Fair Work statt nur Fair Trade
Wir kennen Label für alles mögliche: für Eier von glücklichen Hühnern, für Fleisch von freilaufenden Kälbern und für gesund produzierte Tomaten und Äpfel. Wir kümmern uns um Soja in Südamerika, um faire Preise für Kaffeebauern in Kolumbien und gerechte Arbeitsbedingungen in den Minen Afrikas. Bloss um die Schweizer Arbeiter kümmern wir uns nicht. Das muss sich ändern. Arbeit könnte in vielen Branchen in der Schweiz schon bald zum Luxus werden. Zeit, statt nur Fair Trade auch Fair Work zu schützen – und zu kennzeichnen.
Das Einkaufszentrum Glatt in Wallisellen hat neue Mitarbeiter: Sie empfangen die Besucher, zeigen ihnen, wo sie die gesuchten Jeans oder den Rotwein finden und geleiten sie bei Bedarf zur Toilette. Das Besondere an diesen Glatt-Consièrges: Es sind die ersten humanoiden Roboter, die in der Schweiz regelmässig zum Einsatz kommen.[1] Wobei «Einsatz» vielleicht noch etwas hoch gegriffen ist: So richtig frei arbeiten können die Roboter nicht. Das Glattzentrum veranstaltet eher Shows mit den kleinen, weissen Männchen.[2]
Denn das sind sie: 121 Zentimeter gross, Glubschaugen, Blechstimme. Es handelt sich um Roboter vom Typ «Pepper», die gemeinsam von der französischen Firma Aldebaran Robotics SAS und dem japanischen Telekommunikationskonzern SoftBank Mobile Corp. entwickelt worden sind. Das besondere an Pepper: Er ist darauf programmiert, Menschen und deren Mimik und Gestik wahrzunehmen, zu interpretieren und darauf zu reagieren. Es ist damit einer der ersten Roboter, der als «Companion Robot» nicht in einem abgesperrten Bereich einer Fabrik zum Einsatz kommt, sondern mitten unter Menschen.
25 Grossrechner in der Hosentasche
Noch ist Pepper mehr Attrakton als Arbeiter. Aber das wird noch werden. Denn gegenüber Menschen haben Roboter zwei grosse Vorteile: Erstens verdoppelt sich ihre Rechen- und Speicherkapazität etwa alle eineinhalb Jahre und zweitens können sie beliebig viel lernen. Die Kapazitäten von uns Menschen entwickeln sich höchstens im Tempo der Evolution und Lernen – Lernen ist für die meisten Menschen eine Qual.
Wie schnell sich Computer und Roboter entwickeln, zeigt ein Blick in die Geschichte. Vor ziemlich genau 20 Jahren musste Schachweltmeister Garry Kasparov fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass er als erster, amtierender Schachweltmeister von einem Computer geschlagen wurde. Deep Blue, ein Grossrechner von IBM, hatte den aserbeidschanischen Schachmeister besiegt. Deep Blue brachte es 1997 auf eine Leistung von 11.38 Gigaflops – das sind 109 Gleitkommaoperationen pro Sekunde, ein zuverlässiger Massstab für die Rechenleistung. 20 Jahre später bringt es ein iPhone 7 auf etwa 300 Gigaflops.[3] Wer heute also ein iPhone in der Tasche hat, trägt die Rechenkraft von etwa 25 Grossrechnern vom Typ Deep Blue mit sich herum!
Sie haben keine Chance gegen Ihr iPhone
Klar kommt es nicht nur auf die schiere Rechenkraft an, sondern auch auf Software und Sensoren. Wir können aber relativ sicher feststellen, dass Sie gegen Ihr iPhone im Schach absolut keine Chance mehr haben. Und vermutlich nicht nur im Schach, sondern auch in Scrabble, Dame und ein paar anderen Spielen. Die Leistung von Computern und Robotern steigt so rasch, dass sie mangelnde Intelligenz mit Rechenleistung wenigstens teilweise kompensieren können.
Wirklich gefährlich werden Roboter uns Menschen aber aus einem anderen Grund: Roboter können sich mit Computern zu ganzen Systemen zusammenschliessen. Das beste Beispiel dafür sind Lokführer: Ein Mensch in einem Führerstand einer Lokomotive mag intelligenter sein als jeder Grosscomputer – er beurteilt die Strecke mit seinen Augen und steuert die Lokomotive mit seinen Händen. Vermutlich hat er gute und schlechte Tage und verständlicherweise ist er gegen Ende eines Arbeitstages müder als zu Beginn. Das ist menschlich.
Der Computer hat die Gott-Perspektive
Roboter oder Computer ersetzen nicht den Menschen in der Lokomotive. Sie übernehmen die Steuerung der ganzen Eisenbahn. Das Leitsystem kennt die Position jedes Zugs, es weiss jederzeit, welche Lok mit wievielen Wagen und mit welcher Geschwindigkeit wo unterwegs ist. Der Computer hat deshalb nicht die Perspektive des Menschen im Führerstand, sondern quasi die «Gott-Perspektive»: Der Computer weiss jederzeit alles. Deshalb wird es bald sehr viel sicherer sein, wenn Computer unsere Züge steuern.
Und das gilt nicht nur für die Eisenbahn. Es gilt zum Beispiel auch auf der Baustelle. Da sieht jeder Maurer, jeder Gipser, jeder Eisenleger den Bau jeweils aus seiner Perspektive. Ein Computer kann den ganzen Bau aufs Mal sehen und kontrollieren. Es wird bloss eine Frage der Zeit sein, bis unsere Häuser von Baurobotern erstellt werden, weil das viel präziser und genauer ist. Ganz zu schweigen davon, dass Roboter nicht ermüden, keine Rückenprobleme haben und die Unia kein Puff wegen Dumpinglöhnen machen wird.
Computer ersetzen grad die ganze Bank
Computer und Roboter werden also nicht einzelne Menschen ersetzen. Im Interpretieren der Welt aus einer individuellen Perspektive heraus sind sie, bei aller Rechenkraft, nicht wirklich gut. Sie werden ganze Systeme ersetzen. Computer sind unendlich viel besser als Menschen, wenn es darum geht, sich über viele Informationen einen Überblick zu verschaffen und viele Details gleichzeitig im Blick zu behalten. Ob es sich dabei um eine Bahn oder eine Bank, um eine Baustelle oder einen Operationssaal handelt, ist (dem Computer) egal.
Oder um eine Fabrik. Eine Produktionsstrasse ist nichts anderes als ein komplexes System. Der Mensch ist nicht so gut darin, sich in feste Abläufe einzufügen. Das hat Charlie Chaplin schon in «Modern Times» gezeigt. Roboter haben keine Mühe damit. Ihr Nachteil ist bisher: Sie sind in der Anschaffung relativ teuer. Doch im Hochlohnland Schweiz wiegen die hohen Löhne schwerer als ein hoher Roboterpreis.
Fair Work: Die Kunden entscheiden
Es ist längst nicht mehr die Frage, ob Roboter in der Bahn und auf der Bank, auf der Baustelle und in der Fabrik die Menschen ersetzen. Die Frage ist vielmehr, wie rasch das geht – und ob die Menschen es akzeptieren werden. Nicht die betroffenen Arbeiter, Lokführer und Banker. Die wird man nicht fragen. Sondern die Kunden. Die Situation der Angestellten und Arbeiter wird bald mit der von Behinderten vergleichbar sein: Verglichen mit einem Roboter sind Menschen (zumindest in einigen Arbeitsbelangen) bald so unterlegen wie es manche Behinderte (in Arbeitsbelangen) gegenüber nicht behinderten Menschen sind. Warum können Behinderte trotzdem arbeiten? Weil es Kunden gibt, die bewusst Produkte kaufen, die zum Beispiel in einer Behindertenwerkstatt hergestellt worden sind oder in einer Firma, die Behinderten eine Chance gibt.
Solche Arbeitgeber sind mit speziellen Labels gekennzeichnet, zum Beispiel mit dem Label «iPunkt».[4] Label sind ja nichts Neues. Wir kennzeichnen Eier von glücklichen Hühnern und Fleisch von freilaufenden Kälbern,[5] gesund produzierte Fische[6] und biologisch gezüchtete Tomaten.[7] Wir machen es sichtbar, wenn Arbeiter in Entwicklungsländern fair für Bananen, Kaffee, Reis oder Tee entlöhnt werden.[8] Bloss für die Arbeiter in der Schweiz gibt es kein Label. Neben dem «Fair Trade», dem fairen Handel, wird es bald ein «Fair Work»-Label brauchen. Ein Label, das Produkte auszeichnet, die trotz ihrer Schwächen von Menschen hergestellt worden sind. Nur so werden sich die Menschen als Konsumenten für Menschen als Arbeitskräfte entscheiden können. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Bild von Pepper sehen: Noch ist der kleine Robo-Mann im Glattzentrum eher lustig und dämlich, als gefährlich – aber er ist ein Anfang.
[1] Siehe http://www.zuonline.ch/buelach/roboter-weisen-den-besuchern-im-glattzentrum-kuenftig-den-weg/story/29504347
[2] Siehe https://www.nzz.ch/wirtschaft/pepper-liebt-die-menschen-wie-roboter-den-dienstleistungssektor-veraendern-ld.1299739
[3] Vgl. https://www.quora.com/How-many-GFLOPS-of-floating-point-performance-does-Apples-A10-Fusion-output
[4] Vgl. http://www.diecharta.ch/UEber-das-Label-iPunkt.272.0.html
[5] Vgl. http://www.coop.ch/de/labels/naturafarm.html
[6] Vgl. http://www.wwf.ch/de/projekte/wirtschaft/labels/msc/
4 Kommentare zu "Fair Work statt nur Fair Trade"
Schön, dass sich der Wochenkommentar wiedereinmal nach den vielen Medienthemen („kreisen ums eigene Universum“) und Computerthemen (jedoch verständlich, ist – das muss man ihm lassen – M. Zehnder in beidem ja
a u s g e w i e s e n e r , f u n d i e r t e r Experte) wiedermal um etwas Handfestes dreht: Die Arbeiter – die Arbeit.
Zu den oben beschriebenen Aspekten kommt da noch ein weiterer: Denn zusätzlich tut sich in der Schweiz tatsächlich unter dem arbeitenden Volk ein gefährlicher Graben auf: Da ist einmal jener Teil der Bevölkerung, der in der Privatwirtschaft arbeitet, besonders gefährdet ist und nicht nur den staatlichen Sektor durchfüttern muss, sondern auch noch den härter gewordenen internationalen Druck (Zuwanderung plus Globalisierung) verdauen muss.
Auf der anderen Seite sammeln sich, vor allem in den Städten unter rot-grüner Vorherrschaft jene „soziokulturellen Eliten“-Arbeiter, die es sehr, sehr gut haben, die aber wenig bis nichts zur Wertschöpfung im Land beitragen. In der Verwaltung haben sich regelrechte Monokulturen herausgebildet (siehe BS).
Dadurch kann zum Modernisierungsverlierer nur werden, wer der globalen Veränderung ausgesetzt ist. (arme Arbeiter).
Wer beim Staat untergekommen ist und gemäss Lohnbändern bezahlt wird, faktisch über einen Kündigungsschutz verfügt und dazu noch im Durchschnitt mehr kassiert als im Privatsektor, der gehört tatsächlich zu den modernen (Globalisierungs-) Gewinner. (fidele Arbeiter).
Wenn ich manchmal in den Dunstkreis dieses Blogs und dessen Kommentare eintauche, beschleicht mich das Gefühl, es wimmelt auf diesen Seiten von den Letztern. Ein weiteres Merkmal derer: Ausdrucksstark, redegewandt, stark politisch durchwabert (meist, um ihre Pfründe nicht zu verlieren) + ideologisch einseitig gleichgeschaltet.
Sich aber etwas darauf einzubilden, dazu besteht freilich kein Anlass.
Lieber Herr Zweidler
Was die Staatsangestellten angeht, bin ich mit Ihrer Analyse nicht einverstanden. In Basel wird sie Zahl der Staatsangestellten zwar oft kritisiert, es wird aber auch festgestellt, dass das Wachstum vor allem mit den Beschlüssen des Grossen Rats zu tun hat und da hätten es die Bürgerlichen Parteien in der Hand, das Wachstum zu bremsen. Vgl. hier: https://www.basellandschaftlichezeitung.ch/basel/basel-stadt/beamtenstaat-basel-stadt-im-stadtkanton-gibt-es-immer-mehr-staatsangestellte-131224150
Unter diesem Link finden Sie auch die Zahl der Angestellten in der Kernverwaltung: 8289 sollen es 2017 werden.
8289 Staatsangestellte auf 198’391 Einwohner (vgl. hier: http://www.statistik.bs.ch/news/2017-05-23-bevoelkerung-april-2017.html ) und auf insgesamt rund 191’441 Arbeitsplätze (vgl. hier: http://www.statistik.bs.ch/dms/statistik/tabellen/03/2/t03-2-01.xlsx ) Das heisst also: Etwa jeder 23. Arbeitsplatz in Basel ist eine Staatsstelle. So wahnsinnig gross dürfte dieser Einfluss also nicht sein. Ganz abgesehen davon, dass Staatsangestellte oft sehr gute Arbeit machen und sich für alles und jedes rechtfertigen müssen, weil sie ihre Arbeit oft in der Öffentlichkeit verrichten. Fragen Sie mal eine Lehrerin oder einen Lehrer.
Entscheidender scheint mir, dass Sie nach ein bisschen Beschäftigung mit Robotik, Industrie 4.0 und Automatisierung zum Schluss kommen müssen, dass die wirkliche Bedrohung der Arbeitsplätze in den westlichen Industrieländern nicht von bösen, billigen ausländische Arbeitskräften (im Inland oder im Ausland) und nicht von einer vagen Globalisierungsgefahr ausgeht, sondern durch Automatisierung und Digitalisierung. Das wird auch Donald Trump merken: Die Fabriken im Rustbelt werden nie mehr von Heerscharen von Arbeitern bevölkert werden. Wenn sie wieder in Schwung kommen sollten, dann werden sie von Heerscharen von Robotern bevölkert sein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag…
Wie beispielsweise die Trump-USA und May-Grossbritannien huldigt auch die Schweiz mit einer neoliberalen Chaos-Politik immer noch mehr einer verantwortungsfreien Marktwirtschaft. Beispielsweise nach Art der Blochers. Mit ihrem Volk von tanzenden Sennenhunden. Sie schauen selbstlos dafür, dass es den Superreichen immer noch besser gehen kann. Auf diesem Weg liegt Fair Work für die Allgemeinheit nicht drin. Möglich sind Nischen. Wie beispeilsweise ganz klein und am Rande bei der Basler MacherSchaft: http://www.macherschaft.ch.
Danke, lieber Herr Zehnder, dass Sie den verbalen Zweidler’schen Rundumschlägen im Kommentar oben harte Fakten gegenüberstellen.
Zum Thema Roboter: an der Self-Scanning-Kasse der Grossverteiler lassen wir uns selbst zu Robotergehilfen machen, zu Lasten der Kassiererinnen…, und werden dann noch mit einer individuelle „Ehrlichkeitsbewertung“ im System gespeichert, wie man den neuen AGB des COOP entnehmen kann.