Die Industrialisierung des Journalismus ist dessen Tod

Publiziert am 10. August 2018 von Matthias Zehnder

Seit Gutenberg ist die Entwicklung der Medien eng mit dem Fortschritt der Technik verbunden. Dabei ging es immer um die Beschleunigung von Druck und Vertrieb, also der Verbreitung der Medien. Bis jetzt. Eine neue Generation von Medienmanagern will jetzt auch die Inhalte industrialisieren. Das Resultat sind Hors-Sol-Zeitungen und automatisierte Websites. Das ist effizient, aber tödlich für den Journalismus. Denn im Zeitalter von Fake News ist das wichtigste Gut der Medien ihre Glaubwürdigkeit. Und die können nur Menschen sicherstellen. Echte Menschen.

Der technische Fortschritt spielte in der Geschichte der Medien immer schon eine grosse Rolle. Von Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks über den Bleisatz, den Offsetdruck, die Textverarbeitung und das Layout mit dem Computer haben Medienunternehmen immer auf die neuste Technik gesetzt. Dabei ging es aber immer um die Produktion und die Distribution der Medien, also um die Herstellung von Bildern oder Layout, um den Druck oder die Verteilung. Das hat sich verändert: In den letzten Jahren hat die Industrialisierung auch auf den Inhalt übergegriffen, also auf das Schreiben. Immer mehr Medienunternehmen versuchen heute, den Journalismus selbst zu industrialisieren.

Äusserer Ausdruck davon ist der Newsroom.[1] So heissen die turnhallengrossen Grossraumbüros für Journalisten, die mit ihren vielen Displays und Grossbildschirmen eher an den Handelsraum einer Börse als an ein Redaktionsbüro erinnern. Wären Journalisten Hühner, würde der Tierschutz gegen manche dieser Arbeitsplätze opponieren: Es ist Käfighaltung. Mit der Arbeit, die ein Redakteur früher an der Schreibmaschine verrichtete, hat die Arbeit in einem Newsroom herzlich wenig zu tun. Da wird nicht geschrieben, da wird «Content» produziert und von «Channel Managern» auf die verschiedenen «Vektoren» des Medienhauses verteilt. Oder auf Deutsch: Die Mitarbeiter erzeugen Einzelinhalte, die auf den Onlineauftritten und den Kanälen in den Sozialen Medien zusammengesetzt und publiziert werden.

Bald schreiben Roboter einen Drittel des «Tages-Anzeigers»

Die Industrialisierung des Inhalts bedeutet, dass nicht mehr ein einzelner Journalist eine Geschichte schreibt, sondern dass ganze Teams ein Thema betreuen. Jede/r im Team produziert kleine Einzelstücke. Für die Zeitung werden Grafiken, Bilder, Zitate der Protagonisten und ein erzählendes Stück wie Legosteine zu einer Zeitungsseite zusammenmontiert. Im Web, für das Mobiltelefon und in den Sozialen Medien werden die Legosteine einzeln publiziert. Und die Industrialisierung des Inhalts hört nicht damit auf, dass die Mitarbeiter sich nur noch um die Einzelteile kümmern. Die Einzelteile dürften künftig immer häufiger nicht mehr von Menschen, sondern von Computern «gefertigt» werden. Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden.[2]

Aus der Sicht einer multimedialen Produktion (und damit aus der Sicht der Medienmanager) macht das Sinn. Es ist effizienter, flexibler und kostengünstiger, als wenn für jeden Publikationskanal ein Journalist die Arbeit einzeln machen würde. Auch die Automatisierung macht Sinn. Schon heute entstehen viele Inhalte einer Zeitung oder einer Website automatisiert. Bloss handelt es sich dabei nicht um Journalismus. Wenn Börsenkurse automatisch einfliessen oder Wetterprognosen automatisch erstellt werden, dann ist das blosse Informationsverarbeitung. Das lässt sich sogar zu einer Definition verhärten: Wenn es sich automatisieren lässt, dann ist es nicht Journalismus.

Wenn der Journalist dem Leser gegenübertritt

Medienkonsumenten sehen die Industrialisierung und die Automatisierung der Medien zwiespältig. Einerseits tragen sie mit ihrem Verhalten dazu bei, dass Inhalte immer schneller und immer vielfältiger bereitgestellt werden müssen. Andererseits schenken vor allem die zahlenden Medienkonsumenten immer häufiger ihre Gunst gerade jenen Medien, die sich dem Trend zur Industrialisierung verweigern und ganz auf die Stimme von kompetenten Journalistinnen und Journalisten setzen. Beispiele dafür sind die «Zeit» in Deutschland, die junge «Republik» in der Schweiz, der «Atlantic» in den USA. Wissenschaftlich ausgedrückt bieten diese Publikationen stark auktorialen Journalismus: Die Journalistin, der Journalist tritt den Lesern als Person gegenüber, seine persönliche Perspektive (und seine Kompetenz) sind im Text spürbar.

Bestes Beispiel für einen auktorialen Journalismus sind die Korrespondentinnen und Korrespondenten von Radio SRF.[3] Wenn Karin Wenger aus Südostasien, Isabelle Jacobi aus den USA, Martin Alioth aus Grossbritannien und Oliver Washington aus Brüssel berichten, dann erzählen sie alle aus ihrer persönlichen Perspektive. Ihre Berichte unterscheiden sich von den anonymen Nachrichten der Agenturen. Es sind immer auch Erzählungen aus ihrem Leben und Erleben – und deshalb besonders glaubwürdig. Das gilt, um beim Radio zu bleiben, auch für andere Radiojournalisten. Die Journalisten von «Echo der Zeit» wie Nicoletta Cimmino und Simone Hulliger, Samuel Wyss oder Markus Hofmann sind nicht einfach journalistische Discjockeys, es sind ganz eigene Stimmen, die für ihre Zuhörer zu persönlichen Welterklärern werden. Ihre Arbeit hat wenig zu tun mit der Fliessbandarbeit in einem Newsroom.

Ausgerechnet die SRG setzt auf Zentralisierung

Es ist deshalb umso unverständlicher, dass die SRG ausgerechnet diese Radioredaktion von Bern nach Zürich verpflanzen und da in den SRF-Newsroom integrieren will. Aus Sicht der Medienmanager ist das Radio halt nur einer von vielen «Vektoren» (Verteilkanälen). Priorität hat immer häufiger Online: Die Journalisten haben den Auftrag, zuerst die Onlineauftritte zu bestücken und danach die anderen Vektoren zu bespielen. Wie bei anderen Medien auch bedienen die Journalisten immer häufiger alle Kanäle und zwar möglichst aus einer grossen Zentralredaktion heraus, weil sich die Inhalte auf diese Weise effizient verteilen lassen. Das Resultat ist das, was ich «Hors-Sol-Medien» nenne: Wie die Hors-Sol-Tomaten sehen diese Medien gut aus, sie sind professionell produziert – aber sie schmecken nach nichts und sind nirgends wirklich verwurzelt.

Es wäre absolut unverständlich, wenn die SRG, die doch der «idée suisse» verpflichtet ist, den Föderalismus in den Wind schlagen und sich einem zentralisierten und industrialisierten Journalismus verpflichten würde. Service Public ist das Gegenteil: föderal und auch im Einzelnen der Qualität verpflichtet – und der Glaubwürdigkeit. Denn das ist die Kehrseite dieser Medienriesen: Sie sind gross und anonym und deshalb für viele Menschen nicht mehr vertrauenswürdig.

Der Gegentrend zu Hors-sol-Medien

Es gibt deshalb im Journalismus einen Gegentrend zum anonymen, industrialisierten Medienkomplex: das ist der persönliche Journalismus, direkt vom Autor. Die «Republik» basiert auf diesem Konzept: Hinter der «Republik» steht kein Medienhaus, sie wurde von zwei bekannten Schweizer Journalisten aufgebaut. In Basel gibt es ab Montag ein weiteres Angebot, das den Medienkonsumenten ermöglich, quasi direkt beim Autor «einzukaufen»: Ex-BaZ-Lokalchef Christian Keller bietet mit «Prime News»[1] seine Recherchen direkt dem Publikum an, ohne Verlag, ohne Medienkomplex, finanziert direkt von den Leserinnen und Lesern, die möchten, das Keller als recherchierender Stachel im Fleisch des rot-grünen Basel erhalten bleibt.

Das Konzept ist nicht neu. Der erste Journalist, der sich in Basel (und vermutlich in der Schweiz) per Internet direkt an sein Publikum wandte, war Peter Knechtli mit Onlinereports.[2] Auch meine eigenen Texte entstehen so, ohne Verlag, direkt von den Leserinnen und Lesern finanziert. Journalisten und Autoren, die sich auf eigene Rechnung direkt an ihre Leser wenden, das ist das Gegenkonzept zu einer Medienindustrie, die meint, der Journalismus lasse sich zentralisieren und industrialisieren und anonymisiert auf Vektoren verteilen. Das geht vielleicht mit Informationen. Aber nicht mit Journalismus. Die Industrialisierung des Journalismus ist dessen Tod.

Basel, 10. August 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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[1] Vgl. https://primenews.ch/

[2] Vgl. http://www.onlinereports.ch/

[1] Einen (nicht mehr ganz neuen) Blick in den Newsroom des «Blick» können Sie hier werfen: https://www.youtube.com/watch?v=jPIj4Cv4lHw Hier sehen Sie den Newsroom der «Welt»: https://www.youtube.com/watch?v=FSdTcpUHiMk. Und so sieht es bei der «New York Times» aus: https://www.youtube.com/watch?v=iZOM8JKQZ8A

[2] Vgl. SRF «Samstagsrundschau» vom 17. März 2018 mit Pietro Supino, Min. 20:21 https://www.srf.ch/sendungen/samstagsrundschau/tamedia-praesident-pietro-supino-im-rasanten-medienwandel?ns_source=web&srg_sm_medium=tw?ns_source=web&srg_sm_medium=tw

[3] Vgl. Radioi SRF 1: Das sind die Radio-KorrespondentInnen, https://www.srf.ch/radio-srf-1/radio-srf-1/das-sind-die-radio-korrespondentinnen

5 Kommentare zu "Die Industrialisierung des Journalismus ist dessen Tod"

  1. In der Produktion automatisierte «Hors-Sol-Medien» entsprechen dem System einer kollektiv organisierten Verantwortungs- und Wertelosigkeit, wo alle tun können, was und wie sie es wollen. Hauptsache: Es bringt Profit und macht Spass. Ein solcher Journalismus scheint mir typisch für eine Gesellschaft, wo Gier, Gewinnsucht und Rücksichtslosigkeit gelebt und verherrlicht werden. Und in dieser Gesellschaft sind wir mittendrin: auch in der Schweiz, und nicht nur beispielsweise in den USA oder sonstwo. Das zu ändern ist nicht „nur“ eine Frage der Technik, sondern dafür braucht es vor allem eine grundlegend andere Mentalität.

  2. Wie zu Gutenbergs und Luthers Zeiten profitierte die breite Gesellschaft von den technischen Entwicklungen – abgesehen natürlich von einigen tausend arbeitslosen Kaligraphen, Mönchen, Bleigiessern, Schriftsetzern und Buchbindern. Die Verfügbarkeit der Information steigerte sich vom Lesen der Bibel als erstem gedruckten Buch (im christlichen Abendland) bis zum Morgen- und Abendblatt fast jeder Tageszeitung. Das Internet hingegen stellt eine Zäsur dar, insbesondere die sogenannt (a-)sozialen Medien. Dass nun jede Bürgerin und jeder Bürger, ja jeder Häfelischüler, seine Wahrheit ins öffentliche Überall senden kann und darf, mag man interessant finden – sehr viele tun das. Dass dieses Tun aber unter falschem Namen erfolgen darf, öffnet der Unkultur des Shitstorms der persönlichen Beleidigung, gar der Bedrohung persönlicher Integrität, Tür und Tor. Der Tonfall wird zunehmend rüder, gehässiger und dies färbt leider auf die Medienlandschaft ab. Man will schliesslich einen Primeur landen und steht sofort in Konkurrenz zu den privaten Tweets, Likes, und Postes, im Tempo, im Inhalt und in der Agressivität.
    Dass das Internet ermöglicht, ohne Namensnennung seine Meinung, sei sie wie sie wolle, unangreifbar verbreiten zu können und notabene zu dürfen, fördert eine verbale Unkultur, welche sich auch auf den politischen Umgang auswirkt (von Blocher bis Trump). Ich weiss, die Gesellschaft liebt keine Verbote, ohne Regeln aber, ohne Rechtsverbindlichkeit lassen wir derzeit einen rechtsfreien Raum sich öffnen, der uns kulturell in die Steinzeit zurück versetzt. Damit will ich nicht etwa steizeitliche Kultur gering schätzen, sondern den Verlust seither erreichter sozialer Errungenschaften beklagen.

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