noch linksliberale Nachrichten, Konservative nur noch konservative. Das Wall Street Journal hat eine Seite aufgeschaltet, auf der diese beiden Feeds zu sehen sind: Links der liberale Feed, rechts der Konservative Feed. Die beiden Nachrichtenstränge spiegeln zwei völlig verschiedene Welten. Links wird Trump kritisiert, rechts gefeiert. Links kommt Bernie Sanders zu Wort, rechts Sarah Palin. Rechts wird General James Mattis als neuer Verteidigungsminister gefeiert, links ist die Rede von General James Mattis als einem Kandidaten für das Verteidigungsministerium, für den der Kongress ein Gesetz ausser Kraft setzen muss, das Militärangehörige erst sieben Jahre nach Verlassen des Dienstes als Kandidaten zulässt.

Jetzt könnte man einwenden, dass wir alle immer schon in unserer eigenen Blase gelebt haben. Die Welt eines Professors unterscheidet sich erheblich von der Welt eines Lastwagenfahrers, eine Managerin lebt in einer komplett anderen Welt als eine Winzerin. Und: Journalisten leben meistens anders als ihre Leserinnen und Leser. Man könnte auch auf die Philosophie zurückgreifen, auf den radikalen Konstruktivismus, und sagen: Es gibt keine Realität an sich, es gibt nur wahrgenommene Realität. Und die Wahrnehmung ist von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich.

Der Norden muss nicht oben sein

Das stimmt. Denken Sie nur an die Weltkarte. Wir sind uns gewohnt, dass der Norden auf der Weltkarte oben ist und der Süden unten und dass die Welt auf der Weltkarte so ausgerichtet ist, dass die Schweiz oben und fast genau in der Mitte liegt, weil der 0-Meridian durch Greenwich verläuft. Das heisst auch: Afrika und Südamerika sind unten. Wie würden wir die Welt wahrnehmen, wenn der Süden oben wäre? Der Australier Stuart McArthur hat sich an den normalen Weltkarten so gestört, dass er eine gesüdete Weltkarte kreiert hat, auf der der Nullmeridian nicht durch Greenwich, sondern durch Canberra verläuft. Auf diese Weise liegt Australien oben und genau in der Mitte der Welt. Das kommt uns sehr fremd vor – unter anderem, weil es die Schweiz stark relativiert.

Auch in der realen Welt leben wir also in einer Blase. Was ist also schlimm daran, wenn Google, Facebook und Co. auch für Blasenbildung sorgen? Es sind drei Gründe:

  1. Google und Facebook fragen Sie nicht. Die Onlineangebote wenden einen geheimen Algorithmus an. Sie wissen letztlich nicht, warum sie online sehen, was sie sehen.
  2. Es gibt keine Möglichkeit, auf Google oder Facebook dem Filter zu entgehen. Ziel der Seiten ist es, uns möglichst gut zu gefallen – und das machen sie, indem sie uns möglichst viele Dinge zeigen, an denen wir Gefallen finden.
  3. Weil immer mehr Onlineangebote auf ähnliche Regeln zurückgreifen wie Google und Facebook, wird es immer schwieriger, die Filterblase aufzustechen.

In den klassischen Medien war das anders. Wenn Sie durch eine Zeitung blättern oder durch die Fernsehprogramme zappen, stossen Sie unweigerlich auf Inhalte, die Sie eigentlich nicht interessieren, die Sie aber vielleicht dann doch konsumieren. Im Fachjargon heisst dieser Effekt Serendipity, auf Deutsch am einfachsten übersetzt mit über die Ränder lesen. Sie blättern durch eine Zeitung auf der Suche nach der Wissenschaftsseite und lesen dann im Vorbeiblättern etwas über den Zibelemärit, über die Probleme der Tessiner mit Grenzgängern, über das MCG in Genf. Online spielt dieser Effekt viel weniger stark, weil sie sehr viel direkter und gezielter auf Ihr Ziel zusteuern können. Doch in vielen Ländern sind die Sozialen Medien bereits die wichtigere Nachrichtenquelle als die Zeitungen.

Tipps gegen die Filterblase

Was können Sie tun, um aus Ihrer Filterblase auszubrechen? Drei konkrete Tipps:

  • Lesen Sie ab und zu gezielt Publikationen vom gegenüberliegenden politischen Spektrum. Wenn Sie sich eher rechts verorten, lesen Sie also die «WoZ», wenn Sie sich eher links verorten, lesen Sie die «Weltwoche» (oder die «BaZ»).
  • Konsumieren Sie kontroverse Diskussionen. Im Schweizer Fernsehen zum Beispiel die «Arena» oder den «Club» – und zappen Sie nicht weg, wenn Ihnen ein Diskutant auf den Wecker geht.
  • Erfrischend ist auch zu erfahren, wie ausländische Medien über die Schweiz berichten. Dazu müssen Sie nicht einmal unbedingt ausländische Zeitungen lesen. Hören Sie «Newstalk» auf SRF4News, da erfahren Sie, was ausländische Korrespondenten, die in der Schweiz arbeiten, von aktuellen Politfragen der Schweiz halten.

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Aus der Filterblase zu treten heisst nicht, keine Meinung und keine Haltung mehr zu haben. Es heisst, sich mit anderen Perspektiven zu konfrontieren – und nur schon damit jenen Menschen Respekt zu zollen, die anderer Meinung sind. Denken Sie daran: Der Süden könnte auch oben auf der Karte sein.

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4 Kommentare zu "Leben wir in einer Filterblase? Natürlich!"

  1. Ciao Matthias. Wie funktioniert das Ganze, wenn man vor die Google-Suchmaschine noch Startpage oder andere Suchmaschinen schaltet, die die Suchanfragen nicht speichern? Dann müssten ja eigentlich die Suchergebnisse breit gestreut und nicht zensiert sein.
    Herzliche Grüsse

  2. Als ich den Wochenkommentar, „ob wir in einer Filterblase leben“ zu lesen begann, dachte ich, gerade in der Regio Basel leben viele in einer Filterblase. Viele lesen bloss die Zeitungen, welche auf der eigenen Meinungsschiene fahren. Im Cafehaus ist z.B. eine „BaZ“ frei, die zwei „BZ“ sind besetzt. Dem eintretenden Gast wird die „BaZ“ angeboten, doch er schnauzt die Bedienung an: „Die liest man nicht“. Mit rotem Kopf wartet er beim Cafe-Latte gierig, bis eine „BZ“ frei wird….. ODER UMGEKEHRT… Leute also, die bloss Meldungen im Blatt sehen wollen, die Ihnen genehm sind, die in ihr festbetoniertes Weltbild passen.
    Als ich den Wochenkommentar zu lesen begann, dachte ich schon bei den ersten Zeilen, man sollte die Bevölkerung anregen, einmal zum ungewohnte Printprodukt zu greifen. Wie erfreut war ich, als M. Zehnder selbst zu empfehlen begann:
    >>Lesen Sie ab und zu gezielt Publikationen vom gegenüberliegenden politischen Spektrum. Wenn Sie sich eher rechts verorten, lesen Sie also die «WoZ», wenn Sie sich eher links verorten, lesen Sie die «Weltwoche» (oder die «BaZ»).<<
    Dem kann man nur beipflichten. So kommt man einem Blick von oben näher. Ergänzend beizufügen bleibt höchsten noch, die Auswahl zu erweitern: Nicht bloss die "WoZ", auch die "Tageswoche", "BZ", "Tagi" sowie die gesamte Wanner und Ringier-Presse sind eher der grossen linken Auswahl zuzuordnen, während dem nationalkonservativen Medien-Spektrum der Schweiz bloss die "Weltwoche" und teilweise die "BaZ" bleibt.
    Das Gewinner-Fazit: Eine Gesamtschau braucht mehr Zeit – bringt einem aber weiter als bloss die Tagesschau… Pluspunkt dazu: Lesen macht keinen Lärm.

  3. Ist die Suchmaschine „startpage.com“ an Stelle von Google eine Lösung? Ich hoffe es. Hier der Wikipedia-Eintrag von Startpage:
    „Startpage generiert seine Treffer auf der Datenbasis von Google, verwendet jedoch zur Trefferselektion eigene Such- und Rankingalgorithmen. Entsprechend sind die Suchergebnisse durch das fehlende User-Tracking nicht personalisiert, es wird keine IP-abhängige Filterung vorgenommen (siehe Filterblase) und die angezeigten Treffer werden nicht an bereits vorher getätigte Suchanfragen angepasst.“
    Ich weiss, dies ist kein Kommentar, aber eventuell eine Hilfe.

  4. Über die Aufklärung in Sachen Filterblase bin ich sehr dankbar. Facebook, Twitter & Co waren mir von Beginn weg total suspekt. Als regelmässiger Google-Nutzer war mir aber die Wirkung der Filterblase nicht bewusst, die mir nach dem Motto „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut“ vorkommt wie eine infame geistige Entmündigung.
    Geplatzt ist bei mir dafür schon länger die Schweizer Blase, die ich oft sowohl von Aus- als auch von Inländerinnen und Inländern in und ausserhalb der Schweiz aufgepustet erfahre – nach dem Motto: Ihr seid/wir sind die demokratischsten und mitbestimmungsfreundlichsten Bewohnerinnen und Bewohner dieser Erde.

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