Es ist die Öffentlichkeit, stupid!

Publiziert am 5. Juli 2019 von Matthias Zehnder

Ihre Namen bestehen aus drei Buchstaben und sie stehen in scharfem Gegenwind: die SRG, die BVB und die SBB. Die SRG ist im Nationalrat unter Druck geraten, weil sie das Radiostudio Bern nach Zürich verlagern wollte. Die SBB wird kritisiert, weil sie bei Verspätungen Haltestellen auslässt. Und die BVB ist von der Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rats so scharf angeschossen worden, dass BVB-Direktor Erich Lagler zurückgetreten ist. Die Firmen reagieren auf die Kritik alle ähnlich: mit Abwehr und Unverständnis. Wie eine Firma halt. Doch SBB, BVB und SRG sind nicht einfach Firmen. Sie stehen im Dienst der Öffentlichkeit. Und da gelten andere Regeln.

Der Fall BVB ist so typisch, dass Sie die folgenden Zeilen auch als offenen Brief an BVB-Verwaltungsratspräsidentin Yvonne Hunkeler lesen können. Letzte Woche hat die Geschäftsprüfungskommission des Basler Grossen Rats einen Spezialbericht zu den Basler Verkehrsbetrieben veröffentlicht.[1] Im Bericht kritisiert die GPK die Leitung der BVB und den zuständigen Regierungsrat scharf. Insbesondere BVB-Direktor Erich Lagler wird gerügt. Obschon der Direktor der BVB bereits seit 2014 im Amt ist, hat sich die Situation nicht verbessert. Ihm ist es offensichtlich nicht gelungen, die BVB auf Kurs zu bringen. Stattdessen fällt er vor allem mit einer misslungenen Kommunikation gegen innen und gegen aussen auf, schreibt die GPK in ihrem Bericht. Insbesondere hätten sich Kennzahlen wie Krankheitstage, Mitarbeiterzufriedenheit und Fluktuation nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert. Lagler zog nach der Lektüre des Berichts die Konsequenzen und reichte seinen Rücktritt ein. So weit, so nachvollziehbar.

Interessant und typisch war die Reaktion von Verwaltungsratspräsidentin Yvonne Hunkeler auf den Rücktritt. An der Medienkonferenz am letzten Freitag betonte sie, dass sie den Rücktritt von Lagler bedaure. Die ganze Situation löse bei ihr ein Wechselbad der Gefühle aus: Und etwas muss ich an dieser Stelle loswerden: Was da politisch und medial abgeht und auf dem Rücken von Erich Lagler ausgetragen wird, das macht mich sehr betroffen. Das ist ein Mensch, der das ertragen muss und es ist sehr, sehr unschön, was da abgeht.[2] Im Interview mit dem Regionaljournal Basel erklärte Hunkeler, Erich Lagler habe sehr viel Gutes für das Unternehmen BVB gemacht. Lagler habe einen guten Job gemacht, wie das ein anderer CEO auch machen kann. Das ist ein schwieriges Umfeld, in dem er sich bewegt hat, er hat immer volles Engagement gegeben und hat sich mit Herzblut engagiert.

Was da politisch abgeht

Es ist nachvollziehbar, dass eine Verwaltungsratspräsidentin, deren CEO gerade zurückgetreten ist, den CEO in Schutz nimmt. Wäre die BVB eine ganz normale, private Firma, wäre die Reaktion in Ordnung, ja sympathisch. Aber die BVB ist ein öffentlicher Betrieb und deshalb ist die Reaktion falsch. Yvonne Hunkeler sagte: Was da politisch und medial abgeht und auf dem Rücken von Erich Lagler ausgetragen wird, das macht mich sehr betroffen. Was da «politisch abgeht», das ist eine Untersuchung der GPK – ein über 100 Seiten starker Bericht, der sich sachlich und detailliert mit Problemen des Unternehmens auseinandersetzt und dazu politische Fragen stellt. Mit anderen Worten: Die GPK macht ihre Arbeit. Medial war Direktor Lagler kaum unter Beschuss. Im Kreuzfeuer der Kritik stand der Trambetrieb der BVB, verschiedene Pleiten und Pannen und das so genannte «Gleisdebakel».[3]

Mit anderen Worten: In den Medien wurde vor allem die Leistung der BVB kritisiert. Yvonne Hunkeler widerspricht und hält gegenüber dem Regionaljournal Basel fest: Die BVB ist in einer Krise betreffend Image und Reputation. Man müsse aber unterscheiden zwischen dem Tagesgeschäft, das die BVB abwickelt, und dem Image. Die BVB dürfe hinstehen und selbstbewusst sagen: Wir haben im Tagesgeschäft keine Krise. Das kann nur jemand sagen, der nicht in Basel wohnt.[4] Sie erlebt ganz offensichtlich weder die vielen Tramausfälle, noch die überraschenden Tramumleitungen, die Verspätungen oder die trotz Rekordhitze ungekühlten Tramwagen in Basel. Vor allem aber verhält sie sich damit gegenüber der Öffentlichkeit wie die Verwaltungsratspräsidentin einer kommerziellen Firma. Doch die BVB ist ein öffentlicher Betrieb.

It’s the public, stupid!

Im Organisationsgesetz der BVB steht: Die BVB ist ein Unternehmen des Kantons in der Form einer selbständigen öffentlich-rechtlichen Anstalt.[5] Die BVB gehören der Öffentlichkeit und sie stehen im Dienst der Öffentlichkeit. Wenn Politik und Medien die BVB kritisieren, dann ist das also kein ungebührliches Verhalten, es sind die Vertreter des Eigners und der Kunden, die sich äussern. Der Verwaltungsratspräsident einer öffentlich-rechtlichen Anstalt hat sich nicht darüber zu beklagen. Er (oder sie) kann nur feststellen, dass die vielleicht tatsächlich gute Arbeit des Unternehmens nicht gut angekommen ist. In Anlehnung an den berühmten Kampagnenslogan von Bill Clinton It’s the economy, stupid! (also: Auf die Wirtschaft kommt es an) könnte man bezüglich BVB sagen: It’s the public, stupid! Also: Auf die Öffentlichkeit kommt es an! Bei öffentlichen Unternehmen wie der BVB kommt es nicht auf Gewinn oder Wachstum an oder darauf, dass sich der Direktor wohl fühlt, sondern darauf, dass sie die Bedürfnisse und Anforderungen der Öffentlichkeit erfüllen – dass sich also die Öffentlichkeit wohlfühlt. Deshalb sind Image und Reputation bei der BVB nicht lässliches Beigemüse, sondern betreffen den Kern der Leistung des Unternehmens. Genau darauf kommt es an.

Eine ganz ähnliche Erfahrung hat die SRG gemacht. Als sie Pläne präsentierte grosse Teile der Nachrichtenredaktion des Radios von Bern nach Zürich zu verlegen und da mit der Nachrichtenredaktion des Fernsehens zusammenzuführen, stiess die SRG auf grossen Widerstand. Politiker aus allen Parteien protestierten gegen die Zentralisierung der Nachrichtenredaktionen in Zürich.[6] Dabei war auffallend, dass SRG und Politik völlig aneinander vorbei redeten. Die SRG argumentierte sachlich, mit Zahlen und Kosten. Die SRG argumentierte also unternehmerisch. Was ist die Handlungsmaxime eines Unternehmens? It’s the economy, stupid! Die Politiker gingen nicht darauf ein. Sie argumentierten politisch und gesellschaftlich, ja psychologisch. Wer hat recht? It’s the public, stupid! Auf die Öffentlichkeit kommt es an. Nicht alles, was unternehmerisch Sinn macht, ist politisch klug (und umgekehrt).

Die Bahn auf dem falschen Gleis

Auch die SBB reibt sich an diesem Widerspruch. Jüngstes Beispiel: Die Bundesbahn hat in der Ostschweiz bei Verspätungen Haltestellen nicht bedient. Weil der Zug von Zürich nach St. Gallen Verspätung hatte, strichen die SBB die fahrplanmässigen Haltestellen Wil, Uzwil, Flawil und Gossau, um die Verspätung aufholen zu können.[7] Das geht nicht, denn die SBB sind nicht einfach eine Firma, sie sind ein öffentlicher Betrieb. Gegenüber SRF sagt es Thierry Burkart (FDP/AG), Mitglied der Verkehrskommission des Nationalrats, so: Die Passagiere dürfen auf den Fahrplan vertrauen. Sie dürfen darauf vertrauen, dass der Zug auch tatsächlich dort hält, wo es im Fahrplan angegeben ist.[8]

Ähnlich reagiert die Öffentlichkeit auf die Pannenserie rund um den neuen Doppelstockzug.[9] Solche Pannen liegen nicht drin. Dann soll die Bahn halt weniger Ertrag einfahren. Aber an der Verlässlichkeit darf sie nicht schrauben. Bei öffentlichen Betrieben geht es nicht um die economy, es geht um etwas anderes: It’s the public, stupid! Und wenn wir schon beim Englischen sind: In Amerika gibt es diesen etwas pathetischen Ausdruck: I am humbeld to serve… Das kann man so direkt nicht auf Deutsch übersetzen. humble heisst demütig, bescheiden. Der Ausdruck bedeutet also etwa: Ich diene demütig und bescheiden der Öffentlichkeit. Öffentliche Betriebe wie die BVB, die SRG oder die SBB müssen keine Aktionäre befriedigen, sie müssen (und können) keine fetten Gewinne einfahren und sie sollen keiner Champions League angehören. Die Öffentlichkeit erwartet, dass sich die Betriebe in ihren Dienst stellt und dass die Direktoren und Verwaltungsratspräsidentinnen in diesen Unternehmen keine arroganten Führungsmenschen sind, sondern dass sie humbeld to serve sind. Denn worauf kommt es an? It’s the public, stupid!

Basel, 5. Juli 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Quellen

[1] Den Spezialbericht der GPK zu den BVB finden Sie hier: http://www.grosserrat.bs.ch/de/geschaefte-dokumente/datenbank?such_kategorie=1&content_detail=200109770

[2] Zitiert nach dem O-Ton aus der Medienkonferenz, wie er im Regionaljournal Basel am 28. Juni 2019 ausgestrahlt wurde, abrufbar hier https://www.srf.ch/sendungen/regionaljournal-basel-baselland/bvb-chef-erich-lagler-geht

[3] Zum Beispiel bringt die «BaZ» am 5.6.2019 eine Chronik: «Die Pannen-Serie der BVB» https://www.bazonline.ch/basel/stadt/die-pannen-serie-der-bvb/story/20324669 und die «bzBasel» berichtet am 6.6.2019: »Neues Schienen-Debakel bei den BVB sorgt für öV-Chaos» https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/neues-schienen-debakel-bei-den-bvb-sorgt-fuer-oev-chaos-134576927

[4] Die Verwaltungsratspräsidentin der BVB wohnt in Grosswangen, das liegt zwischen Sursee, Willisau und Nottwil. Siehe hier: https://www.yvonnehunkeler.ch/portr%C3%A4t/

[5] Organisationsgesetz der Basler Verkehrs-Betriebe: https://www.gesetzessammlung.bs.ch/app/de/texts_of_law/953.100

[6] Vgl. «NZZ». 18.6.2019: «Verlegung des Radiostudios Bern: Nationalrat will die SRG stoppen» https://www.nzz.ch/schweiz/radiostudio-bern-nationalrat-will-srg-in-die-schranken-weisen-ld.1489774

[7] Vgl. Die Berichterstattung bei SRF: https://www.srf.ch/news/schweiz/veraergerte-pendler-sbb-laesst-wegen-verspaetung-haltestellen-aus-darf-sie-das

[8] Ebenda.

[9] Vgl. «NZZ», 1.5.2019: «FV-Dosto: Eine Chronik fast endloser Probleme»; https://www.nzz.ch/schweiz/fv-dosto-eine-chronik-fast-endloser-probleme-ld.1478718

4 Kommentare zu "Es ist die Öffentlichkeit, stupid!"

  1. Guten Abend Herr Zehnder
    Ich lese Ihren Wochenkommentar regelmässig und mit Interesse. Bei der Bahngeschichte taucht bei mir noch eine andere Überlegung auf: Vielleicht sind unsere Ansprüche überhöht. Absolute Pünktlichkeit, auch wenn die Hitze Schienen verbiegt, eine Verkehrsdichte, bei der jede Verspätung zu grossen logistischen Problemen führt, immer mehr, immer schneller, immer zuverlässiger…. Vielleicht braucht es: langsamer, unpünktlicher, weniger – als Normalität.
    Freundliche Grüsse
    Rosmarie Flückiger

  2. Es ist der Mobilitätswahn, stupid!
    Die BVB erodiert: darüber bestehen kaum mehr Zweifel. Wenn aber die Probleme nicht einem grösseren Zusammenhang mit einer Siedlungs-, Raum-, Verkehrs- und Wirtschaftsplanung, die für eine urbane Entwicklung der Metropole Basel im Dreiland am Oberrhein grundsätzlich ungeeignet ist, und nicht im Zusammenhang mit einer Schlaraffenland-Gesellschaft, die eine grenzen- und sinnlose Mobilität will, gesehen und bearbeitet werden, wird es unabhängig von Personalentscheiden so weiter gehen: Immer noch mehr Verkehr geht nicht mehr, stupid!

  3. Zur SBB und dem Nicht-Bedienen gewisser Bahnhöfe bei Verspätungen. Die Fahrgäste wurden offenbar rechtzeitig im Zug informiert, dass sie z. Bsp. In Zürich umsteigen mussten, um in Wil, Flawil oder Gossau ausssteigen zu können. Niemand wurde genötigt, ohne Halt bis St-Gallen zu fahren.
    Die Disponenten der SBB sind keine Idioten, sondern Profis. Sie wissen ganz genau, dass es für gewisse Passagiere ärgerlich sein wird, wenn sie einen Zug ohne Halt durchfahren lassen (müssen), um eine Verspätung aufzuholen. Sie müssen jeweils das kleinere Übel wählen. So kann es wichtiger sein, dass die Mehrheit der Passagiere rechtzeitig in St-Gallen ankommt und kritische Anschlüsse nicht verpasst, als dass ein paar wenige in Flawil oder Gossau aussteigen können. Warum haben wir so wenig Vertrauen in die Leute, deren Beruf es ist, solche Schwierigkeiten zu meistern? Nein, es ist einfacher, 20 Minuten zu lesen und am Stammtisch über die SBB zu lästern. Es geht in diesem Fall nicht darum, ob es die „economy“ oder das „public“ ist, stupid. Es geht darum, dass nicht-vorgesehene Probleme möglichst rasch und gut gelöst werden. Und wenn es um Züge geht, kann das die SBB besser als alle selbst-ernannten Experten.

    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Es ist gut möglich, dass das Beispiel schlecht gewählt ist, auch wenn es, anders als Sie insinuieren, nicht aus 20 Minuten oder vom Stammtisch stammt. Das Bundesamt für Verkehr schreibt: «Für das BAV als Aufsichtsbehörde stellt sich die Frage, ob das Verhalten der SBB die Betriebspflicht verletzt oder nicht. Das wäre dann der Fall, wenn ein Unternehmen Haltestellen, die in der Konzession und im Fahrplan enthalten sind, nicht bedient.» Das ist also kein Stammtischproblem. Trotzdem kann es sein, dass es nicht das beste Beispiel ist für das zu Grunde liegende Problem, das ich ansprechen möchte. SBB, BVB und andere öffentliche Betriebe sind Zwitterwesen: Die Politik hat diese Betriebe ausgelagert und setzt sie harten Anforderungen aus, wie wenn sich die Betriebe auf dem freien Markt bewegen würden. Das tun sie aber nicht, weil sie öffentliche Aufträge erfüllen müssen und ihnen relativ genau vorgeschrieben wird, unter welchen Bedingungen sie ihre Leistungen erbringen nmüssen. Das führt zu einem inneren Widerspruch: Einerseits freie Wirtschaft mit Renditedruck und hohen Gehältern samt Bonus für die Chefs, andererseits öffentliche Aufträge und Besitz und politische Kontrolle durch die Öffentlichkeit.
      Sie haben absolut recht: Ich kann nicht beurteilen, wie konkrete Sachprobleme bei der SBB am besten gelöst werden. Mein Kommentar richtete sich aber vor allem an die VR Präsidentin der BVB, die sich über die politische Kontrolle und den Druck der Öffentlichkeit beklagte. Deshalb: Es zählen nicht dieselben Massstäbe wie in der freien economy, es zählt die Öffentlichkeit und da gerade auch die öffentliche Wahrnehmung.

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